Vorweg: Ich fand die Entscheidung, Dexter nach acht, neun Jahren fortzusetzen, mutig. Ich konnte damals mit dem Finale der achten Staffel gut leben, während die Mehrheit der Zuschauer von diesem Ende ja sehr enttäuscht war. Nun sollte also ein „besseres Ende“ her - dies hat man im Marketing für Dexter: New Blood ja immer wieder erwähnt. Man hat sich regelrecht den Kritikern angeschmiedet nach dem Motto „Ne, das war wirklich Mist mit dem Holzfäller-Abschied und Debras Tod und so weiter.“ Und jetzt hat man ein neues Ende geschaffen, was im Netz mindestens genauso viel Hass und Unverständnis erfährt. Na das nenne ich doch mal sarkastischerweise ein erfolgreiches „Es-besser-machen“. Aber Schritt für Schritt und es soll ja auch um meine persönliche Meinung gehen.
Die Serie ist ja mittlerweile nicht mehr Miami, Sonne, Palmen, Kurzarmhemden, Polizei-Dezernat und Coctails, sondern winterliches Dorf, Schnee, Tannen, dicke Jacken und vereiste Trucks. Also das ganze Setting war - wie bereits aus den Trailern bekannt - geradezu völlig umgekrempelt worden. Mir hat's gefallen; ich hab's von Anfang an angenommen und akzeptiert als Kulisse (auch weil ich mich durch die Trailer schon dran gewöhnen konnte). Wie Michael C. Hall es schon sagte: „Wir werden die Sonne von Miami vermissen, aber Schnee ist eigentlich auch cool.“ Da das Ganze aber eher als Epilog bzw Event-Staffel angelegt war, musste man nun also innerhalb von zehn Episoden Wiedereinstieg in den Dexter-Kosmos schaffen sowie Wiederausstieg. Die erste Episode arbeitet also bereits auf ein Großproblem für den Protagonisten hin: Er mordet nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder (und zwar ein asoziales Großmaul, der vor Jahren mit einem Boot grob fahrlässig fünf Leute getötet haben soll) und kann nicht wie von früher gewohnt mal eben die Leiche im Ozean entsorgen - und dann steht auch noch der mittlerweile 15-jährige Sohn Harrison auf der Matte und fällt eher mit einer „Du warst nie für mich da, also hasse ich Menschen“-Haltung auf, als mit einer „Dad-ich-habe-so-viele-Fragen“-Haltung. Hier wird also von vorne weg der dunkle Sohnemann angedeutet; vom Charakter her irgendwo zwischen Depri-Teenager und Kylo Ren. Ab hier mach ich's mal kurz: Ein Frauenmörder und Serienkiller war der Vater des Mannes, den Dexter in der ersten Folge ermordet hat und dieser hat es nun u.a. auch auf Dexter und dessen Sohn abgesehen. Weil Dexter das Spiel mit dem Feuer anscheinend liebt, führt er darüberhinaus auch noch eine Beziehung mit der süßen Polizei-Chefin des Dorfes, welche Dexter nach und nach auf die Schliche kommt. Als er dann schließlich seinen Sohn in sein düsteres Geheimnis einweiht (und dieser seinen Vater plötzlich total schätzt und mag) und sie gemeinsam den Frauenmörder in dessen Versteck töten, finden die beiden im Anschluss Dexters Hütte verbrannt durch den Killer vor, wo die Polizei einen Gegenstand findet, der ihn mit dem Mord an dem Sohn jenes Killers in Verbindung bringt. Dexter wird verhaftet, soll nach Florida ausgeliefert werden, dort den Prozess gemacht bekommen und die Giftspritze erhalten. Dexter bricht in einer ausweglosen Situation aus der Untersuchungshaft aus und tötet dabei einen unschuldigen Polizisten, welcher gleichzeitig der Trainer der Ringer-Mannschaft seines Sohnes war. Als Harrison bei der geplanten Flucht vom Tod des Trainers erfährt (weil Dexter relativ out-of-character handelt), schwingt er plötzlich zu 180° um und möchte, dass Dexter sich stellt. Als dieser anmerkt, dass er sich nicht stellen kann, ohne mittelfristig getötet zu werden, kündigt er an, alleine fliehen zu wollen. Harrison aber lässt ihn nicht gehen und erklärt ihm, dass er ihn erschießen wird. Dexter akzeptiert dies und wird dann auch von seinem Sohn erschossen. Die super strikte und gewissenhafte Polizei-Chefin erwischt Harrison auf frischer Tat, lässt ihn aber völlig überraschenderweise einfach gehen. Anschließend fährt Harrison lächelnd und augenscheinlich befreit nach Hause.
