CK-2587
The Lone Gunman
Prolog
Sturmtruppen stellen keine Fragen. Sturmtruppen sind gehorsam. Sturmtruppen garantieren Effizienz durch Disziplin.
Ob die Ausbildung ihn viel gekostet hatte, wusste er nicht mehr. Er konnte sich lediglich an die Ergebnisse erinnern, die exakt dem Muster entsprachen, das die Ausbilder sehen wollten. Das Imperium war groß. Es brauchte Soldaten. Sie waren das unbeugsame Bollwerk zwischen Ordnung und Anarchie, hatte ein Ausbilder in einem seiner mitteilsameren Momente gesagt. Es hatte sie nicht gekümmert. Wie es sie nicht gekümmert hatte, auf welche Ziele sie schossen, was diese Dinge und Personen auszeichnete, als Bedrohung des Imperiums der Vernichtung überantwortet zu werden. Diese Entscheidungen wurden andernorts getroffen. Und sie waren immer richtig.
Er war nur einer von vielen gewesen. Für seine Ausbilder war er eine Nummer, wie auch später für die Offiziere. Für den Rest war er ein Soldat des Imperiums. Für sich selbst... er wusste es nicht mehr. Er wollte es nicht wissen. Die Vergangenheit spielt keine Rolle, hatte man ihnen gesagt.
Sein Spiegelbild hatte er vergessen. Er sah sich, wie alle anderen ihn sahen. Träger der Rüstung, die zu einem der Symbole imperialer Allgegenwart und Überlegenheit geworden war, deren gespenstisches weiß den Feinden des Imperiums das Blut in den Adern gefrieren ließ. Zum Schlafen legten sie ihre Rüstungen ab. Doch der Schlaf war kurz. Bald genügte ihnen eine noch geringere Portion dieses für andere Lebewesen erstrebenswerten Guts. Einige lernten es nicht. Er sah sie nie wieder, ohne es zu merken. Er hatte ihre Gesichter nicht gekannt. Er hatte ihre Namen nicht gekannt. Wie er selbst, waren auch sie Nummern. Nummern, die in Rekrutierungsberichten, Verluststatistiken und Trainingsauswertungen erschienen. Sie brauchten nur ihre Rüstungen, ihre Waffen und diese Nummern, um dem Imperium zu dienen.
Und sie dienten dem Imperium. An unzähligen Fronten, auf Patrouille, auf Raumschiffen, bei Invasionen. Ihre Gegner waren ohne Zahl, ihre Opfer und Verluste ebenso. Er sah sie kämpfen. Er sah sie siegen. Er sah sie sterben. Er sah stets dieselbe Maske auf sich starren, seine Maske. Und er kämpfte mit ihnen. Er siegte mit ihnen. Niemals stellte er Fragen. Er empfand nichts, wenn vor ihm ein weißgepanzerter Körper von Blastergarben zerfetzt wurde. Er empfand nichts, wenn ein Verwundeter vor der Mündung seiner Waffe hoffnungslos um Gnade winselte. Nichts deutete je daraufhin, dass etwas in ihm schlummerte, das zu ihnen nicht passen sollte. Das sich wehren würde. Doch es existierte. Und arbeitete sich beharrlich an die Oberfläche...
***
Das imperiale Landungsboot tauchte gleich einem klobigen Stein in die Atmosphäre eines Planeten am Rand der bekannten Galaxis ein, um seine im Augenblick des Transportes teilnahmslose Fracht auf der spärlich bewaldeten, von zerklüfteten Felsregionen und weiten Graslandschaften dominierten Oberfläche abzuladen. Höchstwahrscheinlich kümmerten sich in diesem Augenblick lediglich drei Personen um das momentane Geschehen- die beiden konzentrierten Piloten und der junge Captain der imperialen Bodenstreitkräfte, dessen Blick ab und an auf die Abteilung Sturmtruppen fiel, die er in diesem Einsatz zu führen hatte.
