[Kirdo-System | Kirdo III | Sand- und Felswüste | Wanderweg eines Kitonak-Stammes | im Sand vergraben] Zot
Selbst durch die dicke Sandschicht und seine dicken Hautlappen hindurch drangen die Geräusche des Sturms an Zots kleine Ohren. Das Wetter tobte, wie er es noch selten in seinen zehn Lebensjahren erlebt hatte. Erst beinahe drei Stunden nachdem er sich im Sand vergraben hatte, schwächte sich das Unwetter ab. Nun wurde es höchste Zeit für ihn, sich auszugraben: Viel länger konnte er den Atem nicht anhalten, zumal er ja auch Energie brauchte, um sich zu befreien. Lange durfte er nicht mehr warten. Vor allem, weil er befürchtete, der Sturm könnte wieder stärker werden: In diesem Fall bekam man draußen kaum mehr Luft als drinnen, so dass es langsam gefährlich wurde. Er verlor also keine Zeit und begann damit, sich mit langsamen Bewegungen aus dem dichten, kühlen Schutzschild auszuwühlen.
Nach einigen Minuten bewegte sich die Sandoberfläche über ihm. Dann wölbte sich ein kleiner Hügel auf. Als dieser schließlich aufplatzte, kam erst Zots Nacken zum Vorschein, dann sein gewölbter Kopf und schließlich die große Nase. Nie Nüstern öffneten sich nur einen Spalt breit und sogen die staubgeschwängerte Luft ein. Noch immer stürmte es ringsum und der Wind blies Sandwolken vor sich her, doch hatte sich das Wetter so weit abgeschwächt, dass man gefahrlos nach draußen kommen konnte - sofern man so gut angepasst war wie ein Kitonak.
Nun war aus einer respektgebietenden Naturgewalt wieder ein alltägliches Ärgernis geworden. Nicht einmal gegen den Wind stemmen musste man sich mehr. Wenn man sich vorsichtig bewegte, und das war für Kitonaks der Normalzustand, konnte man sich auch von der Stelle bewegen. Zot nutzte diese Gelegenheit, um nach seinen Verwandten und Stammesmitgliedern zu sehen. Es dauerte nicht lange, bis er die ersten antraf. Er war nicht der einzige, der sich schon ausgegraben hatte. Mit wenigen Worten vergewisserten sie sich gegenseitig, dass es den anderen gut ging, dann machten sie sich daran, anderen beim Auswühlen zu helfen.
Nach ungefähr einer halben Stunde war auch der letzte aus dem Sand befreit. Zu ihrer Freude stellten die Kitonaks fest, dass es allen gut ging. Der eine oder andere hatte zwar Schrammen von umerfliegenden Steinbrocken davongetragen, aber niemand war ernsthaft verletzt. Und, dem kosmischen Ei sei Dank, auch keines der Kinder war verlorgen gegangen. Dies war die größte Sorge der Erwachsenen gewesen, denn ein Sturm von dieser Stärke konnte den Nachwuchs so weit von ihnen forttragen, dass sie ihn in selbst nach Tagen nicht erreichen geschweige denn wiederfinden konnten. Für ein unselbständiges Kind bedeutete so etwas das Todesurteil. Doch sie hatten Glück gehabt. Zumindest in dieser Hinsicht. Aus einer anderen Warte betrachtet, gab das Unwetter ihnen Grund zur Sorge.
Der Häuptling Ra'ar veranlasste, dass sie sich sammelten. Der staubige Wind blies immernoch um sie herum, als sie sich gemächlich um den Anführer scharten und auf den Boden hockten. Ra'ar selbst setzte sich ebenfalls und schwieg eine Weile, bis er sich die passenden Worte zurechtgelegt hatte.
»Ich kann mich nicht erinnern, dass es jemals so kurz nach der Regenzeit einen solchen Sandsturm gab«, begann er. Er sprach die Worte langsam und mit Bedacht aus. Seine kräftige Stimme war über das Geräusch des Windes hinweg gut zu verstehen. »Ich befürchte, dass dies das verfrühte Ende unseres Wohlstandes bedeutet.«
Diese Nachricht brachte die Kitonaks nicht sichtbar aus der Ruhe, aber innerlich beunruhigt waren sie alle. Nur wenige wechselten leise das eine oder andere Wort, die meisten blickten zu den anderen Alten, die allesamt zur Bestätigung von Ra'ars Worten nickten.
