Jein. Das ist ja nicht die ganze Wahrheit. Der war ja nicht nur von egoistischer Liebe durchtränkt, sondern hat ebenso nach Macht gestrebt. Und das war doch eigentlich das Dilemma. Diese beiden Aspekte haben sich gegenseitig hochgeschaukelt. „Er lässt mich nicht weiterkommen!“ oder „Ich werde der mächtigste Jedi aller Zeiten werden!“ deuten doch bereits darauf hin, dass er nach ganz oben wollte - möglicherweise zu jedem Preis. Deshalb fand und finde ich die PT in der Hinsicht gar nicht so schlecht, wie viele sie immer machen. Anakin ist halt ein Pulverfass. Und dieses überbordende Selbstbewusstsein hatte er sogar schon in TPM. Gib so einem Charakter etwas ihm kostbares (Padmé) und erzähle ihm, er sei nicht stark genug (Opernszene) um es zu beschützen - der wird früher oder später über Leichen gehen. Eigentlich ging es ihm somit primär immer um Macht und Unabhängigkeit. Er wollte Padmé „besitzen“ und selbst der Stärkste sein. Dass ihm Grenzen gesetzt waren (bzw. wurden) in seiner Macht, das musste er dann über die Jahre eingestehen; immerhin war er mehr Kettenhund als großer mächtiger Anführer. Ich denke, während seiner Zeit als Vader, hat er auch viel reflektiert und erkannt, dass es noch andere Dinge gibt, die wichtig sind. Deshalb empfand ich Lukes Rettung auch stets nicht nur als Entscheidung für die Familie (in Teil seiner alten Liebe Padmé), sondern auch als Eingeständnis, dass ihm seine eigene Macht nicht länger wichtig ist sowie als Entschuldigung an die Galaxis.
Bei Kylo ist die Motivation schwieriger auszumachen. Er fühlte sich nicht beachtet genug von seinen Eltern (EU-Romane?) und in ihm keimt - wohl blutsbedingt - eine Affinität zur dunklen Seite. Durch die missverständlichen Ereignisse mit Luke verfiel er dann ganz der Dunkelheit, aber mehr aus Alternativlosigkeit, wie es mir scheint. Er hat raue Gefühle, wie etwa Hass für Luke (EU-Comics, TLJ), aber was verbirgt sich unter diesem Hass? Er will eine neue Ära prägen, soviel steht nach TLJ fest. Aber wie kommt er da hin? Wen oder was benötigt er dafür? Ich denke ja, was Kylo braucht ist so etwas wie Akzeptanz - dann wird er milder in seinem Gemüt. Erinnert euch an die Aufzugs-Szene, als Rey ihn „Ben“ nennt. In dieser Sekunde schaut er fast wie ein Jugendlicher: ganz sanfte, unschuldige Mimik. In ihm ist immer noch der ungeliebte, verstoßene Skywalker/Solo-Erbe. Er verdrängt ihn mit 'Kylo Ren', aber er ist noch da. Um seinen weiteren Werdegang abschätzen zu können, sollte man eventuell hier ansetzen.
Doch, denn bei seiner Mutter hatte er einen ähnlichen Traum und er wurde Wirklichkeit. Diese „Schmach“ wollte er dieses mal verhindern; zu jedem Preis.