Zusammenfassung
Das Besondere an „Moderne” ist die Vielfalt ihrer Merkmale oder Bedeutungen.
Mit ihr ist erstens eine Stilrichtung gemeint, zweitens bezeichnet das Wort eine normativ aufgeladene Sichtweise auf die Gegenwart, drittens handelt es sich um eine Epoche, die quer zu den herkömmlichen Periodisierungsvorschlägen der Historiker/innen steht. Diese vielen Dimensionen machen verständlich, weshalb „Moderne” schon bald nach ihrer Schöpfung den Bereich der literarischen Diskussion verlassen hat. Mit dem Schlagwort konnte ganz allgemein die Rolle der Gegenwart und ihrer Errungenschaften samt Bewertung auf den Begriff gebracht und entsprechend gestritten werden. Die Konflikte ließen sich an ihm leichter festmachen als an anderen. Es war, mit anderen Worten, der Inbegriff von Zeitdiagnose, ganz so wie das der „Brockhaus” schon sehr früh erkannte. Deshalb griffen es auch jene Wissenschaften auf, die für Zeitdiagnose zuständig sind, jahrzehntelang allerdings, ohne auf den Begriff selbst zurückzugreifen. Das war im Allgemeinen erst der Fall, als die hier als Moderne bezeichnete Epoche zu Ende ging und man im Rückblick ihre Eigenarten besser zu sehen begann.
Abschließend fünf Gründe für die hier vertretene historische Theorie der Moderne. Erstens handelt es sich um eine Periodisierung nach inhaltlichen statt nach den üblichen schematisch-chronologischen Gesichtspunkten. Dabei wird zweitens große Rücksicht auf die Zeitgenossen genommen, auf ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen. Sie vermitteln wichtige Argumente für Abgrenzung und Benennung. Damit sind methodische Kontrollen eingebaut, die drittens sicherstellen, dass nicht jene Verwirrung entsteht, die in der Germanistik durch freihändigen Gebrauch von „Moderne” herrscht. Sie sollte Historiker/innen eine Warnung sein.
[49] Viertens emanzipiert sich die Geschichtswissenschaft auf diese Weise von der einflussreichen, gleichwohl oft unhistorischen Diskussion in Soziologie und Philosophie, wo prominente Fachvertreter/innen mit „Moderne” normative Vorstellungen verbunden wissen wollen: geschichtspessimistische bei den Gründern der Frankfurter Schule (Max Horkheimer und Theodor W. Adorno), optimistische bei ihrem derzeitigen Haupt (Habermas). Weder „gut” noch „böse” sind aber historische Urteilskategorien, und auch Habermas' Rede vom unvollendeten „Projekt der Moderne” ist wegen ihres geschichtsphilosophischen Gehalts mit den heutigen disziplinären Standards der Geschichtswissenschaft unvereinbar.
[50] Fünftens schließlich schärft die hier vorgestellte alternative Periodisierung das Bewusstsein für den hochdramatischen Bruch der geschichtlichen Kontinuität um 1800, dem nur die sogenannte neolithische Revolution an die Seite gestellt werden kann. Unter seinem Druck hat sich seither Denken, Sprechen und Handeln radikal gewandelt, ohne dass sich damit, das sei nochmals wiederholt, ein Werturteil verbinden ließe.