[: Eadu-System | Eadu | geheimer Stützpunkt :||: Innerer Bereich | Ebene Zwei | Barackentrakt :||: Quartier des Staffelführers :||: Major Aiden Thiuro allein :]
Zehn Minuten – Mehr Zeit ließ ihm die strenge Ressourcenlimitierung der Einrichtung nicht. In der einen Sekunde kratzten Schallwellen noch die auf seiner Haut befindlichen Schmutzpartikel – zum Großteil Schweißablagerungen und Talg – hinfort und schon in der nächsten stellte die Dusche ganz plötzlich ihre Arbeit ein. Säuerlich verzog der drahtige Bastion das Gesicht und entstieg der kleinen Kabine. Obgleich er nun schon mehrere Standardwochen auf Eadu verbracht hatte und demzufolge an die allgegenwärtige Knappheit entsprechend gewöhnt sein müsste, hatte er sich mit diesem einen Detail nur bedingt anfreunden können. Zwar gehörte er auch in der Vergangenheit nie zu denen, die ausgiebig duschen oder baden konnten, aber etwas mehr Zeit für die persönliche Hygiene wünschte er sich trotz allem. Für ihn war es einfach eine Frage des eigenen Empfindens.
Das Quartier, das man ihm für die Dauer der Anwesenheit zur Verfügung gestellt hatte, war deutlich geräumiger als die meisten sonstigen Räumlichkeiten im Barackentrakt. Denn im Gegensatz zu dem Gros der Piloten, die auf diesem oder einem ähnlichen Gang ebenso untergebracht waren, mussten Staffelführer und deren Stellvertreter – qua ihres Dienstgrades und ihrer Position – ihr Zimmer nicht mit einer weiteren Person teilen. Sie hatten in der Tat jeweils Einzelzimmer, während sich der Rest das Quartier mit einem Kameraden teilen musste. Neben einem schmalen, pragmatischen Stahlbett und einem Nachttisch gehörten noch ein schlichter Spind, ein eckiger Tisch samt mehreren Stühlen sowie einer Couch zur Einrichtung. Auf dem Nachttisch flimmerte das Hologramm einer lächelnden Blondine mit einem nur wenige Wochen altem Säugling im Arm. Der Bildschirm, der die fast schon allgegenwärtige Tristes, die in diesen fensterlosen Zimmern vorherrschte, ein klein wenig vertreiben sollte, zeigte grüne, Bastioner Weinberge an einem schönen, sonnigen Frühlingstag.
Da Aiden ein wenig in Eile war, achtete er beim Gang zum Spind nicht auf das Hologramm. Seit die „Wolves“ auf Bastions Mondstation „Last Defense“ stationiert waren und ihre leeren Plätze mit den besten der besten Bewerbern schnellst möglich wieder aufgefüllt hatten, hatte er seine Liebste (Cassandra Bennett), die Mutter seines Sohnes Seth, nicht mehr gesehen. Sowohl bei Fest, als sich die Elitestaffel der Achten Gefechtsflotte anschloss, und kurz vor dem letzten Einsatz im Ord Mantell-Konflikt, der Schlacht um Adumar, hatte er ihr jeweils eine Nachricht geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Er befand sich demzufolge seit Monaten in der Ungewissheit, ob sie ihm sein anfängliches Zögern hinsichtlich ihrer Schwangerschaft noch immer nachtrug. Die dem Hologramm zugrunde liegende Datei hatte er jedenfalls kurz vor der Abreise nach Eadu von seiner Mutter, Emily Thiuro, erhalten und vor allem in den einsamen Abendstunden, wenn Zapfenstreich galt, spendete ihm das Bild etwas Trost.
Ebenso ignorierte der nackte Major beim Gang zum Spind die auf dem Boden liegende Pilotenkluft, die er Minuten zuvor noch getragen hatte. Weil er bloß mit leichtem Gepäck und der Dienstuniform, die er am Leib getragen hatte, angereist war, hatte man ihm für die Simulationen und die Testflüge eine schlichte Montur gestellt. Es fehlten somit das Staffelwappen und der rote Streifen. Routiniert griff er nach dem gesuchten pechschwarzen Kleidungsstück, nahm es schnell vom Bügel und zog es anschließend an. Bloß auf das Tragen der Schirmmütze verzichtete er. Schließlich legte der Colonel nicht so viel Wert auf das Protokoll wie so manch anderer Kommandeur. Nachdem er das Sitzen der Uniform noch einmal flüchtig am in der Spindtür befindlichen Spiegel überprüft und einigen Stellen rasch korrigiert hatte, verließ Aiden eiligen Schrittes sein Quartier.
