- Corellia - Wald -
Bäume und Sträucher zogen wild an ihr vorbei, ein Ast peitschte durch ihr Gesicht. Mirja rannte, rannte, rannte so schnell sie konnte und ihre Gedanken wirbelten impulsiv durcheinander, wickelten sich zu einem Knäuel zusammen, stoben wieder auseinander und schnürten ihr die Luft ab. Keuchend hielt Mirja inne, taumelte zu einem riesigen Baum mit einem Stamm so breit, dass drei Leute von nöten sein würden um ihn mit ausgebreiteten Armen zu umfassen, und lehnte sich erschöpft gegen ihn. Sie fühlte sich hilflos und zerfressen. In ihrer Brust schlug ihr Herz so heftig, dass sie fürchtete, es würde zerspringen. Hitze stieg ihr in den Kopf. Mirja öffnete den Reißverschluss ihrer Jacke, zog sie aus und warf sie ins Gras. Schützend legte sie eine Hand auf ihr Herz und befahl sich, ruhiger zu atmen, tief Luft zu holen und sich zu sammeln. Doch noch immer drehte sich alles. Ryan... er hatte so enttäuscht geklungen. Wie sollte sie dies deuten? Sie hatte ihn nicht verletzen oder verärgern wollen. Sie musste lediglich zu sich kommen. In dem Zustand, in dem sie sich gerade befand, war sie unbrauchbar, sie stand völlig neben sich. Aber warum? Warum?
Als sich ihr Puls beruhigt hatte, machte Mirja ein paar Schritte um den schweren Baum herum. Mit geschlossenen Augen legte sie ihre Wange an den kratzigen Stamm und strich mit einer Hand über die Rinde. Unzählbare Male hatte sie dies zu Hause und auch schon als Kind getan, wenn sie traurig war oder irgendetwas sie beschäftigte. Bäume gaben ihr Trost. Als kleines Mädchen waren sie ihre einzige Zufluchtsstätte vor den Wutausbrüchen ihres Vaters oder vor den schrillen Worten Syannas gewesen. Sie hatte sich auf einen Baum geflüchtet und sich in seinen Ästen versteckt, mitten im Wald, wo sie niemals jemand fand... bis auf den Noghri, Rukh, der eines Tages aufgetaucht und sie zu ihrer Mutter gebracht hatte. Müde schüttelte Mirja den Kopf und sah sich um. Nicht weit von ihr stand ein Baum mit tiefliegenden Ästen. Wie benommen lief sie auf ihn zu und zog sich an ihnen höher und höher. Die beinahe grimmige Entschlossenheit, so hoch wie möglich zu klettern, ließ sie für einen Moment ihren Gefühlsrausch über dem Erdboden, musste sie sich schließlich eingestehen, dass es nicht mehr weiter ging. Zufrieden setzte sie sich auf den Ast, ließ sich vorsichtig nach hinten sinken und suchte mit den Händen Halt. Auf dem Rücken liegend, mit Blick nach oben, konnte sie durch die Baumkrone die Wolken ziehen sehen. Sie tat ein paar tiefe Atemzüge. Seit sie ihr zu Hause verlassen hatte, war das Leben komplizierter geworden. Aber was hatte sie erwartet? Zu Hause hatte alles einen geregelten Ablauf gehabt, sie hatte die Gesichter gekannt, die ihr Tag für Tag begegnet waren, hatte mit ihren Freunden gelacht, mit den Kindern gespielt, Unterricht erhalten und dort geholfen, wo Hilfe benötigt worden war, sei es beim Reparieren eines Zauns oder eines Daches, beim Anlegen eines Gartens oder beim Kochen gewesen. Nichts von all diesen Dingen konnte sie wirklich gut, aber alles ein bisschen. Und schließlich kam es doch nur darauf an, dass man half, hatte ihre Mutter einmal gesagt. Hier aber, mitten in der Galaxis, war alles anders, wie in einer komplett fremden und neuen Welt. Dabei ging es nicht mal um die Dinge, die sie sah, die es zu Hause nicht gab, denn diese kannte sie von Ausflügen; es ging um das Leben an sich, alltägliche und selbstverständliche Dinge, mit denen sie erst umzugehen lernen musste. Da war zum Beispiel Loreilia, die kaum Mittel, aber einen kleinen Sohn hatte und der niemand half. Das war eine neue Erfahrung. Und dann war da natürlich... Ryan. Wie sollte sie seine Worte und Gesten nur richtig deuten? Er verhielt sich anders als die Jungen, die sie kannte. Mirja biss sich auf die Lippe. Eine etwas dunklere Wolke schob sich in ihr Sichtfeld und erinnerte sie wieder an ihren Traum. Hatte dieser Traum versucht ihr eine Richtung zu zeigen? Oder waren die Bilder, die sie gesehen hatten bloß Eindrücke aus ihrem Unterbewusstsein gewesen? Wäre sie eine Jedi, würde sie darauf vertrauen, dass dieser Traum etwas bedeutete. Aber so...
