Vorkommnisse in Frankfurt
?Und es hat Boom gemacht?
Liest man die Presseberichte über das gestrige Auswärtsspiel des 1. FC Nürnberg in Frankfurt oder stöbert ein wenig in diversen Internetforen, könnte man als Unbeteiligter zu dem Schluss kommen, im Frankfurter Waldstadion wäre der dritte Weltkrieg ausgebrochen und die Arena bis auf die Grundmauern niedergebrannt worden. Maßlose Übertreibung der schreibenden Zunft paart sich mit regelrechtem ?Hass? auf eine bestimmte Gruppierung, die sofort als Hauptschuldige ausgemacht wurden. Häufig liest man in diesen Stunden die Worte ?Ausschreitungen? und ?Randale?, es ist von ?mehreren Leuchtspurgeschossen? die Rede, die aufs Spielfeld geworfen worden sein sollen und verschiedenste Gerüchte machen die Runde. Der folgende Bericht stellt dar, was passierte und wie man es in Block 20 erlebte.
Die Stimmung in die Gästeblöcken war von Spielbeginn an ausgezeichnet, Wechselgesänge zwischen Ober- und Unterrang kamen in einer Geschlossenheit und Lautstärke, wie man sie nur selten erlebt. Alle Nürnberger Fans schienen mit dem Vorsatz, den Ball notfalls mit Stimmgewalt ins Tor zu brüllen, angereist zu sein. Unterbrochen wurden die ersten knapp dreißig Minuten dann von insgesamt drei Böllern, die von Unbekannten gezündet wurden und vor sowie im Gästestehblock explodierten. Dabei waren alle anwesenden so überrascht und erschrocken, dass es den am Zaun stehenden Vorsänger fast rückwärts herunter gehebelt hat. Nach dem Schreck wurden die Explosionen dann aber vom größten Teil der Nürnberger mit einem schmetternden ?Hurra, Hurra, die Nürnberger sind da!? begleitet.
Bemerkenswert ist, dass laut Aussage einiger Polizisten, die sich nach dem Spiel mit unbeteiligten Nürnbergern aus dem Oberrang (die Personen sind der Redaktion bekannt) unterhalten haben, der erste Knallkörper gar nicht aus dem Nürnberger Block kam, sondern aus einem angrenzenden Frankfurter Fanbereich geworfen wurde. Ob sich dies bestätigt und auch so im Polizeibericht erwähnt wird, bleibt jedoch abzuwarten.
Nach jeder der drei Explosionen wurde über Lautsprecher bekannt gegeben, dass das Zünden von Feuerwerkskörpern streng verboten ist und zum Abbruch des Spiels führen kann. Als dann noch zusätzlich eine Leuchtfackel, laut Augenzeugen aus dem seitlichen Teil des Blocks und vorbei am direkt vor dem Block hängenden Fangnetz, auf das Spielfeld geworfen wurde, unterbrach Schiedsrichter Gagelmann das Spiel vollkommen regelkonform für unbestimmte Zeit und schickte die Mannschaften in die Kabine.
Soweit lässt sich schon festhalten, dass die in der Presse genannten ?mehreren Leuchtfeuer? oder gar ?Leuchtspurgeschosse? gar nicht existierten. Es waren drei Knallkörper und eine Fackel. Legalität und schädliche Wirkung dieser Feuerwerksutensilien stehen dabei gar nicht zur Debatte. Jedem ist klar, dass sie zum einen verboten sind und zum anderen Verletzungen nach sich ziehen können. Klar ist aber auch, dass die erwähnten Zahlen und Mutmaßungen pure Erfindung sind, was jeder anwesende Fan, selbst als Frankfurter, bestätigen kann.
Was dann während der Zwangspause im Gästeblock geschah, lässt sich nur schwer beschreiben. Die Frankfurter pfiffen verständlicherweise, die Atmosphäre im Stadion war am kochen. Der Nürnberger Block erst am zögern, selbst irritiert und unsicher, wie man mit der Situation umgehen soll, sang aber weiterhin. Clubpräsident Michael A. Roth hielt eine kurze Ansprache über die Lautsprecheranlage, dass dieses Verhalten dem Verein, der Mannschaft und auch allen Fans schade, er appellierte, keine weiteren Kracher zu zünden, da ein Spielabbruch mit Wertung für die SG Eintracht Frankfurt drohe. Auch Roth wurde von einem gellenden Pfeifkonzert der Frankfurter Fans begleitet, was wiederum die Nürnberger endgültig dazu veranlasste, stimmgewaltig dagegen zu halten.
Der gesamte Unterrang sang und sprang geschlossen bis in die letzte Reihe und je lauter die Frankfurter daraufhin wurden, desto intensiver wurde auch im Nürnberger Stehblock geantwortet. Zwanzigminütiger Dauersupport während der Unterbrechung, einfach um zu zeigen, ?Nürnberg ist da, Nürnberg ist laut, egal wie sehr ihr pfeift?, zurückstecken war nicht. Der von Fernsehzuschauern geäußerte Vorwurf, man wolle damit die Feuerwerkskörper feiern, ist nicht haltbar. Es ging darum, weiterhin Präsenz zu zeigen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Dies sah ganz offensichtlich nicht nur UN94 so, da der gesamte Stehblock entsprechend reagierte und sich den Mund nicht verbieten ließ. Frankfurt, selbst kein Kind von Traurigkeit, hätte im umgedrehten Fall nicht anders reagiert, wie die Vergangenheit zeigt.
Die noch während des Spiels im Internet aufkeimende Beschuldigung, das ganze wäre eine ?geplante Aktion? von Ultras Nürnberg 1994 gewesen, ist dabei ebenso unhaltbar wie die Vorstellung, es gab Rangeleien oder gar Randale im Block, wie manche Zeitung schrieb oder das ZDF berichtete. Die im Fernsehen gezeigten Aufnahmen eines geteilten Blocks waren der Auftakt zum bekannten ?Nürnberg ist ne schöne Stadt?, ein Pogotanz auf den Rängen, der aufgrund der aufgeheizten Situation sogar abgebrochen und zu einem ?Allez Allez?-Wechselgesang zwischen beiden Fronten umfunktioniert wurde. Ob die Idee, diesen Pogo überhaupt anzustimmen, in diesem Moment eine kluge war, steht auf einem anderen Blatt, ?Ausschreitungen? waren es auf jeden Fall nicht. Auch gab es keine Pöbeleien zwischen den aufmarschierten Polizeikräften im Block und den Fans, kein böses Wort oder Anfeindungen. Die Polizei verhielt sich sehr zurückhaltend und die Fans unterstützten weiterhin ihre Mannschaft.
Was bleibt also vom gemeldeten Feuersturm und Fankrawallen in Frankfurt in der Realität übrig? Drei Böller, eine Leuchtfackel und ein abgebrochener Pogo. Nicht wirklich viel, wenn man die Intensität der Berichterstattung in den Medien oder die Reaktionen der zuhause gebliebenen Fans betrachtet.
Nach der regulären Halbzeitpause wurde das Spiel dann wieder zu dem Fußballfest, das es vor der Unterbrechung schon war. Die Nürnberger Auswärtsfahrer präsentierten sich in bestechender Form und toppten sogar die Leistung ihrer Mannschaft auf dem Platz.
Quelle:
Faszination Nordkurve