Auch sollte man nicht vergessen das der Imperialismus immer Hand in Hand mit dem Nationalismus seine Runden gedreht hat. Gerade in der Epoche der Kolonien.
Und im Gegenzug dazu befreiten sich diese Kolonien durch die Fremdherrschaft durch ihren eigenes politisch wirksam gemachte Nationalgefühl. Es ist dieser fortdauernde Imperialismus von dem ich spreche, zu dem der europäisch-westliche Mensch neigt, der unser geschichtlich entwickelten Vorstellung der Werte von Wachstum, Fortschritt und Produktivität an fremde Kulturen und Völker anlegen will. Gegen diese Form der Ausbeutung steht das Prinzip der nationalen Souveränität. Das ist auch einer der Gründe, warum sich in vielen Ländern, die einstmals Kolonien waren, Befreiungsnationalismus und sozialistische Ideen miteinander verbanden, um sich gegen fremde Imperien zu verteidigen. Dementsprechend ist Nationalismus auch eine Verteidigungshaltung die aus der Schwäche des Staates notwendig wird.
Aber: Auch hier wurde der Überlebenswille der nichtwestlichen Völker durch eine ausländisches Imperium leider Gottes okkupiert: Die Sowjetunion verstand es nur zu gut, die jeweiligen politischen Bewegungen zu lenken, mit Zuwendungen und Lieferungen gefügig zu machen und so wurden diese nicht selten nur zu einem weiteren unfreien Werkzeug der Stellvertreterkriege der Supermächte in Afrika, Asien und Lateinamerika. Leider.
Um die Parallele zur Ära Napoleons zu schlagen: Auch du gibst ja zu, dass es durchaus weniger eindeutig gewesen. Ja, der korsische Kaiser war der Alleinherrscher, dennoch hätten seine - auch von seinen Feinden "genial" genannte Politik nicht so lange Erfolge einfahren können, wenn sie nicht mit Vorteilen locken dürfte: Der Codé Napoleon wurde eingeführt, ein einheitliches Messmaß, generell zeigte sich Napoleon als sehr "aufgeklärt", der allen Grundrechte sichern würde, die Franzosen gerierten sich als "Speerspitze der Zivilisation und des Fortschritts" und Bringer aller sonst noch so gerade modischen Aufklärungsideale und so wurde tatsächlich auch unter der Franzosenherrschaft Religionsfreiheit eingeführt, die oft noch existierenden Ghettos für Juden aufgelöst. Gleichzeitig wurden diese Dinge aber mit militärischer Gewalt erzwungen, Napoleon war halt eben auch ein Machtmensch, der ständig Krieg führte und ein brutaler Despot. Für jeden sozialen Fortschritt kam halt auch die Akte der Verachtung für die örtlichen noch tief verwurzelten Traditionen und der Abwertung des als "weniger entwickelt" geltenden Fremden. So war es bei der Grande Armee beliebt, deutsche Kirchen zu Viehställe umzufunktionieren. Wer eine Ahnung hat, was das für einen Eindruck auf gläubige Menschen macht, kann sich vorstellen, dass dies ähnliche Wirkung auf die unterlegenden Völker machte wie der allgemeine Pressdienst in die Armee Napoleons.
Das meinte ich mit meiner oben erwähnten Inbesitznahme großer Ideale als Werkzeuge eines wie auch immer auftretenden Imperialismus (der aus westlicher Sicht durchaus "Fortschritte" bringen kann: So haben ja die Kolonialmächte nicht nur ausgebeutet, sondern auch Schulen, Straßen und Krankenhäuser gebaut). Aber ich glaube du weißt, was ich jetzt mit der Janusköpfigkeit solcher Ideale meine, sei es jetzt "Nation", "Menschheit", "Sozialismus", "Fortschritt", "Gerechtigkeit", "Zivilisation", "Menschenrechte" und ja auch "Demokratie".
Zu letzteren fragwürdigen Schattenseiten hat übrigens der Philosoph Alexis de Tocqueville vor mehr als hundert Jahren ein kluges Buch geschrieben "Über die Demokratie in Amerika", wo er allgemein ziemlich feinsinnige Beobachtungen macht, wohin eine Gesellschaft im Rahmen von Individualisierung und im Spannungsfeld zwischen Gleichheit und Freiheit driften kann. Wie wichtig eigentlich viele Umgangsformen, Überzeugungen, Sitten, Symbole und Gemeinplätze usw aus "vordemokratischen" Zeiten sein können, damit eine Gesellschaft eigentlich stabil bleibt und nicht mit der Zeit immer mehr auseinanderfällt. Es kann sogar dazu führen, dass Demokratien durchaus selbst despotisch werden und immer weniger "Abweichung" dulden. Eine Beobachtung die auch Le Bon in "Psychologie der Massen" macht: Das von dem Ballast der Traditionen, Identität und überlieferte Sitten im Namen des Fortschritts "befreite" Individuum, findet sich mangels Verwurzelung nur noch stärker dem Sog der Massenbewegungen des Idealismus ausgeliefert. Geld, Masse und Presse liefern dann die passende Besitznahme des jeweiligen Ideals und die große Gefahr ist, dass die Masse nicht "denkt". Sie lässt sich treiben. Weniger bekanntes Beispiel USA 1917: Das amerikanische Volk wollte keinen Krieg, eigentlich war man sich einig, dass man weiß Gott klüger sei als die, die in der alten Welt, die sich gegenseitig ausbluteten: aber die Presse brachte es in kürzester Frist dazu, begeistert den "Kreuzzug" im Namen der "Zivilisation" gegen die "Hunnen" und "die Barbarei" zu unterstützen - mit allen Konsequenzen. Und die Kriegsdienstverweigerer, die eigentlich nur genauso gedacht haben wie vor kurzer Zeit "alle Amerikaner" vor der ganzen Show, wurden in die Gefängnisse geworfen. Das ist dann das Widersprüchliche an der Demokratie, ein Damoklesschwert, das durchaus real ist, weil die Masse einer "befreiten" Gesellschaft der "befreiten" Individuen eben nicht - wie es doch eigentlich folgerichtig sein sollte- denkt. Zu diesem Optimismus sehe ich keinen Anlaß.