[Froz | Hauptstadt | Arbeitersiedlung am Stadtrand | Eznetaicos Hütte] Eznetaico
Eznetaicos Schlaf war unruhig gewesen in den letzten Tagen. Etwas braute sich zusammen, das konnten Viele spüren. Die Zeichen mehrten sich, dass bald die Zeit gekommen war, etwas zu unternehmen. Dieses Wissen ließ den alten Frozianer kaum Ruhe finden, so auch in dieser Nacht. Er hatte lange wachgelegen und über die Ereignisse und seine Rolle darin nachgedacht, bevor er endlich in einen wirren Traum gesunken war. Nur kurze Zeit darauf wurde er wieder geweckt: Von einem Geräusch, das ihm längst in Fleisch und Blut übergegangen war, auch wenn er es seit einer ganzen Weile nicht gehört hatte. Dass es gerade jetzt erklang, war für ihn ein deutliches Zeichen, dass seine Vermutungen richtig gewesen waren: Es begann.
Es handelte sich um den summenden Laut, den das Komlink von sich gab, mit dem Mr. Gray mit ihm Kontakt aufzunehmen pflegte. Dies war selbstverständlich nicht der richtige Name des Mannes, das war so offensichtlich wie die Narben der imperialen Besatzung in den Wäldern von Froz. Mr. Gray arbeitete für den Geheimdienst der Neuen Republik - zumindest behauptete er das von sich, und Vieles deutete darauf hin, dass es die Wahrheit war. Er stand jetzt seit fast genau einem Jahr mit Froz in Verbindung. Warum er ausgerechnet zu Eznetaico Kontakt aufgenommen hatte, verstand dieser bis heute nicht: Es gab fähigere, jüngere, charismatischere Männer und Frauen, die seine Aufgabe hier sicherlich genauso gut ausführen konnten. Aber vielleicht lag es daran, dass ihm die Hitze der Jugend fehlte, dass er behutsamer vorging. Und daran, dass er trotz allem, was seit Beginn der Besatzung geschehen war, den Menschen nicht mit Hass begegnete, wie viele seiner Artgenossen es taten. Denn der Geheimdienstler war ein Mensch, und er arbeitete für den Geheimdienst eines Staates, dessen Bevölkerung zum überwiegenden Teil aus Menschen bestand.
Eznetaico wusste, was Hass war. Er hasste die Besatzer von ganzem Herzen. Sie hatten ihm, seinem Volk und seinem Planeten so viel Schlimmes angetan, dass er gar nicht anders konnte. Aber er verurteilte nicht ihre ganze Spezies für das, was Wenige taten. Denn tatsächlich waren es nicht viele Menschen, die sich auf dem einstmals grünen Planeten niedergelassen hatten, um die Bewohner zu versklaven und das Land auszubeuten. Zahlenmäßig waren sie den Frozianern in einem unerhörten Verhältnis unterlegen. Deshalb hatte man zu Beginn geglaubt, man können sie mit bloßer Entschlossenheit einfach hinwegschwemmen. Doch die Ausrüstung und Disziplin der Invasoren hatte das zahlenmäßige Ungleichgewicht leicht ausgeglichen, so dass alle bisherigen Bemühungen, ihre Heimat zu befreien, gescheitert waren. Bis sie aufgehört hatten, es zu versuchen.
Der alte Frozianer fuhr mit seinen schmalen, feingliedrigen Fingern in die Ritze einer losen Bodendiele und hob sie heraus. Auf diese Weise legte er ein Loch im Boden frei, aus dem das leise Summen drang. Er musste mit dem ganzen Arm in das Loch fahren und all seine Gelenke nutzen, um das Komlink zu erreichen, das im hintersten Winkel versteckt war: Auf diese Weise war sichergestellt, dass kein Mensch, der die Öffnung zufällig entdeckte, das Gerät erreichen konnte, ohne den Holzboden aufzureißen und die Erde zu durchwühlen. Wie es allerdings möglich war, dass das Komlink auch von vergangenen Sicherheitsscans nicht entdeckt worden war und auch die Übertragungen nicht bemerkt werden konnte, war Eznetaico ein Rätsel.
