Heute vor genau 80 Jahren, am 20. Januar 1942, fand im Haus am Großen Wannsee 56-58, der ehemaligen Villa Marlier, die sogenannte "Wannseekonferenz" statt.
SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich lud in seiner Funktion als Leiter des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA)und Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) des Reichsführers SS zu einer "Besprechung mit anschließendem Frühstück" fünfzehn hochrangige Beamte und Funktionäre des NS-Staates. Die ca. 90-minütige Besprechung sollte eine der dunkelsten Stunden der deutschen Geschichte markieren, war das einzige Thema der Konferenz die Organisation der "Endlösung der Judenfrage", des wohl größten Menschheitsverbrechens aller Zeiten.
Entgegen der häufigen Falschannahme wurde auf der Wannseekonferenz nicht der Holocaust als solcher beschlossen - dazu hätten die Teilnehmer gar nicht die Befugnis gehabt - sondern lediglich der organisatorische Ablauf der Vernichtung der europäischen Juden besprochen.
Die Vernichtung der Juden lief zu diesem Zeitpunkt auf dem vom Reich kontrollierten Gebieten der Sowjetunion ohnehin bereits seit dem Sommer auf Hochtouren, z.B. mit Massenerschießungen wie in der Schlucht von Babin Yar. Hitler hatte bereits in einer Reichstagsrede am 30. Januar 1939 für den Kriegsfall die Vernichtung der "jüdischen Rasse" in Europa angekündigt, und am 12. Dezember 1941 - einen Tag nach der Kriegserklärung Nazi-Deutschlands an die USA - notierte Joseph Goebbels in sein Tagebuch: "Bezüglich der Judenfrage ist der Führer entschlossen, reinen Tisch zu machen [...] Der Weltkrieg ist da, die Vernichtung des Judentums muss die notwendige Folge sein."
Ferner hatte Göring Heydrich bereits im Sommer, kurz nach dem Beginn von Barbarossa, mit der Gesamtorganisation der "Endlösung" beauftragt. Die Entscheidung, die Juden im Einflussbereich des Reiches physisch zu vernichten, war also bereits vor der Konferenz gefallen, und spätestens mit dem Kriegseintritt der USA beschlossene Sache. Bis dahin hatte Hitler vor allem die westeuropäischen Juden als Faustpfand gegen die seiner Meinung nach unter der Kontrolle des "Judentums" stehenden Vereinigten Staaten gesehen.
Die Teilnehmer der Konferenz waren:
Reinhard Heydrich, SS-Obergruppenführer als Vorsitzender
Adolf Eichmann, SS-Obersturmbannführer, Leiter des Judenreferats im RSHA als Protokollführer
Josef Bühler, Staatssekrtär im Amt des Generalgouverneurs in Krakau
Roland Freisler, Staatssekrtär im Justizministerium, später Präsident des Volksgerichtshofs
Otto Hofmann, SS-Gruppenführer, Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamtes des SS
Gerhard Klopfer, Ministerialdirektor der Parteikanzlei der NSDAP
Friedrich-Wilhelm Kritzinger, Ministerialdirektor der Reichskanzlei
Rudolf Lange, SS-Sturmbannführer, Kommandeur des SD in Lettland in Vertretung seines Vorgesetzten Walter Stahlecker
Georg Leibbrandt, Reichsamstleiter im Ministerium für die besetzten Ostgebiete
Martin Luther, Unterstaatssekrtär im Auswärtigen Amt
Alfred Meyer, Staatssekrtär im Ministerium für die besetzten Ostgebiete
Heinrich Müller, SS-Gruppenführer, Chef der Gestapo im RSHA
Erich Neumann, Staatssekrtär im Amt des Beauftragten für den Vierjahresplan
Karl Eberhard Schöngarth, SS-Oberführer, Behfelshaber des SD im Generalgouvernement
Wilhelm Stuckart, Staatssekretär im Innenministerium
Auf der Konferenz sollten die Zuständigkeiten für die Deportations- und Vernichtungsaktionen geklärt, die Maßnahmen zu ihrer Umsetzung koordiniert und deren zeitlicher und räumlicher Ablauf umrissen werden. Schließlich wurden die Gruppen der Juden, die zur Vernichtung bestimmt waren definiert. Im Wesentlichen kam man in der Besprechung zu dem Schluss, dass sich ca. 11 Millionen Juden im deutschen Machtbereich befänden. Europa sollte nun von Ost nach West durchkämmt werden, und die dabei aufgegriffenen Juden in den Osten der von Deutschland okkupierten Gebiets - Ostpolen, die westliche Sowjetunion, das Baltikum, deportiert, und dort entweder durch harte Arbeit oder im Falle derer, die dafür zu schwach waren, durch gezielte Tötungen vernichtet werden.