„Pünktlich wie eh und je“, sagte der Bastioner mit gespielt tadelndem Ton zu Sakura Mitsumo und Pranay Irimore als er die beiden auf dem Korridor – auf dem Weg zum Besprechungsraum – antraf. „Ich schlage vor: Lassen wir die alten und neuen Kollegen nicht länger warten.“
Kaum hatte er seinen rhetorischen Vorschlag laut geäußerten, folgten die drei schwarz uniformierten Elitepiloten auch schon einer der vielen Linie auf dem Boden. Diese führte sie kurzerhand aus dem Baracken- in den Verwaltungstrakt. Hier waren nicht nur die Büros, wo man in der Regel die ganze Schreibtischarbeit zu erledigen hatte, sondern auch entsprechende Besprechungsräume. Neben den jeweiligen Türen hingen oft kleine Schildchen mit verklausulierten Zimmernummern. Nur jene, die sich schon eine Weile hier aufhielten und sozusagen den Lageplan verinnerlicht hatten, konnten sich in diesem Labyrinth aus sich gleichenden Gängen zurechtfinden. In diesem Fall spielte ihnen zudem noch in die Hände, dass in dieser Einrichtung Konferenzräume von der Größe, die im Allgemeinen zum Briefen ganzer Staffeln benötigt wurden, Mangelware waren. Die drei „Wolves“ fanden somit auf Anhieb die richtige Tür.
Im Laufe seiner bisherigen Pilotenkarriere hatte der Staffelführer des berühmten „Wolves' Squad“ mit Sicherheit schon an einigen tausenden Briefings teilgenommen. Immerhin bedurfte schon allein jeder Einsatz einer Vor- und Nachbesprechung. Daneben hatte ein Pilot selbstverständlich auch an allgemeinen Dienstbesprechungen, Simulationsauswertungen und den technischen Unterweisungen teilzunehmen. Manchmal saß bloß die jeweilige Rotte zusammen. Manchmal galt die Besprechung hingegen der ganzen Staffel. Und in eher seltenen Fällen traf sich das Personal der übergeordneten Einheit. Da die „Wolves“ bis zur Zweiten Schlacht um die imperiale Thronwelt Bastion auf Nereus Kratas' Flaggschiff, dem Supersternzerstörer „Intimidator“, stationiert gewesen waren, hatte Aiden auch schon so manches Mal mit mehreren hundert anderen Menschen zusammengesessen, um den taktischen Ausführungen eines Chief Marshal zu folgen. Entsprechend klein (und intim) kam dem Major diese kaum ein Dutzend Köpfe übersteigende Runde vor.
Zusammen mit den Pilot Officers Mitsumo und Irimore war der Major schlussendlich rechtzeitig im Besprechungsraum eingetroffen, um das Vorstellen der neuen Piloten mitzubekommen. Jene, die für den personellen Nachschub an Testpiloten verantwortlich waren, hatten offensichtlich eine ziemlich bunte Truppe zusammengestellt. Denn neben denen, die entsprechend dem allgemeinen Protokoll auftraten, (Solomon Typho und Silar Vikare) hatten anscheinend auch ein paar den Weg zu diesem Projekt gefunden, die auf den ersten Blick eher unüblich zu sein schienen (Ares Vance). Gemein hatten aber alle Kandidaten, dass sie schon eine Vielzahl realer Flugstunden absolvierten hatten und aus allen Ecken des Galaktischen Imperiums kamen. Ganz im Sinne der vorherrschenden Doktrin im Sternjägerkorps – prominent vertreten durch Chief Marshal Allvyn Feskin – hatte die Mehrheit ihre Erfahrung mit schildlosen TIE-Abfangjägern gesammelt.
Derweil sich mit Pranay Irimore der nächste Pilot des „Wolves' Squad“ knapp vorstellte, nahm der Bastioner die anderen Kandidaten – einer nach dem anderen – noch einmal in Ruhe in Augenschein und rief sich dabei (bruchstückhaft) deren Personalakte ins Gedächtnis. Seine Aufmerksamkeit galt zuerst Solomon Typho. Den Militärabschluss von der Vensenor Flugakademie sowie den regulären Dienst beim „Spike Squadron“ und den „Aces of Spade“ verrichtet. Laut den Vorgesetzten galt der Pilot als talentiert im Umgang mit seinen Maschinen und war wohl ein „Musterknabe“. Höchstens die leichte Neigung zur Selbstüberschätzung hinsichtlich der eigenen Unverwundbarkeit mochten ihm frühere Ausbilder und ehemalige Staffelführer ankreiden. Doch mit Untergebenen wie Pranay Irimore oder Cain DéSkalz hatte der Major selbst solche Personen in seiner Einheit.