Immer wieder verharrte sein nervöser Blick auf der Schulterklappe des zuvorderst sitzenden Soldaten, dessen ausdrucksloser Helm ins Leere zu starren schien. Sie würden ihm folgen, soviel hatte man dem jungen Offizier versichert. Sein Auftrag war zu wichtig, um ihm die volle Einsatzkraft des Imperiums vorzuenthalten. Es galt, entwendete Informationen zurückzuerobern, deren Verwendung in falschen Händen einen empfindlichen Schlag für die imperialen Bemühungen in diesem System bedeuten würde, ein Umstand, den der verantwortliche Mufti nicht dulden konnte. Der Spion war mitsamt der geraubten Information auf diesen abgelegenen Planeten geflohen und hatte sich dort, weitab von Zivilisation und imperialer Überwachungstechnik, vor dem Zugriff seines Feindes verbergen sollen. Doch es war nicht leicht, den hartnäckigen Häschern des Geheimdienstes zu entkommen. Sie hatten ihn gefunden und- aus ungeklärten Gründen ?nicht persönlich zugegriffen, sondern um Verstärkung gebeten. Verstärkung, die ihnen der Mufti nur zu bereitwillig gewährt hatte.
Eigentlich sollte es ein Routineeinsatz werden- obgleich einer, bei dem einiges auf dem Spiel stand. Der Captain wusste dies. Seine Soldaten nicht. Doch das sollte ihrer Effizienz keinen Abbruch tun.
?Ich habe die fragliche Siedlung auf meinen Sensoren...?, meldete der Pilot des Landungsbootes streng geschäftlich.
?Wir gehen runter...?, fügte sein Copilot hinzu.
Hektisch drehte der Armeeoffizier sich zu ihnen um. Sein Blick huschte irr über die Instrumente.
?Er wird gewarnt sein...?, brachte er schließlich hervor. ?Wir sind zu laut!?
?Macht das einen Unterschied??, fragte der Pilot und warf einen bedeutungsvollen Blick in den Passagierraum.
?Vermutlich nicht...? Die Stimme des Captains verklang zu einem Murmeln.
Majestätisch ging das Landungsboot unter Verwendung seiner Repulsoren in der Mitte des Dorfes nieder und wirbelte eine beträchtliche Menge Staub auf und den Menschen ins Gesicht, die ihre primitiv anmutenden Hüten verlassen hatten, um die Neuankömmlinge zu beäugen. Sie alle trugen nicht mehr als grobgefertigte Kleidung ohne erkennbaren modischen Schnitt am Leib und starrten das im Licht der hoch am Himmel stehenden Sonne glänzende Landungsboot fast in ohnmächtigem Staunen an. Etwas irritiert bemerkte der junge Offizier, dass es sich bei den Menschen hauptsächlich um Frauen, Kinder und alte Männer handelte. Er verwarf diesen Gedanken wieder. Sein Auftrag war klar.
?Corporal, Ihre Männer sollen sich bereit machen...?
Die Sturmtruppen standen bereits. Beklommen verließ der Offizier das kleine Raumschiff und trat unter die wartende Menge, die ihn und besonders die weißgepanzerten Soldaten atemlos anstarrte. Ein kurzer, verächtlicher Blick in die Runde erfolgte, ehe er sich räusperte und seine Stimme erhob, als deklamiere er eine sorgfältig einstudierte Rede.
?Dieses Dorf gewährt einem Feind des Imperiums Unterschlupf. Im Namen der imperialen Autorität verlange ich die Herausgabe des Verräters, um ihn seiner gerechten Strafe zuführen zu können. Solltet ihr die Herausgabe jedoch verweigern, wird diese gesamte Siedlung als Widersacher des Galaktischen Imperiums angesehen.?
Seine Worte hallten in eine ehrfürchtige Stille, die lediglich vom Zerren des leichten Windes an den simpel konstruierten Dächern der Dorfhäuser durchbrochen wurde. Sein fordernder Blick traf die der Eingeborenen, doch nichts als Unverständnis und Furcht sprachen aus ihren Augen. Dann jedoch ergriff ein alter Mann das Wort, zur Überraschung des Offiziers in fast akzentfreiem Basic.
?Diese Leute verbergen keine Feinde des Imperiums. Sie leben hier ihr einfaches Leben, ohne jemals mit ihm in Kontakt getreten zu sein. Geht, damit es so bleiben kann...?
Der Offizier schüttelte herablassend den Kopf.