Er tippte einen komplizierten Code ein und nahm so die Übertragung entgegen. Das hagere, kantige Gesicht von Mr. Gray erschien auf dem Display.
»Es ist so weit«, sagte der Mensch verschwörerisch. »Ich hoffe, Sie sind bereit, um unseren Plan in die Tat umzusetzen.«
»Das bin ich, wir alle sind es jeden Tag. Ich habe Ihren Anruf mit Spannung erwartet. Wir haben von Denon gehört.«
Das Imperium hatte versucht, keine Nachricht der Befreiung Denons zur Bevölkerung von Froz durchdringen zu lassen. Doch das war ihnen nicht gelungen. Man konnte einen ganzen Planeten nicht lückenlos überwachen, schon gar nicht, wenn man ihn eigentlich für unbedeutend und seine Bevölkerung für unzivilisiert und rückständig hielt. Die Imperialen mochten das Holonet beherrschen, aber es gab andere Informationsquellen und -wege. Sie konnten die Industriekomplexe, die Verwaltungseinrichtungen, die Häfen und die Tagebauanlagen kontrollieren, aber niemals die dichten Wälder, von denen trotz des Raubbaus viele ihr ursprüngliches Gesicht bewahrt hatten. Und sie mochten über den Arbeitsalltag und Lebensrhythmus der Frozianer bestimmen, die sie zu Zehntausenden in die Zwangsarbeit pressten, aber ihren Willen hatten sie sich noch nicht untertan machen können. Dieser verlangte weiter nach Freiheit, nach einem Ende der Unterdrückung und Willkür. Und je länger Besatzung währte, um so bereitwilliger wollten die Frozianer jedes Risiko auf sich nehmen, um das Joch endlich abzuschütteln.
Das galt natürlich nicht für sie alle. Wie immer gab es eine breite Masse, die einfach nur ihr Leben bestreiten und das Beste aus ihrer Situation machen wollte. Dazu kamen einige Opportunisten, die sich sowieso nicht um das Wohl anderer scherten und unmoralisch genug waren, sich gegen ihre eigenen Leute und in den Dienst der Besatzer zu stellen. Weit größer war die Zahl derer, die sich Veränderungen wünschten. Aber diejenigen, die tatsächlich bereit waren, dafür auch persönlich zur Tat zu schreiten, waren dünn gesät, und ihr guter Wille überstieg bei Weitem ihre Möglichkeiten. Das war der Grund, warum frühere Rebellionen gescheitert waren.
Doch das Imperium irrte sich, wenn es glaubte, dass die blutige Niederschlagung der Aufstände den Willen der Bevölkerung gebrochen hatte. Dass es in den letzten Monaten so ruhig und friedlich gewesen war auf Froz, lag einzig und allein an einer Änderung der Strategie. Mr. Gray hatte seinerzeit Eznetaico davon überzeugt, dass der Widerstand diesen Kampf nicht ohne genaue Vorbereitung bestehen konnte, und seine Hilfe angeboten; Eznetaico hatte daraufhin seine Mitstreiter überredet, dem Menschen zu vertrauen und mit ihm zusammenzuarbeiten. Der öffentliche Widerstand gegen die Besatzung, die Streiks, Unruhen und gelegentlichen Attentate hatten deutlich nachgelassen. Doch unter der Oberfläche hatte man mit Feuereifer auf den heutigen Tag hingearbeitet.
Sie hatten getan, was in ihrer Macht stand. Beide Männer wussten das. Daher war es überflüssig, Worte über die Details zu verlieren. Ihr Einvernehmen reichte tief: Ein Blick oder ein Kopfnicken genügte mittlerweile schon häufig zur Verständigung, wie es sich unter Verschwörern gehörte. Und auch jetzt, da die Entscheidung näherrückte, verloren sie nur wenige Worte.
»Wir können in vier Stunden bereit sein«, erklärte Eznetaico.
