Durge1000
Senatsbesucher
Genau dieser Rotz von einer "Schicksalsgemeinschaft" und vom "eigenen Volk", dass man sich nicht aussuchen kann, ist es, was die verspätete Nation Deutschland ein ums andere Mal in die Katastrophe geführt hat. Nationalismus ist prinzipiell eklig, aber gerade der deutsche Nationalismus hatte schon immer eine extrem ausgeprägte völkische Seite, die stets darauf beruhte, die Welt in "wir" und "die" zu teilen. Das ist z.B. etwas, was dem amerikanischen Nationalismus fast völlig abgeht. Dort kann prinzipiell jeder am Gemeinwesen teilnehmen, wenn er bereit ist, die Verfassung zu akzeptieren.
Also ich habe ein Weilchen in den USA gelebt und so angeblich ideales Utopia des Verfassungspatriotismus ist die USA nicht, das war sie übrigens auch nie (und in der heutigen Situation erst recht nicht). Sogar Barack Obama nannte es "naiv", auf ein "postrassisches" Amerika gehofft zu haben (washingtonexaminer.com 13.1.2017) Als wäre jeder, der den Boden der USA betritt, schlagartig Amerikaner (wenn er wie du sagst "bereit ist, die Verfassung zu akzeptieren") und nur weil du für dich beschlossen hast, nicht mehr zwischen deiner Gruppe und den anderen zu differenzieren, verschwindet diese Differenz nicht aus der Welt. Sorry, dass ich derjenige sein muss, der dir davon berichtet, aber du bringst mich dazu mal weit auszuholen, weil mich diese herumschwirrenden Mythen über die USA und die Assimilation dort wirklich aufregt:
Etliche spanischsprachige Organisationen, Parteien und Medien in den USA, aber auch kriminelle Banden führen die Selbstbezeichnung "La Raza" ("die Rasse") im Titel. Mexikanische Nationalisten träumen von einer Restauration des Aztekenreiches Aztlán im Südwesten der USa, in dem viele Städte bereits eine mehrheitliche hispanische Bevölkerung haben (laut einer Volkszählung von 2010 machen Hispanics und Latinos bereits 40 % der Bevölkerung von Texas aus). Von den Hunderttausenden Illegalen, die über die mexikanische Grenze ins Land gelangen, die damit einhergehende Hispanisierung die Amerika zunehmend in eine bilinguale, bikulturelle Gesellschaft verwandelt, war einer der Hauptgründe für die Präsidentschaftswahl von Donald Trump 2016 mit seinen Wahlversprechen. Soviel zu "die" und "wir".
Die überraschende historische Wahrheit ist, dass die USA über den Großteil seiner Geschichte hinweg kein multikulturelles, multirassisches Land, kein "Schmelztiegel" und auch keine "universale Nation" war (und bis vor kurzem war es noch ein mehrheitlich "weißes" Land, als Ableger und Verwandter Europas, wir alle wissen das). In Wirklichkeit waren die Vereinigten Staaten seit ihrer Gründung stets bemüht gewesen, die Einwanderung in God's Own Country zu regulieren und zu steuern, sich Verdauungs- und Verschnaufpausen zu gönnen, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Wahrung einer spezifischen nationalen Identität.
Samuel Huntington spricht in dem lesenwerten Buch "Who are We?" von einer "angloprotestantischen Hauptkultur" an der "die meisten Einwohner unabhängig von ihrer jeweiligen Subkultur teilhatten". Die Kultur der Gründergeneration habe "fast vier Jahrhunderte lang" die "zentrale dauerhafte Komponente der amerikanischen Identität" gebildet. Und ich habe in meiner Zeit dort, viele hart arbeitende Menschen, lokal gebundene Durschnittsmenschen mit Durschnittseinkommen getroffen die das sehr ähnlich sehen. Wär Amerika nicht von britischen Protestanten, sondern mehrheitlich französischen, spanischen oder portugiesischen Katholiken besiedelt worden, wäre das Ergebnis nicht Amerika, "sondern Quebec, Mexiko oder Brasilien". Das erste Einbüergeungsgesetz aus dem Jahr 1790 beschränkte die Einwanderung in den frisch gegründeten Staat 1790 ausdrücklich auf "free white persons of good character" (also ohne kriminelle Belastung). Das Zeitalter der "Masseneinwanderung" begann erst in den 1840er Jahren, wobei die erste Welle überwiegend aus Nord- und Westeuropa kam. Die Einwanderung aus China wurd 1882 für die nächsten sechzig Jahre gestoppt, mit dem erklärten Ziel, die ethnische Zusammensetzung des Landes nicht zu gefährden. 1890-1920 dann eine große Welle aus Süd-und Osteuropa. Das erzeugte erhebliche soziale Spannungen und veranlasste den Staat, eine Einwanderungspause zu verordnen. 1921 und 1924 wurden Gesetze erlassen, die Eiwnanderung drastisch zu reduzieren und die west- und nordeuropäische Einwanderer bevorzugten. Das änderte sich erst im JAhr 1965 als der "Immigration & Naturalization Services Act" in Kraft trat, die bisherigen Restriktionen aufhob und Familienzusammenführung erlaubte. Übrigens wie damals Senator Ted Kenendy versicherte, würde das keine bemerkbaren Auswirkung auf die demographische Zusammensetzung der USA haben. Was aber passierte. Der ethnische Wandel drückte sich seit den 60ern wie gesagt mit dem Rückgang der weißen Bevölkerung aus und seit Anfang der 90er setzte eine weitere massive Einwanderungswelle ein, die bis heute nicht nachgelassen hat (Zwischen 2001 und 2010 wanderten mehr Menschen ein als jemals zuvor in der Geschichte der USA in einem vergleichbaren Zeitraum, allerdings kaum mehr aus Europa).
