Die Diskussion scheint sich inzwischen beruhigt zu haben, so dass ich fast ein schlechtes Gewissen habe, nochmal einzusteigen. Allerdings bin ich in einigen Fällen direkt angesprochen worden, zum anderen sind auch ein Reihe von Vorurteilen über die (Rechts-)Praxis in Deutschland unterwegs, so dass ich doch noch auf einiges eingehen möchte.
corvus albus schrieb:
Sorry, aber stimmt so nicht ganz:
zu 2.: rechtswidrige Abtreibung ist strafbar! Zwar ist die Schwangere davon meistens nicht betroffen, der Arzt aber sehr wohl.
(...)
Für rechtswidrige Abtreibung übernimmt die gesetzliche Krankenkasse KEINE Kosten!
zu 3. Es muss in jedem Fall vorher eine Beratung durch den Arzt geben, ansonsten gilt jede Abtreibung als rechtswidrig. Zudem muss entweder eine Schwangerschaftskonfliktberatung stattgefunden haben oder aber der Arzt hat auf schwerwiegende psychische oder physische Schäden der Schwangern erkannt, wobei "die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann". Ein Schwangerschaftsabbruch nach einer Vergewaltigung ist bis zur 12. Woche erlaubt. Außerdem kann von der Strafe einer Abtreibung bis zur 22. Woche abgesehen werden, wenn eine Schwangerschaftskonfliktberatung stattgefunden hat und sich die Schwangere zur Zeit des Abbruchs "in besonderer Bedrängnis" befunden hat.
Ganz so einfach ist das ganze also doch nicht. (nachzulesen im StGB §§ 218 bis 219b und SGB V § 24bv
Du hast mit deinem letzten Satz recht: Man kann das alles im StGB nachlesen, aber inhaltlich hast du dich leider weitgehend vertan. Seit der Neuregelung von 1995 ist die Rechtslage jedenfalls exakt so, wie ich sie aufgeführt habe:
- Der Arzt ist bei einem beratenen Abbruch nicht strafbar (§218a Absatz 1 schließt den Tatbestand der Abtreibung aus ? da steht nirgendwo, dass das nur die Frau beträfe);
- bei Vorliegen einer Indikation ist die Abtreibung rechtmäßig und eine Beratung nicht notwendig (siehe §218 a, Absätze 2 und 3 ? jeder der beiden Absätze ist unabhängig von Absatz 1 zu lesen).
Folglich gibt es bei vorliegender Indikation auch keinerlei Fristen zu beachten. Es gibt meines Wissens nach dann eben keine Wartezeit von drei Tagen, wie sie nach einer Beratung vorgeschrieben ist. Das bedeutet insbesondere, dass es bei einer medizinischen Indikation wegen vermuteter Kindes-Behinderung sehr schnell gehen kann. Jedihammer hatte ein entsprechendes Problem, glaube ich.
Recht hast mit der 22 Wochen-Frist, die du anführst. Die gab es schon vor 1995, hatte aber damals wie heute so gut wie keine praktische Relevanz, da es viel zu einfach war, damals eine Notlagenindikation zu erhalten und heute eine medizinische Indikation, da der von dir zitierte Passus: "der Arzt hat auf schwerwiegende psychische oder physische Schäden der Schwangern erkannt, wobei "die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann"" ultralasch interpretiert wird ? was vom Gesetzgeber auch genau so gewollt wurde.
Recht hast du außerdem damit, dass die Krankenkasse für rechtswidrige (also lediglich nach Beratung durchgeführte) Abtreibungen formal keine Kosten übernehmen. Unser Gesetzgeber fand das aber offenbar diskriminierend. Deswegen schießen die Kassen vielfach das Geld vor und bekommen das Geld dann von Sozialamt zurück (sofern die Schwangere unter bestimmten Einkommensgrenzen liegt).
