Togoria – Caross, Versammlungshalle – viele NPCs, Sonna Snoff und Rrooow
Wochen waren vergangen seit Vrootos bemerkenswertem Auftritt und Senatorin Snoffs vielbeachteter Rede. Die Togorianer fiel es leicht, Bezug zu der kleinen Bimm zu finden und Bimmisaari mit Togoria zu vergleichen. In der Republik ging es also nicht nur um Menschen, diesen Satz hatte Rrooow seitdem oft gehört. Überhaupt hatten ihre Landsleute die Vertreterin der Republik ganz anders empfunden, als sie sich einen solchen vorgestellt hatten. Wer auch immer die Senatorin von Bimmisaari für diese Reise ausgewählt hatte, er oder sie hatte sich das offenbar gut überlegt. Seitdem war diese als eine Art Wahlbeobachterin hier geblieben, wie es Rrooow schien.
Hier hatte es einige Veränderungen gegeben. Tyross und mehrere andere der von ihr »mittelstark« eingeschätzten Kandidaten hatten zugunsten von entweder Vrooto oder Graavw zurückgezogen, so dass nur diese beiden als vermutlich ernstzunehmende Kandidaten als neuer Markgraf übrig blieben. Ganz genau vermochte dies niemand zu sagen, für Wahlprognosen war Togoria noch nicht weit genug. Bei der Matriarchinnenfrage gab es sogar überhaupt keine Gegenkandidatin zu Rruuugh. Es hatte eine Weile gedauert, ihrer Mutter zu erklären, dass man auf die Wahl trotzdem nicht verzichten konnte, aber schließlich waren sie zu ihr durchgedrungen.
In der Versammlungshalle von Caross waren tagsüber die Stimmen für die Hauptstadt Caross und Mroovvs zugehörigen Clan abgegeben worden und hier warteten Rruuugh und Vrooto auf das Ergebnis. Auch Tyross, der nunmehr Vrooto unterstützte, war hier. Graavw und einige der anderen konservativen Clanführer hatten einige Beobachter nach Caross entsandt, welche die anstehende Auszählung misstrauisch beobachteten. Über allem thronte Rruuugh, die sich bereits als sichere Wahlsiegerin fühlte, während Vrooto nervös umherwanderte. Immer wieder zog es ihn dabei zu den Liphon- und Etelospießen, die wie der vergorene Feuertraubensaft eigentlich für die Wahlparty nach dem erhofften Doppelsieg bestimmt waren. Natürlich hatte er mehr Grund als seine Mutter, nervös zu sein.
Rruuugh hatte schließlich nur eine ja/nein-Wahl zu gewinnen. Vrooto musste dagegen vier Gegenkandidaten aus dem Feld schlagen, selbst wenn ihm davon nur einer ernsthaft gefährlich werden konnte, so es denn keine große Überraschung gab. Während Männer und Frauen jeweils nur über ihren zukünftigen Anführer abstimmen konnten, wurden zwei weitere Fragen gemeinsam entschieden. Die erste war die, ob Togoria Beitrittsverhandlungen mit der Republik eröffnen sollte, und die zweite jene, wann die nächsten Wahlen stattfinden sollten.
Rrooow hatte das zweifelhafte Vergnügen, das Procedere durchzuführen. Es gab Wahlzettel aus Flimsi, weil dieser antiquierte Wahlmodus hoffentlich die Hemmschwelle für viele der weniger technikaffinen Männer senken würde. Wahlbüros gab es in allen Städten und Rrooow stand mit jedem von ihnen in Verbindung. Infolgedessen war sie von einer ganzen Batterie Komms umgeben, obwohl streng genommen eines genügt hätte. Senatorin Snoff leistete ihr dabei moralische Rückendeckung, besonders wenn sie zum x-ten Mal erklären musste, dass die Öffnung der Wahlurnen nach Carosser Ortszeit geschah und die Wahlfrauen in der jeweiligen Stadt nicht etwas schon auszählen und anschließend ins Bett gehen konnte.
»Wir müssen unbedingt anfangen, Kaf zu importieren. Er würde ihnen sicherlich helfen, so eine lange Wahlnacht durchzustehen,«
Meinte Rrooow zu Senatorin Snoff nach dem x-ten Blick auf das große Chronometer in der Halle, welchem dem Anblick nach aus einem alten Raumschiff geborgen worden sein musste. Schließlich war es soweit, es war Sonnenuntergang (welchen über ein Chronometer festzustellen für eine Nicht-Togorianerin ein wenig hinten durch die Brust ins Auge wirken musste). Die Bepelzte erhob sich von ihrem Sitz.