Wohlgemerkt: Auch unter den Weißen gab, die früher die massive Mehrheit stellten, gab es in den USA Spannungen und Kulturkämpfe. Und seit dem späten 19. Jahrhundert gab es verschiedene Konzepte, wie man die hereinströmenden Massen assimilieren oder integrieren könnte. Das bereits sehr alte Konzept "Schmelztiegel" sah die Verschmelzung der europäischen Völker zu einem neuen amerikanischen Menschen vor. Erst später wurde es dieses Konzept auf alle Ethnien, Völker, Kulturen und Religionen der Welt ausgedehnt. Zweite Konzept: "Tomatensuppe"/Anglo-Konformismus, demnach würde die "anglo-protestantisch Tomatensuppe" durch "eingewanderte Zutaten" angereichert (wie Gewürze, Petersilie usw) Also ein Programm kultureller Assimilation. Der bekannte jüdisch-amerikanische Philosoph Horace Kallen hat dem eine andere kulinarische Metapher entgegengesetzt: Die USA seien vielmehr eine "Salatschüssel", gekennzeichnet durch "kulturellen Pluralismus" wobei er de facto "ethnischen Pluralismus" meinte. Denn so Kallen können Menschen, also die "Zutaten" des Salats, ihre Kultur, nicht aber ihre ethnische Zugehörigkeit ändern. Biologie ist nach Kallen (ich zitiere: "Schicksal, Identitäten sind 'durch Abstammung determiniert', und sie stellen 'dauerhafte Gruppenunterscheidungen' dar" (Huntington). Die Lösung sollte eine amerikanische "Transnationalität" sein "ein Verweben, zusammen mit anderen Ländern, der vielen Fäden aller Größen und Farben"
Diese zum Teil widersprüchlichen Ansätze gehen in der Realität fließend ineinander über, aber man kann sagen, dass Kallens Ansatz heute der vorherrschende ist. Huntington sieht übrigens in dem Übergang von anglo-protestantischer Tomatensuppe, also der anglo-prot. Leitkultur zur multiethnischer Multikultur eine der Hauptursachen für die amerikanische Identitätskrise. Multikulturalismus steigert das Interesse "an Rasse, ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht und anderer Formen von subnationalen Identitäten", unterminieren somit die Idee einer "Leitkultur", wodurch auch die Faktoren zunehmend verschwinden "die früher die Assimilierung von Immigranten gefördert haben, in Verbindung mit der zunehmenden Tendenz von Immigranten, doppelte Identitäten, Loyalitäten und Staatsbürgerschaften zu haben". Es gibt mit anderen Worten keine Schüssel mehr für den Salat. Der amerikanische Nationalismus, den du hier also angepriesen hast befindet sich also aus obigen Gründen in der Krise. Ein weiteres Problem sind übrigens nach Huntington die "nationale Entwurzelung wichtiger Teile der amerikanischen Eliten", die Patriotismus und Nationalsmus zum Teufelszeug erklärt haben, das dem "Fortschritt" der Menschheit (und dem Profit) im Wege steht. Nach Huntington ist für sie "Heimat der Weltmarkt, nicht die nationale Gemeinschaft", weshalb sie den Bürger lieber durch einen globalen Konsumenten ersetzt sehen will. Ihr "Transnationalismus" hat drei Aspekte: Universalistisch, moralistisch und ökonomisch. "Der universalistische Ansatz ist amerikanischer Nationalismus und Exzeptionalismus ins Extrem getrieben". Amerika sei die "universelle Nation", die mit der ganzen Welt verschmolzen ist oder sein soll. Der überlegende American way of life von McDonalds und Coca Cola. Wir erinnern uns an das berühmte Video zu dem Song "Amerika" von Rammstein, wo die dieses Phänomen parodierten ("Die Freiheit spielt auf allen Geigen/Musik kommt aus dem Weißen Haus/Und vor Paris steht Micky Maus")
