[Mittlerer Rand, Esaga-Sektor, Cygnus-System, Cygnus B, Kaprala, imperialer Komplex, Besprechungsraum]- Alynn
Lieutenant Fremyn war schon längst – und sichtlich erleichtert – aus dem Besprechungsraum der imperialen Botschaft verschwunden, doch für einen Moment verharrte Alynns Blick auf dem Stuhl, den der junge Waffenoffizier der Silver Bullet besetzt hatte. Tadellos war seine Erwiderung auf ihre Bemerkung hinsichtlich seiner Diensttauglichkeit gewesen, wenngleich womöglich etwas hastig vorgetragen, und der Pathos, mit dem er sich letztendlich aus ihrem unmittelbaren Einflussbereich zurückgezogen hatte, hätte wohl einem jeden COMPNOR-Funktionär die Tränen in die Augen getrieben. Nun. Auch aus solchen Soldaten und Offizieren bestand das Militär des Imperiums und offenbar hatte Fremyn eine der vielen Proben, die ihm im Laufe seiner Karriere noch bevorstehen würden, vielleicht nicht mit galanter Bravour, aber dennoch weitestgehend unbeschadet überstanden. Natürlich blieb weiterhin die Frage im Raum, inwieweit sein Duell ein politisches Nachspiel haben würde, das Elysa zu erklären wohl Alynns Aufgabe sein würde, sobald die Avenger im Territorium des Sternenimperiums ankam…
Die Commodore verdrängte den anderen Offizier aus ihren Gedanken und presste kurz einen Finger an das Headset in ihrem rechten Ohr, um Kontakt mit ihrer kleinen Eskorte aus Flottensoldaten aufzunehmen.
„Lieutenant? Treffen Sie mich mit ihren Leuten bei der Landeplattform. Wir kehren zur Accuser zurück.“
Die kurze Bestätigung des Mannes am anderen Ende wartete sie noch ab, dann setzte Alynn sich selbst in Bewegung durch die nüchternen Korridore der Botschaft und zurück zu ihrer Fähre.
Der Transit zurück auf ihr Flaggschiff selbst verlief absolut reibungslos und auch auf der Brücke des Sternzerstörers hatte man ihr keinerlei Neuigkeiten mitzuteilen. Lieutenant Commander Devila versah seinen Wachdienst mit dem üblichen, mühsam kaschierten Missmut und schien nicht sonderlich enttäuscht darüber, dass Alynn sich, nachdem sie den Kommunikationsoffizier instruiert hatte, eine gesicherte Verbindung mit dem Kommandeur dessen, was man im Sternenimperium die „Heimatflotte“ nannte, herzustellen, in den separaten Kommunikationsraum im rückwärtigen Bereich der Brücke zurückzog.
Während die Holoverbindung hergestellt wurde, rief die Commodore sich die wenigen Details in Erinnerung, die sie den diversen Dossiers über Cygnus hinsichtlich seiner Streitkräfte entnommen hatte. Lord Ivar Karsteen, Admiral, war mit Sicherheit einer der einflussreicheren Männer in der Hauptstadt Kaprala… doch viel mehr wusste Alynn nicht über ihn, als sein annähernd lebensgroßes Abbild schließlich vor ihr materialisierte.
„Admiral Karsteen. Vielen Dank, dass Sie meinem Wunsch nach einer Unterredung nachgekommen sind.“
Die Mimik des Admirals war unter seinem Bart schwer zu lesen, doch Alynn konnte sich vorstellen, dass er es als durchaus sinnloses Unterfangen ansah, die Nachrichten einer Frau zu ignorieren, die ein Schiff kommandierte, das die Hauptstadt des Planeten mühelos in eine radioaktive Wüste verwandeln konnte. Nicht, dass Cygnus irgendetwas von der Accuser zu befürchten hatte – ganz bewusst hatte Alynn Captain Asakawa bei Ankunft im System befohlen, den Sternenzerstörer der Imperial-II-Klasse in einiger Entfernung des Planeten selbst seine Runden drehen zu lassen.
„Commodore… Kratas, richtig?“
Unverkennbar stolperte der cygnische Admiral über ihren Nachnamen. Den Nachnamen ihres Bruders. Das Schicksal des vorerst letzten Großadmirals des Galaktischen Imperiums hatte auch hier seine Resonanz gefunden.
„Ich hatte eigentlich gehofft, Sie hier im Gebäude der Admiralität in Kaprala begrüßen zu dürfen, kaum dass uns die Ankunft Ihres Schiffes gemeldet wurde.“
Alynns Mundwinkel zuckten leicht. Gut möglich, dass man es auf Cygnus als kleinen Affront angesehen hatte, dass ihr erstes Ziel die imperiale Botschaft – und die Besprechung mit Selgorias – gewesen waren und sie nicht dem Königshaus oder zumindest relevanten Vertretern der cygnischen Regierung ihre Aufwartung gemacht hatte.
