[Bastion :: Center :: Wohnkomplexe :: Apartment :: Wohnzimmer] Treeya, Scytale
Was hatte sie eigentlich erwartet? Einfach ein wenig hier zu sitzen und dann würden sich sämtliche Planeten wieder in der gewohnten Umlaufbahn drehen? Als würde morgen Lortan Toral anrufen und mit bräsiger, gönnerhafter Stimme lachend erklären, es sei alles nur ein Scherz gewesen? Nein, der junge Mann ihr gegenüber war anscheinend der einzige, der vernünftig reagierte und das wusste sie auch, dennoch trafen seine Worte sie wie eine Lasersalve. Sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, dass er so klare, vernünftige, aber auch harte Worte zu ihr sagte. Warum traf sie dieses „getrennte Wege gehen“ gerade so? Er hatte vollkommen Recht, genau so funktionierte das. Aber das war noch lange kein Grund, ihm Interna ihrer Familie preiszugeben, es gab Regeln, die waren so tief in sie eingebrannt, dass sie nie auf die Idee kommen würde, einfach Fremden solche intimen Geheimnisse anzuvertrauen.
Vielleicht sollte sie doch mit Natali reden... aber sie konnte sich fast vorstellen, wie diese reagieren würde, sobald das Wort Hochzeit fiel. Sie würde sofort ihre Zwillingsschwester kontaktieren und nur noch über Schuhe, Kleider und Kuchen reden und wahrscheinlich nicht einen einzigen Gedanken daran verschwenden, ob das Nesthäkchen der Reeds auch nur irgendetwas davon wollte. Während sie an die schreckliche Vorstellung der ganzen Vorbereitungen dachte, die man da irgendwann von ihr verlangen würde, legte sich eine unsichtbare Hand um ihren Hals. Auf einmal wurde ihr gewahr, dass ihre Welt nie wieder die selbe sein würde, sie würde nie wieder dort hinausgehen und nach Csilla zurück kehren und fröhlich weiter studieren – Feiern, bis in die Nacht in der Bibliothek lernen, Freunde treffen, hin und wieder einen netten, jungen Mann mit nach Hause nehmen und noch vor dem Frühstück rauswerfen, alleine Fertigtiramisu futternd auf die Lichter von Csaplar blicken. Nein. Nie mehr. Ihr Leben, wie sie es kannte, hatte jetzt hier heute Abend geendet.
Treeya schnappte nach Luft und ein Schluchzen entfuhr ihrer Kehle. Ihr wurde schlecht und sie presste kurz die Fingerspitzen gegen ihre blassen Lippen, doch alles, was aus ihrem Mund kam war ein weiteres Schluchzen und rasch wollte sie sich wenigstens noch ihre Sonnenbrille auf die Augen drücken, doch Scytale hielt ihren Arm fest. Seine Hand war so warm, dass es fast wehtat. Schließlich gab sie es auf, gegen die Tränen etwas zu unternehmen, die aus ihren Augen rannen. Sollte er doch denken, was er wollte. Eigentlich war es ohnehin egal, was jetzt noch passierte. So ließ sie es auch zu, dass er sie in den Arm nahm und sie vergrub ihren Kopf erschöpft in seiner Schulter. Vielleicht war es doch das Beste, heute Abend nicht alleine mit allem zu sein. Sie wüsste nicht, was sie tun sollte, wenn sie mit all den Gedanken, die in ihrem Kopf explodierten, jetzt in einem verlassenen Hotelzimmer sitzen würde.
„Ich hatte dir doch gesagt, ich sei geschäftlich auf Bastion,“ hörte sie sich murmeln „heute Abend habe ich ein wichtiges Geschäftsessen gehabt. Der Plan war, dass ich nach dem Studium mit Hilfe meiner Familie und anderer Investoren eine eigene Firma hochziehen kann. Aber heute hab ich den Preis dafür erfahren. Und der ist verdammt hoch.“
So, bis hier hin und nicht weiter. Keinen Satz weiter. In keinem Fall auch nur einen einzigen Satz. Doch er blicke sie nur fragend an, während er die Umarmung nicht lockerte. Keinen einzigen Satz weiter.
„Der Preis dafür bin ich.“
Keinen. Verdammten. Weiteren. Satz.
„Das Problem ist, dass ich eigentlich schon zugesagt habe, ohne diesen Preis zu kennen.“
Halt den Mund, Mädchen! Eine innere Stimme brüllte ihr diesen Satz ins Gesicht und diese Stimme klang wie immer nach ihrer Mutter. Wer verriet hier eigentlich gerade wen? Wenn, dann war sie es doch, die verraten worden war. War sie denn vollkommen bescheuert, nach all dem zu ihrer Familie zu halten? Rede jetzt nicht weiter.
„Während ich also fröhlich geplant habe, wie ich denn meine momentanen Forschungen im Studium weiter führen und irgendwann sinnvoll einsetzen kann, hat meine Mutter einfach eine Ehe für mich arrangiert – mit einem nahen Verwandten eines der Finanziers und Teilhaber der Firma. Ich komm aus der Nummer nicht mehr heraus,“ sprudelte es mit einem Mal aus der völlig verzweifelten Treeya heraus. Es hatte keinen Sinn, ihr Schädel würde explodieren, wenn sie noch weiter versuchen würde, das Ganze irgendwie mit sich selbst auszumachen. Sie legte ihre Stirn an seine Schulter und seinen Hals und seine Wärme kam ihr erneut kurz unangenehm vor, bis ihr klar wurde, dass sie vom ewigen im Regen stehen wahrscheinlich einfach nur ein paar Grad unter der normalen Körpertemperatur war. Einfach nur hier die Gegenwart von jemand anderem, den sie sicherheitshalber nie wieder sehen würde, zu spüren, ließ sie ein wenig ruhiger werden. Sollte er sie jetzt ruhig verurteilen, es war ihr egal.
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