@Crimson
Eine fragwürdige Moralvorstellung ist es, wenn man bestimmten Bevölkerungsgruppen etwas unterstellt und aufgrund dieser Unterstellungen für Gesetze zu arbeiten, die zu Einschränkungen und Verboten führen. Erst durch sie entsteht dann wiederum eine oppositionelle Gruppe. Ein Kompromiss hat hier keinen Platz, da wie bereits geschrieben nicht die Moralvorstellungen entscheidend sein dürfen, sondern nur Fakten und Berücksichtigung von zentralen Konzepten wie dem Subsidiaritätsprinzip.
Dass sich die Wirkung möglicherweise verstörender Medieninhalte gar nicht allgemeingültig bestimmen lässt, ist jedenfalls ein sehr gutes Argument dafür, sich genau zu überlegen, wie man denn mit ihnen umgeht und nicht einfach einen Stempel raufzuhauen und damit ist es dann getan. Gerade wenn man dann auch noch feststellt, dass andere Länder mit weniger strengen Regelungen keine Zustandsänderung aufweisen (sprich nicht prozentual mehr Minderjährige die einen nachweislichen Schaden oder eine negative Beeinträchtigung erlebt haben), muss der Gesetzgeber eigentlich handeln.
Nun haben wir aber stattdessen einen Vorstoß, ein fragwürdiges Gesetz stärker durchzusetzen und nicht etwa es anzupassen oder anzuschaffen. Es ist irrelevant ob sich ein Minderjähriger strafbar macht oder derjenige der Inhalte anbietet, es ist am Ende eine Zunahme der Diskriminierung der Jugend auf Basis von Annahmen und der Weigerung sich an freiheitlich demokratischen Grundsätzen zu halten. Und es ist eine Diskriminierung, weil es eine grundlose, staatliche (!) Bevormundung ist. Das ist genauso wie die Diskriminierung von erwachsenen Frauen und Männern in Ländern, in denen man sich zwar prostituieren darf aber der mögliche Kunde sich strafbar macht. Es ist faktisch ein Verbot dessen, was einem selbst gestattet ist.
Aber welche "Erfahrungen" für später könnten für einen 8, 12, oder 14-jährigen von Wert sein, wenn er sich Gang-Bang-Videos oder Bukkake-Filme ansehen darf? Ist es für ein Kind oder einen Jugendlichen tatsächlich gut, wenn es aus japanischen Mafia-Filmen oder italienischen Splatter-Streifen lernt, wie man Konflikte löst?
Diese Frage stellt sich nicht. Es stellen sich nur die genannten Fragen bezüglich der Feststellung und Weite eines staatlichen Handelns. Unterhaltung hat nicht die Aufgabe pädagogisch wertvoll zusein und man konsumiert sie wohl auch zumeist nicht, um etwas daraus zu lernen, was nicht heisst dass nicht viele Werke (wenn nicht sogar die absolute Mehrheit) Botschaften enthält. Die Erfahrungen, die Minderjährige hier machen sind vor allem die offensichtlichen, die Auswirkungen von Gewalt, die Komplexitität der Sexualität und eigene Interessen. Wohl die wenigsten entwickeln ihre Neigungen und Interesse erst nach dem sie 18 sind, sondern lernen sie über den Medienkonsum weitaus früher kennen. Ein Beispiel. Jemand wie James Rolfe, der Angry Video Game Nerd, hat vermutlich kaum sein Interesse für Film, Effekte, Horror und Splatter entwickelt, nach dem er 18 Jahre mit Bussi Bär aufgewachsen ist. Und ich wage die Behauptung, dass dies so ist mit den meisten Kunstschaffenden und Menschen überhaupt. Wenn man befürchtet, dass die Menschen durch den Medienkonsum in jungen Jahren tatsächlich eine gewalttätige Konfliktlösung lernen (und dann all die anderen Fragen beantwortet werden), dann muss man das Belegen und nicht einfach in den Raum stellen.