»Es ist soweit. Mutter?«
Die schwarzweiße Togorianerin warf ihrer Mutter einen vorsichtigen Blick zu. Irgendwie hatte sie das Gefühl, die Matriarchin würde es ihr übelnehmen, wenn sie das Ende der Wahl eigenmächtig verkündete. In diesem Falle gab sie ihrer Tochter durch ein hoheitsvolles Nicken zu verstehen, dass sie fortfahren durfte.
»Dann erkläre ich die erste Wahl in der Geschichte von Togoria hiermit für beendet,«
Erklärte Rrooow feierlich und platzte dabei fast vor Stolz. Aber ohne lange Feierlichkeiten setzte sie sich sofort wieder, denn es folgte die weniger ruhmreiche Aufgabe, auch die anderen Wahllokale zu informieren. Sie hatten zwar auch alle irgendwelche gebrauchten Chronometer, die auf Carosser Ortszeit liefen und müssten daher theoretisch Bescheid wissen. Doch ob das in der Praxis so klappte? Eigentlich waren überall strategisch Befürworterinnen freier Wahlen postiert, Personen, denen die Matriarchin vertraute, aber so eine Abstimmung war trotzdem etwas ganz neues für alle Beteiligten. Also informierte Rrooow ihre Kontaktpersonen in den anderen Großstädten, welche planmäßig ihrerseits jene in den kleineren Siedlungen verständigen sollten. Anschließend begann sie und ihre Helferinnen mit der Auszählung.
Eigentlich sollte die Nervosität nachlassen, dachte Rrooow während der monotonen Arbeit. Die Wahl war gelaufen, nichts mehr war zu ändern, so oder so. Das Ergebnis stand im Grunde schon fest, auch wenn es noch niemand wusste. Aber jetzt hatte sie Zeit, nachzudenken – jedenfalls, wenn Vrooto nicht gerade wieder fragte, wie es aussah. Obwohl sie Bruder und Schwester waren, kannte sie ihn nicht besonders gut, aber Rrooow vermutete irgendwie die Angst in ihm, sich zu blamieren.
»Nein, ich weiß IMMER noch kein Ergebnis und es sieht nach wie vor nicht schlecht für dich aus! Je öfter du mich fragst, desto länger dauert es auch bis wir fertig sind!«
Fauchte die schwarzweiße Togorianerin ihren Bruder an und wandte sich wieder ihren Stimmzetteln zu. Schließlich kamen die ersten Ergebnisse herein, und entgegen Rrooows Anspruch an sich selbst und ihre Mitstreiterinnen war es nicht ihre. Via Kom kam das Endresultat aus Thrusss, einer Kleinstadt an. Ein schlechtes Omen möglicherweise? Die Ergebnisse fielen jedenfalls ganz anders als erhofft aus.
»Vrooto, ich kann nichts lesen, wenn du mit der Nase am Display klebst!«
Begann Bruderherz sich an die Vorteile von Technologie zu gewöhnen oder war es nur die Aufregung? Vrootos Schwanzspitze zitterte immer noch, nachdem sie ihn schon längst weggescheucht hatte.
»Graavw 2397 Stimmen, Vrooto 857 Stimmen, Tlliff 463 – den hatten wir überhaupt nicht auf der Rechnung. Denke aber trotzdem nicht, dass er irgendeine Rolle spielen wird. Seine Ansichten sind noch verquerer als die von Mlazz – als ob ich mir von einem Mann verbieten lassen würde, mit meinen Freundinnen auf Rudrig zu reden. Die selbsternannte Alternative für Togoria, dass ich nicht lache!«
Vermutlich war es am besten, den Spinner einfach zu ignorieren, dachte Rrooow. Vrooto war dazu erkennbar nicht in der Lage und sah so aus, als wollte er die Wahl schon für verloren erklären.
»Ich wusste es! Ich wollte ja gar nicht antreten, aber Mutter und du, ihr habt mich dazu gezwungen!«
Die Togorianerin konnte nicht anders, als mit den Augen zu rollen.
»Wusste nicht, dass ich in der Lage bin, dich zu etwas zu zwingen. Wenn ich das mal eher gewusst hätte. Jedenfalls, dieses Ergebnis war zu erwarten…«
Flunkerte sie. Eigentlich hatte Rrooow keine Ahnung gehabt, aber dass irgendwelche Kleinstädte aus der Reihe tanzen würden, war in der Tat nur logisch.
