[Outer Rim | Teth-System | Weltraum | Klasse-VI-Frachter Sunburst | Cockpit] Mandiny Priss und Crew; Kruluk im Maschinenraum
Es war nicht das erste Mal, dass die Sunburst es mit Piraten zu tun bekam, und solche Begegnungen waren nie erfreulich und meist gefährlich. Doch noch nie hatte sie so in der Klemme gesteckt wie dieses Mal. Mandiny Priss mangelte es zwar nicht an Mut, dennoch gehörte sie nicht zu dem Schlag von Raumfahrern, die süchtig danach waren, ständig aufs Neue das Schicksal herauszufordern. Sie hielt sich (meistens) an die Gesetzte und hatte bisher alles getan, um nicht vor einem Sternenzerstörer mit feuernden Turbolasern flüchten zu müssen. Doch offensichtlich waren diese Bemühungen vergeblich gewesen. Ein Gefühl der Machtlosigkeit drohte sich in ihr breit zu machen. Doch bisher kämpfte die grau gefiederte Mrlssi erfolgreich gegen den Drang an, ihre Niederlage als unausweichlich anzuerkennen und sich in ihr Schicksal zu ergeben. Noch sah sie zumindest eine kleine Chance, sich selbst, ihr Schiff, die Crew und auch ihre Fracht aus dieser Sache hinaus zu bekommen, also wollte sie nichts unversucht lassen.
Auch die Navigatorin Tiri schien sich von den Ereignissen nicht beeindrucken zu lassen. Die feuchte Haut der Shawda Ubb glänzte nicht mehr als sonst und hatte auch den gewöhnlichen, sattgrünen Farbton. Allerdings stand es nicht besonders gut um Glorax, wie es schien. Der Gotal hatte früher schon einschlägige Erfahrungen mit dem Imperium gemacht. Zwar glaubte Mandiny nicht, dass dieser Sternenzerstörer unter imperialer Flagge fuhr; ein solch heimtückischer Piratenüberfall passte nicht in ihr Bild dieser starken, selbstbewussten Nation. Dennoch schien allein der Anblick des Kriegsschiffes, das von vorne betrachtet die Form einer flachen Raute hatte, Angstzustände bei ihm auszulösen. Seine Hände zitterten und er atmete schwer, während er versuchte, seinen Aufgaben nachzukommen. Doch die Mrlssi verbuchte ihn bereits als Ausfall und fragte sich, um wieviel die Chancen sanken, wenn sie den Fluchtversuch ohne Copiloten versuchte. Sie kam zu dem Schluss, dass Glorax ersetzt werden musste. Zum Glück hatte sie dafür gesorgt, dass jeder an Bord zur Not den Frachter steuern konnte. Sobald sie einen Finger frei hatte, um die Sprechtaste zu betätigen, rief sie über Intecom:
»Chuck, komm ins Cockpit. Wir brauchen dich hier.«
Ihre Aufmerksamkeit galt sofort wieder den Instrumenten und dem Versuch, durch träge Ausweichmanöver den Lasersalven des feindlichen Schiffes zu entgehen, während bereits ein Traktorstrahl an der Sunburst zerrte, gegen die Maschinen nur durch größte Mühe am Rand des roten Bereichs ankämpfen konnten. So bemerkte sie erst gar nicht, dass keine Antwort gegeben wurde. Doch der Mensch kam nicht.
»Chuck? Alles in Ordnung?«
Nun machte Mandiny sich ernsthafte Sorgen. Sie schaute auf die zahlreichen Displays und sah, dass im Bereich des Frachtraums, wo der Mensch sich zuletzt aufgehalten hatte, die Schilde ausgefallen waren. Vielleicht war es dort zu Schäden gekommen - vielleicht sogar zu einem Hüllenbruch? Nein, den Druckverlust hätten sie bemerkt. Dennoch konnte Chuck verletzt oder im schlimmsten Fall sogar tot sein. Jedenfalls war es nicht seine Art, sie hier vorne im Stich zu lassen. Irgend etwas war also nicht in Ordnung.
