Dann will ich mich auch mal wieder einschalten.
Um das vorauszuschicken: Was mich nervt, ist die Behauptung, dass niemand darüber spricht / anerkennt, wie sehr Kinder und junge Leute unter der Pandemie leiden. Es ist doch immerzu und überall die Rede genau davon, und was man trotz ggf. erhöhter Infektionsrisiken möglich machen muss, um gegenzusteuern (KiTas/Schulen öffnen, Sport zulassen etc.).
Ansonsten habe ich aber absolut Verständnis dafür, dass die Lage für Jugendliche besonders belastend ist. Ich möchte mir das in meiner Jugend nicht vorstellen - zumal damals Ende der 80er / Anfang der 90er an die Internet- und Fernkommunikationsmöglichkeiten von heute nicht im Traum zu denken war. Der einzige Weg des Außenkontakts war das Festnetztelefon, in der Regel mit einem einzigen, schnurgebundenen Anschluss pro Haushalt und erheblichen Kosten pro Gesprächsminute.

Keine Ahnung, ob für Otto Normalverbraucher Konferenzen mit mehreren Teilnehmern möglich waren - ich schätze, eher nicht.
Exkurs: Generell können wir wirklich froh sein, dass die Pandemie erst jetzt über uns gekommen ist, denn ich wüsste nicht, wie wir das damals hätten machen sollen - entweder, es wäre vieles wirklich komplett für mehr als ein Jahr zum Erliegen gekommen oder man hätte viel mehr Infektionen durch Kontakte in Kauf nehmen müssen. Mangels Globalisierung und internationaler Mobilität / Fliegerei wäre es zwar womöglich gar nicht zu so einer schnellen Verbreitung gekommen, aber die Impfstoffforschung wäre andererseits auch nicht so schnell vorangekommen.
Zurück zur Jugend. Ich sehe das nicht so, dass man alles beliebig nachholen kann. Natürlich kann man auch später noch Partys feiern, reisen etc. und gerade als junger Mensche hat man dafür (in aller Regel) noch jede Menge Zeit. Aber in keiner anderen Lebenszeit gibt es so viele wichtige und singuläre Meilensteine, die man eben nicht einfach nachholen kann: Die Konfizeit, der Schulabschluss, der Start in das Studium... Irgendetwas oder gar mehrere Dinge davon unter Pandemiebedingungen absolvieren zu müssen, nimmt einem eine ganze Menge!
Gerade mit den neuen Mutanten sollte man aber auch nicht mehr denken, dass die Jungen sich für die Alten oder Gesamtgesellschaft opfern müssen. Mittlerweile ist klar, dass auch Junge gefährdet sind, zwar eher weniger von schwerem Verlauf mit Todesfolge, aber wenn man Long-Covid davonträgt und das sich als nicht heilbar herausstellen sollte, ist das restliche, noch sehr lange Leben im Eimer...
Generell finde ich es aber nicht gut, die eine Gruppe gegen die andere auszuspielen. Jeder hat in der Pandemie sein kleineres oder größeres Päckchen zu tragen, und für jeden ist es auf eine andere Weise schlimm.
Ich gehöre z. B. keinen der oft genannten besonders belasteten Gruppen an, ich kann weiter voll arbeiten, muss mich dabei als Einzel-Büroarbeiterin aber auch keinem Risiko aussetzen, muss keine Kinder heimbeschulen etc. Das heißt aber nicht, dass ich nicht unter der Situation leide und mittlerweile zunehmend am Ende bin. Meine Probleme liegen darin, dass ich alleinstehend bin und über 80jährige Eltern habe (die glücklicherweise heute ihre zweite BionTech-Impfung erhalten haben, einer der wenigen Lichtblicke!