Danach fiel seine Aufmerksamkeit abermals auf Silar Vikare. Dieser Pilot hatte seine Ausbildung an der Skystrike Flugakademie absolviert und danach seinen regulären Dienst lediglich beim „Epislon Squadron“ versehen. Ehemalige Führungskräfte attestierten ihm freilich ebenso wie bei Typho das nötige fliegerische Talent, um irgendwann Teil einer namhaften Einheit zu sein. Gleichfalls schien auch er einen gewissen Hang zum Hochmut zu haben, obwohl er sich – schon allein im Hinblick auf sein Auftreten in Pilotenkluft und der Verwendung seines Kodenamens – genauso ans Protokoll klammerte. Unter dem Helm lauerte demzufolge ein weiterer Heißsporn, der erst im Cockpit würde auftauen. Diese Charaktereigenschaft schien er sich mit dem Alphawolf zu teilen. Erst im Inneren der Maschine ließ er nämlich die Leidenschaft heraus, die stets in ihm zu brodeln schien.
Das jüngste Mitglied der „Wolves“ hatte sich inzwischen ausreichend vorgestellt und den Platz für Sakura Mitsumo frei gemacht. Und während sich die Pilotin nun ebenso präsentierte, wanderte sein Interesse zum nächsten Kandidaten: Ares Vance. Seine Ausbildung hatte er an der Militärakademie zu Prefsbelt IV – also im heimischen Sektor – absolviert. Eine weitere Besonderheit in dessen Akte war, dass man ihn gewissermaßen als „Allrounder“ bezeichnen konnte. Denn er hatte seine Stunden nicht nur wie das Gros der Anwesenden in einem schildlosen TIE-Abfangjäger gesammelt, sondern war wohl mit so gut wie jedem Modell (zumindest rudimentär) vertraut. Sogar die Teilnahme an ein paar Projekten, die in ihrer Beschreibung „Projekt Banshee“ glichen, war bei ihm verzeichnet. Dass er ebenso einen eher unorthodoxen Charakter hatte, fiel bei diesem Werdegang nicht wesentlich ins Gewicht. Möglicherweise galt in den nächsten Wochen Aidens besonderes Augenmerk ihm.
„Nun gut, der letzte im Bunde bin wohl ich“, begann der Alphawolf sich vorzustellen als die Reihe an ihm war. „Sicherlich hat mich der eine oder andere schon auf einem Rekrutierungsplakat oder in einem Kriegsbericht beziehungsweise einer Dokumentation der KOMENOR im HoloNet gesehen, aber natürlich möchte ich mich dieser Gepflogenheit nicht entziehen. Mein Name ist Aiden Thiuro. Bevor ich als Flight Officer zu den 'Wolves' kam und die Führung über eine Rotte übernahm, habe ich meine Flugstunden – wie offensichtlich das Gros von Ihnen – im TIE/in gesammelt. Die längste Zeit war ich an Bord der 'Zerberus' bei den 'Shadow Wings'.“ Während er mit ruhiger Stimme zu den Anwesenden sprach, wanderte der Blick seiner eisblauen Augen von Gesicht zu Gesicht. „Nach meinem Beitritt zum 'Wolves' Squad' arbeitete ich mich vom Rottenführer über den Stellvertreter bis zum Staffelführer hoch. In dieser Zeit kämpfte ich im TIE-Defender über Bilbringis Werften, Bastion zum Beginn des Bruderkrieges, Bastion zum Ende des Bruderkrieges, Osarian, Corellia, Ord Canfre, Iridoria und Admuar. Sie können mir also getrost glauben: Eine Vielzahl an Dingen, die mir die KOMENOR zuschreibt, mag sicherlich maßlos übertrieben sein, aber einen Sternjäger kann ich auch mit geschlossenen Augen fliegen.“
Thorne, der sich bis zu diesem Augenblick lässig gegen eine Wand gelehnt hatte, stieß sich nun mit einem Grinsen auf den Lippen ab, machte ein paar große Schritte in den Raum und sagte dann: „Ich denke, nach dieser selbstbewussten Kampfansage seitens des Majors sollten wir uns nun dem eigentlichen Grund Ihrer Anwesenheit widmen, meine Damen und Herren.“ Mit der rechten Hand wies er – ganz beiläufig – auf den am Holoprojektor wartenden Ingenieur. „Mister Forlin, möchten Sie nicht den Anfang machen und die Anwesenden über 'Projekt Banshee' aufklären?“
Der Ingenieur, der im Dienste des Militärnachrichtendienst stand und einen genervten Ausdruck zur Schau stellte, aktivierte per Knopfdruck den Projektor. Monoton brummend erwachte das Gerät aus dem schlummernden Standby-Modus. Langsam baute sich die holografische Darstellung eines noch unbekannten Modells auf. Dieser Sternjäger besaß wie der TIE/D Defender drei Solarflügel. Jedoch handelte es sich um deutlich schmalere Flügel. Des Weiteren war das Cockpit nicht kugelrund wie bei der TIE-Serie üblich. Umso besser konnte man dafür die Basis für dieses Konzept erkennen: Die Dolch-Klasse beziehungsweise den moderneren V-Achtunddreißig. Als Cyrus Forlin in teils ratlose Gesichter blickte, machte sich auf dessen Gesicht plötzlich ein wenig Zufriedenheit breit. Selbst das kybernetische Auge, das der Ingenieur besaß, funkelte in diesem Moment süffisant.
