Wir wissen aber genauso wenig, in welchem Verhältnis er zu seinen ehemaligen Kameraden steht oder? Hier ist, wie so oft bei Star Wars, ein bisschen Fantasie gefragt.
Ich habe nichts dagegen, wenn Geschichten einem nicht alles Offensichtliche nochmal ausdrücklich auf's Brot schmieren, sondern verlangen, dass man den ein oder anderen Punkt mit seiner Fantasie ausschmückt. Und es ist auch vollkommen ok, wenn das ein oder andere Mysterium gelassen wird, an dem man bis zum nächsten Teil oder gar bis zum Abschluss rätseln kann.
Bei Kylo Rens Hintergrund macht das beispielsweise auch Sinn. Bei Finn aber eben nicht, im Gegenteil, es untergräbt seine Etablierung und Charakterentwicklung, weil wir nicht wissen, wo er herkommt und weil es dadurch verschiedene Interpretationsmöglichkeiten für seine Desertion gibt, die zum Teil nicht eben vorteilhaft für ihn sind. Und ich gehe auch davon aus, dass es bei Finn kein gezieltes Offenlassen war, sondern Zeitmangel.
Was das Verhältnis zu seinen Kameraden betrifft, so wissen wir zumindest, dass ihm der Typ, der gestorben ist und ihm so dekorativ das Blut auf den Helm geschmiert hat, nahe stand. Sonst hätte er wohl kaum so auf dessen Tod reagiert. (Nebenbei bemerkt ist das zumindest
mit ein Auslöser für Finns Desertion. Ich habe sie in der Tat weniger auf das Entsetzen über das Massaker an Unschuldigen als auf das Entsetzen über das Töten und Getötet-Werden allgemein zurückgeführt. Um deutlich zu machen, dass es die skrupel- und gnadenlose Vorgehensweise der Ersten Ordnung ist und nicht Feigheit oder eine allgemeine Aversion zu töten, hätte man ihn vielleicht vorher bei einem "unbedenklichen" Kampfeinsatz zeigen sollen.)
Aber zurück zu den Kameraden: Vielleicht war dieser Typ sein einziger Freund bei den Sturmtruppen, mag sein. Der Verlust dieses einzigen Freundes wäre dann aber wiederum ein weiterer Grund für seine Desertion, der diese Entscheidung insofern schwächen würde, da er egoistisch ist und nicht ethisch motiviert.
Wenn er andererseits wirklich viele gute Kumpels gehabt haben sollte, wird die von Sebastian_W aufgeworfene Frage, warum er sie dann so bedenkenlos tötet, in der Tat
verschärft. Stellen tut sie sich sowieso, Freundschaften hin oder her, weil Finn weiß, dass sie sich nicht bewusst und überzeugt für diesen Dienst entschieden haben, sondern alle wie er selbst von Kindheit an gehirngewaschen und abgerichtet worden sind. Was bedeutet es, solche Leute zu töten? Inwieweit kann man ihnen die Schuld an ihrem Verhalten geben?
Dass er darüber nicht in der Hitze des (Selbstverteidigungs)gefechts nachdenkt, ist verständlich, aber ich würde schon erwarten, dass er später in einem ruhigen Moment diesbezüglich noch den Moralischen bekommt und darüber nachdenkt: Wenn er die Konditierung brechen und sein Gewissen entdecken konnte, warum nicht auch andere? Vielleicht ist auch genau das vorgesehen. Vielleicht aber auch nicht.
Der Punkt ist, wenn man auf Grautöne spielt und nicht nur Schwarz/Weiß-Schemata bedient, dann muss man das auch konsequent durchziehen, sonst fällt alles auseinander.
Nachdem ich letzte Woche
bei SWU die Infos über die Entstehung des Drehbuches und die Idee für Finns Herkunft gelesen habe, habe ich aber vermehrt Zweifel, dass man so weit gedacht und geplant hat. Wie ich schon dort kommentiert habe, ist man offenbar nicht von einem Handlungskonzept ausgegangen und hat dann geschaut, wie man es am besten inszenieren kann, sondern man hatte jede Menge Einzelideen, die man dann irgendwie zusammengeknüpft hat. Das würde auch so einiges bei TFA erklären...
Finns Hintergrund scheint auch eine dieser Ideen gewesen zu sein, die man einfach in den Topf hineingeworfen hat, ohne die Konsequenzen und Erfordernisse für das Storytelling zu durchdenken: "wir [sprachen] über Piraten, Handelsmarines und all diese Dinge - schlussendlich war Larry [Kasdan] tierisch genervt und meinte nur: 'Leute, ihr denkt in viel zu kleinen Dimensionen. Was wäre mit einem entlaufenen Sturmtruppler?' " Wahrscheinlich dachte man dann, es reicht vollkommen aus, wenn man zeigt, wie der Sturmtruppler entläuft. Tut es aber eben nicht, und zwar weder vor, noch nach dem Entlaufen.
Und sicherlich wird man das ein oder andere auch noch in den Büchern erfahren.
Oh, wie wäre seinerzeit auf das EU geschimpft worden, wenn man dessen Bücher gebraucht hätte, um die Filme zu verstehen!
Micah
PS: Ich finde es ja super, dass mittlerweile so viele 3D-kritische Stimmen auftauchen, nachdem ich zu Anfang dieses Hypes ziemlich auf verlorenem Posten stand. Allerdings glaube ich nicht, dass sich etwas ändert, so lange viele zähneknirschend eben doch in die 3D-Vorstellungen gehen, denn dadurch entsteht kein wirtschaftlicher Druck auf die Kinos. Dann muss man halt Kinos / Vorstellungen suchen, die die Filme in 2D spielen. Ich habe das in den letzten Jahren bis auf einen "Ausrutscher" (der mich davon überzeugt hat, dass ich in meiner Einschätzung, dass 3D überflüssige Geldschneiderei ist) durchgehalten.