). Das Resultat davon ist, dass ich seit Beginn der Pandemie so gut wie gar nichts gemacht habe, was mit anderen Menschen oder Mobilität zu tun hat, auch nicht im ach so lockeren Sommer 2020 - zum Schutz meiner Eltern (die sozusagen meine ausgewählte Bubble sind, in die niemand anderes hineindarf), aber auch von mir selbst (ich will das blöde Mistvieh definitiv auch nicht haben!) und auch der Gesamtgesellschaft.
Mittlerweile deutlich über ein Jahr her ist es beispielsweise, dass ich Besuch hatte, einen Freund/eine Freundin "live" gesehen habe, eine Urlaubsreise gemacht habe, in einem Restaurant o. ä. gegessen habe oder den ÖPNV genutzt habe. Verwandte über meine Eltern hinaus habe ich zwischenzeitlich nur deshalb gesehen, weil wir im Sommer leider einen Trauerfall hatten. Oft habe ich das Gefühl, ich existiere (leben will ich das nicht nennen) nur noch, um zu arbeiten. Andererseits bin ich dankbar, dass ich
wenigstens den sinnstiftenden Anker Arbeit noch habe.
Wie ich und andere Menschen in ähnlicher Situation unter der Pandemie leiden und wie man uns die Sache leichter machen könnte, davon habe ich in der Tat noch nirgendwo etwas gehört, mag aber daran liegen, dass wir nun wirklich eine absolute Minderheit sind.
Die ganz Alten werden einerseits oft als die Nutznießer des Verzichts der vielen Jüngeren dargestellt, aber auch ihr Leid ist nicht zu unterschätzen. Ganz besonders schlimm ist die Isolation in den Heimen. Gerade heute habe ich einen Zeitungsartikel gelesen, in dem eine Pflegerin absolut herzzerreißend die Situation bei Besuchen beschrieb (die sich selbst nach weitgehender Durchimpfung in den Heimen nicht geändert hat): Wie sie aufpassen muss, dass Paare, die vor dem Einzug eines Partners ins Heim jahrzehntelang zusammengelebt haben sind, sich beim Besuch bloß nicht nahe kommen / berühren / umarmen und konsequent die Maske aufbehalten. Wie erst die eine, dann der andere und schließlich die virtuell zugeschaltete Tochter anfängt zu weinen. Und wie sie schließlich nach exakt 40 Minuten dafür sorgen muss, dass der Besuch geht...
Und natürlich gilt für Alte, dass sie die allerwenigsten Möglichkeiten haben, Dinge nachzuholen, die sie jetzt verpasst haben. Bei meinen Eltern habe ich zunehmend den mich sehr belastenden Eindruck, dass die Pandemie ihnen die letzten halbwegs guten Monate genommen hat. Zum einen aufgrund des "natürlichen" Abbaus, zum anderen aber sicher auch aufgrund der pandemiebedingten Isolation und Inaktivität. Ich fürchte, sie werden auch wenn "es vorbei ist" nicht noch einmal in den Urlaub fahren oder Feste feiern, weil sie es einfach nicht mehr schaffen...
Ja, die Gesamtsituation ist im Moment absolut frustrierend, nicht nur wegen der gefühlt vielen, die sich an nichts mehr halten (man darf aber nicht vergessen, dass diejenigen,
die sich dran halten und daheim bleiben, eben nicht zu sehen und zu hören sind - ich denke, wir sind immer noch die Mehrheit!

), die Politik nur noch kurzsichtig zu denken scheint (und damit meine ich
auch wirtschaftlich!), sondern auch, weil wir alle dachten, den Winter müssen wir jetzt noch überstehen, dann wirken sich zum einen die Impfungen aus und zum anderen hilft uns die Witterung wie im letzten Jahr und wir sind aus dem Gröbsten raus. Und jetzt haben wir statt einem Licht am Ende des Tunnels, das auch schon unsere Umgebung merklich erhellt, eine blöde Mutante, eine massive dritte Welle und einen schleppenden Impffortschritt, der für die nicht besonders Priorisierten von uns wohl bedeutet, dass wir noch bis Herbst die Zähne zusammenbeißen müssen...
Das geht uns aber allen so, unabhängig vom Alter und unabhängig davon, wo die individuellen Belastungsfaktoren in der Pandemie liegen. Ich falle beispielsweise ständig von totaler, schon an einen depressiven Zustand grenzender Frustration in ein "ich sollte froh sein für alles, was ich noch habe, ich habe schon so viel geschafft, das schaffe ich jetzt auch noch, und am Ende werde ich stolz sein!" und wieder zurück...
Micah