„Meine Damen, meine Herren; darf ich Ihnen vorstellen: 'Projekt Banshee'“, kündigte er mit rauer, heißerer Stimme die „neuste“ Idee des Militärnachrichtendienstes an. Sein Grinsen wurde breiter: „Ab dem heutigen Tag werden Sie das glorreiche Imperium tatkräftig dabei unterstützen einen mit einer Tarntechnologie ausgestatteten Sternjäger bis zur endgültigen Serienreife zu entwickeln. Sie, meine Damen und Herren, werden in den nächsten Wochen sowohl im luftleeren Raum als auch in der Atmosphäre die Grenzen des Möglichen austesten, in Zusammenarbeit mit den Ingenieuren und Technikern problemorientiert arbeiten und ihre Fußstapfen in der Militärgeschichte hinterlassen.“
Die Bestrebungen, einen sich tarnenden Sternjäger zu entwickeln, waren nicht neu. Beim Imperium arbeitete man schon seit Jahren im Geheimen an dieser Technologie. Soweit man Aiden über dieses Projekt und dessen Verlauf in Kenntnis gesetzt hatte, hatten Thorne, Forlin und Ilesar ihre Arbeit zur letzten Hochzeit des Galaktischen Imperiums aufgenommen, nachdem Delak Niriz, der Schlächter von Bohawui und späterer Hochverräter, den gesamten Both-Sektor im Namen Imperator Arthious befreit hatte. Über Bothawui hatte das Projekt seine ersten Schritte genommen – und selbst der kurz darauf ausbrechende Kampf um den Thron hatte nur bedingt Sand in deren Getriebe gestreut. Erst als sich die Rebellen anschickten, die Region mithilfe einer ganzen Gefechtsflotte wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, hatte man sämtliche Forschung mit einem Mal unterbrechen und einen neuen Standort aufsuchen müssen. Um das Risiko einer Entdeckung durch den Feind zu minimieren, hatte man sich letztlich für Eadu entschieden. Und nun stand man kurz vor der Fertigstellung des ersten Prototyps. Diese Details behielt Cyrus Forlin freilich für sich.
„Dank Major Thiuro und dessen beiden Kameraden (Sakura Mitsumo und Pranay Irimore), die für Sie sozusagen die Vorarbeit geleistet haben, stoßen Sie nun an einem ganz interessanten Punkt zum Projekt“, fuhr der Ingenieur stattdessen fort. „Misses Ilesar hat in der Kürze der Zeit mit Sicherheit noch nicht die neusten Daten des jüngsten Testflugs auswerten können, aber bestimmt können wir im Laufe der nächsten zwei, drei Tage mit den Ergebnissen rechnen.“ Die Zivilistin, die für Sienar tätig war, warf dem Imperialen einen giftigen Blick zu. Jedoch schien sich Cyrus Forlin nicht daran zu stören. „Major Thiuro und dessen Rotte hatten in den letzten Wochen die Aufgabe, das fliegende Grundgerüst auszuloten. Dafür standen ihnen jene Maschinen der Dolch-Klasse zur Verfügung, die Sie im Haupthangar haben bewundern können.“ Er grinste weiter unverhohlen süffisant. „Aufgrund dieser formidablen Vorarbeit haben Sie nun das Privileg in den kommenden Monaten nach und nach die V-Achtunddreißig-Skelette, die wir hier zur Verfügung haben, mit mehr Inhalt zu bestücken und so Schritt für Schritt einen funktionierenden Prototypen zusammenzubauen.“ Er sah sich neugierig um. „Erste Fragen bis hierhin?“
Zehn Minuten – Mehr Zeit ließ ihm die strenge Ressourcenlimitierung der Einrichtung nicht. In der einen Sekunde kratzten Schallwellen noch die auf seiner Haut befindlichen Schmutzpartikel – zum Großteil Schweißablagerungen und Talg – hinfort und schon in der nächsten stellte die Dusche ganz plötzlich ihre Arbeit ein. Säuerlich verzog der drahtige Bastion das Gesicht und entstieg der kleinen Kabine. Obgleich er nun schon mehrere Standardwochen auf Eadu verbracht hatte und demzufolge an die allgegenwärtige Knappheit entsprechend gewöhnt sein müsste, hatte er sich mit diesem einen Detail nur bedingt anfreunden können. Zwar gehörte er auch in der Vergangenheit nie zu denen, die ausgiebig duschen oder baden konnten, aber etwas mehr Zeit für die persönliche Hygiene wünschte er sich trotz allem. Für ihn war es einfach eine Frage des eigenen Empfindens.
