- Naboo - Am Rande Theeds - Waldgebiet - Ferienhaus der Trineers - Schlafzimmer -
Die Tür war verschlossen. Etwas anderes war wohl kaum zu erwarten gewesen. Mit einer Hand hatte Noa den Bettpfosten fest umklammert, um sich aufrecht zu halten, nur für den Fall, dass ihr Körper beschloss, unter ihr nachzugeben. Sie hatte nicht vor, hier zu bleiben und auf Donnie zu warten. So leicht wollte sie es ihm nicht machen. Es gab noch einen anderen Weg nach draussen. Auf dem Weg dorthin war ihr Blick auf ihr eigenes Spiegelbild gefallen. Nicht hinzusehen war schwierig gewesen. Sie sah aus wie eine Todkranke, wie eine vertrocknete Blüte, die seit Wochen vor sich hin welkte. Es war kein schöner Anblick: die dunklen Ringe unter ihren Augen, die leichenblasse Haut, die Platzwunde auf ihrer Stirn und die spröden Lippen. Noas Haare waren ein einziges Chaos, stumpf und glanzlos, und ihre Haut war so durchscheinend, dass ihre Adern darunter überdeutlich zu sehen waren. Sie sah elend aus und sie fühlte sich auch so. Das weisse Betttuch hatte sie wie einen Umhang um ihre Schultern gezogen. Wenn sie es nur ein bisschen zur Seite schob, konnte sie die verheilenden Narben sehen, die von den Verbrennungen übrig geblieben waren, aber wenn sie es ganz fallen ließ und sich nur ein kleines Stück drehte... Noa wandte den Blick ab. Sie konnte nicht hin sehen, nicht darüber nachdenken, nicht akzeptieren, dass das sie war. Sie konnte nicht... sich damit auseinander setzen. Nicht jetzt, nicht irgendwann. Es war einfach zu viel. Sie würde niemals wieder eine schöne Frau sein.
Der Spiegel vor ihr verschwand, als sie die Schranktür aufriss. Hosen waren ordentlich auf Kleiderbügeln aufgehängt, daneben einige Hemden. Noa riss ein hellblaues Hemd von der Stange. Es brannte nur unwesentlich, als sie es überzog und der Stoff über ihr geschundenes Fleisch streifte. Alles das was jetzt kam, konnte nicht schlimmer sein als das, was sie bereits hinter sich hatte. Zu ihren Füßen lagen noch die Seile, mit denen Jules sie zuvor gefesselt hatte. Um sie herum war es still, doch in Noas Ohren klang das scharfe Lechzen des Gürtels wider, wann immer er auf ihre Haut geschleudert worden war. Jeder Schlag hatte ihren Körper zucken lassen. Jeder Schlag war darauf ausgelegt gewesen sie zu vernichten und zum Ende hin hatte Noa tatsächlich das Gefühl gehabt, es fehlten nur noch wenige Streiche bis Jules sie tatsächlich in der Mitte spalten und sie einfach auseinander reissen würde. Sie öffnete das Fenster und frische Luft, die sie dankbar einatmete, schlug ihr entgegen. Zwischen ihren Bemühungen zu überleben hatte Noa gar nicht gemerkt, wie stickig es durch Blut und Schweiss in dem Zimmer geworden war. Sie blickte nach unten. Unter ihr befand sich Wiese, doch der erste Stock lag zu hoch um einfach aus dem Fenster zu springen. Und trotzdem gab es keine Alternative. Was auch immer Jules und Donnie gerade taten, sie würden sich nicht zu lange Zeit lassen. Noa kletterte auf die Fensterbank und schwang erst ein Bein, dann beide Beine nach draussen. Nur nicht nach unten sehen. An den Wänden gab es kaum Halt, doch direkt unter ihr befand sich ein weiteres Fenster und auf den schmalen Vorsprung des Jalousienkastens konnte sie ihre Füße stellen, wenn sie ihn nur erreichte. Sie ließ sich nach unten sinken und baumelte in der Luft. Nur ihre Hände hielten sich noch krampfhaft an der Fensterbank fest, während ihre Füße nervös ins Leere traten. Noa spürte, wie ihre Kraft sie verließ und reckte sich noch ein wenig mehr, bis einer ihrer Füße schließlich den Vorsprung ertastete. Ihre Finger verkrampften bereits, als sie sie endlich lösen konnte. Dann stand sie wieder auf beiden Beinen, mit dem Bauch flach an die Wand gepresst und für einen fast unerträglich langen Moment wusste Noa nicht, was sie als nächstes tun sollte. Es waren noch immer zwei Meter bis zum Boden. Sich zu bewegen war unmöglich, nichts zu tun ebenso, denn die Zeit lief ihr davon. Sie drehte leicht ihren Kopf, um nach unten zu schauen und versuchte, in die Hocke zu gehen. Dann verlor sie das Gleichgewicht und im nächsten Moment wälzte sie sich im Gras.