„Ich bedaure, dass ich nicht die Gelegenheit dazu hatte“, erwiderte sie kühl.
„Nach den letzten Erfahrungen eines imperialen Offiziers in Kaprala hielt ich es allerdings für das Beste. Auch im Sinne potentieller… Duellanten.“
Einen Moment lang entblößte sie ihre Zähne durch ein Lächeln, das man indes genauso gut als Drohgebärde eines Raubtieres hätte interpretieren können. Sie hatte keine Zweifel, was passiert wäre, hätte Comte Roice sie, und nicht Noak Fremyn, zu einem Duell herausgefordert. Der Ausgang wäre aus imperialer Sicht vermutlich noch ungünstiger gewesen – aus Sicht des Comte allerdings fatal.
Karsteen blinzelte kurz und räusperte sich dann, auch wenn er mitnichten eingeschüchtert wirkte, höchstens irritiert.
„Ich kann verstehen, warum Sie das so sehen, Commodore.“
Die Miene des Admirals verhärtete sich.
„Ich nehme an, Sie kontaktieren mich, um ein wenig Licht ins Dunkle zu bringen, was unsere Kenntnis des Auftrags Ihrer Schiffe angeht…?“
„Captain Selgorias berichtete mir, dass die Confidence Opfer eines raffinierten Piratenangriffes wurde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die cygnische Heimatflotte einen solchen Angriff auf die Krone ohne Vergeltung einfach geschehen lassen möchte.“
„Selbstverständlich nicht“, entgegnete der Admiral steif, vermutlich nicht sehr begeistert ob ihrer schlichten Weigerung, seine Frage zu beantworten.
„Gut. In dem Fall kann ich Ihnen hocherfreut mitteilen, dass auch Captain Selgorias' Leute ungerne unverrichteter Dinge abziehen würden. Ich biete Ihnen daher die Unterstützung ihrer Korvettendivision bei der Aufspürung und nach Möglichkeit Festnahme, auf jeden Fall aber Neutralisierung dieser Piraten an. Soweit ich weiß, gibt es für eine derartige Operation sogar eine vertragliche Grundlage, wenngleich deren Details und Gültigkeit anscheinend von Leuten austariert werden müssen, die mehr Geduld für semantische Feinheiten haben als ich.“
„Eine Kooperation unserer Einheiten in diesem Fall wäre jedenfalls nicht vollkommen aus der Luft gegriffen“, räumte Karsteen ein.
„Ich nehme an, Sie erwarten, dass wir unseren Teil beisteuern…?“
„Unterstützung durch mit den lokalen Begebenheiten vertraute Offiziere wäre in diesem Fall sicher hilfreich, ja. Natürlich erwarte ich von Ihnen nicht, die Schlagkraft ihrer Flotte über Gebühr zu schwächen.“
Sie verstand durchaus, dass es für den Admiral politisch extrem unklug erscheinen würde, militärische Ressourcen von zu großem Gewicht an eine gemeinsame Operation mit den imperialen Streitkräften zu binden. Gleichzeitig hatte es mit der Unterstützung der Gladius für die bedrängte Confidence bereits einen Präzedenzfall gegeben, noch dazu einen, der durch die Kronprinzessin praktisch sanktioniert worden war. Dies wiederum lieferte dem Admiral dem nötigen Spielraum, um zumindest ein wenig zur Eliminierung der Piratenbedrohung beizusteuern – und daran, dass dies ungeachtet seiner möglichen politischen Vorbehalte sehr in seinem Interesse lag, konnte aus Alynns Sicht kein Zweifel bestehen.
„Die Aktivitäten dieser Piraten einzudämmen sollte im Interesse des gesamten Sternenimperiums sein“, bestätigten die Worte des Admirals dann auch ihre Einschätzung.
„In einer Standardstunde kann ich Ihnen mehr sagen.“
Karsteen nickte knapp.
„Sie hören von mir, Commodore Kratas.“
Das Hologramm verblasste, was Alynn dazu motivierte, in den Hauptteil der Brücke zurückzukehren. Nun blieb abzuwarten, ob sich das Vorgehen gegen die Piraten als der grüne Zweig erwies, den die imperialen Bemühungen bei Cygnus benötigten…
[Mittlerer Rand, Esaga-Sektor, Cygnus-System, ISD II Accuser, Brücke]- Alynn, Lieutenant Commander Devila, Besatzung