»Außerdem hat Thrusss nur ein paar tausend Stimmen insgesamt gemeldet. Das ist lächerlich, das ist gar nichts… ich glaube, ich allein habe schon mehr Stimmen für dich gezählt und wir sind nicht mal der einzige Ort auf Caross, wo gewählt wird!«
Andere Clans als ihr eigener hatten an anderen zentralen Orten der Stadt wählen müssen – anders wäre es auch logistisch nicht zu bewerkstelligen gewesen. Jedenfalls machte sie sich, was die Ergebnisse von Thrusss anging, weniger Sorgen um die Markgrafenwahl als um die der Matriarchin – Rruuugh hatte dort ihre nämlich ihre Mehrheit verfehlt. Rrooow sah ihre Mutter an, die keine Miene verzog. War sie nur äußerlich ruhig und brodelte es innerlich? Oder verließ sie sich auf die Stimmen aus ihrer eigenen im Vergleich riesigen Stadt, die ihr nahezu sicher waren? Es war selbst für die Tochter schwer zu sagen. Interessant fand Rrooow, dass es eine deutliche Mehrheit für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gab und sie wies darauf auch die Senatorin hin. Besonders bemerkenswert war, dass rein mathematisch männliche Togorianer für einen Kandidaten gestimmt haben mussten, der einen Beitritt ablehnten, selbst aber für die Aufnahme von Verhandlungen waren. Konnte es sein, dass manche Leute nicht wussten, für was sie eigentlich stimmten?
Tatsächlich bestätigte sich der erste Trend nicht. In den meisten Städten gab es Mehrheiten für Rruuugh, Vrooto und einen Beitritt zur Republik. Was Rrooow allerdings irrierte war, dass zugleich die meisten Togorianer für neue Wahl schon in zwei Jahren stimmten. Hatten sie so schnell Demokratiefans aus dem togorianischen Volk gemacht? Oder lag es eher daran, dass die Togorianer sich untereinander nicht über den Weg trauten? Leicht sarkastisch tippte sie eher auf letzteres.
Durch die riesige Anzahl an Stimmen und die viele Koordinationsarbeit war die Auszählung in der großen Versammlungshalle von Caross eine der langsamsten, und es war schon spät in der Nacht, als Rrooow endlich alle Einzelergebnisse der Hauptstadt beisammen hatte. Sie konnte es mangels entsprechender Daten nicht sicher sagen, aber die Wahlbeteiligung schien hier deutlich höher ausgefallen zu sein als anderswo – der Lohn ihrer wochenlangen Arbeit, die sie in die Abstimmung investiert hatten? Die Zahlen aus Caross waren so hoch, über 90 Prozent für ihr Stadtoberhaupt und komfortable Mehrheiten für Vrooto und die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, und die Anzahl der ausstehenden Ergebnisse so gering, dass Rrooow sich festlegte.
»Ich denke, wir haben unsere Sieger. Würdet ihr vielleicht alle mal still sein? HALLO?!«
Die Togorianerin versuchte verzweifelt, sich Gehör zu verschaffen, bis Rruuugh die Pfote hob und einmal laut brüllte. Sofort wurde es mucksmäuschenstill in der Halle. Rrooow spürte die Augen aller auf sich ruhen und es war kein angenehmes Gefühl.
»Äh… jedenfalls… mein Glückwunsch geht an unsere alte und neue Matriarchin Rruuugh. Neuer Markgraf von Togoria ist – ich denke, auch das steht schon fest – Vrooto, der damit seinem Vater Mroovv nachfolgt. Ähm… im Großen und Ganzen bleibt also alles so, wie es immer schon war.«
Der Sohn folgte dem Vater, und Matriarchin war eine Blutsverwandte des Markgrafen. Die Togorianer hatten also mehrheitlich genau das gewählt, was der Tradition entsprach. Trotzdem hatte Rrooow das Gefühl, dass sie das jetzt besser nicht gesagt hatte.
»Die Frage, welche die Zukunft von Togoria aber wohl am meisten beeinflusst ist die: rund 70 Prozent der Togorianer stimmten für eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der neuen Republik. Oh, und der Vollständigkeit halber: die nächsten Wahlen finden schon in zwei Jahren statt. Dann haben wir ja wohl bald schon Routine in diesen Dingen.«
Jetzt erst erhob sich Mutter, die lange Zeit ohne sichtliche Regung über allem gethront hatte, von ihrem Sitzplatz und winkte einer jubelnden Menge zu. Anschließend machte sie sich auf dem Weg zu ihrer Tochter und Senatorin Snoff und als sie sie aus der Nähe sah, sah die alte und neue Matriarchin zum ersten Mal erleichtert, ja glücklich aus.