"Ökonomischer Transnationalismus" betrachte die Welt als "Wirtschaftseinheit", "moralistischer" fordere das Primat internationalen Rechts über nationale Souveränität. Die "oberste Loyalität" soll in dieser Denkweise nicht mehr einer politisch souveränen Nation oder Gemeinschaft angehören, sondern einem "demokratischen Humanismus". Damit ist das Tor offen für allerlei weltumspannende, auch militärische "Interventionen" (auch Überfälle wie das Beispiel Irak oder Syrien zeigt) im Namen von "Demokratie und Menschenrechten". Huntington beschreibt dies auch als "Was für den Westen Universalismus ist, ist für den Rest Imperialismus". So haben Erzkapitalisten wie George W. Bush und andere Neocons, ob Republicans oder Democrats, den Begriff des Patriotismus in den USA dafür taktisch gerne benutzt, um ihn mit universalistischer Bedeutung zu füllen. So wendet sich das Konzept von Kallen zur Zeit gegen den inneren Zusammenhalt der USA, wofür bereits viele Democrats-Politiker sinnbildhaft stehen, die "Vielfalt" feiern, Einwanderung ohne Assimilation unterstützen, es ablehnen, Englisch als nationale Sprache festzulegen, denen oft sogar das Anstecken eines Fahnensteckers zu weit geht, weil sie sich als "Weltbürger" und sich dann wundern, warum das Phänomen Trump möglich war. Eine der Erklärung warum Trump von der weißen Arbeiterklasse in den USA so gerne gewählt worden ist, war eben auch, dass diese durchaus um die Verachtung wissen, die liberale, urbane Eliten in höheren Einkommensklassen, die sich als Weltbürger verstehen, ihnen in den USA entgegenbringen.
Um das Bild einer zunehmenden chaotischeren Gesellschaft der USA im Zuge des Kallen Konzeptes der Salatschüssels komplett zu machen, werden Weiße in den USA nicht gerade damit beruhigt, indem sie rund um die Uhr medial beschallt werden mit den jüngsten Identity politics, wonach es wirklich sehr problematisch sei, ein weißer Mann zu sein. Und wie schuldbelastet sowas sei, wegen der Historie - und das aus allen Richtungen der kulturellen Schickeria. Soviel zum angeblichen Illusion von "die" und "wir". Die Brookings Institution mit Sitz in Washington D.C. berichtete bereits im März 2018, dass nicht Weiße, sondern die "rassischen Minderheiten" die primäre demographische Triebfeder des zukünftigen Wachstums der Nation sein würde, die Weißen aber würden in den USA spätestens im Zeitraum 2040-50 zur Minderheit geschrumpft sein. Sogar Noam Chomsky bestätigt indirekt, dass mehr Diversity eben weniger Weiße bedeute "Die weiße Bevölkerung wird ziemlich bald zur Minderheit werden." (wie man auf youtube anschauen kann, "Noam Chomsky discusses Donald Trump", 2016) Und diese linke Urgestein der USA kann man wohl kaum als rechten Hetzer brandmarken.
Derweil beklagen unzählige Stimmen inzwischen die Verschlechterung der Rassenbeziehungen: Einer Umfrage der Washington Post und ABC News zufolge waren 2016 72% der Schwarzen und 63% der Weißen dieser Meinung. Zudem sind etliche Weiße der Ansciht, dass vor allem das Rassenvorurteil gegen Weiße gestiegen sei. Nichtsdestotrotz wähnen sich viele Weiße in einer "postrassischen Gesellschaft" angekommen, während ebenso viele Schwarze der Meinung sind, "Rasse sei nach wie vor ein entscheidendes Thema" (White poeple think racism is getting worse. Against white people, washingtonexaminer, 21.7.2016) Das ist auch die Botschaft von zigmillionenfach angeklickten Rap-Videos wie Childish Gambinos "This is America", Joyner Lucas' "I'm not Racist" oder XXX-Tentacions "Riot", in dem der Rapper eigenhändig ein weißes Kind lyncht. Das sind alles Beobachtungen, dass die postrassische Utopie eigentlich eher gescheitert ist, ohne dass man dafür einen Sündenbock bräuchte, kann das eigentlich jeder mit Augen im Kopf in den USA sehen. Deine Haltung kann ich mir nur erklären, dass du nur eine bestimmte Sorte Nachrichten über die USA konsumierst, die dich dazu verleiten, zu denken, wäre nur Trump weg, wäre die amerikanische Gesellschaft mit ihrem momentanen Konzept auf der Überhohlspur, während in Wirklichkeit vieles dafür spricht, dass die "Identity politics" sich ziemlich überdehnt haben.
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