?Unmöglich, alter Mann. Unser Ziel ist hier... wenn Ihr Euch weigert... wird es Euer Untergang sein. Corporal??
Plötzlich ging alles sehr schnell. Ein leichtes Sirren ließ den Captain herumfahren, gerade rechtzeitig, dass er einen der Sturmtruppler röchelnd zusammensacken sehen konnte. Ein primitiv gefertigter Pfeil stak zwischen Helm und Rumpfpanzerung, wo die Rüstung wenig Schutz bot. Erbleichend starrte er auf die sich ausbreitende Blutlache, während weitere Pfeile folgten, jedoch hauptsächlich wirkungslos an den Panzern der Soldaten abprallten.
Die Sturmtruppen reagierten ohne zu zögern. Ehe der Offizier sich sammeln konnte, war die Luft erfüllt von Blasterstrahlen. Rückständig bewaffnete Eingeborene, die sich in Hütten verborgen hatte, fielen unter schmerzerfüllten und wütenden Schreien in den Staub, während die Kinder und Frauen kreischend Zuflucht in ihren Häusern suchten. Das perfekte Chaos, das jedoch nicht verhindern konnte, dass der Captain ihn erkennen konnte, wie er aus seiner Deckung die Szenerie beobachtete. Ein Mann, modern gekleidet. Mit einem Blaster.
?Dort ist unser Ziel!?, rief er gellend aus. ?Corporal! Holen Sie ihn sich, ehe er flieht!?
Doch der feindliche Spion machte keinerlei Anstalten, zu fliehen. Vielmehr hob er die Hände und trat langsam ins Freie.
?Befehlt Euren Leuten, das Feuer einzustellen, Captain!?, rief er über das verebbende Kampfesgetümmel hinweg, das bisher die Überlegenheit der Sturmtruppen unter Beweis gestellt hatte. Ihr erster Verlust war ihr einziger gewesen.
?Ich bin es, den Euer Mufti sucht...?
Der Captain grinste.
?Corporal, Ihre Leute sollen das Feuer einstellen...?
Der Sturmtruppler nickte. Kurz darauf hatten sich die weißgepanzerten Soldaten erneut um das Landungsfahrzeug versammelt, umgeben von den rauchenden Kadavern ihrer Gegner. Vereinzelt stöhnten verwundete Dorfbewohner. Sichtlich erschüttert näherte sich ihr Ziel dem Offizier durch das Gemetzel, seine Waffe in einem hohen Bogen von sich schleudernd. Schließlich hatte er die Gruppe erreicht.
?Bringt mich zu Eurem Mufti... diese Leute haben genug gelitten?, sagte er leise, mit schmerzerfüllter Stimme. Der Captain presste ihn seinen Blaster in den Nacken.
?Geduld, Geduld... Eure Unterredung mit seiner Exzellenz wird noch früh genug erfolgen. Doch zuerst... muss den Imperialen Statuten genüge getan werden.?
Fast schien es so, als wolle der Rebell sich aufbäumen, doch der kalte Stahl des Blasters hielt ihn ruhig.
?Corporal??
Der Captain fixierte den ausdruckslosen Helm des Sturmtrupplers vor ihm.
?Dieses Dorf hat sich offen gegen das Imperium aufgelehnt. Verbrennt es. Vernichtet die Einwohner... bis auf den Letzten.?
Als der erste Pfeil geflogen war, hatten die Reflexe ihn erneut übermannt. Sturmtruppler CK-2587 tat, wozu er bestimmt war. Noch ehe sein gefallener Kamerad den Staub berührte, war sein Karabiner empor gerissen worden, der Auslöser betätigt. Rote Blasterblitze verließen den aufleuchtende Lauf, folgten ihrer exakt abgestimmten Flugbahn und verwandelten den Oberkörper eines soeben noch triumphierenden Bogenschützen in ein flammendes Inferno. Um ihn herum spielten sich ähnliche Szenen ab. Ihre Gegner waren chancenlos, keine Panzerung bot ihnen Linderung. Wachsam bemerkte 2587, wie er langsamer wurde. Es war fast so, als sträubten seine Gliedmaßen sich gegen das Gemetzel, das seine Reflexe anrichten wollten. Eine weitere Anomalien... er hatte bereits zahlreiche festgestellt. Doch stets hatte er die Kontrolle errungen. Oder hatte er in Wahrheit jedes Mal verloren und war in die Sklaverei zurückgedrängt worden? Warum tat er das? Weil es richtig war. Es gab keine Fragen...
