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Ranjit Kaveris Bilder


Das Haus atmete. Jedenfalls kam es mir so vor als ich mit den Fingerspitzen über das glatte Holz des Treppengeländers strich. Abgegriffen und dunkel von den vielen Generationen Kaveris, die vor mir hier gelebt hatten. Die breiten Treppenstufen knarzten und der Wind drückte die schweren Türen gegen die Angeln. Wenn die Böe nachließ, bewegten sie sich mit einem Seufzen zurück. Die Galerie lag im Dunkeln, nur die Bilder meines Vaters waren von dramatischen Spotlights beleuchtet, die mit ihrem grellen Schein die Schatten zurückdrängten und die Schwärze abseits ihres Lichtkegels nur noch tiefer wirken ließen.


Wie lange war es her, dass ich hier oben gestanden und bewußt Ranjits Bilder betrachtet hatte? Zumeist ging ich hier achtlos an den Gemälden vorbei, die dort hingen, seit ich ein kleines Mädchen war. Ich kannte sie alle. Kein Grund öfter als nötig hinzuschauen. Manchmal kam ein neues hinzu - dann mied ich die Galerie, den Hauptverbindungsgang zwischen den beiden Flügeln von Kaveri Manor. Lieber nahm ich einen Umweg durch verwinkelte Korridore und leere Flure, um zu meinem Ziel zu gelangen. Unzählige Male war an dem Anwesen ungebaut und angebaut worden, bis der Grundriss einem Labyrinth glich und selbst Räume auf dem gleichen Stockwerk nicht immer erreichbar waren, ohne zuerst die eine oder andere Treppe zu benutzen. So hatte das alte Haus sich auch erfolgreich verschiedenen Modernisierungsversuchen widersetzt und der einzige Aufzug, der tatsächlich Sinn ergab, führte von der Küche in den Speiseraum.


Nun stand ich vor dem Vermächtnis meines Vaters, drei Monate nach dem Brand, der mir beide Elternteile genommen hatte. Der Nachlass war geregelt. Ich hatte mich mit Ilario darum gekümmert - eine Ablenkung, genauso wie die doppelten Schichten, die ich ableistete - alles, um zu vergessen, zu verdrängen. Letztlich hatte sich das als vergebliche Anstrengung herausgestellt. Nach Wochen der Taubheit, in denen mein Leben wie hinter einer dichten Nebelwand gelegen und ich nichts gespürt hatte, war es an der Zeit, sich den Dingen zu stellen und wieder nach vorne zu blicken. Und das im wörtlichen Sinne: Es war eine selbstgestellte Aufgabe, die Bilder meines Vaters in Augenschein zu nehmen, diese düsteren verstörenden Szenen - Bauchschmerzenbilder - hatte ich sie früher genannt.


Mein Vater Ranjit hatte nur wenige davon je weggegeben. Ob er davon welche verkauft hatte, wußte ich nicht. Meistens hatte er sie verschenkt und soweit ich wußte, hatte er nie Auftragsarbeiten angefertigt. Viele der großformatigen Bilder zeigten überwältigende, leere Landschaften. Leblos, mit dunklen Himmeln und endlosen Horizonten - ohne Vegetation, ohne Strukturen, an denen sich der Blick festhalten konnte. Monochromatische Wüsteneien, die in mir ein Gefühl der Einsamkeit und Verlassenheit hervorriefen, gerade jetzt, wo das große Haus still geworden war. Nur noch bewohnt von Frida, ihren Droiden und mir. Bevor der Schmerz durch den Verlust meiner Eltern wiederkommen konnte, wandte ich mich ab und ging weiter.


Ein Satz Vignetten hing rund wie eine Insel zwischen weiteren großen Bildern: Eine überschaubare Anzahl kleiner Porträts, von Leuten, die ich nicht kannte, die mir aber merkwürdig vertraut vorkamen. Wie Gesichter aus einem Traum, Menschen und Stimmen, die man zu kennen glaubt und die man wieder vergißt, während man erwacht. Und zwischen all den sonderbar Bekannten entdeckte ich auch ein Bild von mir. Aber Ranjits Porträt von mir schien älter zu sein, eine gebrochene Version, die mehr gesehen hat als sie ertragen kann. Dabei war der Blick dieses korrumpierten Spiegelbildes durchaus bestimmt und auf ein unbekanntes Ziel gerichtet. Fast war eine Absicht, eine Art starrsinnige Getriebenheit dieses älteren Ichs spürbar. Verwirrt trat ich zurück und unterbrach kopfschüttelnd den Blickkontakt zu meinem Alter Ego.


Das war nur ein Bild. Die Emotionen, die ich hineininterpretiert hatte, waren nicht wirklich da. Ranjit hatte eine ältere Version von mir gemalt, warum wußte ich nicht, aber das spielte auch keine Rolle. Ich projizierte mit Sicherheit nur meine eigene Trauer und Verzweiflung auf dieses Bild. Um sicher zu gehen, dass da nur Farbe und Leinwand waren, betrachtete ich erneut die Fremden, die um mein Porträt herum angeordnet waren. Aber das beklemmende Gefühl, diese Menschen zu kennen, ließ sich nicht abschütteln. Wen hatte mein Vater da nur gemalt? Waren das reale Personen, jemand, den kannte? Jemand aus seiner Vergangenheit? Oder waren das nur weitere Bilder aus einem Traum? Wie die unheimlichen Landschaften und Szenen, die links und rechts davon hingen? Und wenn er mich - um einige Jahre, wie es schien - älter gemalt hatte, waren diese anderen Porträts dann vielleicht auch in dieser Art verfremdet?


Mir war die Zeit abhanden gekommen, während ich die gleichen Gedanken wieder und wieder durch meinen Kopf bewegt, immer wieder den gleichen diffusen Schrecken gespürt hatte, wenn ich einem Porträt zu lange in die Augen sah. Das war wohl meine Überspanntheit und die vielen Wochen, in denen ich mehr gearbeitet als geschlafen hatte. Mit dem Entschluß, die Bilder für heute Bilder sein zu lassen ging ich nach unten in das Kaminzimmer, um einen Tee zu trinken.


Und natürlich ging ich den Weg über die Galerie nicht zu Ende, wie mir erst auf halbem Wege bewußt wurde: Ich ging zurück und folgte den verschlungenen Fluren, folgte den Wegen, die ich als Kind gegangen war, wenn ich den geraden Weg nicht ertrug.


Gib den ersten Begriff ein: klon sith jedi
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