Heydrich und Eichmann ließen von dem Protokoll ca. 30 Kopien anfertigen, die an die Teilnehmer und verschiedene andere Personen verschickt wurden. Erhalten blieb nur die Kopie Nr. 16, die seinerzeit an den Konferenzteilnehmer Martin Luther ging. Dieser wurde später wegen einer Intrige gegen Außenminister von Ribbentrop im KZ Sachsenhausen interniert, wodurch seine Dienststelle aufgelöst und seine Akten eingelagert wurden.Nach dem Krieg fiel es zunächst den US-Amerikanern in die Hände. Bei der Vorbereitung des Wilhelmsstraßenprozess' im März 1947 stieß ein Mitarbeiter des stellvertretenden Anklägers Robert Kemperer schließlich auf das Dokument. Dass eine entsprechende Konferenz stattgefunden hatte wusste man bereits seit 1945, da man das Einladungsschreiben an Otto Hoffmann gefunden hatte.
Das Protokoll ist bis heute einer der wichtigsten Belege für die Absicht der Nazis an den europäischen Juden einen gezielten Genozid zu begehen, und dokumentiert auf erschreckende Weise, wie der nationalsozialistische Staatsapparat zu diesem Verbrechen bereit und in dieses eingebunden war. Es ist somit einer der erschreckensten Belege für die Unmenschlichkeit des Nazi-Regimes, da es in trockenem Beamtendeutsch Zeugnis davon ablegt, wie 15 intellektuell allenfalls mittelmäßige Männer noch vor dem Frühstück den Stab über mehrere Millionen Individuen brechen, und diese einer monströsen Vernichtungsmaschinerie ausliefern.
Verurteilt wurde wegen der direkten Teilnahmen an der Konferenz quasi keiner der Teilnehmer. Heydrich, Freisler, Lange und Meyer überlebten den Krieg nicht. Luther starb im Frühjahr 45 an den Folgen seiner KZ-Haft und Müller galt als verschollen.Schöngarth und Bühler wurden 1946 bereits wegen anderer Kriegsverbrechen verurteilt und hingerichtet, Kritzinger verstarb 1947, Neumann 1948. Die Verfahren gegen Leibbrandt und Klopfer wurden eingestellt, nachdem sie bereits 1949 aus der U-Haft entlassen worden waren. Hoffmann wurde 1948 wegen anderer Kriegsverbrechen zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt, aus der er bereits 1954 vorzeitig entlassen wurde, Einzig Stuckart wurde im Wilhelmsstraßenprozess zu 3 Jahren und 10 Monaten verurteilt, kam aber bereits 1949 auf freien Fuß.
Adolf Eichmann schließlich setzte sich 1945 nach Argentinien ab, wo er vom Mossad aufgespürt, entführt und nach einem aufsehenerregenden Prozess 1962 verurteilt und hingerichtet wurde,
Die Villa am Wannsee, die der Architekt Paul Baumgarten für den Fabrikanten Ernst Marlier im Jahr 1919 errichten ließ, ist heute eine Gedenkstätte, in der die Konferenz umfassend dokumentiert wird.
C.