Als erstes und damit schonmal was zum Lesen da ist, würde ich hier die Kurzgeschichte "Biaron" posten, die ich in enger Zusammenarbeit mit [USER=14618]@Conquistador[/USER] geschrieben habe... die heldenhafte Figur Biaron ist seine Erfindung, ich wollte sie für dieses Experiment in ein anderes Licht als gewohnt stellen.
[spoiler=Biaron]Wir laben uns an den in der Morgenkälte dampfenden Eingeweiden eines frisch gerissenen Schafes. Das Jungtier aus seinem Bauch hat sich bereits die Nestmutter einverleibt. Zart und glitschig. Nie würde sie mit jemanden teilen. Dünn und wehrlos. Unseren Schnäbeln und Zähnen nicht gewachsen.
Blut befleckt die Mäuler meiner Geschwister und wir krächzen Sonne entgegen, dass es uns gut geht.
***
Ich segle über das weite Land, das unser großes und wunderbares Nest umgibt. Unter mir die trockenen Höhen, auf denen die Schafe der Erdengänger leben, die mit ihren dünnen Stöcken und schwachen Fingern nach uns schlagen, verzweifelt in ihrer hässlichen Sprache rufen.
Doch heute ist keiner von ihnen zu sehen und auch keines ihrer Schafe und so fliege ich weiter, bis ich den Rauch ihrer Steinnester sehe.
Schon bald sieht mich einer stolz am Himmel schweben und die irritierenden Rufe beginnen. Sie laufen. Holen Stöcke.
Ihre zahmen Wölfe beginnen zu bellen, doch was sollen sie mir tun? Sie können nicht fliegen. Nicht so hoch springen.
Einer der Stöcke der Erdengänger kommt mir entgegen, fällt aber schon nach der Hälfte des Weges wieder zu Boden.
Ich krächze amüsiert und lasse Sonne wissen, dass ich ihren Humor verstanden habe.
Ein neuer Name für die Erdengänger kommt mir in den Sinn: Kriecher.
Ich muss dies meinen Geschwistern mitteilen. Das Nest wird krächzen. Kriecher...
Ich kehre um. Die anderen werden mit mir zu den Steinnestern kommen. Ich werde ihnen erzählen, dass es heute leichte Beute zu schlagen gibt. Ich werde von den dünnen Stöcken und saftigen Schafen erzählen. Von den Küken der Kriecher und ihrem zarten Fleisch. Der köstlichen Füllung ihrer Knochen.
Die Laute verklingen hinter mir und ich spüre den Wind in meinen Federn. Meinem Gesicht.
Ich bin frei.
***
Wir krächzen und strecken unsere blutigen Schnäbel zu Sonne, damit sie von unserem Festmahl weiß. Gleich zwei Küken der Kriecher konnten wir mit unseren Krallen packen. Nach meinem Flug rechneten sie nicht mehr damit, dass ich heute zurückkehren werde. Mit meinen Geschwistern.
Zwei Küken. Zart und fleischig. Nicht mit einem schönen Flaum wie unsere Küken. Nackt. Köstlich. Saftig.
Wir füllen unsere Mägen. Verschlingen Fleisch und Knochen. Laben uns an den Kriechern und wir wissen, dass sie neue Küken bekommen werden. Wie immer. Und wenn wir keine Schafe mehr essen wollen, werden wir wieder die kleinen Kriecher jagen. Wie heute.
Was für guter Tag. Das Nest ist mächtig.
***
Rufe vom Rand des Nestes. Die Erdengänger stehen von unseren Mauern aus Ästen und Knochen und sie haben Feuer mitgebracht. Ein großes Männchen steht vor ihnen und er hat einen Stock aus kaltem Mondlicht.
Meine Geschwister haben sich hoch oben an der Mauer verschanzt und kreischen den Erdengängern warnend entgegen. Zu den Füssen des großen Männchens liegt eine meiner erschlagenen Schwestern. Ihr Kopf ist vom Hals getrennt und nur noch selten geht ein Zucken durch ihren Körper.
