Tagespolitik allgemein

Ich bin sehr gespannt, wie die amerikanische Regierung auf das Auslieferungsgesuch von Erdogan reagieren wird und wie sich die Beziehungen in dieser Richtung weiter entwickeln werden.
Die westlichen Länder können nicht ewig zuschauen, wie Erdogan immer weiter die Demokratie so umformt, wie es ihm gerade in den Plan passt. Das lässt sich auch mit den Werten, die die NATO vertritt, nicht vereinen. Man sollte bei einer Verschlimmerung der Situation ernsthaft darüber nachdenken, ob man die Türkei weiterhin als einen Partner haben möchte - Man kann nur aufgrund der Flüchtlingskrise nicht alle Werte wahllos über Bord werfen und Erdogan einfach gewähren lassen.
 
Ich bin sehr gespannt, wie die amerikanische Regierung auf das Auslieferungsgesuch von Erdogan reagieren wird und wie sich die Beziehungen in dieser Richtung weiter entwickeln werden.
Die westlichen Länder können nicht ewig zuschauen, wie Erdogan immer weiter die Demokratie so umformt, wie es ihm gerade in den Plan passt. Das lässt sich auch mit den Werten, die die NATO vertritt, nicht vereinen. Man sollte bei einer Verschlimmerung der Situation ernsthaft darüber nachdenken, ob man die Türkei weiterhin als einen Partner haben möchte - Man kann nur aufgrund der Flüchtlingskrise nicht alle Werte wahllos über Bord werfen und Erdogan einfach gewähren lassen.

Ich würde nicht viel darauf setzen, dass es da ein plötzliches Umdenken gibt. Innerhalb Europas hat man sich bereits früh für die türkische Regierung und gegen die Putschisten entschieden, und nur weil Erdogan das weiterführt, was er schon seit Jahren betreibt, werden die Maßnahmen der deutschen Politik (oder er europäischen, oder der nordamerikanischen) nicht über die weltweit gefürchteten dringenden Appelle hinausgehen. Wir paktieren mit den Saudis, den Chinesen, und wir werden uns mit Sicherheit irgendwann wieder Russland annähern. Die Türkei als wirtschaftlich wie geostrategisch extrem wichtiger Schlüsselstaat in der Region wird man sich ebenso warm halten, nicht zuletzt wegen des Bürgerkrieges in Syrien und der Tatsache, dass eine kollabierende Türkei im Vorgarten etwas ist, was niemand in Europa wirklich sehen möchte. Selbst Erdogan kann natürlich eine rote Linie nicht ohne Konsequenzen überschreiten, aber schaue dir einfach an, was "wir" sonst so dulden und wie lange es braucht, um harte Reaktionen zu erzeugen.

Die Forderung an die USA sind reine Profilierungsgebahren gegenüber der eigenen Bevölkerung. Die türkische Regierung weiß ganz genau, dass sie Gülen auf diesem Weg nicht kriegen.
 
Ich würde nicht viel darauf setzen, dass es da ein plötzliches Umdenken gibt. Innerhalb Europas hat man sich bereits früh für die türkische Regierung und gegen die Putschisten entschieden, und nur weil Erdogan das weiterführt, was er schon seit Jahren betreibt, werden die Maßnahmen der deutschen Politik (oder er europäischen, oder der nordamerikanischen) nicht über die weltweit gefürchteten dringenden Appelle hinausgehen. Wir paktieren mit den Saudis, den Chinesen, und wir werden uns mit Sicherheit irgendwann wieder Russland annähern. Die Türkei als wirtschaftlich wie geostrategisch extrem wichtiger Schlüsselstaat in der Region wird man sich ebenso warm halten, nicht zuletzt wegen des Bürgerkrieges in Syrien und der Tatsache, dass eine kollabierende Türkei im Vorgarten etwas ist, was niemand in Europa wirklich sehen möchte. Selbst Erdogan kann natürlich eine rote Linie nicht ohne Konsequenzen überschreiten, aber schaue dir einfach an, was "wir" sonst so dulden und wie lange es braucht, um harte Reaktionen zu erzeugen.

