Aber jetzt mal Butter bei die Fische.
In Ordnung, das verdient eine längere Antwort.
Aber als kurze Vorbemerkung: Wenn ich sage, dass es Parallelen gibt, dann empfinde es schon als eine reichlich merkwürdige Argumentation, wenn man mir darauf entgegnet, dass aufgrund der Unterschiede ein Vergleich ungültig sei. So ist dein folgendes Urteil nämlich auch nur dann in sich schlüssig, wenn eine ganz bestimmte Grundannahme unterstellt wird:
Der Vergleich mit Weimar zieht hier einfach nicht.
Der Vergleich zieht nur dann nicht, wenn man sich dabei ausschließlich auf den Zeitraum zwischen 1930-1933 beschränkt. Genau das habe ich aber gar nicht getan. Ich sprach nämlich ausdrücklich von der Zeit VOR den Präsidialkabinetten, ein kleines, aber sehr wichtiges Detail, welches hier aber bequemerweise ignoriert wurde.
Also genauer gesagt geht es um den Zeitraum, in dem das parlamentarische System noch gemäß der Weimarer Verfassung voll funktionsfähig war. Mir ging (und geht es immer noch) einzig und alleine um die Erosion des Parteiensystems an sich selbst, wenn ich hier von einem passenden Vergleich zur Weimarer Republik spreche.
Wir sind heute in der Situation, dass sich 6 im Bundestag repräsentierte Parteien die Stimmen in einer Weise teilen müssen, so dass eine effektive Mehrheit einer einzigen Partei nur noch dann gebildet werden kann, wenn es nicht mit rechten Dingen zuginge. Linke, Grünen, FDP, AfD, Union und SPD müssen an der Sperrklausel vorbei, d.h. eine Partei kann bei 5 Konkurrenten maximal überhaupt nur noch 75% erreichen, was an sich schon ein völlig utopischer Wahlausgang wäre.
Real haben alle Parteien jetzt grob zwischen 10% und 30%. Diese Verteilung spiegelt sich in ihren Verhältnissen in ähnlicher Weise durchaus auch in den Wahlergebnissen der Reichstagswahlen zwischen 1920 und 1930 wider, wobei aufgrund der fehlenden Sperrklausel noch mehr Klein- und Kleinstparteien in den Reichstag gelangen konnten. In keiner einzigen Reichstagswahl dieser Periode gelang es einer einzelnen Partei, die 30% zu knacken und man war zwingend auf Koalitionen angewiesen, um regieren zu können. Solange diese durchführbar waren, solange hatte die Weimarer Republik auch ihren wesentlichen verfassungsmäßigen Bestand, an dem auch Hindenburg nicht herum pfuschen konnte.
Bis zur Minderheitsregierung von 1930 hat die Weimarer Republik mehrere Putschversuche und die Gewaltpolitik durch Saalschlägertruppen durchaus verkraftet und dies trotz aller Kaiserreichsromantik und Propaganda. Die Frage, warum ausgerechnet DIESE historische Faktenlage hier keinerlei Erwähnung fand, die schenke ich mir jetzt mal.
Und jetzt finden wir uns an einem sehr ähnlichen Scheideweg wieder, weil Platz #2 und #4 der Bundestagswahlbestenliste keine Koalition eingehen möchten.
Also Minderheitsregierung mit begrenzter Haltbarkeitsdauer, wie 1930?
Oder Neuwahlen, bei denen die AfD sehr wahrscheinlich ob dieses aktuellen Theaters noch weiteren Zuwachs bekommen wird und die erneuten Sondierungen nur NOCH schwieriger sein werden?
Das ist absolutes Neuland, von dem noch überhaupt niemand sagen kann, wie es in 5 oder 10 Jahren zur tatsächlichen politischen Realität wird.
Meine Position ist weiterhin, dass parlamentarische Streitereien nicht zielführend sind, wenn sie einer Regierungsbildung im Wege stehen. Mit den Grünen, der Linken und der AfD sind drei zusätzliche Spieler im Bundestag nun mal knallharte Realität. Je weniger Kooperation unter den Parteien herrscht, umso schwieriger wird das Regieren in Zukunft werden. Und diese Situation halte ich schlicht und ergreifend einfach nicht für ein diffuses Bedrohungsszenario, sondern für das, was uns in den nächsten Dekaden erwarten wird. Das muss man hier diskutieren können und zwar ohne dass mir gleich die Nazikeule um drei Ecken herum unterstellt wird, denn diese hab ich hier wirklich und wahrhaftig außen vor lassen wollen.