[Bastion :: Center :: Nobelviertel :: Café Kaveri :: Damentoilette] Treeya und Natali
Treeya fühlte sich grade wieder halbwegs in der Lage mit einem falschen Lächeln in das Café zurück zu kehren, nachdem sie kurz darauf gehofft hatte, die junge Frau im Pailettenkleid hätte sich mit ihr eine kleine Lästerrunde gegönnt. Doch da wurde plötzlich die Tür aufgerissen und Natali kam hereingestürmt. Ohje... doch die etwas ältere Schwester übertraf Treeyas Erwartungen noch, indem sie theatralisch umarmt wurde und Natali sie mit einer überschwänglichen Entschuldigung überhäufte.
„Wofür entschuldigst du dich denn?“, fragte sie erschrocken, als sie kurz Tränen in den Augen ihrer Schwester glitzern sah, was ihr deutlich im Magen stach. Es war nicht richtig gewesen, Odile und Natali so sitzen zu lassen nur wegen ihrem kindischen Neid und die beiden jetzt auch noch in Verlegenheit zu bringen und ihnen Schuldgefühle zu machen. Sie wollte sich nun ihrerseits entschuldigen und erklären, dass sie nur mal kurz auf die Toilette hatte gehen wollen, aber in dem Moment schnappte Natali sie sich bei der Hand und zog sie aus der Tür in Richtung Bühne. Oh bitte nicht! Sie wollte sie doch nicht etwa noch mit vorstellen? Nein, nein, der Auftritt gehörte den beiden, sie hatte nichts damit zu tu und wollte auch nicht mit einem ‚Das waren die großen Künstlerinnen und ja ach übrigens, das da ist Treeya... die... ja war grade mit uns unterwegs!‘ vorgestellt werden. Sanft wollte sie stoppen, doch da zischte Natali ihr und Odile auch schon ihren Plan zu. In Treeyas Adern gefror das Blut... WAS? Sie sollte WAS BITTE?
‚Auf keinen Fall! Vergiss es! Ich hab das damals in der Schule gehasst zu tun und hasse es auch jetzt!‘, schoss ihr in den Kopf, aber ihre Zunge war wie gelähmt. Sie spürte alle Augen auf sich, die Blicke des Publikums da unten bohrten sich in ihren Körper... Nein... sie brachte keinen Ton heraus, kein Wort. Treeyas Knie fingen an zu beben, ihre Magen zog sich zusammen und sie hatte kurz Angst, dass ihr schlecht wurde. Nein... das war ein schlechter Scherz von Natali, doch Odile nickte begeistert und ihre Schwester sagte die Shownummer an. Niemals! Sie hätte ihre Schwester für einen kurzen Moment gerne angeschrieen, was diese Schnapsidee jetzt sollte, doch das konnte sie nicht. Um sie herum standen Menschen, das ging nicht. Und sie konnte weder zurück zu den Sanitäranlagen flüchten noch war der Weg zur Tür des Cafés frei. Gefangen... in einem goldenen Käfig an einem weißen Flügel. Da begann Natali schon in die Tasten zu schlagen und Odile wünschte ihr mit dem gewohnt etwas abwesenden, aber anmutigen Lächeln viel Glück. Was nun?
Ihr Blick ging im Publikum herum während des etwas längeren instrumentalen Einstiegs. Sie erinnerte sich an die Schulaufführung damals, doch da hatte ihr der Hauptscheinwerfer geholfen, der sie blind für das Publikum gemacht hatte. Der auf die Singenden gestrahlt hatte, Sterne in ihr Sichtfeld geworfen hatte und dafür gesorgt hatte, dass sie das Publikum nur noch als schwarze Wand wahrgenommen hatte. Doch im Café Kaveri gab es keine Scheinwerfer, nur das schummrige Licht der kunstvoll designen Lampen. Sie sah jede Gefühlsregung im Publikum, auch als die anderen anfingen zu singen. Ihre Stimme wirkte hoch und schwach neben Odile, die mit voller Hingabe sang, während Natali versuchte, dem ganzen durch ihre Stimme etwas Mysteriöses zu verleihen. Jeder Blick da unten war interessiert, erwartend... die Dame im Paillettenkleid (Zoey)schaute immernoch ein wenig griesgrämig und der Herr neben ihr (Janus) sah von Vorne nun auch doch älter aus als erwartet. Sein Gesichtsausdruck zeigte eine Mischung aus Erstaunen, Aufmerksamkeit und deutlicher, bisher noch nicht erfüllter Erwartungshaltung. Bestimmt einer dieser Kunstkritiker, die nur auf solche Gelegenheiten warteten. Konnte sie jetzt bitte einfach in Ohnmacht fallen? Konnte irgendwo da hinten bitte jemand den Feueralarm drücken? Oder ein Durchsuchungsteam des Imperialen Geheimdienstes herein schneien? Tatsächlich ging kurz bevor sie wusste, dass sie nun an der Reihe war, die Tür auf... beinahe entfuhr ihr statt den Worten