Die Forderung an die USA sind reine Profilierungsgebahren gegenüber der eigenen Bevölkerung. Die türkische Regierung weiß ganz genau, dass sie Gülen auf diesem Weg nicht kriegen.
Letztendlich offenbart man damit aber selbst, dass die EU und die NATO überhaupt keinen Wert haben. Erdogan bewegt sich seit geraumer Zeit immer weiter auf diese rote Linie zu und man hat bisher keine Anstalten gemacht, Erdogan in die Schranken zu weisen. Auch die türkische Bevölkerung wird nicht ewig zusehen und ich denke, die Zustimmung für Erdogan wird schwinden, wenn die Demokratie weiter eingeschränkt wird und es die Bürger irgendwann schließlich auch persönlich zu spüren bekommen. Was soll passieren, wenn die Situation tatsächlich eskaliert und die Türkei auf einen Bürgerkrieg zusteuert? Es ist sehr weit gegriffen, aber was passiert, wenn die Türkei zu einem zweiten Syrien wird, in dem Erdogan sein eigenes Volk bekämpft? Erdogan muss klare Grenzen aufgezeigt bekommen - Was soll den passieren? Erdogan braucht die NATO genauso wie wir die Türkei brauchen. Eine Drohung mit einem Rauswurf aus der NATO würde vielleicht schon etwas bewegen und Erdogan klar machen, dass er keine freie Hand hat und machen kann was er will.
Mindestens ein Zeichen setzen.
 
Die NATO vertritt aber nicht Werte, sondern Interessen. Egal, was auf irgendwelchen feierlichen Gründungsdokumenten beschworen wird.

Und ob in der Türkei jetzt die kemalistischen Blut-und-Boden-Nazis oder nicht minder barbarische Islamisten das Sagen haben, ist irrelevant. Die Bevölkerungsmehrheit ist nach gut einem Jahrhundert permanenter, staatlich verordneter Indoktrination zutiefst reaktionär, sodass man allenfalls von verschiedenen Häuptern derselben Hydra sprechen kann.
 
@Wonka Third

Es ist ja schon genannt worden: Die NATO ist kein Werteverbund, sondern ein reines Militärbündnis. Die Türkei dort herauszuwerfen hätte für die übrigen NATO-Staaten nur Nachteile, denn immerhin brauchen wir die Luftwaffenstützpunkte der Türken a.) mehr als sie uns und b.) freuen sich Russen und Chinesen dann auf neue zahlungskräftige Kunden, Erstgenannter sich obendrein über einen neuen Verbündeten. Dann sind es künftig keine Tornados oder F-16 mehr, die von Incirlik starten, um den IS zu bekämpfen, sondern Su-30 und Su-24, welche jeden von Assads Gegnern unter Beschuss nehmen.

Ich wüsste auch nicht, warum die Türkei die NATO zwingend braucht. Das ist m.E. der vollkommen falsche Druckpunkt.
 
Weil ihr das in der Region geopolitisches Gewicht gibt. Ohne die Nato würde sich die Türkei wohl unsicherer fühlen.

Das ändert nichts daran, dass NATO/EU derzeit ein sehr starkes Eigeninteresse daran haben, dass die Türkei, entlassene Richter oder nicht, Teil des Bündnisses bleibt - und davon weit mehr Vorteile haben, als sich gerade jetzt Zugang zu türkischen Infrastruktur und politischen Kompromissen zu verbauen.

Lawrow und Yi werden sich nicht lange zum Tee bitten lassen.
 
@Aurelian

Es ist aber letztendlich der einzige Druckpunkt, den wir zurzeit haben. Ich stimme dir komplett zu, die NATO braucht die Türkei mehr denn je, umgekehrt ist es aber genauso:
Würde die Türkei plötzlich aus der NATO austreten, dann macht die EU unmittelbar die Tür dicht, was bedeutet, dass Erdogan auf die Russen angewiesen wäre. Das kann er auf keinen Fall riskieren, weil er dann sehr schnell Probleme bekommen wird, seine Grenzen zu verteidigen und auch der Zugang zum schwarzen Meer wird ihm in Windeseile verloren gehen.
Zudem ist Putin doch momentan der Einzige, der Erdogans Truppen den Marsch auf Damaskus verhindert. Russland wartet doch nur auf die Gelegenheit, die Türkei zu zertrampeln, das weiß auch Erdogan.

Von den Chinesen würden sich die Türken fernhalten, denn etwaige Waffenlieferungen Richtung Türkei würden die chinesischen Beziehungen zu Russland auf Trockeneis legen - Das werden die auf keinen Fall riskieren.
Ich denke also schon, dass die Türkei auf den Schutz der NATO und vor allem der USA angewiesen ist.
 
Also ob die Türkei auf die NATO-Mitgliedschaft verzichten könnte, nach allem, was in der Ost-Ukraine und der Krim abgelaufen ist. Man würde sich selbst auf dem Silbertablett präsentieren.

Russland könnte dann nämlich ganz plötzlich auf die Idee kommen, wieder alte Ansprüche auf nördliche Gebiete der Türkei zu erheben.