Schweren Herzens rang sich Mandiny zu einer Entscheidung durch. Sie wusste, dass sie ihrer aller Chancen, aus dieser Lage zu entkommen, weiterhin verschlechterte, indem sie nun auch noch auf ihre Navigatorin verzichtete. Aber es gehörte nicht zum guten Ton an Bord der Sunburst, ein Crewmitglied in Not sich selbst zu überlassen. Daher wandte sie sich zu der Shawda Ubb:
»Tiri, geh nach hinten und sieh nach ihm! Wir kommen hier schon zurecht.«
Die gelben Amphibienaugen richteten sich besorgt auf die Mrlssi, doch dann glitt Tirillowichoikolorupp aus ihrem Sessel und eilte halb laufend, halb hüpfend aus dem Cockpit. Es hätte drollig ausgesehen, wenn die Situation nicht so ernst wäre.
***
Die Sunburst war ein ziemlich großes Schiff und die Korridore zudem recht weitläufig. Nun, unter ernsthaftem Zeitdruck, kam der Weg ihr unendlich vor. Die Erschütterungen der Treffer und einiger abrupter Flugmanöver hatten für einiges Chaos gesorgt: Was nicht befestigt gewesen war, lag wild in der Gegend herum, manche Dinge hatten sich sogar von den Wänden gerissen. Zum Glück war ihre Spezies weit geschickter und beweglicher, als es die kugelrunden Bäuche über dünnen Beinen vermuten ließen, so dass sie alle Hindernisse ohne großen Zeitverlust überwand. Eine wirklich unschöne und bei allen Raumfahrern extrem gefürchtete Sinneswahrnehmung trieb sie zu weiterer Eile an: Es roch intensiv nach Rauch. Irgendwo an Bord brannte oder schwelte es. In Kombination damit, dass sie den Kontakt zu Chuck verloren hatten, fürchtete sie das Schlimmste.
Schon kurze Zeit später erreichte sie den Frachtraum. Doch hier hatte das Chaos eine ganz eigene Qualität. Sofort erriet Tiri, dass die künstliche Schwerkraft für eine Weile ausgefallen sein musste, auch wenn sie im Cockpit nichts davon mitbekommen hatten. Kein Frachtcontainer stand mehr dort, wo er zuvor gewesen war. Viele von ihnen waren, offenbar durch heftige Schläge, aufgeplatzt oder die Deckel waren abgesprungen. Die wertvolle Fracht aus Nüssen und Wurzeln lag verstreut. Und der Boden war knöcheltief mit Wasser bedeckt. Sofort glitt ihr Blick mit einer bösen Vorahnung zu dem Wasserbassin, das seinen Platz in einer Ecke des Frachtraumes hatte. Eigentlich diente es ihren persönlichen Bedürfnissen, denn ihre Amphibienhaut konnte Wasser nicht speichern und Austrocknungserscheinungen konnten leicht zum Tode führen. Doch nachdem sie einen blinden Passagier aufgegriffen hatten, der einer wasserbewohnenden Spezies angehörte, hatten sie den Tank zu einer Zelle umfunktioniert. Doch jetzt war er leer. Nicht nur der Quarren (von dem sie geglaubt hatten, dass er mindestens für 24 Stunden betäubt sein würde) war verschwunden, sondern auch das Wasser war durch einen Riss ausgetreten.
Sie griff gerade nach ihrem Komlink, um Mandiny zu informieren, als plötzlich ihr Blick auf Chuck fiel. Der dickliche Mensch lag inmitten des Chaos, halb verschüttet unter Nüssen, und regte sich nicht. Mit einem mächtigen Satz sprang die Shawda Ubb zu ihm und wühlte ihn aus dem Haufen heraus. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als sie feststellte, dass er noch lebte. Aber er war offenbar schwer verletzt und nicht ansprechbar. Wieder griff sie nach dem Sprechfunkgerät. Doch bevor sie etwas sagen konnte, drangen merkwürdige Laute aus den Lautsprechern:
»Cal'da le Ilo cal'dreen! Cal'da le Ilo cal'dreen!«
»Was zum Teufel war das?« fragte Mandinys hektische Stimme.
