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Die Zunge des Monsters

Ian mit 8 Jahren


Ian hatte die Hose und die darunter heimlich ausgewaschen, das einzige Problem bestand darin, sie so zum Trocknen aufzuhängen, dass sie niemand sah. Dabei hatte er sich doch geschworen, diese Nacht auf keinen, auf überhaupt keinen Fall ‚undicht‘ zu werden. Das Wort hatte sich der Junge selbst ausgesucht, denn das, was sein Vater benutzte,  klang viel zu brutal. Ja, ja, es stimmte ja, aber sich ‚bepissen‘ und all das, was Jerome Dice nutze, um es zu beschreiben… Irgendwie tat es weh. Ian wusste doch selbst, dass er längst nicht mehr in dem Alter war, in dem man zu spät auf die Toilette ging. Tagsüber passierte das auch nicht, nur manchmal nachts und Ian wusste nicht, wie er das verhindern sollte. Seine Brüder konnte er nicht fragen und auch sonst gab es da niemanden. Vielleicht konnte der Junge seineTräume steuern, aber seine Blase? Nicht, wenn er schlief und dabei hatte er längst alles versucht. Sich den Wecker gestellt, sich Zeitung unter den Popo gelegt, ja sogar eine Mülltüte. Aber wirklich geholfen? Hatte nichts. Aber heute hatte ihn niemand erwischt und die Zeitung hatte verhindert, dass Laken und Matratze ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Dabei wäre ein neuer Fleck auf der Matratze sicher nicht aufgefallen, da waren schon so viele… Einmal hatte Ian sie gezählt und versucht, in den Mustern der dunklen Ringe etwas zu erkennen, sich eine Geschichte dazu überlegt und ihm war sogar etwas eingefallen. Eigentlich war das keine schöne Geschichte, aber sie hatte ihn getröstet. Tatsächlich sahen zwei der größten Flecken, die ein bisschen ineinander übergingen so aus, als wären sie zwei Wesen, die sich umarmten. Zwei Wesen, die sich lieb hatten. Eines davon hatte er Pepone genannt. Ein bisschen klang es ja nach dem Namen seines Vaters, Jerome, aber das war nur ein Zufall gewesen. Ein ganz zufälliger Zufall! Matatze... Das war das perfekte Versteck! Er musste nur die Kleidung unter die Matratze legen und niemand würde sie finden. Am Ende würde der Druck dafür sorgen, dass alles schneller trocknete und zur Sicherheit konnte er ja etwas unter die Matratze und die Kleidung legen, damit auch wirklich nichts passierte. 

Mühsam hievte Ian die viel zu große, schwere Matratze in die Höhe und legte die Kleidungsstücke darunter, bedeckte sie mit Zeitung und ließ das Schlafuntensil wieder vorsichtig sinken. 


 Erleichtert atmete der Junge aus, als er sich auf das Bett sinken ließ. Das wäre geschafft! Bis heute Abend war bestimmt alles trocken und dann konnte es keinen Ärger geben. Vielleicht wäre ja auch so gar niemandem aufgefallen, wenn er in der Nacht etwas anderes trug. Schließlich kamen weder Papa noch Mama abends zu ihm, um ihm etwas vorzulesen, aber bei so vielen Brüdern war das auch kein Wunder. Wenn er selbst mal Kinder haben würde, würden sie einfach ein ganz großes Bett bekommen, in dem sie alle schlafen konnten und dann war es auch nicht mehr so schwer, acht Kindern etwas vorzulesen. Wobei es vielleicht auch gar nicht klug war, gleich acht Kinder zu haben, denn sie mussten ja nicht nur am Abend Aufmerksamkeit bekommen und das war, das erkannte Ian ja selbst, wirklich nicht so einfach. Am Ende hatte auch er einen Sohn, der so war, wie er selbst und spätestens das, na ja. Spätestens das war doch ein Grund mehr, wenn überhaupt, dann nur sieben Söhne zu haben. Denn Jerome verlor ja nur bei ihm die Geduld. 