Die Türkei ist aber nicht die Ukraine und abgesehen von dem gänzlichen anderem Niveau an Verteidigungsfähigkeit wird Russland kein Interesse daran haben, sich einen weiteren Krisenherd aufzubürden. Ganz im Gegenteil, die Türken als engere Verbündete wären für Putin in Zeiten, in denen der Ton mit der NATO rauer geworden ist, ein willkommenes Mittel zum Zweck.
 
Die Türkei ist aber nicht die Ukraine und abgesehen von dem gänzlichen anderem Niveau an Verteidigungsfähigkeit wird Russland kein Interesse daran haben, sich einen weiteren Krisenherd aufzubürden.

Dieser Krisenherd ist doch schon längst da.

Russland hat provoziert und ohne Not türkischen Luftraum verletzt und die Türkei ist voll drauf eingestiegen und hat ohne Not diesen Luftraum verteidigt und ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen.

Ohne NATO-Bündnis im Rücken der Türkei wäre diese Situation meiner Ansicht nach gänzlich anders ausgegangen.
 
Dieser Krisenherd ist doch schon längst da.

Russland hat provoziert und ohne Not türkischen Luftraum verletzt und die Türkei ist voll drauf eingestiegen und hat ohne Not diesen Luftraum verteidigt und ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen.

Ohne NATO-Bündnis im Rücken der Türkei wäre diese Situation meiner Ansicht nach gänzlich anders ausgegangen.

Die öffentliche Versöhnung hat m.E. gezeigt, dass am Ende des Tages keiner der beiden wirklich Lust darauf hat, sich eine blutige Nase zu holen. Putin weiß genau, dass die Türkei eine ganz andere Nuss ist als die Ukraine, welche man aufgrund des seit dem Ende der Sowjetunion verrottenden Militärs relativ einfach knacken konnte. Erdogan dagegen kann einen Volkssturm auslösen, insbesondere dann, wenn es gegen einen externen Feind zu mobilisieren gilt (die haben sich am Wochenende ja schon von den eigenen Panzern überrollen lassen) - und die türkischen Streitkräfte sind in einem nicht gerade unwesentlich besserem Zustand als der klägliche Haufen, den Poroschenko in die Schlacht geworfen hat. Mit dem Druck einer kränkelnden Wirtschaft, Aufrüstung an der Westgrenze und zwei anspruchsvollen Kriegstheatern wird der Kreml seine Fühler ganz sicher nicht auf türkische Territorien ausstrecken. Aus umgekehrter Perspektive sind die russischen Streitkräfte für die Türkei zweifellos eine ernstzunehmende Bedrohung, und Erdogan hat sicher wenig Interesse, sich mit einer Atommacht, die zudem mehr als nur ein paar Kisten AK-47 an die PKK verschicken kann, auf einen heftigen Ringkampf einzulassen.

Es kann gut sein, dass ohne die NATO der damalige Vorfall eskaliert wäre, dass will ich gar nicht ausschließen. Das Verhalten beider Seiten zeigt mir aber, dass Schadensbegrenzung durchaus eine vorhandene Intention war und ist, sicher auch ohne die Angst des nächsten großen Vaterländischen vor Augen. Stand heute, und das ist vllt. sogar wichtiger, haben sich die Wogen wieder etwas geglättet, und gerade Russland wird sich doch die Hände reiben, wenn ein so wichtiger NATO-Staat seine Schlafzimmertür öffnet, da muss keine Liebe im Spiel sein.

@Aurelian

Es ist aber letztendlich der einzige Druckpunkt, den wir zurzeit haben. Ich stimme dir komplett zu, die NATO braucht die Türkei mehr denn je, umgekehrt ist es aber genauso:
Würde die Türkei plötzlich aus der NATO austreten, dann macht die EU unmittelbar die Tür dicht, was bedeutet, dass Erdogan auf die Russen angewiesen wäre. Das kann er auf keinen Fall riskieren, weil er dann sehr schnell Probleme bekommen wird, seine Grenzen zu verteidigen und auch der Zugang zum schwarzen Meer wird ihm in Windeseile verloren gehen.
Zudem ist Putin doch momentan der Einzige, der Erdogans Truppen den Marsch auf Damaskus verhindert. Russland wartet doch nur auf die Gelegenheit, die Türkei zu zertrampeln, das weiß auch Erdogan.

Von den Chinesen würden sich die Türken fernhalten, denn etwaige Waffenlieferungen Richtung Türkei würden die chinesischen Beziehungen zu Russland auf Trockeneis legen - Das werden die auf keinen Fall riskieren.
Ich denke also schon, dass die Türkei auf den Schutz der NATO und vor allem der USA angewiesen ist.