»Unser Gast«, antwortete Tirillowichoikolorupp. »Er ist entkommen. Und Chuck ist schwer verletzt... er braucht dringend medizinische Versorgung!«
Leider hatten sie niemanden an Bord, der eine medizinische Ausbildung genossen hatte. Sie alle wussten: Wenn Chuck wirklich ärztliche Betreuung benötigte, konnte ihm auf der Sunburst nicht geholfen werden. Auch Tiri wusste, dass sie nichts für ihn tun konnte. Nur mit Mühe und einem überaus schlechten Gewissen gelang es ihr, sich von ihm abzuwenden. Irgendwo dort draußen war ein Quarren unterwegs, der vielleicht an Chucks schlechtem Gesundheitszustand schuld war. Der vielleicht sogar mit dem Piratenüberfall zu tun hatte. Und vielleicht mit dem Feuer.
Verdammt, ja, das Feuer! Es brannte nach wie vor irgendwo an Bord! Das war Tiris wichtigste Aufgabe im Moment: Herauszufinden, was brannte und den kostbaren Sauerstoff ihrer Luft durch giftige Gase ersetzte. Da es nicht der Frachtraum war, wie sie zunächst befürchtet hatte, musste das Problem woanders liegen. Draußen auf dem Korridor orientierte sie sich größtenteils nach ihrem Geruchssinn und ließ sich so zum Maschinenraum leiten. Feuer in der Maschinensektion - ein wahrer Horror. Entschlossen lief sie hinein - und prallte zurück, als sie vor sich den Quarren sah. Doch er schien sie noch gar nicht bemerkt zu haben. Mit dem Feuerlöscher versuchte er, einen Brand zu löschen. Doch diese Bemühung war ziemlich aussichtslos: Die gewaltigen Energiemengen der Ionenantriebe selbst fachten Glut und Flammen immer wieder an. Es hatte ganz und gar nicht den Anschein, dass der blinde Passagier etwas mit dieser Lage zu tun hatte. Im Gegenteil, er schien alles in seiner Macht stehende zu tun, um die Katastrophe einzudämmen. Nun hatte die Shawda Ubb auch eine Ahnung, was seine Worte zu bedeuten hatten.
»Mandiny, der Maschinenraum brennt! Schalte den Antrieb aus - sofort!« rief sie in ihr Funkgerät.
Dann lief sie hinaus in den Korridor und kam nach Sekunden mit zwei weiteren Feuerlöschern wieder. Nur eine gefährlich hohe Dosis an Adrenalin ermöglichte es ihr, die Kräfte zu mobilisieren, die dazu nötig waren: Die beiden Druckbehälter waren so groß wie sie. Einen stieß sie dem Quarren hin, den anderen richtete sie auf die brennenden Maschinenteile. Während sie die Ladung aus brandhemmendem Pulver und Gas auf das Feuer entlud, ließ das hektische Brummen der überlasteten Maschinen nach und die Elektroflammen erloschen nacheinander. Halb ohnmächtig vom dichten Qualm, beobachtete Tiri erleichtert, dass ihre Bemühungen Erfolg hatten.
Doch ohne den Ionenantrieb hatten sie keine Chance mehr, zu entkommen. Die grünhäutige Navigatorin bemerkte einen Ruck, der durch das Schiff ging, als seine Beschleunigung sich umkehrte.
»Sie haben uns«, meldete die Mrlssi mit resignierter Stimme. »Der Traktorstrahl zieht uns heran. Bereitet euch darauf vor, dass wir demnächst geentert werden. Tiri, ist bei dir alles in Ordnung?«
Der Blick der Shawda Ubb richteten sich auf den Quarren, der ebenso wie sie hustete, mit Ruß beschmiert war und sich schwarze Tränen aus dem Gesicht wischte.
»Ich denke schon«, antwortete sie.
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