Also auch hier gilt das Prinzip, dass bei einer Abtreibung alles so rechtmäßig wie möglich aussehen soll, damit ja nicht der Eindruck entstehen könne, Abtreibung könne vom Staat nicht gewollt sein. Der Begriff der ?Rechtswidrigkeit? ist wirklich ein reines Lippenbekenntnis des Gesetzgebers zu den Forderungen des Bundesverfassungsgerichtes, die Praxis sieht so aus, dass nahezu alle Ampeln für eine Abtreibung auf Grün stehen.
Furia Lynn schrieb:
@Oski: Also das mit der rechtlich relevanten Aussage is so ne Sache. Nach gängiger Rechtsprechung beginnt das Leben erst mit den Geburtswehen. Deswegen ist auch, wenn eine Schangere verprügelt wird und sie ihr Kind verliert das Ganze nicht KV mit Todesfolge (wie zB in den USA), sondern "nu" eine schwere KV. Von daher ist meine Ansicht doch schon rechtlich relevant, vor allem wenn man bedenkt, dass §226 I Nr.2 aussagt, dasss "ein wichtiges Glied des Körpers verloren wird [...]".
Da habe ich mich unglücklich ausgedrückt. Natürlich hat die Geburt eine rechtliche Bedeutung. Was ich ausdrücken wollte war, dass die Aussage ?ich betrachte den Fötus als Teil des Körpers der Frau? eine pure Meinungsäußerung ist, die sachlich und faktisch nicht gerechtfertigt ist, und mit der man folglich keinen rechtlich relevanten Stichtag begründen sollte. Offiziell geschieht das ja auch nicht. Wie ich schon mehrfach erwähnt habe, windet sich der Gesetzgeber (und auch viele Gerichte) wie ein Aal, um den EINDRUCK zu erwecken, der Mensch vor der Geburt sei rechtlich kaum geschützt, aber gleichzeitig der Forderung des Verfassungsgerichtes Rechnung zu tragen, das deklariert hat, dass der ungeborene Mensch dem geborenen gleichsteht und ein volles Recht auf Leben hat. Was da auf rechtlicher Ebene abgeht durchbricht jegliche Rechtsdogmatik, Rechtslogik oder Konsistenz und ist schlicht und einfach pervers.
Das ist ja gerade die Krux: Das Verfassungsgericht wollte, dass Abtreibung klar als verboten gekennzeichnet wird, damit bei den Menschen deutlich rüberkommt, dass Abtreibung nicht in Ordnung ist. Der Gesetzgeber wollte das Gegenteil, durfte das aber nicht laut sagen und hat deswegen im Gesetz so rumgeeiert. Im Ergebnis hat das Verfassungsgericht diese PR-Schlacht gegen den Gesetzgeber völlig verloren, denn die meisten von euch folgern genau so, wie es das Verfassungsgericht um jeden Preis vermeiden wollte:
Abtreibung wird nicht bestraft, ALSO
ist Abtreibung erlaubt, ALSO
kann Abtreibung nicht moralisch verwerflich sein, ALSO
kann das ungeborene Kind kein Mensch sein.
Beatrice Furrer schrieb:
Käme der Sozialstaat nicht so rigoros für alleinerziehende Mütter auf, würde die Zahl der ausgesetzten oder gleich nach der Geburt getöteten Babies viel höher sein und auch die Abtreibungsdebatte müsste in einem völlig anderen Licht geführt und die rechtlichen Grundlagen für eine Abtreibung um ein Vielfaches gelockert werden.
Ich will damit nicht sagen, dass es richtig ist, dass der Staat in diesem Mass für finanziell unterversorgte Kinder aufkommt. Aber es ist notwendig. Auch, weil nicht jedes Schicksal selber verschuldet ist.
Ich befürchte, dass du das viel zu idealistisch siehst, Bea. Die bittere Wahrheit ist, dass Abtreibung für den Staat die viel, viel billigere Lösung ist als die Geburt des Kindes. Dies ist meines Erachtens nach mit ein gewichtiger Grund, warum alles getan wird, den Weg zur Abtreibung so einfach und erlaubt wie möglich erscheinen zu lassen. Natürlich wird das offiziell niemand zugeben, aber die Realität zeigt dies ziemlich deutlich.
So ist es z.B. erheblich einfacher, an staatliche Zuschüsse für die formal ?verbotene? Abtreibung zu kommen, als an Unterstützung für den Fall der Geburt: Bei Bedürftigkeit regelt die Bezahlung der Abtreibung die Krankenkasse, bei sozialen Problemen nach der Geburt wird der Schwangeren der Gang zum Sozialamt nicht erspart; bei der Abtreibung zählt zur Ermittlung der Bedürftigkeit einzig und allein das Einkommen der Schwangeren, bei sozialen Problemen nach der Geburt wird aber selbstverständlich das Einkommen des Partners mitgerechnet...
Wer sich hier also aufregt, die Allgemeinheit würde zu viel Geld ausgeben für die Unterstützung von Alleinerziehenden und bedürftigen Familien, der muss sich klarmachen, dass der Staat Abtreibungen noch viel mehr finanziell und auch gesetzlich fördert ? eben weil es langfristig die billigere Lösung ist. Dass dabei jedes Mal ein Mensch getötet wird, schert den Gesetzgeber offensichtlich nicht die Bohne.
Heftigst widersprechen möchte ich Beatrice allerdings bei der Aussage, Abtreibung müsste erleichtert werden, falls sich der Staat nicht so rigoros um die sozialen Belange der Kinder und ihrer Erziehenden kümmern würde. Die Tötung eines Menschen ist nie in Ordnung, völlig unabhängig davon, ob man bei der Bewältigung der Schwierigkeiten allein dasteht, oder ob einem die Lasten abgenommen werden. Natürlich ist jeder einzelne von uns aufgefordert, in Notfällen zu helfen, aber selbst wenn das nicht geschehen sollte, ist das deswegen doch keine moralische Legitimation für jemand anderen, einen Menschen zu töten. Was ist das denn für eine seltsame Logik? In diesem Fall gilt genau dasselbe, was ich unten noch zur Aussage von Iwanis und Padme Master schreibe.
Ganz davon abgesehen frage ich mich, was man im Bereich Abtreibung in Deutschland noch erleichtern sollte. De facto haben wir in Deutschland seit 1976 die Abtreibung nach Wunsch. Ja, man muss einige Stellen aufsuchen und sich an einige Formalia halten, aber wer eine Abtreibung will, bekommt sie ? ohne große Schwierigkeiten. Leider.
Padme Master schrieb:
Jemanden, der abtreibt, Null-Bock-Laune zu unterstellen, halte ich für verdammt gewagt.
Ich muß zu meiner Schande nämlich sagen, daß ich mehr Achtung für jenen Frauen habe, die sich gründlich besonnen haben und dann eine Abtreibung durchführen lassen, als vor jenen Frauen, die aufgrund dieser Null-Bock-Laune und Papa-Staat-zahlt- Laune ein Kind in die Welt setzen und nicht in der Lage sind, dieses Kind vernünftig aufzuziehen. Wie oft packe ich mir da an den Kopf und denke mir, wieso gerade die Kinder bekommen haben, wenn sie nicht einmal in der Lage sind, den Kindern eine vernünftige Basis zu bieten.
Verhütungsmittel können schnell mal versagen, ohne daß man sich dessen bewußt ist. Ein Kondom kann verrutschen, die Pille versagen. Alles schon dagewesen und öfter, als manch einer das wahr haben möchte. Selbst wenn man noch so vorsichtig ist, kann das passieren. Und ich finde, die Einstellung, wer poppen kann, kann auch verhüten, und wenn es schief geht, dann muß man halt das Kind zur Welt bringen. Das ist absoluter Schwachsinn, denn wenn jemand verhütet, dann sagt er aus, daß er eben kein Kind in die Welt setzen möchte. Und dafür haben diese Leute auch sehr plausible Gründe. Und die sollen sie dann plötzlich ändern, weil ein paar selbsternannte Moralapostel der Meinung sind, daß sie dann das Kind auf die Welt bringen müssen. Und die Unterstellung, daß es eine Nullbocklaune ist, die dazu führt, daß sie abtreiben lassen, finde ich verdammt arm.
Iwanis schrieb:
Trotzdem finde ich die Atreiung in manchen Fällen gerechtfertigt:
1. Wenn eine zwölfjährige schwanger wird! Ma ganz ehrlich was will ne zwölfjährige mit nem Kind?! Man ließt und hört so viele Sachen in den Medien, das Kinder die Kinder kriegen oft so unreif sind das sie ihre Babys verhungern lassen, oder verwarlosen lassen!
2. Wenn es nicht klar ist ob die Mutter die Geburt überlebt
3. Wenn das Kind eine schwere körperliche oder geißtige Behinderung trägt Es gibt genug die damitr nicht klar kommen
4. Wenn man ne richtig starke Aneigung dagegen verspürt Ich finde es nun mal besser wenn man das Kind abtreibt, als es sein ganzes Leben spüren zu lassen das man es net wollte
(...)
Ok ma an alle Abtreibungsgegner: Wie oft liest man in der Zeitung, das ein totes Baby in der Mülltone aufgefunden wird?! Eine Abtreiung hätte das alles verhindern können!
Ich habe es schon in meinem ersten Post zu diesem Thema geschrieben, aber ich wiederhole es gerne noch Mal: Der wesentliche Grund, warum ich Abtreibung ablehne ist der, dass das ungeborene Kind genauso Mensch ist, wie jemand Geborener. Ich habe das auch einigermaßen ausführlich begründet. Deswegen besteht für mich absolut kein Unterschied dazwischen, ob ein Kind abgetrieben wird, oder erst geboren wird und dann in die Mülltonne gesteckt wird. Beide Male wird ein Mensch auf ziemlich widerliche Art getötet. Durch Abtreibung wird nichts verhindert, es wird das gleiche getan, nur ein paar Wochen oder Monate früher.
Und bei all den Gründen, die hier aufgeführt werden, wann eine Abtreibung doch o.k. sein könnte, bitte ich, meinen im ersten Post angeführten Test durchzuführen: Würde dieser Grund auch ausreichen, um einen geborenen Menschen zu töten? In den Fällen 1, 3 und 4 bei Iwanis lautet die Antwort dazu eindeutig ?nein? ? hoffentlich auch bei den meisten von euch. Wenn eine Zwölfjährige ein Neugeborenes hat, ist es nicht o.k., es zu töten. Wenn ein Säugling behindert ist, ist es nicht o.k., ihn zu töten, wenn man eine Abneigung gegen sein geborenes Kind verspürt und dieses das spüren lässt, ist es nicht o.k., es zu töten.
Und zu Bea: Auch wenn eine Frau oder Familie in schwersten finanziellen Nöten steckt und ihr niemand helfen will, ist es nicht in Ordnung, geborene Kinder zu töten. (Natürlich ist es auch nicht in Ordnung, in solchen Fällen nicht zu helfen, aber das steht auf einem anderen Blatt. Ich kann nicht durch ein Unrecht ein anderes begründen.)
Und zu Padme Master: Wenn ein unerwünschtes Kind trotz allen Verhütungsversuchen entstanden ist und geboren wurde, ist es nicht o.k., dieses zu töten.
Wer Argumente wie die oben genannten vorbringt, muss klar beweisen, warum das ungeborene Kind weniger wert ist als das geborene und warum es o.k. ist, dieses zu töten, während man bei einem geborenen Menschen nicht im Traum daran denken würde.
Klar argumentiere ich dogmatisch und völlig herzlos an den Nöten der Betroffenen vorbei. Aber wenn es um das Leben geborener Menschen geht, argumentieren wir genauso ?herzlos?. Nur erscheint es uns in diesen Fällen normal. Deswegen insistiere ich immer so auf diesem einen Punkt: Das ungeborene Kind ist ein Mensch wie du und ich, und alle Menschen haben gleiche Rechte. Meine ganze Meinung zum Thema Abtreibung ist nur eine Schlussfolgerung aus diesem Grundsatz.
Sorry für den ultralangen Post. Dabei habe ich mich noch zurückgehalten