Das Quartier, das man ihm für die Dauer der Anwesenheit zur Verfügung gestellt hatte, war deutlich geräumiger als die meisten sonstigen Räumlichkeiten im Barackentrakt. Denn im Gegensatz zu dem Gros der Piloten, die auf diesem oder einem ähnlichen Gang ebenso untergebracht waren, mussten Staffelführer und deren Stellvertreter – qua ihres Dienstgrades und ihrer Position – ihr Zimmer nicht mit einer weiteren Person teilen. Sie hatten in der Tat jeweils Einzelzimmer, während sich der Rest das Quartier mit einem Kameraden teilen musste. Neben einem schmalen, pragmatischen Stahlbett und einem Nachttisch gehörten noch ein schlichter Spind, ein eckiger Tisch samt mehreren Stühlen sowie einer Couch zur Einrichtung. Auf dem Nachttisch flimmerte das Hologramm einer lächelnden Blondine mit einem nur wenige Wochen altem Säugling im Arm. Der Bildschirm, der die fast schon allgegenwärtige Tristes, die in diesen fensterlosen Zimmern vorherrschte, ein klein wenig vertreiben sollte, zeigte grüne, Bastioner Weinberge an einem schönen, sonnigen Frühlingstag.
Da Aiden ein wenig in Eile war, achtete er beim Gang zum Spind nicht auf das Hologramm. Seit die „Wolves“ auf Bastions Mondstation „Last Defense“ stationiert waren und ihre leeren Plätze mit den besten der besten Bewerbern schnellst möglich wieder aufgefüllt hatten, hatte er seine Liebste (Cassandra Bennett), die Mutter seines Sohnes Seth, nicht mehr gesehen. Sowohl bei Fest, als sich die Elitestaffel der Achten Gefechtsflotte anschloss, und kurz vor dem letzten Einsatz im Ord Mantell-Konflikt, der Schlacht um Adumar, hatte er ihr jeweils eine Nachricht geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Er befand sich demzufolge seit Monaten in der Ungewissheit, ob sie ihm sein anfängliches Zögern hinsichtlich ihrer Schwangerschaft noch immer nachtrug. Die dem Hologramm zugrunde liegende Datei hatte er jedenfalls kurz vor der Abreise nach Eadu von seiner Mutter, Emily Thiuro, erhalten und vor allem in den einsamen Abendstunden, wenn Zapfenstreich galt, spendete ihm das Bild etwas Trost.
Ebenso ignorierte der nackte Major beim Gang zum Spind die auf dem Boden liegende Pilotenkluft, die er Minuten zuvor noch getragen hatte. Weil er bloß mit leichtem Gepäck und der Dienstuniform, die er am Leib getragen hatte, angereist war, hatte man ihm für die Simulationen und die Testflüge eine schlichte Montur gestellt. Es fehlten somit das Staffelwappen und der rote Streifen. Routiniert griff er nach dem gesuchten pechschwarzen Kleidungsstück, nahm es schnell vom Bügel und zog es anschließend an. Bloß auf das Tragen der Schirmmütze verzichtete er. Schließlich legte der Colonel nicht so viel Wert auf das Protokoll wie so manch anderer Kommandeur. Nachdem er das Sitzen der Uniform noch einmal flüchtig am in der Spindtür befindlichen Spiegel überprüft und einigen Stellen rasch korrigiert hatte, verließ Aiden eiligen Schrittes sein Quartier.