Das Gefecht endete abrupt und er stand wieder, äußerlich von der Schlacht vollkommen unberührt, bei den anderen. Es kümmerte sie nicht, was der Offizier zu bereden hatte, wichtig war nur, was er ihrem Corporal befahl- und welche Order dieser daraus machte. In diesem Fall war es eine eindeutige.
?Restriktivmaßnahme Omega befohlen?, hörte er die präzise Stimme des Corporals in seinem Kopf. Natürlich sprach er über Comlink zu seinen Soldaten. Maßnahme Omega... die komplette Vernichtung allen Lebens in der Siedlung.
?2587, übernehmen Sie diese Hütte...?
Automatisch setzten sich seine Füße rhythmisch in Bewegung, während hinter ihm bereits die ersten Schüsse fielen. Das Stampfen seiner schweren Panzerstiefel hallte ihm voraus, als er sich mit vorgehaltenem Blaster der Eingangsöffnung der primitiven Hütte näherte. Hinter ihm erhoben sich klagende Schreie, teils abgehackt durch jaulende Blastersalven. Er trat in das Haus. Der Restlichtverstärker seines Helmes offenbarte ihm die Positionen derjenigen, die diesen dunklen Verschlag törichterweise als Zufluchtsort benutzt hatten. Sein Finger spannte sich um den Abzug der Waffe. Restriktivmaßnahme Omega... die Lebewesen, die in der Hütte Schutz suchten, waren Kinder. Er zögerte. Warum? Der Befehl war eindeutig, es hatte ihn oft gegeben. Er hatte ihn oft ausgeführt. Warum zögerte er?
Weil es falsch war... Ein leises Schluchzen drang zu ihm vor. Keines der Kinder hatte es gewagt, sich auch nur zu bewegen, während das Getöse um die Hütte herum seinen Höhepunkt erreichte. Jedes dieser Kinder wusste, was hinter seinem Rücken vorging. Doch es war falsch... nicht richtig. Es war immer falsch gewesen. 2587 merkte, wie ihm schwindelig wurde. Aber hatten sie nicht behauptet, dass es richtig war?
?2587, Statusbericht!?
Sie hatten gelogen.
?2587, Report!?
Die Stimme kam aus seinem Kopf. Nein, aus seinem Helm. Scheppernd fiel der Blasterkarabiner zu Boden, ehe sich seine schwarz behandschuhten Hände zitternd um den Helm legten... ihn anhoben... ihn abnahmen. Sofort fühlte er einen kühlen Windhauch im Gesicht, der durch eine Ritze im maroden Mauerwerk der Hütte kommen musste. Wie betäubt starrte er auf die Maske, die er in der Hand hielt. Seine Maske.
?2587, was ist da drinnen los??
Die Stimme war leiser geworden.
?Er... er ist ein Mensch...?
Das dünne Stimmchen, dass sich erhoben hatte, gehörte zu einem der Kinder, die nun aus dem Halbdunkel zu ihm empor starrten. Obwohl er seines Helmes beraubt war, erkannte er ihre Gesichter, angsterfüllt und tränenfeucht.
Ein Mensch...
Hinter ihm näherten sich Schritte. Rhythmisch, wie seine eigenen es gewesen waren. Doch es waren nicht länger seine eigenen. Er bückte sich, um seine Waffe aufzuheben.
?Lauft...?, flüsterte er.
Die Schritte wurden lauter.
?Lauft!?
?2587, was ist mit Ihrem Helm passiert??
Langsam drehte er sich um. Er war nicht CK-2587... er war... Erinnerungen keimten in ihm auf, überfluteten ihn förmlich, als die letzten Barrieren, die sie von ihm trennten, durchbrachen. Seine Waffe flog im hohen Bogen durch die Luft, seine Füße begannen zu rennen. Überraschte Schreie wurden hinter ihm laut, doch er hörte sie nicht.
Er war... Cris.
Anhänge
Zuletzt bearbeitet: