[Carida, Akademie, medizinischer Trakt, Untersuchungsraum] - Lidia, Nereus
Ein letzter Kuss, ein letztes Mal die Wärme ihrer Nähe, die zart gehauchten Worte, dann hatte sie sich von ihm gelöst, so unsicher auf ihren Beinen wirkend wie er sich fühlte, und suchte offenkundig nach ihren Kleidungsstücken, die vergessen und vermengt mit seinen eigenen auf dem Boden verstreut lagen.
Nereus sah ins Leere. So erfüllend und atemberaubend die letzten Stunden gewesen sein mochten, so eiskalt musste sie das Leben außerhalb der kleinen Blase, in der sie sich verkrochen hatten, sie nun zurückfordern. Eingezwängt in Uniformen und Konventionen, einander nah, aber unerreichbar. Doch er wusste, dass ihm niemand die Erinnerungen daran nehmen konnte, was hier zwischen ihnen passiert war. Nichts würde so sein, wie zuvor?
Schließlich klaubte er selbst seine Admiralsuniform vom Boden, die perfekt polierten Stiefel, der schmucklose Gürtel mit dem matt glänzenden Holster und der Blasterpistole, die Ranginsignien eines imperialen Hochadmirals, die Abzeichen des Oberbefehlshabers? es war, als baute er mit jedem Stück, das er wieder anlegte, einen weiteren Teil der unsichtbaren Mauer auf, die sich in jenen offiziellen Stunden, die auf sie warteten, zwischen ihnen befinden würde. Unsichtbar und durchsichtig, doch kaum zu durchdringen ? und selbst wenn, dann nur unter erheblichem Risiko. Denn da waren nicht nur seine Untergebenen, da war immer noch Lidias unerkannter Auftraggeber, ohne den dieses Zusammentreffen so nie zustande gekommen wäre. Nereus lächelte schwach. Eigentlich musste er ihm dafür dankbar sein? für das schönste Geschenk, das ein Mensch in dieser Galaxis bekommen konnte. Und doch würde die Gewissheit, dass dort draußen jemand wartete und beobachtete, wie ein Schatten über jeder Minute liegen, die sie in Gegenwart dritter zusammen waren. War es überhaupt möglich, das alles lange geheim zu halten? Wann würde das Verlangen zu übermächtig, die Sehnsucht so verzehrend werden, dass sie ihn oder sie alle Vorsicht vergessen ließ? Seine Stellung und sein Einfluss mochten sie decken können, doch Nereus war bereits einmal aus den luftigen Höhen eines Admiralsranges auf den Boden der Tatsachen zurück geholt worden, um triste Wochen auf Kessel zu fristen. Seltsamerweise hatte diese Erinnerung einiges an ihrem Schrecken verloren ? denn sie war es wert. Sie war alles wert. Selbst den Verlust seines Ranges, seiner Würde, seiner Stellung.
Unbewusst überprüfte er den korrekten Sitz seiner Rangzylinder, die seine Uniform als letztes Detail vervollständigten, und trat zu ihr, nachdem sie ebenfalls alles wieder an seinen ursprünglichen Platz gerückt hatte. Nur am immer noch leicht zerzausten Zustand ihrer Haare war die Leidenschaft immer noch ein wenig abzulesen, die sie gepackt und auf jene atemberaubende Reise geführt hatte.
?Nein, Lidia??, sagte er leise und streichelte vorsichtig ihre Wange. Er hatte das verräterische Glitzern in ihren Augen gesehen und wusste, dass sie sich ähnlich fühlen musste wie er selbst.
?Es endet hiermit nicht? es fängt erst an.?
Er schloss sie in seine Arme und küsste sie vorsichtig auf die Stirn, hielt sie einen Moment fest, bevor er sie schließlich widerstrebend losließ, doch mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Nein, dies war nicht das Ende?
?Ich werde immer bei dir sein? und du bei mir.?
Dann gab er sich einen letzten Ruck ? er wusste, dass er diesen Bereich jetzt verlassen musste. Alleine. Hier auf Carida waren überall Augen?
Es war ihm, als blieb ein Teil ? der wirklich bedeutende Teil ? seiner selbst zurück, als seine Beine ihn aus der Tür, durch die große Halle und wieder in den unterirdischen Korridor führten, wo es ihm gelang, seine Körperhaltung zu straffen und sich so zu bewegen, wie die Soldaten des Imperiums es von ihrem Oberbefehlshaber und Gebieter verlangten. Seine Schritte hallten dumpf durch den gang, doch die Gewissheit, dass jeder dieser Schritte ihn weiter von ihr fort trug, ließ sein Herz schwerer und schwerer werden. Nur die Aussicht auf ein baldiges Wiedersehen vermochte es, diese Schwermut zu lindern.
Eine Überraschung erwartete ihn, als er das Akademiegebäude am oberirdischen Ausgang wieder verließ. Den Offizier, der dort stand, hätte er zahlreiche Kilometer weiter oben vermutet.
?Admiral Bolitho.? Nereus nickte dem anderen leicht zu und hoffte, dass nichts an seiner Haltung oder seinem Aussehen dem anderen merkwürdig vorkam. Bolithos Miene jedenfalls wirkte ernst.
?Hochadmiral. Ich habe Teilen der Besatzung Ihres Flaggschiffs einen kleinen Landurlaub gewährt, aber ich selbst bin hier, um Ihnen einige Informationen zu übergeben.?
Die Lippen des Admirals pressten sich zu einem Strich zusammen.
?Wie es scheint, rührt die Republik sich wieder. Und nicht nur bei Ord Biniir.?
Ord Biniir? das erinnerte Nereus daran, dass Alynn sich immer noch auf Carida befand. Gegen seinen Willen musste Nereus Lächeln. Dank Lidia hatte er sie vollkommen vergessen?
Jetzt verriet Bolithos Miene zumindest Argwohn.
?Sir??
?Ich bin über Ord Biniir im Bilde, Admiral. Jetzt zeigen Sie mir, was Sie ansonsten haben.?
Doch als Bolitho zu sprechen begann, hörte Nereus ihm nur auf einem Ohr zu?
[Carida, Akademiegelände, vor Verwaltungsgebäude]- Nereus, Admiral Bolitho