„Pünktlich wie eh und je“, sagte der Bastioner mit gespielt tadelndem Ton zu Sakura Mitsumo und Pranay Irimore als er die beiden auf dem Korridor – auf dem Weg zum Besprechungsraum – antraf. „Ich schlage vor: Lassen wir die alten und neuen Kollegen nicht länger warten.“
Kaum hatte er seinen rhetorischen Vorschlag laut geäußerten, folgten die drei schwarz uniformierten Elitepiloten auch schon einer der vielen Linie auf dem Boden. Diese führte sie kurzerhand aus dem Baracken- in den Verwaltungstrakt. Hier waren nicht nur die Büros, wo man in der Regel die ganze Schreibtischarbeit zu erledigen hatte, sondern auch entsprechende Besprechungsräume. Neben den jeweiligen Türen hingen oft kleine Schildchen mit verklausulierten Zimmernummern. Nur jene, die sich schon eine Weile hier aufhielten und sozusagen den Lageplan verinnerlicht hatten, konnten sich in diesem Labyrinth aus sich gleichenden Gängen zurechtfinden. In diesem Fall spielte ihnen zudem noch in die Hände, dass in dieser Einrichtung Konferenzräume von der Größe, die im Allgemeinen zum Briefen ganzer Staffeln benötigt wurden, Mangelware waren. Die drei „Wolves“ fanden somit auf Anhieb die richtige Tür.
Im Laufe seiner bisherigen Pilotenkarriere hatte der Staffelführer des berühmten „Wolves' Squad“ mit Sicherheit schon an einigen tausenden Briefings teilgenommen. Immerhin bedurfte schon allein jeder Einsatz einer Vor- und Nachbesprechung. Daneben hatte ein Pilot selbstverständlich auch an allgemeinen Dienstbesprechungen, Simulationsauswertungen und den technischen Unterweisungen teilzunehmen. Manchmal saß bloß die jeweilige Rotte zusammen. Manchmal galt die Besprechung hingegen der ganzen Staffel. Und in eher seltenen Fällen traf sich das Personal der übergeordneten Einheit. Da die „Wolves“ bis zur Zweiten Schlacht um die imperiale Thronwelt Bastion auf Nereus Kratas' Flaggschiff, dem Supersternzerstörer „Intimidator“, stationiert gewesen waren, hatte Aiden auch schon so manches Mal mit mehreren hundert anderen Menschen zusammengesessen, um den taktischen Ausführungen eines Chief Marshal zu folgen. Entsprechend klein (und intim) kam dem Major diese kaum ein Dutzend Köpfe übersteigende Runde vor.
Zusammen mit den Pilot Officers Mitsumo und Irimore war der Major schlussendlich rechtzeitig im Besprechungsraum eingetroffen, um das Vorstellen der neuen Piloten mitzubekommen. Jene, die für den personellen Nachschub an Testpiloten verantwortlich waren, hatten offensichtlich eine ziemlich bunte Truppe zusammengestellt. Denn neben denen, die entsprechend dem allgemeinen Protokoll auftraten, (Solomon Typho und Silar Vikare) hatten anscheinend auch ein paar den Weg zu diesem Projekt gefunden, die auf den ersten Blick eher unüblich zu sein schienen (Ares Vance). Gemein hatten aber alle Kandidaten, dass sie schon eine Vielzahl realer Flugstunden absolvierten hatten und aus allen Ecken des Galaktischen Imperiums kamen. Ganz im Sinne der vorherrschenden Doktrin im Sternjägerkorps – prominent vertreten durch Chief Marshal Allvyn Feskin – hatte die Mehrheit ihre Erfahrung mit schildlosen TIE-Abfangjägern gesammelt.
Derweil sich mit Pranay Irimore der nächste Pilot des „Wolves' Squad“ knapp vorstellte, nahm der Bastioner die anderen Kandidaten – einer nach dem anderen – noch einmal in Ruhe in Augenschein und rief sich dabei (bruchstückhaft) deren Personalakte ins Gedächtnis. Seine Aufmerksamkeit galt zuerst Solomon Typho. Den Militärabschluss von der Vensenor Flugakademie sowie den regulären Dienst beim „Spike Squadron“ und den „Aces of Spade“ verrichtet. Laut den Vorgesetzten galt der Pilot als talentiert im Umgang mit seinen Maschinen und war wohl ein „Musterknabe“. Höchstens die leichte Neigung zur Selbstüberschätzung hinsichtlich der eigenen Unverwundbarkeit mochten ihm frühere Ausbilder und ehemalige Staffelführer ankreiden. Doch mit Untergebenen wie Pranay Irimore oder Cain DéSkalz hatte der Major selbst solche Personen in seiner Einheit.