Ich was sicherlich nie ein Kind von Traurigkeit, und habe mich oft genug am deutschen Jugendschutz gerieben, und als ich minderjährig war auch gerne und oft dagegen verstoßen. Nun hatte ich das Glück, recht behütet aufzuwachsen, und zuhause eine ordentliche Erziehung genossen zu haben, bei der humanistische Werte und ein zivilisierter Umgang vermittelt wurden. Dieses Glück hat aber nunmal nicht jeder, und sehr viele Eltern lassen ihren Nachwuchs mehr oder weniger allein und scheren sich einen Dreck darum, ob und wie kompetent der Sprößling mit problematischen Medieninhalten umgeht. Inzwischen sehe ich viele Dinge daher etwas anders. Das System von Indizierung und Totalverbot finde ich noch immer unnötig und bevormundend, Altersfreigaben sehe ich hingegen als absolut sinnvoll an, da es unbestreitbar Medieninhalte gibt, die Kinder und Jugendliche stark verstören und in ihrer Entwicklung behindern können, nicht alle, aber eben einige, und die hat (neben den Eltern) nunmal auch der Staat zu schützen.
Und hier haben wir direkt eine Reihe von Behauptungen die oft fallen aber ohne Beleg. Erst mal dass ja viele Eltern ihren Nachwuchs allein lassen, sich einen Dreck darum scheren ecetera pp. Das kann man nicht einfach so sagen. Ich mein was heisst denn "viele"? Das ist ja nicht mal eine Prozentangabe. Und das ist ja noch nicht alles. Angenommen wir haben nun Eltern die sich einen Dreck um den Medienkonsum scheren, das war übrigens bei mir so ziemlich so, mir wurden keine Vorschriften gemacht, es wurde nicht großartig über Medien geredet, meine Eltern haben keine Ahnung von Medien und haben mich ziemlich frei konsumieren lassen, worauf ich lust habe. Die einzige Einschränkung bestand in der Uhrzeit, was sich Ende der 90er dann auch auflöste (da war ich dann aber auch noch erst gegen 12). Videospiele, Filme, Internet, pure Freiheit. Nun unterstellt man Eltern aber dass genau das absolut gefährlich und schädlich ist. Und das kann auch sein aber dafür braucht es Belege. Vielleicht ist es gar nicht problematisch, wenn dafür die Eltern aber wenigstens liebend und fürsorglich sind. Mit anderen Worten, Probleme treten erst auf, wenn man Vernachlässigung und häusliche Gewalt erlebt. Nun stellt sich aber wiederum eine Frage die man erst mal beantworten muss, nämlich ob dann die Probleme eines Jugendlichen wie beispielsweise Drogenkonsum, Diskriminierung, Gewalttätigkeit und straffälliges Verhalten oder auch Selbstverletzung und psychische Störungen von den konsumierten Medien kommen oder nicht eher vom Elternhaus (und anderen entscheidenden Faktoren wie Milieu und Freunde). Auch Dinge wie "stark verstören" oder "Entwicklung behindern können" ist sehr vaqe, da steckt nichts irgendwie fassbares dahinter und damit ist es auch nicht unbestreitbar. Diese "einige", denen angeblich irgendwas nicht näher definiertes zustoßen könnte, müssen wiederum klar definiert sein. Ein staatliches Handeln ist eben nicht notwendig, wenn eventuell irgendwann im einstelligen Bereich mal irgendwas passieren könnte. Ein staatliches Handlen ist bei ganz grundsätzlichen Gefährdungen notwendig, so wie bei toxischen Stoffen bspw. die nicht vielleicht unter Umständen wirken, sondern mit absoluter, bestimmter Sicherheit, bei Überschreitung eines bestimmten Grenzwerts.
Ich sage gar nicht, dass eine Altersfreigabe nicht sogar sinnvoll sein kann aber dafür muss man vorher etwas tun und sehr viel Arbeit investieren, die man sich wohl kaum bei der Gesetzgebung vor sehr langer Zeit gemacht hat.