[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel | allein ]
Er hatte Angst. Seine Schritte waren schneller geworden, er rannte. Die Schuhe versackten tief im Schlamm. Der Regen hatte den Boden aufgeweicht. Er ließ sich nicht aufhalten. Er hatte Angst. Der Regen schlug ihm wie Peitschenhiebe gegen den Rücken, ins Gesicht und entgegen. Die Bäume und ihre Äste wollten ihn greifen, so kam es ihm vor. Sie stellten ihm ein Bein, sie hielten ihn auf, sie verlangsamten ihn. Sein Puls ging schneller, der Atem stoßartig. Seine Kondition war gut, aber das war hier war anstrengend. Aber es war nicht nur das. Exodus hatte Angst. Nicht um sich, nicht um das Camp, nicht um sein Geld. Es war der Gedanke an Giselle, der ihn antrieb. Nur einige Meter neben ihm schlug ein Blitz krachend in einen der hohen Bäume ein. Der Stamm fiel behäbig, aber mit unmenschlicher Wucht zu Boden und riss alles um sich herum mit. Exodus schenkte ihm nur einen Seitenblick. Seine Machtsinne waren auf Anschlag hochgefahren, seine Instinkte reagierten perfekt. Der Baum traf ihn nicht und er kämpfte sich weiter durch den Dschungel. All die Tiere um ihn herum warem ihm bewusst, er spürte sie, spürte alles. Nur Giselle spürte er nicht. Sie war nicht hier.
Wieso hatte er solche Angst?
Nur weil er, wenn ihr etwas zustieß, nicht mehr ihr Geheimnis erfahren würde? War es das? Ihr Geheimnis und der Wunsch es zu erfahren, waren sein Antrieb gewesen, sie in der Red Square Bar zu engangieren, mit ihr einen ausgedehnten Strandspaziergang zu unternehmen, ihre Nähe zu suchen. Zog sich deshalb sein Bauch schmerzhaft zusammen und klopfte deshalb sein Herz?
Bestimmt, sagte er sich. Was sollte es auch sonst sein?
Sein Körper schrie nach einer Pause, er erlaubte sie sich nicht. Mittlerweile beschlich ihn das Gefühl, den ganzen Dschungel schon einmal durchquert zu haben und sich im Kreis zu drehen. Wo war Giselle? Wenn ihr etwas zugestoßen war – konnte er ihre Aura dann überhaupt noch spüren? Er hatte die Erfahrung gemacht, dass tote Körper noch ein Echo der Aura abstrahlten, einen Moment lang. Wie lang dauerte dieser Moment?
Sie war nicht tot. Sie war …
Da! Alle seine Machtsinne drängten in eine Richtung und sein Körper mit ihnen. Seine Beine überschlugen sich fast, er begann zu fliegen, bemerkte nicht mehr die vielen Schnittwunden, die der Dschungel ihm zufügte. Er war in die Macht eingetaucht, badete im Licht ihrer Aura, bemerkte seinen Körper kaum noch. Dann wurde sein Blick klar. Exodus schob die Zweige eines großen Busches zur Seite. Giselle tanzte. So wie sie es immer tat, so wie jede ihrer Bewegungen Teil einer großen Choreographie war.
„Giselle!“
rief er nur, denn es war das einzige, was ihm seit einer Unendlichkeit durch den Kopf ging. Sie drehte sich um, in Zeitlupe und er brachte ihre Choreographie durcheinander. Die Erleichterung darüber, sie gefunden zu haben, währte nicht lange. Giselle verlor in ihrer Überraschung das Gleichgewicht, ihre Bewegung verlor die Eleganz, als sie zu schwanken begann und schließlich von dem glitschigen Baum abrutschte. Instinktiv bewegte er sich auf sie zu, bereit die Macht zu nutzen, um ihr entgegen zu hechten und sie vor dem Aufprall zu bewahren. Sein kurzes Zögern, der Gedanke an sein eigenes Geheimnis, welches er noch nicht lüften wollte, verhinderte eine heldenhafte Rettungsaktion. Giselle fiel zu Boden und prallte dumpf auf. Exodus zuckte zusammen, eilte jetzt doch noch zu ihr hinüber.
„Ist alles okay?“
Giselle Givenchy war eine unglaubliche Frau. Um sie herum ging die Welt unter, doch das interessierte sie nicht. Sie stürzte sich mitten in den Weltuntergang und tanzte ihren Tanz. Sie tanzte und war in ihrer eigenen Welt. Zumindest so lange bis ein sorgenvoller Tölpel sie unterbrach.
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Dschungel | mit Giselle ]