Minuten vergingen und Mirja schaute noch immer zum Himmel. Etwas schob sich in ihr Sichtfeld. Eine Spinne schien an ihr vorbei zu fliegen, als sie sich auf ihrem beinahe durchsichtigen Faden durch das Geäst hangelte. Zwar konnte sie nicht wirklich fliegen, aber zumindest tat sie so. Mirja wollte fliegen. Sie wollte hinauf zu diesen Wolken, die gerade jetzt an ihr vorüber schwebten. Ja, das wollte sie. Pilotin werden, etwas erreichen und etwas gut können, das waren ihre Ziele. Deshalb war sie hier. Aber warum brach sie dann nicht endlich auf und machte sich daran, diese Ziele zu verwirklichen? Die Antwort lag auf der Hand: Weil sie Ryan gern hatte und es kein gutes Gefühl war zu wissen, dass sie sich von ihm würde trennen müssen. Ein Gewicht löste sich von Mirjas Seele und sogleich fühlte sie sich ein wenig freier. Wieso konnte sie das erst jetzt erkennen? Was war so schwierig daran gewesen zu verstehen, dass sie jemanden mochte? Oder noch besser, was war so schwierig daran gewesen, es sich selbst einzugestehen? Ärgerlich über ihre eigene Unfähigkeit zog Mirja die Brauen zusammen und setzte sich auf. Sie war doch kein kleines Kind mehr! Sie würde Pilotin werden, tolle Raumschiffe fliegen und gemeinsam mit Ryan...
Ein Hustenanfall bremste Mirjas weitere Gedanken, nachdem sie sich im Eifer ihrer Überlegungen an ihrer eigenen Spucke verschluckt hatte. Gemeinsam mit Ryan? Fast konnte sie das Geräusch hören, als ein weiteres Gewicht sich löste und sie freigab. Mirjas Augen weiteten sich und wie von einer plötzlichen Erkenntnis getroffen starrte sie in die Dichte des Waldes und das ewige Grün. Wie in Trance, als wäre sie stumme Beobachterin, bekam sie mit, wie sie sich Ast für Ast nach unten hangelte, bis sie schließlich wieder festen Boden unter den Füßen spürte. Dann lief sie los, ohne sich umzudrehen. Vielleicht war Ryan noch auf der Lichtung. Wieviel Zeit mittlerweile vergangen war? Sie besaß keine Uhr, vieleicht waren es eine Stunde, vielleicht zwei. Jegliches Zeitgefühl war von ihr gewichen.
Atemlos erreichte Mirja schließlich den Ort, an dem sie zuletzt mit Ryan gestanden hatte. Als sie auf die Lichtung trat, spürte sie die Sonne auf ihren nackten Armen. Ihre Jacke war fort - und Ryan auch. Panik ergriff Mirja! Wo konnte er hin gegangen sein? Die Basis, natürlich! Gehetzt sah sie sich um. Ihre Jacke lag noch immer unter dem Baum im Gras, sollte sie eben dort liegen bleiben!
- Corellia - Jedi-Basis - Garten -
Sie hatte sich noch nicht oft in ihrem Leben gewünscht, fähig für die Benutzung der Macht zu sein, doch jetzt wünschte sie, sie könnte Präsenzen ertasten und aufspüren, so wie ihre Mutter es ihr erklärt hatte. Die Basis war so groß und Ryan konnte überall sein. Unsicher betrat sie das Gebäude. Sie hätte einen Jedi, irgendeinen, aufsuchen und ihn bitten können, ihr zu helfen. Es konnte doch nicht all zu großer Aufwand sein, die Augen zu schließen und eine Präsenz in der Macht zu suchen. Doch sie tat es nicht, bisher war sie gut ohne die Macht ausgekommen und irgendwo musste er ja sein. Außerdem wäre es ihr unangenehm gewesen. Grübelnd schritt sie die Gänge entlang, bis ihr schließlich ein Gedanke kam, wen sie um Rat fragen konnte. Droiden waren diskret, zumindest, wenn sie darauf programmiert waren, am Empfangsschalter in der Eingangshalle der Jedi-Basis zu arbeiten. Mirja folgte dem Gang, bog ein paar mal ab, sprang die Stufen einer Treppe hinunter und gelangte dorthin, wo sie hin wollte. Dieser Droide hatte ihr, als sie hier angekommen war mitgeteilt, dass ihre Mutter auf Mission war. Das Mädchen trat näher an den Schalter heran und rang sich ein Lächeln ab.