Noa lag auf ihrer guten Seite und die Erde unter ihr war kalt. Die Welt hatte plötzlich geschwankt und sie abgeworfen. Sie hatte keine Zeit gehabt nachzudenken, nicht einmal jetzt konnte sie es. Der Sturz hatte ihr einen Schrecken eingejagt, sie unvorbereitet getroffen, doch es war der Aufprall, der ihr allen Sauerstoff aus den Lungen gedrückt hatte. Sie schnappte nach Luft, drehte sich auf den Bauch und stützte sich auf ihre Unterarme. Jeder Muskel und jeder Knochen in ihrem Körper schien zu schmerzen. Und trotzdem hatte sie es geschafft: sie war entkommen. Frei. Sie glaubte, dass sie sich eine Rippe gebrochen hatte, vielleicht auch mehrere, doch das spielte keine Rolle. Wichtig war nur, dass sie laufen konnte, so schnell und so weit weg wie möglich. Aus halb geöffneten Augen blickte Noa gegen die Fassade des Hauses. Aldridge befand sich noch dort drin, doch sie konnte ihm nicht mehr helfen. Sie war zu nichts mehr fähig! Trotz aller Versprechen war die Versuchung, zuerst an sich selbst zu denken, groß. Sie musste nur aufstehen, sich umdrehen und in den Wald rennen. Es war bei weitem der einfachste Part ihrer Flucht und das Klügste und Sicherste, das sie tun konnte. Aldridge würde nur so lange aushalten müssen bis sie Hilfe geholt hatte. Noa stand auf, ein bisschen überraschte sie, dass sie das noch konnte, und genau in diesem Moment hörte sie ein Geräusch. Es kam von der anderen Seite des Hauses, der Anlasser eines Gleiters und dann zuerst das typische verhaltene Brummen und dann das Schleifen des Antriebs, als das Fahrzeug Geschwindigkeit aufnahm und sich entfernte. Noa stand stocksteif und lauschte so lange bis sie nichts mehr hörte. Das konnte nur Jules gewesen sein und es änderte alles. Sie ließ den Wald hinter sich. Sie würde nicht davon laufen und Aldridge seinem Schicksal überlassen. Wie hatte sie überhaupt nur jemals so etwas denken können? Sie hatte seiner Mutter ihr verdammtes Versprechen gegeben! Sie schlich sich um das Haus herum, immer nah an der Wand, doch es war nichts zu hören ausser die Geräusche des Waldes, Vögel die irgendwo hoch in den Bäumen saßen, und der Wind der durch ihre Blätter strich. Wenn Donnie Aldridge folterte, dann verbat sich dieser jeden Schrei. Noa war nicht so tapfer gewesen. Sie atmete schwer, als sie die Vorderseite des Hauses erreicht hatte, obwohl sie nicht gerannt war. Trotzdem hatte sie von der Anstrengung Seitenstechen und eine ihrer Rippen drückte ihr spitz in die Brust. Unter den Fenstern ging sie in die Hocke, um ungesehen vorbei zu kriechen. Sie krabbelte über einen gepflasterten Gehweg, der um das Haus herum führte und der unpassende Gedanke, ob Graham und Deanna Trineer die Gartenanlage wohl selbst angelegt hatten, schoss ihr durch den Kopf. Sie musste sich die beiden vorstellen, wie sie Hand in Hand Erde geschaufelt und sich diesen Ort der Idylle geschaffen hatten, der Jahre