»Es ist an der Zeit, euch beiden zu danken. Dir, Rrooow, meiner Tochter, die ihr Studium unterbrochen hat, um die Zukunft von Togoria mitzugestalten. Du wirst es nicht bereuen. Am heutigen Tag wurde Geschichte geschrieben und ich wünschte, Mroovv hätte dies miterleben können. Mehr noch aber gebührt mein Dank Euch, Senatorin Sonna Snoff. In den wenigen Wochen, die Ihr hier wart, lehrtet ihr uns eine Menge über die Republik, über Politik. Ohne Eure Hilfe wären wir außerstande gewesen, diese Wahl so reibungslos durchzuführen. Entrichtet der Republik und dem Volk von Bimmisaari meinen Dank. Desweiteren ersuche ich als meine erste Amtshandlung Euch als Vertreterin der neuen Republik hiermit offiziell um die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen zwischen Togoria und der neuen Republik.«
Holla, da verlor aber wer keine Zeit, dachte Rrooow und konnte nicht anders, als sich einzumischen.
»Mutter, so funktioniert das nicht! Du kannst nicht einfach für dich den Beitritt beschließen! Schließlich hast du noch nicht mal mit Vrooto gesprochen, der ja immerhin der neue Markgraf ist! Stimmt doch, Senatorin?«
Zum Glück kam Vrooto auch gerade des Weges. Er strahlte übers ganze Gesicht, beladen mit Liphonspießen und Feuertraubensaft sah er aber eher wie ein Kellner als wie das neue Staatsoberhaupt aus.
»Spießchen irgendwer?«
Fragte er und ließ die Dinger herumgehen. Rrooow stand im Moment aber nicht der Sinn nach Essen.
»Vrooto, Mutter hat gerade ohne dich zu fragen die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen erklärt!«
Einen Augenblick stand ihr Bruder nur regungslos da, als versuchte er dahinter zu kommen, was dies eigentlich hieß. Schließlich zuckte er mit den Achseln und sah so aus, als würde er sich lieber vom Blitz treffen lassen als seiner Mutter zu widersprechen.
»Ja,«
Erwiderte er, als ob die Angelegenheit damit erledigt wäre.
»Vrooto!«
Rrooow schäumte. Jetzt schon, wo noch nicht einmal alle Stimmen der Wahl ausgezählt waren, wurden alle Prinzipien, die sie mit einem modernen Staat verband und so wie sie es in ihrem Studium lernte, über Bord geworfen? Für was hatte Mutter ihre Expertise eigentlich benötigt, wenn sie jetzt schon anfing, einsame Entscheidungen zu fällen. Um einen Beitritt zu beschließen, mussten…
»Rrooow. Ob wir den Beitritt zur Republik in die Wege leiten war es doch, worum es bei dieser Abstimmung eigentlich ging. Sowohl Vrooto als auch ich stehen genau dafür und deshalb hat man uns auch gewählt. Angesichts der Bedrohung durch das Imperium haben wir auch keine Zeit zu verlieren. Hast du das nicht selbst viele Male während der letzten Wochen gesagt? Ich brauche dich an meiner Seite, Rrooow. Ich brauche dich, um mit Senatorin Snoff zu gehen und als Botschafterin Togorias bei der neuen Republik den Prozess unseres Beitritts zu begleiten.«
Der Paukenschlag kam genau zu dem Moment, als Rrooow sich damit getröstet hatte, dass sie so jetzt wenigstens nach Rudrig zurück und ihr Studium fortsetzen konnte. Vielleicht hätte sie ja einen Nachtermin für die Prüfungen aufgrund besondere Umstände bekommen, aber so?
»Aber ich kann nicht nach… Mon Calamari?! Ich muss mein Studium fortsetzen! Ich habe ja gar nicht die Qualifikation für eine Botschafterin! Außerdem kann ich nicht einfach so ad hoc ernannt werden! Das stimmt doch, Senatorin Snoff?«
Heulte die Togorianerin, die keine Lust hatte, ihr angefangenes Studium und all die Arbeit einfach wegzuschmeißen und mit gerade einmal 22 Standardjahren und ohne Ausbildung Politikerin zu werden. Das war eine Aufgabe für eine erfahrene, alte Matriarchin einer größeren Stadt oder ein männliches Clanoberhaupt, aber nicht für ein junges Miez, das niemand kannte! Zugleich sah sie ihre Felle davonschwimmen. Mutter hatte es sich in den Kopf gesetzt und sie würde ihren Willen bekommen, kein Zweifel. Sich in ihr Schicksal fügend schnappte sie sich bei Bruderherz, dem es im Grunde auch nicht anders ging, einen Spieß und ein Weinglas.
Togoria – Caross, Versammlungshalle – viele NPCs, Sonna Snoff und Rrooow