Leb wohl
Ian starrte sie fassungslos an und obwohl er ihre Worte genau verstanden hatte, wollte er ihren Sinn nicht begreifen. Er wollte nicht. Nein, er wollte nicht. Seine Augen von den ihren lösend, starrte er auf den Tisch, griff nach einem der Gegenstände die darauf lagen, lenkte sich mit diesem ab. Er hatte Jami Krytal schon gesehen, hatte mit ihm gesprochen, aber er hatte, nein er hätte nie vermutet…
Ihre Worte klangen noch immer in seinen Ohren und er spürte ihren Blick, der ihm immer unangenehmer wurde, spürte gleichermaßen wie ein Gefühl in ihm auftauchte, das er längst vergessen geglaubt hatte. Glühende Eifersucht, die sich nicht beruhigen ließ, nicht nachdem, was sie gerade gestanden hatte. Er kannte diesen Jedi. Sie waren gemeinsam auf Mission gewesen und Ian, Ian hatte kein einziges Anzeichen gesehen gehabt. Sie alle waren beschäftigt gewesen, viel beschäftigt. Zu beschäftigt. War das der Grund? Ian suchte nach Fehlern, nach Anzeichen, nach irgendetwas, aber das einzige, zu was er gerade in der Lage war, war zu empfinden und was er empfand wurde größer, schwerer, brennender und Ians Griff um den Gegenstand wurde härter, auch sein Blick veränderte sich.
„Wann hat das angefangen?“, wollte er wissen, seine Stimme nur mühsam beherrscht, den Blick noch auf den Gegenstand gerichtet. Die Muskeln in seinem Gesicht zuckten, als er schließlich doch zu Eowyn sah, die – hilflos?- am Türrahmen angelehnt dastand.
„Wann hat das angefangen?“, fragte er erneut und diesmal klang die Wut in jedem seiner Worte mit. „Als wir auf Mission waren? Als sich unsere Wege kurzzeitig trennten? Auf meinem Schiff? WANN?“
Beim letzten Wort zuckte Eowyn zusammen, genau wie Ian, überrascht von seiner eigenen Lautstärke. Ian bitte…, sagte sie leise, bittend und ihre Stimme klang, so unsicher, so brüchig. Wie sie dastand, am Rahmen, wie sie ihn ansah, der Ausdruck in ihren Augen. Es machte alles nur schlimmer. Nur schlimmer. Nur schlimmer! Ian musste seinen Blick lösen, und mit einer seltsamen Vorsicht, die einer Ruhe vor dem Sturm glich, legte er den Gegenstand wieder auf den Tisch. Lautlos, als könnte jede Erschütterung, jedes Geräusch den Gegenstand zerstören. Schwer schluckend wandte er sich wieder an sie. „Ich will wissen, wann das angefangen hat Eowyn. Das ist mein verdammtes Recht.“ Sein Herz schlug unangenehm gegen seine Brust, doch diesmal tat es das nicht, weil sie aus positiven Gründen dafür sorgte. Der jetzige Grund war ein anderer und das Gefühl war unangenehm beengend. Druck auf der Brust. Druck und Hitze, die in seinen Kopf stieg, die sich entladen wollte. Sie hatte mit Kami Krytal geschlafen. „Wann?“, fragte er erneut, unterschwellig aggressiv, mit rauschendem Blut in den Ohren, dann griff Ian erneut nach dem Gegenstand und warf ihn voller Wucht an die Wand, was sie erneut dazu brachte, zusammen zu zucken. Nicht die einzige Geste, denn er erkannte ihre Tränen, die im Licht glitzerten. War nicht er derjenige, der Tränen in den Augen haben müsste?
Die Frage ‚Wann‘ war sein Recht und ein ‚Wie oft‘ lag ihm auch auf der Zunge, doch Ian wusste, würde er diese Frage stellen, würde er mit keiner Antwort zurechtkommen. Wann schien schlimm genug. Doch jede andere Frage würde seine Fantasie beflügeln und das – nein. Es tut mir leid, hörte er sie sagen, Worte die sie nicht sagen durfte. Außer, sie stimmten. Außer… es tat ihr wirklich leid. Aber das war unmöglich. Die Worte. Die Situation. Alles. Es durfte nicht sein. Nein, es durfte nicht sein. Da waren keine Anzeichen gewesen. Oder doch? Hatte er sie übersehen? Hatte er zu wenig Zeit mit ihr verbracht, sie zu wenig beachtet? Für sie war er bei den Jedi geblieben, im Orden, einem Ort, der nie auch nur im Ansatz so etwas wie Heimat für ihn darstellte. Hatte er sich danach ausgeruht, nichts mehr getan?
Warum?
Die Fragen schnürten ihm die Kehle zu, doch sie änderten nichts an dem stärker werdenden Gefühl.
Hatten sie zu wenig gesprochen?
Wann hatte er sie das letzte mal gefragt, ob sie noch glücklich war? Wann hatte sie ihm das letzte mal gesagt, dass sie ihn liebte? Wann? Ians Zeitrechnung überschlug sich, war es gestern gewesen? Vor einer Woche? Vor einem Monat?