später für ihren Sohn zum Albtraum werden sollte. Doch wer hatte damit rechnen können? Die Haustür war nicht verriegelt. Noa nahm einen tiefen Atemzug. So leise wie möglich trat sie in den Flur. Hier war sie schon gewesen. Geradeaus, direkt ihr gegenüber, befand sich die Tür zu dem Badezimmer, in das Donnie sie geführt hatte. Die Tür zu ihrer rechten Seite führte ins Wohnzimmer und von dort aus ging die Treppe in den ersten Stock hinauf und gleichzeitig hinunter im den Keller. Dort würde sie Aldridge und Donnie finden. Aber zuerst brauchte sie eine Waffe. Noa wandte sich nach links, wo sie die Küche vermutete. Sie öffnete die Tür und eilte erleichtert hinein. Der Messerblock stand direkt in ihrem Sichtfeld. Sie griff nach dem größten für ihre rechte Hand und nahm ein kleineres in die Linke. Schwärze drohte ihr Sichtfeld zu überfluten, als sie sich zu schnell bewegte.
"Nicht jetzt."
Flüsterte sie sich selber zu. Nicht so kurz vorm Ziel. Der Druck in ihrer Brust verstärkte sich und Noa zwang sich, ruhig zu atmen. Ein, aus, ein, aus. Langsam. Ihr Sichtfeld klarte auf, der Anflug von Schwindel verschwand und auf einmal konnte sie sehen, was sie vorher nicht wahr genommen hatte. Auf der Anrichte zwischen Spüle und Herd, vor dem Hintergrund eines angebissenen Butterbrots, lag eine Waffe. Eine richtige Waffe. Wie hypnotisiert legte Noa das große Messer zurück. Das Kleine behielt sie zur Sicherheit. Ihre Hände schlossen sich fest um die Blasterpistole. Sie fühlte sich sicher und vertraut an und die Energiezelle war so gut wie neu. Jetzt konnte Donnie ihr nicht mehr gefährlich werden. Mit wenigen Schritten war Noa zurück im Flur und stand wieder vor der Tür zum Wohnzimmer. Es war noch immer still. Alles was sie hörte, war ihr eigener Atem, der immer schneller ging. Sie hatte das Gefühl, dass sie nur schwer Luft bekam, ignorierte diese Tatsache jedoch. Entschlossen, keine weitere Zeit mehr zu verschwenden, zählte sie stumm von drei runter. Erst das Wohnzimmer, dann von dort in den Keller. Das war der Plan. Drei, zwei, eins. Mit angelegtem Blaster stürmte Noa den Raum. Es war gut, dass sie das getan hatte, denn Aldridge und Donnie befanden sich nicht im Keller. Für eine Sekunde war sie selbst überrascht. Sie hatten Aldridge in einen alten Lehnstuhl gefesselt, Donnie lungerte ihm gegenüber auf der Couch herum. Noa richtete ihren Blaster auf ihn. Ihr Gesicht glänzte von kaltem Schweiss.
"Auf den Boden!"
Brüllte sie Donnie an. Ihre Stimme hatte nie herrischer geklungen.
"Hände hinter den Kopf!"
Ihr Blick scannte den Raum, suchte jede Möglichkeit nach einer Waffe ab, nach der Donnie greifen konnte. Ihre Beine unter ihr waren so unsicher als ginge sie auf Zahnstochern, doch Noa meinte es ernst:
"Eine falsche Bewegung und du bist tot, verstanden?"
- Naboo - Am Rande Theeds - Waldgebiet - Ferienhaus der Trineers - Wohnzimmer - Mit Al und Donnie -