Die Ukraine befindet sich in einer sehr schwierigen Lage: Ihr Territorium wird von drei Seiten aus angegriffen und zudem nutzen die russische Streitkräfte bewährte sowjetische Methoden, indem Fallschirmjäger einen zentralen Flughafen bei Kiew unter ihre Kontrolle gebracht haben (wie 1968 in der Tschechoslowakei und 1979 in Afghanistan). In der Luft und zur See sind die russischen Streitkräfte haushoch, auf dem Land zumindest deutlich überlegen - insbesondere was schwere Waffensysteme wie Marschflugkörper, Kampfflugzeuge, Drohnen, Kampfhubschrauber und Artillerie angeht. Die Angreifer können zudem schwerpunktmäßig ihre Aktionen konzentrieren, sind stellenweise zahlenmäßig überlegen und profitieren davon, dass ihre Einheiten seit geraumer Zeit in Kampfbereitschaft sind, während die Ukraine lange (und vergeblich) mit der Mobilisierung gewartet hat, um der Gegenseite keinen "Vorwand" zu liefern.
Es zeigt sich, wozu eine moderne, gut organisierte, kampferfahren, mit starken Reserven ausgestattete und von ihrer politischen Führung entschlossen (oder auch skrupellos) genutzte Armee in der Lage ist, und wie sehr die russischen Streitkräfte sich seit dem Krieg gegen Georgien 2008 weiter entwickelt haben. Russland lässt sich diese Schlagkraft auch stolze 4,3 % seiner Wirtschaftsleistung kosten. Zum Vergleich: Würde die Bundesrepublik Deutschland gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung so viel Geld ausgeben, würde der Rüstungsetat nicht wie aktuell ca. 50 Milliarden Euro betragen, sondern 150 Milliarden Euro - das dreifache. Ähnlich sehen die Zahlen beim Personal aus: Das wäre eine Steigerung von ca. 200.00 auf ca. 600.000. Hinzu kommt das nukleare Arsenal, das einen Angriff auf die Russische Föderation schlicht und ergreifend nahezu unmöglich macht. Angesichts des in diesem Threads schon mehrfach erwähnten kümmerlichen Zustands der Streitkräfte der europäischen NATO-Staaten und einer USA, die gleichzeitig mit dem Krieg gegen den Terror und einer konventionellen Abschreckung der Russischen Föderation und der Volksrepublik China ausgelastet ist (und eigentlich sehr gerne den Fokus auf Asien legen würde), wird ein Szenario, in dem irgendjemand die Russische Föderation ernsthaft bedroht, als Lächerlichkeit enttarnt.
Der Krieg gegen die Ukraine mit allen menschlichen Folgen ist weder die Notwehr einer in die Enge getriebenen Nation noch die irrlichternde Ego-Tour eines Wahnsinnigen - er ist das Ergebnis einer nie abgeschlossenen Verklärung der Sowjetunion als Supermacht, vor der die Welt zitterte, großrussischem Chauvinismus und Imperialismus, Ultranationalismus, Militarismus und blanker Verachtung für den "schwachen und weichen" Westen. Sanktionen sind essentiell, werden dagegen aber wenig bewirken, denn in den Augen der russischen Führung und der Bevölkerungsteile, die ihr dank der endlosen Propaganda folgt, sind Kanonen nun mal wichtiger als Butter. Lieber riskiert man wirtschaftliche Einbußen und Armut als den Verlust "nationaler Größe". So denkt auch der ehemalige KGB-Apparatschick Putin (so viel zum Thema "Entkommunisierung") und steht damit in einer Linie mit der politischen Führung in der VR China. Diese autokratische Allianz wird immer so weit gehen, wie sie gehen kann, denn sie betrachtet ihre politischen Gegner als unfähig und unwillig, dagegen etwas zu unternehmen - und hat damit leider immer wieder wieder recht. Den Menschen, die dieser Politik zum Opfer fallen, sollte man alles Gute wünschen, und dann diesen Worten auch Taten folgen lassen.
Heute die Ukraine. Übermorgen vielleicht Estland, Litauen, Lettland, Moldau, Georgien. Danach Finnland - war ja auch mal eine russische Provinz. Folgt man Putins Geschichtsdeutung, ist auch Skandinavien "urrussisches Gebiet". Polen...na, mit ein bisschen "guten Willen" geht das sicher auch. Darauf läuft schlussendlich nämlich die ganze verlogene Behauptung um die NATO-Osterweiterung hinaus: Diese Staaten wehrlos und für die Wiedereingliederung in ein neues großrussisches Reich gefügig zu machen. In den 1990- und frühen 2000er-Jahren fehlten dafür noch die politischen und militärischen Mittel, war die Entschlossenheit der Gegenseite noch groß genug, also tat man in Moskau so, als würden die Verträge, die man unterzeichnete, etwas bedeuten. Diese Maske ist jetzt gefallen.
Das Thema Taiwan wurde hier ebenfalls schon genannt. Es bleibt nur zu hoffen, dass man in der VR China nicht ebenfalls auf die Idee kommt, die eklatante politische und militärische Schwäche ausnutzen, die sich der Westen ohne Not in diesen Fragen erlaubt. Aber hoffen allein ist keine Strategie und damit auch keine Lösung.