Danach fiel seine Aufmerksamkeit abermals auf Silar Vikare. Dieser Pilot hatte seine Ausbildung an der Skystrike Flugakademie absolviert und danach seinen regulären Dienst lediglich beim „Epislon Squadron“ versehen. Ehemalige Führungskräfte attestierten ihm freilich ebenso wie bei Typho das nötige fliegerische Talent, um irgendwann Teil einer namhaften Einheit zu sein. Gleichfalls schien auch er einen gewissen Hang zum Hochmut zu haben, obwohl er sich – schon allein im Hinblick auf sein Auftreten in Pilotenkluft und der Verwendung seines Kodenamens – genauso ans Protokoll klammerte. Unter dem Helm lauerte demzufolge ein weiterer Heißsporn, der erst im Cockpit würde auftauen. Diese Charaktereigenschaft schien er sich mit dem Alphawolf zu teilen. Erst im Inneren der Maschine ließ er nämlich die Leidenschaft heraus, die stets in ihm zu brodeln schien.
Das jüngste Mitglied der „Wolves“ hatte sich inzwischen ausreichend vorgestellt und den Platz für Sakura Mitsumo frei gemacht. Und während sich die Pilotin nun ebenso präsentierte, wanderte sein Interesse zum nächsten Kandidaten: Ares Vance. Seine Ausbildung hatte er an der Militärakademie zu Prefsbelt IV – also im heimischen Sektor – absolviert. Eine weitere Besonderheit in dessen Akte war, dass man ihn gewissermaßen als „Allrounder“ bezeichnen konnte. Denn er hatte seine Stunden nicht nur wie das Gros der Anwesenden in einem schildlosen TIE-Abfangjäger gesammelt, sondern war wohl mit so gut wie jedem Modell (zumindest rudimentär) vertraut. Sogar die Teilnahme an ein paar Projekten, die in ihrer Beschreibung „Projekt Banshee“ glichen, war bei ihm verzeichnet. Dass er ebenso einen eher unorthodoxen Charakter hatte, fiel bei diesem Werdegang nicht wesentlich ins Gewicht. Möglicherweise galt in den nächsten Wochen Aidens besonderes Augenmerk ihm.
„Nun gut, der letzte im Bunde bin wohl ich“, begann der Alphawolf sich vorzustellen als die Reihe an ihm war. „Sicherlich hat mich der eine oder andere schon auf einem Rekrutierungsplakat oder in einem Kriegsbericht beziehungsweise einer Dokumentation der KOMENOR im HoloNet gesehen, aber natürlich möchte ich mich dieser Gepflogenheit nicht entziehen. Mein Name ist Aiden Thiuro. Bevor ich als Flight Officer zu den 'Wolves' kam und die Führung über eine Rotte übernahm, habe ich meine Flugstunden – wie offensichtlich das Gros von Ihnen – im TIE/in gesammelt. Die längste Zeit war ich an Bord der 'Zerberus' bei den 'Shadow Wings'.“ Während er mit ruhiger Stimme zu den Anwesenden sprach, wanderte der Blick seiner eisblauen Augen von Gesicht zu Gesicht. „Nach meinem Beitritt zum 'Wolves' Squad' arbeitete ich mich vom Rottenführer über den Stellvertreter bis zum Staffelführer hoch. In dieser Zeit kämpfte ich im TIE-Defender über Bilbringis Werften, Bastion zum Beginn des Bruderkrieges, Bastion zum Ende des Bruderkrieges, Osarian, Corellia, Ord Canfre, Iridoria und Admuar. Sie können mir also getrost glauben: Eine Vielzahl an Dingen, die mir die KOMENOR zuschreibt, mag sicherlich maßlos übertrieben sein, aber einen Sternjäger kann ich auch mit geschlossenen Augen fliegen.“
Thorne, der sich bis zu diesem Augenblick lässig gegen eine Wand gelehnt hatte, stieß sich nun mit einem Grinsen auf den Lippen ab, machte ein paar große Schritte in den Raum und sagte dann: „Ich denke, nach dieser selbstbewussten Kampfansage seitens des Majors sollten wir uns nun dem eigentlichen Grund Ihrer Anwesenheit widmen, meine Damen und Herren.“ Mit der rechten Hand wies er – ganz beiläufig – auf den am Holoprojektor wartenden Ingenieur. „Mister Forlin, möchten Sie nicht den Anfang machen und die Anwesenden über 'Projekt Banshee' aufklären?“
Der Ingenieur, der im Dienste des Militärnachrichtendienst stand und einen genervten Ausdruck zur Schau stellte, aktivierte per Knopfdruck den Projektor. Monoton brummend erwachte das Gerät aus dem schlummernden Standby-Modus. Langsam baute sich die holografische Darstellung eines noch unbekannten Modells auf. Dieser Sternjäger besaß wie der TIE/D Defender drei Solarflügel. Jedoch handelte es sich um deutlich schmalere Flügel. Des Weiteren war das Cockpit nicht kugelrund wie bei der TIE-Serie üblich. Umso besser konnte man dafür die Basis für dieses Konzept erkennen: Die Dolch-Klasse beziehungsweise den moderneren V-Achtunddreißig. Als Cyrus Forlin in teils ratlose Gesichter blickte, machte sich auf dessen Gesicht plötzlich ein wenig Zufriedenheit breit. Selbst das kybernetische Auge, das der Ingenieur besaß, funkelte in diesem Moment süffisant.