»Dann sollten Sie sofort beginnen. Wir werden in vier Stunden eintreffen.«
Das Bild erlosch, so wie auch Eznetaicos Müdigkeit erloschen war. An Schlaf war nun nicht mehr zu denken. Er versteckte das Komlink wieder, bevor er eilends seine Hütte verließ. Die nächtliche Ausgangssperre ignorierte er: Sie wurde längst nicht mehr so rigide kontrolliert und so rücksichtslos durchgesetzt wie noch vor wenigen Monaten. Es war eines von vielen Anzeichen dafür, dass die Wachsamkeit der imperialen Soldaten nachließ. Sie hatten sich von der trügerischen Ruhe einlullen lassen. Vor ein paar Tagen, unmittelbar nach dem Fall Denons, hatte ihre Aufmerksamkeit schlagartig zugenommen, doch nichts war geschenen. Und nun schienen sie schon wieder in einen Alltag zurückzukehren, der schon bald auf drastische Weise gestört werden sollte. Auf seinen Stock gestützt, ging der alte Mann so leise und flink wie möglich durch die Schatten. Die Kunde verbreitete sich in dem schäbigen Arbeiterviertel und bald auch darüber hinaus. Eine Stunde später wusste jeder, der es wissen musste, bescheid.
Der technologische Stand der Frozianer war nicht der Rede wert. Mit dem, was sie selbst besaßen, konnten sie es nicht mit imperiale Soldaten aufnehmen, und schon gar nicht mit ihren Schiffen im Orbit. Aber die Republik hatte ihr Wort gehalten und die Rebellen mit allem versorgt, was sie benötigten. Unter hohem Risiko hatten Frachtschiffe unzählige Ladungen von Vorräten, Waffen und technischem Equipment nach Froz gebracht, die in den Wäldern versteckt worden waren. Diese Depots wurden nun geplündert. Und als die vierte Stunde nach Mr. Grays Kontaktaufnahme erst zur Hälfte verstrichen war, waren die Widerstandskämpfer bereit.
Der Himmel wurde langsam hell, aber die Sonne war noch nicht aufgegangen, als die Bediensteten des Gouverneurs aufstanden und mit ihrer Arbeit begannen. Während innerhalb des Regierungsgebäudes rege Betriebsamkeit aufkam, herrschte draußen Ruhe. Das war um diese Zeit fast stets der Fall, denn die Verwaltungskomplexe lagen abseits der Tagebau- und Industrieanlagen, in denen rund um die Uhr geschuftet wurde. Aber wer sich an diesen Tag erinnerte, mochte vielleicht im Nachhinein zu dem Schluss kommen, dass es etwas zu ruhig gewesen war und man hätte ahnen können, dass etwas im Busch war. Manche würden sogar behaupten, etwas geahnt oder gewusst zu haben. Die Wahrheit war, dass niemand wirklich auf die Hölle vorbereitet war, die draußen ausbrach und kurze Zeit später auch den Palast erreichen sollte.
Veheroney legte auf einen imperialen Soldaten an.
Eznetaico hatte seine Tochter noch vor Minuten gebeten, sich aus den Kampfhandlungen herausgehalten, doch sie beide wussten, dass er dies nur getan hatte, weil er es für seine Aufgabe als Vater hielt. In Wahrheit war er stolz darauf, dass sein "kleines Mädchen" eine wichtige Position innerhalb der Widerstandsbewegung einnahm und keinen Augenblick zögerte, zu tun, was nötig war. Ihm selbst war die Teilnahme an den Kämpfen nicht möglich, dafür war er zu alt und sein Körper zu geschädigt von der Arbeit unter imperialer Knute, seine Organe zu schwer geschädigt von den Giften, denen er in den Verhüttungsanlagen ausgesetzt gewesen war. Doch Veheroney war noch jung, auf dem Höhepunkt ihrer Jugendkraft, und voller Idealismus und Tatendrang.