Sie war müde gewesen, oft. Doch Ian hatte es auf die Mission zurückgeschoben die ihnen allen einiges abverlangt hatte. Er hatte keine Zurückweisung in ihren Worten gesehen. Zumindest keine, die für ihn nicht verständlich gewesen war. Keine Zurückweisung seiner Gefühle. Eine falsche Annahme? Eine falsche Annahme. Ihre Küsse waren seltener geworden, flüchtiger. Und auch das hatte Ian auf die Mission geschoben, auf die wenige Zeit. Jetzt, jetzt mit einem Mal schienen die Zeichen viel deutlicher. Zu deutlich. Jami. Er hatte gesehen, er hatte gehört, wie beide gelacht hatten und dieser Jedi war anders als er. Ein Jedi eben. Kleiner, weniger ruhig, dafür eher besonnen. Viel öfter lächelnd. Positiver. Ihre Blicke waren vertraut gewesen. Doch so vertraut?
„Liebst du ihn?“ Ian wagte kaum, sie bei dieser Frage anzusehen und er hörte die Eifersucht in seiner Stimme, lauter als die Wut, versuchte beides zu unterdrücken, so neutral wie möglich zu klingen, jedes andere Gefühl, dass ihn zu übermannen drohte, zu verdrängen. „Liebst du ihn?“
Und da lösten sich ihre Tränen und er sah ihr nicken. Sah ihr nicken. Sah ihr nicken und spürte, wie die Tränen, die sie weinte in seine Augen steigen wollten, doch er verbat es ihnen.
„Okay,“ sagte er leise, tonlos, hob die Arme, als sie ansetze etwas zu sagen. „Okay,“ wiederholte er, unterdrückte das Zittern in seiner Stimme, unterdrückte seine Tränen, machte einen Schritt rückwärts, stieß unangenehm hart an den Tisch, als sie näher kam. Es tut mir leid, widerholte sie und Ian wünschte, sie wäre leise, hob erneut die Hände, schüttelte den Kopf und da blieb sie stehen.
Sie konnte nicht sagen, dass es ihr Leid tat. Nicht, wenn sie ihn liebte. Denn wenn sie behauptete, es täte ihr leid, obwohl sie sagte, sie liebte ihn, dann log sie und das… nein. Nein.
„Ich hab es nicht gemerkt,“ gab er leise zu. Entschuldigend? Sein Kopf schmerzte, der Druck hinter seinen Augen wurde stärker, aber Ian wusste, dass jetzt nicht die richtige Zeit war, ihnen nachzugeben. „Ich hab es nicht gemerkt,“ kam es erneut, der Hauch eines Selbstvorwurfes inbegriffen, mit einem Gesichtsausdruck, der einem traurigen Lächeln sehr nahe kam.
„Ich … hoffe, er empfindet das gleiche.“ Seltsam, wie einfach er das aussprechen konnte, seltsam, dass diese Hoffnung präsent war, neben all dem anderen. Neben der Wut. Neben allem anderen. Diese Worte ausgesprochen, bewegte Ian sich in ihr gemeinsames Schlafzimmer, zwang sich, seinen Blick nur auf den Kleiderschrank zu richten, auf nichts anderes. Er griff nach dem Rucksack, der sie auf Va’art begleitet hatte, was ihm einen entsetzlichen Stich verpasste. „Sag jetzt nichts, bitte“, drehte er sich zu Eowyn herum, als er ihre Schritte hörte, ihre Präsenz fühlte. Ihre so vertraute Präsenz. Die so nahe war und nie, gleichzeitig war sie nie so weit entfernt gewesen. Mit drei Handgriffen hatte er alles, was ihm an Kleidung gehörte in dem Rucksack verstaut. Alles, was nicht dem Orden war. Alles, was sie ihm nicht geschenkt hatte. In all den Jahren war es nie viel gewesen, was ihm jetzt das erste mal richtig bewusst wurde. Gerade so, als hätte er gewusst, dass sein Gaststatus sich niemals ändern würde. Dass er auch bei Eowyn nur einen solchen Status besessen hatte…
Den Rucksack schließend war er dankbar, als Eowyn automatisch einen Schritt aus der Türe machte, denn es wäre ihm unmöglich gewesen ihr jetzt so nahe zu sein. Sie zu berühren. Sein Herzschlag hatte sich verändert. Seine ganzen Gefühle dazu. Wo eben noch Wut und Eifersucht im Vordergrund gewesen waren, war nun etwas anderes. Schmerz. Verlust. Enttäuschung?
Ian hielt erst inne, als er die Türe erreichte, die ihn trennen würde. Von ihren vier Wänden. Von ihr. Von ihrer Liebe. Von seinem brechenden Herzen?
„Ich… wünsch euch, dass ihr glücklich werdet.“ Dass es ihm gelang, sie glücklich zu machen. Etwas, woran er offensichtlich gescheitert war. Vielleicht war Jami derjenige, der nicht nur das war, was einer Familie nahe kam. Sondern jemand der diesen Wunsch komplett erfüllte.
„Leb wohl“, sagte er dann, beschleunigte seinen Schritt und als er die Türe hinter sich gelassen hatte, spürte er die Tränen, die er nicht länger zurück halten konnte.