»Der Sturm hat mit Sicherheit die Reste der Regenpflanzen vernichtet und auch die Sulfaru dezimiert«, fuhr der weise Anführer fort. »Die Choobas werden in dieser Gegend nun weniger Nahrung finden und sich nicht mehr so stark vermehren. Und wie immer werden wir ihr Schicksal teilen. Wir werden weitere Strecken wandern müssen und dennoch weniger zu Essen haben.«
Besorgt blickte Zot zu seiner Mutter und dem kleinen Kind, das sich an ihre Schulter klammerte. Seine Schwester hatte ihren ersten Sturm gut überstanden, aber wenn Ra'ars Worte zutrafen (woran es kaum einen Zweifel geben konnte), würde er schwere Folgen für sie haben.
»Wir wussten alle, dass es nicht ewig so bleiben würde«, sagte Zots Mutter, nachdem sie sich ein Weilchen angeschwiegen hatten. »Aber alle haben natürlich gehofft, dass die gute Zeit länger anhält. Wenigstens das erste halbe Jahr, bis die Kleinen etwas kräftiger sind.«
Ein Außenstehender hätte sie wohl für ruhig und gelassen gehalten, aber Zot hatte seine Mutter noch nie so besorgt gesehen wie in diesem Augenblick. Auch er sorgte sich um die Zukunft des Stammes. Sie hatten schon öfter harte Zeiten erlebt, aber niemals hatten sie dabei so viele hungrige Mäuler zu stopfen gehabt.
»Noch gibt es keinen Grund zur Unruhe«, sagte der Häuptling. »Wir alle haben erst kürzlich gegessen. Bis wir wieder hungrig werden, wird sich das Wetter längst gebessert haben und wir können nachsehen, wie es um die Choobas steht. Erst dann werden wir entscheiden, was zu tun ist. Zot, was glaubst du wie lange der Wind noch anhalten wird?«
Der junge Nomade schwieg überrascht. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der Anführer ausgerechnet ihn nach seiner Meinung fragen würde. Ihm wurde erst jetzt bewusst, welches Ansehen sein außergewöhnliches Gespür für das Wetter ihm bereits eingetragen hatte. Gründlich überlegte er seine Antwort und die anderen Kitonaks warteten geduldig, bis er schließlich sprach:
»Ich denke nicht, dass es bald aufhören wird. Vielleicht wird es sogar wieder stärker. Zwei tage wird es bestimmt noch wehen, vielleicht auch drei.«
Er hatte keinen Beweis für diese Behauptung, nur ein Gefühl, das er nicht begründen konnte. Aber die anderen verlangten dies auch nicht von ihm. Ra'ar nickte bedächtig und ordnete dann an:
»Sucht nun alle eure Ausrüstung zusammen und seht nach, was noch verwendbar und was verloren ist. Wir müssen die wichtigsten Dinge tiefer vergraben, vor allem das Wasser. Hütet es gut, denn wenn Zot recht behält und der Wind anhält, wird es in wenigen Tagen keine offenen Wasserlöcher mehr geben. Aber wir werden diese Schwierigkeiten durchstehen wie viele andere zuvor. Wenn das Wetter es zulässt, werden wir uns heute wie gewohnt zum Erzählen der Geschichte versammeln.«
Ohne dass er es explizit erklären musste, wussten die Kitonaks, dass die Versammlung zu Ende war. Sie erhoben sich und trotteten davon, um nach ihren Besitztümern zu graben. Einfach war es nicht, denn der Orkan hatte die Landschaft umgestaltet. Nicht mehr jeder Felsbrocken lag dort, wo er vorher gewesen war. Manche waren unter kleinen Dünen verschwunden, die vorher nicht existiert hatten, und andere waren erst vom Wind aus dem Boden gegraben worden. Aber nach und nach fanden sie das meiste, was sie verbuddelt hatten, und auch Zot nahm sein Bündel wieder an sich - nur um es erneut im Sand zu verscharren, diesmal jedoch noch deutlich tiefer als zuvor.
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