„Meine Damen, meine Herren; darf ich Ihnen vorstellen: 'Projekt Banshee'“, kündigte er mit rauer, heißerer Stimme die „neuste“ Idee des Militärnachrichtendienstes an. Sein Grinsen wurde breiter: „Ab dem heutigen Tag werden Sie das glorreiche Imperium tatkräftig dabei unterstützen einen mit einer Tarntechnologie ausgestatteten Sternjäger bis zur endgültigen Serienreife zu entwickeln. Sie, meine Damen und Herren, werden in den nächsten Wochen sowohl im luftleeren Raum als auch in der Atmosphäre die Grenzen des Möglichen austesten, in Zusammenarbeit mit den Ingenieuren und Technikern problemorientiert arbeiten und ihre Fußstapfen in der Militärgeschichte hinterlassen.“
Die Bestrebungen, einen sich tarnenden Sternjäger zu entwickeln, waren nicht neu. Beim Imperium arbeitete man schon seit Jahren im Geheimen an dieser Technologie. Soweit man Aiden über dieses Projekt und dessen Verlauf in Kenntnis gesetzt hatte, hatten Thorne, Forlin und Ilesar ihre Arbeit zur letzten Hochzeit des Galaktischen Imperiums aufgenommen, nachdem Delak Niriz, der Schlächter von Bohawui und späterer Hochverräter, den gesamten Both-Sektor im Namen Imperator Arthious befreit hatte. Über Bothawui hatte das Projekt seine ersten Schritte genommen – und selbst der kurz darauf ausbrechende Kampf um den Thron hatte nur bedingt Sand in deren Getriebe gestreut. Erst als sich die Rebellen anschickten, die Region mithilfe einer ganzen Gefechtsflotte wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, hatte man sämtliche Forschung mit einem Mal unterbrechen und einen neuen Standort aufsuchen müssen. Um das Risiko einer Entdeckung durch den Feind zu minimieren, hatte man sich letztlich für Eadu entschieden. Und nun stand man kurz vor der Fertigstellung des ersten Prototyps. Diese Details behielt Cyrus Forlin freilich für sich.
„Dank Major Thiuro und dessen beiden Kameraden (Sakura Mitsumo und Pranay Irimore), die für Sie sozusagen die Vorarbeit geleistet haben, stoßen Sie nun an einem ganz interessanten Punkt zum Projekt“, fuhr der Ingenieur stattdessen fort. „Misses Ilesar hat in der Kürze der Zeit mit Sicherheit noch nicht die neusten Daten des jüngsten Testflugs auswerten können, aber bestimmt können wir im Laufe der nächsten zwei, drei Tage mit den Ergebnissen rechnen.“ Die Zivilistin, die für Sienar tätig war, warf dem Imperialen einen giftigen Blick zu. Jedoch schien sich Cyrus Forlin nicht daran zu stören. „Major Thiuro und dessen Rotte hatten in den letzten Wochen die Aufgabe, das fliegende Grundgerüst auszuloten. Dafür standen ihnen jene Maschinen der Dolch-Klasse zur Verfügung, die Sie im Haupthangar haben bewundern können.“ Er grinste weiter unverhohlen süffisant. „Aufgrund dieser formidablen Vorarbeit haben Sie nun das Privileg in den kommenden Monaten nach und nach die V-Achtunddreißig-Skelette, die wir hier zur Verfügung haben, mit mehr Inhalt zu bestücken und so Schritt für Schritt einen funktionierenden Prototypen zusammenzubauen.“ Er sah sich neugierig um. „Erste Fragen bis hierhin?“
[: Eadu-System | Eadu | geheimer Stützpunkt :||: Innerer Bereich | Ebene Zwei | Verwaltungstrakt :||: Großer Besprechungsraum :||: Major Aiden Thiuro mit den restlichen „Wolves“ (darunter Samin, Sakura Mitsumo und Cain DéSklaz), Flight Lieutenant Kyra M. Tey, Pilot Officer Typho, Pilot Officer Vikare und Pilot Officer Vance sowie Colonel Thorne und die beiden Ingenieure Forlin und Ilesar :]