Wenn auch etwas verspätet (hab mir beim review schreiben eine woche zeit gelassen), hier meine einschätzung:
Vielen der Kinogänger wird hauptsächlich die behandelte Thematik in Brokeback Mountain nicht zusagen. Auf diejenigen, die jedoch zu einer Auseinandersetzung mit einer solchen, nicht leicht zu handhabenden Problematik bereit sind, wartet allerdings weit mehr als ein Liebesfilm mit schwulen Cowboys, der allzu häufig ohne Weiteres damit abgetan wird.
Regisseur Ang Lee, der sich schon für das bildgewaltige fernöstliche Martial-Arts-Abenteuer Tiger & Dragon verantwortlich zeichnete, beweist in diesem Westernmelodram nicht nur äußerste Diskretion, sondern auch das nötige Feingefühl, um mit diesem sensiblen Thema richtig umzugehen. Der Einstieg in die Geschichte um zwei an finanzieller Not zerrenden Cowboys, die während des Schafhütens in den Bergen ungeahnte Gefühle für sich entdecken, erfolgt konsequenterweise sehr ausführlich. Der Zuschauer soll sich erst mit den rauen Gegebenheiten eines Westernszenarios der frühen 60er Jahre und den beiden anfänglich distanziert wirkenden Protagonisten vertraut machen, bevor jene Nacht über sie hereinbricht, in der das Ungewollte passiert. Allein die ersten Einstellungen, weite Totalen von einer endlos scheinenden Landschaft, erinnern stark an die Mittel eines typischen Westerns. Die Umgebung ist eine ähnliche, das gewählte Thema ist jedoch ein komplett anderes. Die Liebe zweier Männer gilt in jener Zeit und gerade in einem konservativen Bundesstaat wie Wyoming als ein stillschweigendes Tabu-Thema, dementsprechend ausgestoßen werden Homosexuelle aus der Gesellschaft. Mit Brokeback Mountain bröckelt die Anschauung eines Cowboys als rauer und harter Kerl, der zu keinen Emotionen fähig scheint. Der Rancher Ennis del Mar (Heath Ledger) und der Rodeoreiter Jack Twist (Jake Gyllenhaal) entsprechen zu Beginn eben genau diesem Bild. Doch Stück für Stück wird dieser Eindruck demontiert, indem beide Charaktere ausführlich näher beleuchtet werden.
Angeheuert von dem Farmer Joe Aguirre finden sich die beiden Cowboys in den Sommermonaten von 1963 in einer idyllischen Berglandschaft auf ihren Pferden wieder. Obwohl beide zu Beginn noch offensichtlich Abstand voneinander halten und sich nicht viel zu sagen haben, so wächst zwischen ihnen dennoch eine Freundschaft heran, die ohne große Worte auskommt. Heath Ledger verkörpert den introvertierten, verschlossenen und wortkargen Ennis mit einer Leichtigkeit, die gar nicht anders als überzeugen kann. Im Gegensatz dazu spielt Jake Gyllenhaal genauso unnachgiebig den eher extrovertierten, aufgeschlossenen Jake, der in den Gesprächen am gemeinsamen Lagerplatz ohne Zweifel am meisten zu sagen hat, während Ennis anfangs noch schweigt. Schnell macht sich bemerkbar, dass sich Jake immer stärker zu Ennis hingezogen fühlt, während dieser eher abweisend bleibt. Es ist offensichtlich, dass Jake schon frühzeitig seine Gefühle für das gleiche Geschlecht entdeckt. Bei genauerer Betrachtung fällt diese Haltung schon bei ihrem ersten Treffen auf. Ennis empfindet nicht so und ist von Anfang genau andersrum eingestellt. Erst als er gezwungen ist, im selben Zelt wie Jake zu schlafen, offenbaren sich die Gefühle füreinander. Trotzdem will er sich seine Empfindungen nicht eingestehen, leugnet sein Verhalten, dass aus dem Affekt, vielleicht auch aus Verzweiflung entstanden ist, da es ihm die Gesellschaft nicht erlaubt. Nachdem ihre Arbeit in den Bergen getan ist, gehen Beide wieder ihre eigenen Wege, in der Hoffnung, sich im darauf folgenden Jahr wieder zu treffen. Jedoch erst nach vier Jahren laufen sie sich wieder über den Weg. Jeder von ihnen hat mittlerweile eine Frau geheiratet, seine eigene Familie gegründet und versucht mit den Umständen klar zu kommen. Doch ihre Zuneigung zueinander ist nie völlig verblasst, das Wiedersehen scheint wie eine Befreiung von familiären Zwängen und der Sehnsucht. Von diesem Zeitpunkt an beschließen die Beiden alle paar Monate wieder zu dem Ort zurück zu kehren, an dem alles begonnen hat, um alle Sorgen und Pflichten hinter sich zu lassen. Es ist absehbar, dass ihre Ausflüge nicht ohne Folgen für ihr weiteres Leben ausgehen, die vor allem Ennis schwer zu schaffen machen. Doch der Brokeback Mountain ist alles, was ihnen bleibt; der einzige Hoffnungsschimmer in ihrer verzweifelten Lage, die kein gemeinsames Leben zulässt.
Der Eindruck von endloser Einsamkeit und Abgeschiedenheit von der Zivilisation spiegelt sich in den meisterhaft und eindrucksvoll inszenierten Landschaftsaufnahmen wieder, genauso wie die Weite und überwältigende Präsenz des Brokeback Mountain, der Ort von dem alles weitere ausgeht und an den das Schicksal der Protagonisten gebunden ist. Die kunstvolle, teilweise monumentale Ästhetik der Bildkompositionen, von denen nahezu jede Einstellung ohne Weiteres als alleinstehendes Kunstwerk bestehen könnte, schafft eine schwermütige Atmosphäre, die schon erahnen lässt, dass etwas passieren muss. Dazu trägt auch der Oscarprämierte Score bei, der angemessen zurückhaltend die sentimentale Grundstimmung stets aufrecht erhält. Das einprägsame Hauptthema geht mir schon seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf.
Ang Lee erzählt mit Brokeback Mountain in erster Linie eine tragische Liebesgeschichte, die gerade durch Einflechtung einer tabuisierten Thematik an Vielseitigkeit, Vielschichtigkeit und Reiz gewinnt, und vor allem ein Novum darstellt. Es geht ihm weniger um die Sexualität, sondern vielmehr um den Umgang mit den daraus resultierenden Problemen, die Bewältigung der gesellschaftlichen Disakzeptanz und Intoleranz. Die ausgezeichnete schauspielerische Leistung sowie die detailverliebte technische Umsetzung fügen sich nahtlos ein und runden das Gesamtergebnis ab. Die gelegentlich aufkommende Langatmigkeit und der abrupte Schluss sind der einzige Wehrmutstropfen, den man angesichts des Resultats durchaus in Kauf nehmen kann. Ein kleines Meisterwerk, das wohl nicht die Beachtung finden wird, die es eigentlich verdient hat.
13/15 Reifenpannen