So, ich verknüpfe mal meine späte Antwort wieder mit einem Review der aktuellen Episode.
Wieviele "Einzelfälle" braucht es eigentlich, damit aus einem Fehlverhalten die Norm wird?
Na ja, ich habe nicht mitgezählt, aber gefühlt ist TNG da halt immer unter dieser Zahl x geblieben und PIC hat sie halt überschritten. Das quantitative Argument alleine ist für mich aber an der Stelle auch überhaupt nicht ausschlaggebend, denn zu der Geschichte selbst kommt ja auch noch der Diskurs und da war die Art und Weise, wie Picards Aussagen und die jeweiligen Ereignisse in den Episoden gegenübergestellt wurden, einfach eine andere. Wenn Picard am Ende einer TNG-Episode halt nochmal eine moralinsaure Rede über das jeweilige Episodenthema gab, war das sicherlich auch mit dem Vorschlaghammer, gab mir als 12-jähriger Bub aber immer eine gewisse "Hoffnung". Trotz aller pöhsen Admiräle, trotz aller Probleme, die es zu bewältigen gab, konnte Picard auch nach seinem eigenen Ausbruch noch Melville zitieren und an das Gute der Menschheit glauben.
Und weil Picard da ganz häufig das Schlusswort zufiel, gab es auch selten einen Grund, an Picards Worten wirklich zu zweifeln - vielleicht war die Wirkung hier ähnlich einem "Und sie lebten glücklich bis zum Ende ihrer Tage", obwohl mit der nächsten Seite gleich wieder das nächste blutige Märchen beginnt. Jetzt im Falle von Seven aber hat sich diese Narrative umgedreht: Picard darf seine Reden halten, aber jedes Mal zeigt sich, wie Unrecht er hat. Von Seven wird es sogar nochmal betont: Picards Sicht auf das Universum ist jetzt plötzlich hochgradig anzuzweifeln. Die einzelne Episode endet einfach nicht mehr auf dem "hoffnungsvollen Unterton", der für mich in TNG einfach nahezu immer zum Schluss stand. Dieser hoffnungsvolle Unterton ist aber z. B. in der neuen Folge endlich wieder zu spüren und zwar vor allem im Gespräch zwischen Picard und Hugh. Ich hoffe doch sehr, dass Hugh am Ende nicht einfach wieder den Löffel abgibt, sondern seine Storyline etwas "froher" endet.
Eine andere Sache, die ich ja bereits angesprochen habe, ist, dass hier halt die Serienform eine andere ist und wir daher eigentlich mal (mindestens) bis zum Ende der ersten Staffel warten müssen, um zu schauen, wie das "Schlusswort" denn ausfallen wird. Auch dieser Einzelepisodencharakter mag da in meine Wahrnehmung der Fälle als Einzelfälle hineinspielen: Einzelepisoden präsentieren nun einmal Einzelfälle, während hier eben nicht der Einzelfall, sondern schön serialtypisch, gleich die alles übergreifende Verschwörung thematisiert wird. Gerade diese Episode funktioniert natürlich vor allem in diesem Serialkontext: Die Story geht voran, ein Etappenziel ist erreicht und die Charaktere wie im 2. Teil von HdR plötzlich an verschiedenen Orten. Fro... Picard und Soji sind weiter auf dem Weg zur Erfüllung von Sojis Schicksal, Merr... Hugh und Elnor wahrscheinlich gefangen und der Rest wird sicherlich auch noch etwas finden. Es wird sich zeigen, wie die anderen Charaktere funktionieren, wenn JL mal länger nicht mit ihnen interagiert, aber gerade bei Raffi, Rios und Jurati mache ich mir da gar keine Sorgen. Insbesondere das Techtelmechtel zwischen Jurati und Rios gefällt mir sehr und kommt für mich auch nicht 'out of nowhere' (wie ich es manchmal in Kritiken gelesen habe).
Weiterhin gefällt mir, dass die Episode auch gut als Fortführung von ST8, meinem Lieblings-TNG-Kinofilm funktioniert. Dass Picards Trauma nicht mit einem Boxkmapf gegen die Borgqueen beendet sein würde, passt für mich hervorragend dazu, dass ja auch ein Boxkampf mit seinem Bruder da nur bedingt Hilfe geleistet hat. Gleichzeitig wird aber durch Aussagen wie "Borg sind Opfer" auch wieder gezeigt, dass Picards Sicht auf die Borg sich nach ST8 nochmal verändert hat. Und genau solche Zwischentöne sind es, die mir speziell in den letzten Folgen doch etwas gefehlt haben oder die im restlichen Kontext für mich zu sehr untergegangen sind.