ein heiseres Keuchen, als sie den etwas älteren Chiss (Mittiok’aina’nuruodo) wiedererkannte, der zuerst eintrat und einem älteren Herrn die Tür aufhielt. War das nicht der Sekretär von Toral, dem sie vor ein paar Tagen fast so etwas wie ein Lächeln entlockt hatte, als sie seinen Namen richtig ausgesprochen hatte? Ja... hinter ihm kam Toral Senior, in einen eleganten Anzug gekleidet, durch die Tür des Cafés und sie wurde automatisch zu seinem Blickfang. Treeya versuchte, ihn nicht anzustarren, trotzdem erkannte sie auf seinem faltigen Gesicht die Verblüffung, dann das anerkennende Nicken... anscheinend hatte auch er sie und Odile erkannt. Gab es nach dem Superlativ eigentlich noch eine weitere Steigerungsform? Angewandt auf das Wort „peinlich“ wäre selbst das nicht ausreichend... nur im Hinterkopf hörte sie noch die Töne des Klaviers. Warum spielte nur das Klavier? Da sah sie Natalis und Odiles Blick... war nun wirklich sie an der Reihe? Nein... einfach... einfach nein... nein... sie konnte das nicht. Es war nicht so, dass sie den Text nicht mehr kannte. Der Text war wunderschön, sie hatte ihn sich damals aufgeschrieben in allen Sprachen, die sie kannte, hatte ihn vor sich her gesagt... aber singen... nein, kein Ton kam heraus. Sie sah in Natalis hellrote, strahlende Augen und sah schon die Angst und Enttäuschung darin und ganz automatisch begannen sich ihre Lippen zu bewegen. Zuerst leise, dann ein wenig kräftiger werdend ertönte ihre helle Stimme durch das Café... Natali wurde mit dem Flügel ein wenig leiser, ihr Blick war immernoch ein wenig verwirrt, auch wenn die Angst einer Ungläubigkeit gewichen war, während Odile sie anstrahlte, als würde sie sagen ‚deine persönliche Note gibt dem Ganzen etwas sooo Besonderes!‘. Treeya schloss die Augen und kurz genoss sie das Singen sogar, doch noch mehr genoss sie es, als es vorbei war und sie wieder mehrstimmig sangen. Jetzt sah sie das ganz feine, aber verschmitzte Grinsen in Kainans Gesicht und merkte die Änderung in ihrer Kehle, als sie wieder den anderen im Text folgte. Sie hatte in ihrer Aufregung das Solo auf Cheunh gesungen. Obwohl sie mit Basic aufgewachsen war und auch ihre Studien mehr auf High Galactic fokussiert hatte, liebte sie diese Sprache auch und hatte damals den Text der Arie in Cheunh umgedichtet. Offenbar war das tiefer in ihrem Unterbewusstsein geblieben als gedacht.
Das war nun wirklich die formvollendete Steigerungsform von peinlich und ihre Stimme wurde bereits belegt, während sie nur noch mit halber Lautstärke die beiden begleitete. Dann verstummte endlich das Klavier, dessen Töne in ihren Ohren wiederhallten und schmerzten. Applaus ertönte, auch der schmerzte. Alles schmerzte, besonders ihre Augen, die brannten vor der Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Das würde sie Natali nie verziehen! Nie! Und Odile auch nicht... sie so zu überfallen, in diese Situation zu zerren, in der sie nicht mehr Nein sagen konnte, sie so bloßzustellen. Schamgefühl und Wut rangen in ihr um die Vormacht, während die Besucher des Cafés nun an den Flügel heranstürmten, die beiden bekannten Künstlerinnen um Autogramme baten und versuchten, einen Schwatz mit ihnen zu halten. Eine der Bedienungen kam mit falschem Grinsen auf sie zu und drückte jedem von ihnen einen Cocktail in die Hand. Alkohol! Das war genau das, was sie gerade brauchte! Dankbar lächelte sie und stahl sich ein wenig aus der Menge. Der Weg zur Tür war frei... kurz blickte sie sich um, noch waren Odile und Natali so bedrängt, dass die drei kaum ein Wort hatten wechseln können... jetzt oder nie, bevor sie noch einen Streit mit den beiden anfing, so enttäuscht und vorgeführt, wie sie sich gerade vorkam. Gerade wollte sie ansetzen, ihren Cocktail herunterkippen und in ihr sicheres Hotelzimmer flüchten, da sah sie ausgerechnet Lortan Toral auf sie zukommen. Er lächelte wohlwollend und begrüßte sie mit einem kurzen Auseinandergehen seiner Arme, was wohl sein erfreutes Erstaunen ausdrücken sollte. AUCH DAS NOCH!
[Bastion :: Center :: Nobelviertel :: Café Kaveri :: Hauptraum] Treeya und Natli, Odile, Janus, Zoey, Lortan Toral, Mittiok’aina’nuruodo