Hallo... kannst du mir die Zimmernummer von Ryan Manice sagen?
Fragte sie und ihr Magen zog sich zusammen.
"Zimmer 71, Trakt B."
Erwiderte die mechanische Stimme ihres Gegenübers wie aus der Pistole geschossen und wandte sich einer neuen Aufgabe zu. Überrascht darüber, dass es so einfach gewesen war, zuckte Mirja zusammen. Gleichzeitig machte sich neuer Mut ihr in breit.
Danke! Tolles Gedächtnis!
Rief sie, drehte sich um und lief den Weg, den sie gekommen war, wieder zurück, bis sie an der entscheidenden Stelle die Richtung änderte, die sie zum Unterkunftstrakt führen würde. Tür an Tür reihten sich dort die Zimmer aneinander und suchend ging sie die Zahlen durch.
62, 63, ....70, 71!
Murmelte sie vor sich hin und blieb stehen. In ihrem Inneren stritten Erheiterung und Unbehaglichkeit miteinander. Was, wenn er sie fortschicken würde? Zaghaft klopfte sie an.
Ryan?
Angestrengt lauschte sie auf ein Geräusch und klopfte abermals. Keine Reaktion. Resignierend lehnte sie sich gegen die Wand und ließ sich zu Boden gleiten. Im nächsten Moment sprang sie jedoch wieder auf und lief ein paar Schritte hin und her. Was sollte man von ihr denken, wenn jemand den Gang entlang käme und sie mit düsterer Miene vor Ryans Tür sitzen sah?! Es half ja nichts, sie musste ihn woanders suchen. Ein Frösteln überlief ihre Arme. Hätte sie bloß nicht ihre Jacke vergessen... sollte sie zurück in den Wald laufen und sie holen? Sie konnte sie doch nicht dort liegen lassen. Immerhin war es nicht so, als besäße sie Garderobe in Hülle und Fülle. Aber der Weg zurück in den Wald war weit, sie würde bestimmt eine halbe Stunde brauchen, bis sie wieder hier war. Vielleicht war Ryan dann inzwischen wieder auf seinem Zimmer... sie könnte es erneut versuchen, wenn sie wieder hier war. Aber so lange konnte sie nicht warten! Sie wollte ihn jetzt sehen!
Entschlossen schritt Mirja den Gang entlang. Sie würde in der Kantine vorbei gehen, einen Blick hinein werfen und dann abbiegen in die Richtung, wo sie zum Hangar gelangte. Dort würde sie sich aus ihrem restlichen Gepäck einen Pullover holen, Ryan weitersuchen und ihn finden. Danach konnte sie ihre Jacke holen. Hoffentlich ging es nicht an zu regnen.
- Corellia - Jedi-Basis - Kantine -
Er war nicht dort. Es war der einzige logische Ort - außer seinem Zimmer -gewesen, der ihr noch eingefallen war, wo sie ihn hätte finden können. Musste er nicht mal was essen? Ihr eigener Magen machte sich lautstark bemerkbar. Rasch legte Mirja die Hand auf ihren Bauch und zog ihn ein. Später!
Wenn sie nicht alles täuschte, war es vom Hangar, wo ihr Ein-Mann-Jäger stand, nicht besonders weit zu den Trainingsräumen. Dies war auch noch eine Möglichkeit, wo sie ihn finden konnte. Zwar führte auch ein Weg von der Kantine direkt dorthin, doch mittlerweile konnte sie die Gänsehaut auf ihren Armen - im Gegensatz zu ihrem Hungergefühl - nicht mehr ignorieren. Sie musste sich erst etwas überziehen, wenn sie nicht krank werden wollte.
- Corellia - Jedi-Basis - Gänge, auf dem Weg zum Hangar -