Das Männchen deutet mit seinem Mondstock auf uns und brüllt uns entgegen und die Erdengänger hinter ihm rufen immer und immer wieder ein Wort, das sich in unseren Gedanken einbrennt.
"Biaron"
Er antwortet ihrem Ruf und einer der brennenden Stöcke trifft die Nestmauer. Flammen und Rauch schlagen uns entgegen. Zorn und Verzweiflung mischt sich in die unzähligen Stimmen unseres Nestes und einige meiner Geschwister erheben sich schön und anmutig in die Lüfte.
Dann treffen die dünnen Stöcke die Körper meiner armen Geschwister und tot fallen sie in das Feuer, das unter ihnen tobt und sich dem Gelege nähert. Federn sind an die Stöcke gebunden worden und so können sie weiter fliegen und uns fangen, unser Leben beenden.
Dutzende sterben, während ich panisch zu unseren Küken springe und sie zu beruhigen versuche.
Als ich aufblicke, sehe ich das große Männchen und seine Begleiter, wie sie aus dem Rauch über den Rand der Nestmauer klettern. Nicht wie die Erdengänger aus den Steinnestern. Geschickt und gefährlich.
Ich flattere zurück und spüre einen scharfen Schmerz, als mich ein gefiederter Stock trifft und mein Bein durchbohrt. Flammen und Schmerz. Wut und Furcht. Alles verschwimmt, als ein weiteres Männchen der Erdengänger mit einem gebogenen, langen Stock auf mich zielt.
Ich schlage mit meinen Flügeln und schnuppere nach dem Duft des Kükens, welches aus dem von mir gelegten Ei gekrochen war. Es sitzt Angst erfüllt schreiend zwischen den anderen und öffnet gerade in diesem Moment zum ersten mal seine Augen. Ein schweres Gefühl breitet sich in meiner Kehle und meiner Brust aus und ich greife mit meinem gesunden Fuß nach dem Küken, spüre seine zerbrechliche Form zwischen meinen Krallen.
Der Stock schnellt an mir vorbei und ich schlage kräftiger mit meinen Schwingen. Der Rauch wirbelt über den heißen Flammen und der große Männchen schlägt mit dem Mondstock zwei meiner Geschwister die Köpfe ab, während sich die Nestmutter auf drei der anderen Erdengänger stürzt.
Blut fließt und Kriecher schreien. Ein Auge fließt zwischen die Äste des Nestes. Dann fällt der tote Körper der Nestmutter zwischen die Küken.
Ich fliege schneller und schneller und sehe nicht mehr zurück.
***
Ich sitze auf einem Stein und blicke ins Tal. Neben mir liegt mein totes Küken. Seine Augen sind halb geschlossen und sein Flaum ist mit den letzten Flüssigkeiten verklebt, das es von sich gab. Der Stock in meinem Bein schmerzt aber die Schmerzen machen mir nichts. In meinen Gedanken bin ich im Nest. Im Feuer. Bei meinen Geschwistern.
Sie haben uns vertrieben und soweit ich weiß, fliege nur noch ich zwischen den Wolken. Sonne wird mein Nest nicht wieder sehen.
Ich berühre den Stock in meinem Bein mit meinem Schnabel und der Schmerz wird schlimmer. Weißer Schleim mischt sich zu dem Blut, das zwischen meinen Zehen auf den Stein läuft. Ich fühle, wie die Schwäche in meinen Knochen stärker wird und gegen meine Gedanken kämpft.
Kurz schließe ich die Augen, dann nehme ich das Küken vorsichtig mit meinen Zähnen hoch. Ich versuche es ganz zu verschlingen. Jeden Tropfen seiner Kraft in mir aufzunehmen. Wenn ich Glück habe, finde ich ein anderes Nest.
Lebe solange, um andere vor den fliegenden Stöcken zu warnen. Die Nacht umschließt mich langsam und die Kälte der Sterne schließt mich ein.
...diese Geschichte wird seit Generationen in einigen Harpyien Nestern der Donnerhöhen erzählt und weitergetragen. Biaron aus dem Lande Moschg hat seither noch viele Nester dieser Wesen zerstört. Sein Name wird in den Legenden dieses Volkes noch lange überdauern. [/spoiler]