Der erste Schuss der Rebellion fiel, und mit ihm fiel der Soldat auf dem Wachturm vor der imperialen Garnison. Dies war das unverkennbare Zeichen zum Losschlagen. Es gab nun kein Halten mehr. Blasterfeuer brandete aus allen Richtungen gegen die Türme und Mauern, hinter denen die meisten Soldaten noch schliefen. Es dauerte einige Sekunden, bevor der Alarm losging, denn niemand hatte mit einem Angriff auf diese Anlage gerechnet. Bevor die Soldaten sich bewaffnet und ihre Barracken verlassen hatten, zerriss eine gewaltige Explosion die Tore, und die Frozianer stürmten den Exerzierplatz. Für die meisten von ihnen war es ein Todesurteil. Hier, wo sich die Macht der Besatzer ballte - wo ihnen ausreichend Waffen, Munition, Vorräte und Deckung zur Verfügung standen - konnten die Rebellen nicht siegen. Aber sie alle, auch Veheroney, waren bereit, ihr Leben zu geben, wenn es ihnen dadurch nur gelang, die Soldaten am Ausrücken zu hindern und so ihren Gefährten draußen so viel Zeit zu verschaffen, wie sie brauchten.
Weithin klangen die Alarmsirenen über die weiten gerodeten Flächen, die Abraumhalden und den nun fernen Wald, als in der größten Tagebauanlage des Planeten die Arbeit schlagartig zum Erliegen kam. Eine reihe von Explosionen waren zu hören und dann fielen Schüsse. Der Schlag kam ebenso unerwartet wie hart. Ihr Bestreben, alles um sie herum zu ordnen und zu organisieren, hatte die menschlichen Aufseher und Wachleute berechenbar gemacht: Jeder, der hier arbeitete, wusste genau, welcher Mensch sich wann an welchem Ort aufhalten würde. Monatelang hatten sie sich trotz all der Mühen und der Demütigung, die sie hier erdulden mussten, in Geduld geübt und abgewartet, hatten beobachtet und Pläne geschmiedet. Nun ging alles sehr schnell: Blaster fällten jeden Menschen, der Waffen trug, und wer keine hatte, wurde mit Werkzeugen oder bloßen Händen niedergemacht. Auch hier gab es Wachtürme, und man war durchaus auf Aufstände unter den Gefangenen vorbereitet. Dreimal wurde die wütende Menge, die sich um die Türme herum zusammenscharte und diese zu stürmen versuchte, gewaltsam auseinandergetrieben, und jedes Mal blieben mehr Leichen zurück. Aber früher oder später musste auch die leistungsstärkste Energiezelle den Geist aufgeben, und was den Soldaten dann geschehen musste, konnte nicht bezweifelt werden.
Auch in der Stadt war es völlig ruhig, bevor die Schüsse fielen. In großer Zahl stürmten die Rebellen durch die Gassen zwischen den in Fertigbauweise errichteten Gebäuden. Hier und da loderten Feuer auf. Ihr angestauter Zorn entlud sich gegen alles, was imperial aussah: Soldaten und Sicherheitskräfte, aber auch mehr oder weniger Unschuldige, die einfach das Pech hatten, Menschen zu sein. Außerdem mussten nun auch Frozianer um ihr Leben fürchten, die in dem (teils möglicherweise unbegründeten) Verdacht standen, mit den Imperialen zu kollaborieren. Immer größer wurde der wütende Mob und immer hemmungsloser die Bugwelle rücksichtsloser Gewalt, die er vor sich herschob. Als er das Regierungsgebäude erreichte, war er schon zu groß, um noch aufgehalten zu werden, ganz gleich mit welchen Mitteln. Soldaten und persönliche Leibwächter des Gouverneurs schossen in die Menge und töteten viele, doch damit heizten sie den Zorn der Frozianer nur an. Gegen zivile Unruhen gewöhnlichen Ausmaßes konnte das Gebäude leicht verteidigt werden, doch es war nicht dafür konstruiert, sich einer wütenden Masse zu widersetzen, die mit militärischem Gerät aus republikanischer Produktion ausgestattet war. So war es nur eine Frage der Zeit, bis der Mob auch durch die Gänge stürmen würde.
[Froz | Hauptstadt | Verwaltungssitz des Gouverneurs] Aufständische
Wonto Sluuk