So...und ich gebe weiten Teilens des Internets Recht: Was war das bitte für ein Ende? Die Staffel an sich war super spannend und atmosphärisch, aber gegen Ende hatte ich das Gefühl, man wollte einfach nur noch irgendwie dafür sorgen, dass Dexter nicht davon kommt und sterben muss. Waffen-Ablehner und bloß Alibi-Gewehrverkäufer Dexter schenkt seinem Sohn zu Weihnachten ein Jagdgewehr, mit welchem er Dexter dann natürlich in der letzten Szene abknallt, nachdem er ihn zuvor noch geliebt und geherzt hat, nachdem dieser ihn gerettet und in seine Dunkelheit eingeweiht hat. Er stellt also den Ringer-Trainer, den er seit einer Woche (?) kennt über den Mann, der ihm eine Nacht zuvor das Leben gerettet hat, den er seit Jahren sucht und der zudem noch sein eigener Vater ist. Klar hat Dexter irgendwo die Aussichtslosigkeit akzeptiert in dem Moment, aber diese regelrechte Bitte, sich von seinem Sohn dann tatsächlich töten zu lassen, halte ich für ein schwaches Drehbuch. Dexter wollte seinem Sohn also helfen oder einen Gefallen tun? In 9 von 10 Fällen wäre Harrison verhaftet worden und im Gefängnis gelandet; wir aber haben den unwahrscheinlichen Fall, dass die hyperkorrekte und gewissenhafte Polizei-Chefin Angela Bishop den Sohn des verhassten Ex-Freundes einfach wegfahren lässt und ihm noch Geld zusteckt. Und mal aus moralischer Sicht: Was soll das Harrison jetzt eigentlich gebracht haben, dass er seinen liebenden Vater tötet? Soll das jetzt seinen „düsteren Begleiter“ geheilt haben? Oder gefüttert haben? Was ist das für ein schräges Ende? Das soll jetzt besser sein als das Ende von Staffel 8? Der kleine blonde, tragische Junge namens Harrison ist jetzt ein Emo und undankbarer Vatermörder? Und die Justiz bekommt Dexter immer noch nicht in die Finger? Nä, also da hätte ich mir was anderes erwartet. Wenn man schon so voll einen auf Anti-Selbstjustiz und so weiter machen möchte, dann hätte man Dexters Ende höchst rechtlich gestalten sollen mit Verhaftung, Prozess und (idealerweise) Haft (statt Todestrakt). So aber kreiert man so einen Möchtegern-Dexter 2.0, welcher eine - Konterverse der Selbstjustiz hin oder her - beliebte Serienfigur und nebenher seinen Vater tötet (ohne jetzt im großen Sinne korrumpiert, codiert oder ähnliches zu sein). Oder man gebe ihm einen Heldentod: Er stürzt sich mit dem Gegenspieler in einen zugefrorenen See und hält diesen mit aller Kraft unter Wasser, damit dieser unten bleibt; dabei erscheinen Dexter all seine im Ozean versenkten Opfer, bis er schließlich selbst im Wasser erfriert und eins wird mit seiner Mordserie. Oder er opfert sich für seinen Sohn. Oder - und das wäre meine favorisierte Methode gewesen - man hätte ihn ein weiteres Mal davon kommen lassen, diesmal aber die Haltung des Zuschauers zu ihm als Figur verändert. So, dass man diesmal nicht sagt „Ach, der sympathische Anti-Held“, sondern „Ähhm, also ich bin mir nicht mehr so sicher, ob der frei herumlaufen sollte. Gruselig, so ein frei laufender Serienmörder.“ Dexter: New Blood schließt aber auf dieser „Ich habe noch nie so viel Liebe gespürt wie in dem Moment, als mich mein Sohn erschoss“-Note, obwohl die vorherigen acht Staffeln bereits Dexters Entwicklung vom emotionslosen (oder vielleicht: emotionstauben) Serienmörder zum liebenden und geliebten Serienmörder gezeigt haben. Diese Erkenntnis aus Staffel 8 („Alle, die mir nahe stehen, geraten in Gefahr“), war zwar eine allgemein gehaltene Erkenntnis, aber hat in Kombination mit seiner liebenden Seite die Tragik der Figur eigentlich ganz gut eingefangen. Staffel 9 dreht einen entwickelten und zehn Jahre ohne Mord ausgekommenen Dexter im Prinzip wieder zurück auf seine wilde, risikobehaftete Art und tötet ihn so mutig wie die Serie zurück auf die Bildschirme gekehrt ist.
Alles in allem präferiere ich also das Ende der arg polarisierenden achten Staffel, wo Dexter am Ende seiner Schwester das Leben nimmt und dabei das erste Mal beim Töten eine sichtbare Abscheu und Reue verspürt und letztlich ein selbstgewähltes, tristes Dasein fristet in einem moralischen Gefängnis. Das hatte für mich mehr Ambivalenz und Nachklang. Jetzt hat es so was von „So, jetzt ist er tot, ich hoffe, ihr freut euch. Ach und vielleicht gibt's ja mal ein semi-gutes Spinoff mit seinem Sohn als Selbstjustizler“. Ich kann der Staffel trotz ihres hohen Unterhaltungsfaktors wenig Moralisches oder Nährwertes entnehmen und bewerte diesen Epilog somit als enttäuschend. Diejenigen, die Dexter endlich in Handschellen oder tot sehen wollten und deshalb mit dem Ende der achten Staffeln unzufrieden waren, werden sicher auf ihre Kosten gekommen sein, aber meinen Geschmack hat es nicht getroffen.
Als Einzel-Staffel: 8/10
Als Serien-Finale: 5/10