Sorry für den Doppelpost, hatte deine Antwort dann doch vergessen.

Grundsätzlich kann ich meine Antwort auf icebärs Beitrag auch auf dich beziehen. Der wahrscheinlich momentan einzig kritische Punkt könnte kommen, wenn Erdogan die Todesstrafe wiedereinführt und es zu Massenexekutionen kommt. Dann wäre m.E. der Bogen möglicherweise sogar für die EU/NATO überspannt.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ich wüsste auch nicht, warum die Türkei die NATO zwingend braucht. Das ist m.E. der vollkommen falsche Druckpunkt.


Der NATO-Bündnisfall ist bereits genannt worden. Ohne den kann man schlecht Russland provozieren, um danach direkt wieder hinter den US-Rock zu kriechen und hämisch grinsen, wie ein kleines, trotziges Kind hinter seiner Mama.

Abgesehen davon überschätzt du die Türkei ein wenig; tatsächlich ist sie ein Gigant auf tönernen Füßen. Der oft gepriesene wirtschaftliche Fortschritt ist auf Pomp und liegt immer noch weit hinter EU-Standards. In Kurdistan wird ein brutaler Krieg gegen die Zivilbevölkerung geführt, mit dem IS-Verbündeten scheint man es sich mittlerweile auch verscherzt zu haben. Innenpolitisch herrscht ein Klima von Repression, Angst und Denunziation. Bildung und Wissenschaft kaum mehr vorhanden, weil alles verfügbare Geld in Religionsbehörde und Taschen der AKPler wandert, die fleißig daran arbeiten, künftige Generationen gewalttätiger Moscheeproleten ohne jegliche Gesprächskultur aus der Taufe zu heben. Technologisches Know-how gab es dort sowieso noch nie und wurde immer vom verhassten Westen geliefert -- allen voran Deutschland und Israel.
 
Abgesehen davon überschätzt du die Türkei ein wenig; tatsächlich ist sie ein Gigant auf tönernen Füßen. Der oft gepriesene wirtschaftliche Fortschritt ist auf Pomp und liegt immer noch weit hinter EU-Standards. In Kurdistan wird ein brutaler Krieg gegen die Zivilbevölkerung geführt, mit dem IS-Verbündeten scheint man es sich mittlerweile auch verscherzt zu haben. Innenpolitisch herrscht ein Klima von Repression, Angst und Denunziation. Bildung und Wissenschaft kaum mehr vorhanden, weil alles verfügbare Geld in Religionsbehörde und Taschen der AKPler wandert, die fleißig daran arbeiten, künftige Generationen gewalttätiger Moscheeproleten ohne jegliche Gesprächskultur aus der Taufe zu heben. Technologisches Know-how gab es dort sowieso noch nie und wurde immer vom verhassten Westen geliefert -- allen voran Deutschland und Israel.

Touché, allerdings bedeutet ein Rauswurf aus der NATO für sich betrachtet keine wirtschaftliche Isolation.
 
Sollte die Türkei die Todesstrafe wieder einführen so wäre dies das Ende der Beitrittsverhandlungen mit der EU und auch den Europarat müßte die Türkei dann verlassen.
Und wenn die Türkei sie trotzdem wieder einführt so bin ich gespannt ob am sich das das Rückwirkungsverbot hält oder nicht.
 
Touché, allerdings bedeutet ein Rauswurf aus der NATO für sich betrachtet keine wirtschaftliche Isolation.

Natürlich nicht.

Grundsätzlich verstehe ich diese europäische Zimperlichkeit gegenüber der Türkei und anderen orientalischen Despotien nicht. Man kann niemandem Demokratie und die bösen westlichen Werte aufzwingen, schon klar. Man kann aber sagen: Entweder richtet ihr euch nach unseren Standards, oder ihr bleibt unter euch und eure gewaltbereiten fünften Kolonnen könnt ihr gerne wiederhaben. Ich bin auch dagegen, dass Deutschland & Co. Waffen exportieren und sich dadurch mitschuldig an Verbrechen gegenüber Minderheiten machen; gerade gegenüber der Türkei gab es immer wieder großzügige Geschenke. (Aber gut, diesbezüglich hat man bereits 1915 gemütlich bei einem Völkermord zugesehen, in den 80ern betraf es dann die irakisch besetzten Kurden.)

Wirtschaftliche Sanktionen der EU würden da schnell Wunder wirken, um die islamischen Welteroberer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.
 
Zurück
Oben