 „Hast du die Zeitung von unserem Alten gesehen?“ Ian zuckte zusammen, als Gordon plötzlich in seinem Zimmer auftauchte und schüttelte dann, schnell den Kopf. „Also ich verpiss mich und ich rate dir, tu das auch.“ Gordon machte auf dem Absatz kehrt und hinterließ Ian beinahe ein bisschen verwirrt zurück. Wenn Gordon ihn warnte… Überhaupt, dass er das tat, dann war es wohl wirklich besser, sich zu beeilen und genau das tat Ian auch, doch gerade, als er die Türe nach draußen erreichte, erreichte ihn die wütende Stimme seines Vater. „Wo ist meine Zeitung?“ Er war betrunken und wenn er schon so früh betrunken war, war das allgemein kein gutes Zeichen. Ian öffnete leise die Türe nach draußen, aber da war es schon zu spät. „Wo willst du hin?“ Erneut zuckte Ian zusammen und überlegte fieberhaft nach einer Antwort, beeilte sich ein „Ich... helfe dir suchen“, zu stammeln. „Ich bin sicher, dass der da sie geklaut hat.“ Nigel. Ian sah herüber zu seinem anderen Bruder, der ein gemeines Grinsen im Gesicht hatte und Ians Herz begann schneller zu schlagen. Warum sagte Nigel das? Warum konnte er sich nicht einfach für ihn einsetzen? Warum? Aber da war keine Antwort… Da war nur sein Dad, der immer wütender wurde und da war Nigel, der doch nur darauf wartete, dass Dad wieder ausholte. „Was soll das heißen?“; donnerte Jerome und Ian zuckte zusammen, wich einen Schritt zurück, stieß gegen den Türknauf. Nigel grinste, bis sein Gesicht ernst wurde. „Ich weiß, dass Ian sie hat. Und auch, wo er sie versteckt.“ Ian starrte seinen Bruder an, genau wie Jerome, der schlussendlich die Hand hob und sie in Ians Schulter bohrte. „Du zeigst mir sofort, wo sie ist.“ Damit drängte Jerome Ian unsanft zu dessen Zimmer, stieß die Türe auf und gab ihm einen Stoß in jenes. „Wo hast du sie versteckt?“ Aber er hatte sie doch gar nicht! Die einzige Zeitung, die er hatte war die, unter seiner Matratze und diese Zeitung hatte er aus dem Altpapier genommen. „Ich…hab sie nicht,“ stotterte Ian leise, wünschte, hoffte, dass Papa ihm endlich glauben würde. Er konnte ihm doch nichts geben, was er nicht besaß. Er konnte nicht. Er klaute doch keine Zeitung. Nein, er klaute nie etwas. Aber Papa machte sich schon an seinem Gürtel zu schaffen, kam bedrohlich näher und roch ganz schlimm. Und immer wenn dieser Geruch da war, war Papa nicht er selbst. Deswegen hatte Ian schon gesagt, dass Alkohol so etwas wie ein böses Monster war. Wenn man ihn trank, war das Monster in einem… und es dauerte, bis es wieder aus einem hinaus war. „Der lügt,“ kam es von hinten, als Nigel sich demonstrativ in den Türrahmen gestellt hatte. „Der hat sie und ich weiß genau wo. Ich hab gesehen, wie der sie genommen und wohin der sie versteckt hat.“ Wieder ging Ians Blick zu Nigel, diesmal voller Entsetzen. Nigel hatte das gemacht. Die Zeitung genommen und auf den Müll gelegt. Und wenn Nigel das war, dann wusste er auch, was Ian mit der Zeitung gemacht hatte… Er schluckte schwer, als seine Schultern nach unten sackten. Jetzt konnte er doch nichts mehr sagen, denn Nigel beschuldigen? Das würde Papa nie glauben und vielleicht… wenn er die Zeitung jetzt hervorholte und sie zeigte, wenn er sich jetzt entschuldigte, vielleicht besänftigte das das Monster?


Nein, tut es nicht, kam da eine Stimme. Nein, tut es nicht, weißt du auch genau. Wie gerne hätte Ian dieser Stimme den Mund verboten, aber sie hatte ja recht. Das Monster konnte er nicht besänftigen. Nur Monster in seinen Märchen. Aber das hier, das war kein Märchen und er war nicht der Erzähler.

Jeden inneren Kampf aufgegeben, lief Ian zur Matratze, bekam diese kaum hoch und da lag sie, die Zeitung, die sein Vater gesucht hatte. Bloß kam Ian gar nicht dazu, noch irgendwas anderes zu tun. Die Matratze rutschte ihm aus den Händen, als der Gürtel ihn das erste Mal traf. Die Zunge des Monsters.


Gib den zweiten Namen ein: kenobi anakin vader
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