Eigentlich wollte ich ja kein großes Review zu "Kill Bill, Vol.I" schreiben, aber nachdem in diesem Thread so viele Äußerungen nur aus "geiler Film", "krass", "toll gewalttätig" usw. bestehen, und nur cornholio eine ausführliche Kritik verfasst hat, die ich allerdings nicht teilen kann, habe ich mich mal hingesetzt und meine Gedanken fließen lassen.
Ich werde mich hier sowohl mit dem Film als auch mit cornholios Kritik auseinandersetzen, denn genaugenommen ist es sein Text, der mich überhaupt erst dazu veranlasst hat, weil ich denke, daß er nicht unwidersprochen bleiben darf.
Also dann:
"Kill Bill" ist typisch Tarantino, und genauso ist er für Tarantino absolut untypisch. Das klingt im ersten Moment schizophren, aber ich werde im folgenden versuchen, das zu erläutern. Zunächst einmal sollte ich vielleicht sagen, daß ich den Film ohne jede Vorinformation gesehen hatte. Ok, ich kannte den Trailer. Aber der Trailer zeigt vom Film so gut wie nichts.
Was typisch Tarantino ist, ist die Aufteilung in Kapitel, und die Sprünge innerhalb der Handlung. Egal, ob "Reservoir Dogs", "Pulp Fiction", (stellenweise auch) "Jackie Brown", oder jetzt "Kill Bill", Tarantino bleibt sich in einem Treu: Raum und Zeit werden bei ihm nicht chronologisch abgehandelt, sondern der Schnitt ist unchronologisch, Tarantino montiert die Ereignisse nicht nach temporären Gesichtspunkten, sondern ausschlaggebend ist eher der Aufbau von Spannung durch kreative Sprünge, oder, wie besonders hier in "Kill Bill", die Ergründung der menschlichen Seele durch Rückblenden. Natürlich steht in diesem Film die Seele "der Braut" im Vordergrund (so nennt Tarantino die Protagonistin seines Films im Drehbuch).
Es wird hier im Thread so oft die Gewalt in den Vordergrund gestellt (und cornholio beschäftigt sich auch mit kaum etwas anderem in seiner Kritik, und wenn er mal nicht die Gewalt thematisiert, dann kritisiert er irgendwelche Punkte, auf die ich aber noch eingehen werde). Diese einseitige Betrachtung des Films, egal, wie man die Gewalt dabei bewertet, finde ich ziemlich traurig.
"Kill Bill" ist im Kern kein Gewalt-Action-Gemetzel. Es ist ein Film über eine Geisteshaltung. Ein Film über das Schicksal einer starken Frau, die diese Stärke aus vielen Gründen in sich trägt, unter anderem auch dadurch, daß sie nichts zu verlieren hat, weil ihr schon alles genommen wurde.
Es ist ein japanischer Film. Ok, ok, viele werden diesem letzten Satz vielleicht die Augen verdrehen, aber es ist so. Hier wird die ganze Zeit über die Blutfontänen gesprochen. Blut in dieser Form ist typisch japanisches Stilmittel. Das hat mit dem in Dtl. So beliebten Honkong-Kino nichts zu tun. Karateproduktionen aus China oder Honkong haben größtenteils eine unblutige Ästhetik (siehe Bruce Lee oder Jackie Chan). In japanischen Produktionen dieses Genres ist das anders. Dabei sollte man jetzt aber nicht dem irrigen Schluss folgen, daß die Japaner alle blutrünstige Irre sind, frei nach dem Motto "je brutaler, desto besser". Nein, Blut hat da vor allem einen sakral-symbolischen Wert. Und diesem Fakt ist sich Tarantino absolut bewußt.
Cornholio wirft dem Film vor, daß er abgesehen von der ersten halben Stunde nach hinten raus immer alberner wird, und die Witze aufgesetzt sind. Entschuldigung, aber ich frage mich, welchen Film er gesehen hat? "Kill Bill" ist stilisiert, und die Gewalt ist entfremdet und etwas abgehoben, aber eines ist sie nicht: witzig. Wer einen Film mit dem typischen Tarantino-Humor sehen will, soll sich zum 50. Mal "Pulp Fiction" reinziehen, hier ist er jedenfalls an der falschen Adresse. Hier gibt es keinen Humor ala "Scheiße, ich hab Marvin in's Gesicht geschossen". Die Gewalt in "Kill Bill" ist ein ästhetisches Mittel, um den Charakter der Braut und ihrer Gegner zu beleuchten. In diesem Zusammenhang verstehe ich auch nicht, warum cornholio in der zweiten Hälfte des Films die Dialoge so kritisiert. Ok, "Kill Bill, Vol.I" ist nicht so Dialoglastig wie frühere Tarantino-Werke, aber die Dialoge haben trotzdem einen Sinn. Cornholio hat speziell die Entschuldigung vom O-Ren Ishii an die Braut als albern abgetan. Bitte was?! Vielleicht ist es dem Rezensenten entgangen, aber diese Entschuldigung stellt den Anfang des eigentlichen Duells dar. Vorher ist alles nur Spielerei. Die Braut schlachtet alle Untergebenen von O-Ren ab, bis es zum eigentlichen Duell zwischen den beiden Frauen kommt, und O-Ren nimmt sie trotzdem nicht ernst. Bis zu diesem Punkt. Bis die Braut O-Ren verwundet. Da setzt bei O-Ren ein Umdenken ein, ihr wird bewußt, daß sie eine würdige Gegnerin vor sich hat. Und kommt dieser Satz: "Entschuldige bitte, daß mich über dich lustig gemacht habe." O-Ren entschuldigt sich nicht für die Greueltaten vier Jahre vorher. Sie entschuldigt sich dafür, daß sie die Braut nicht von Anfang als gleichberechtigte Gegnerin akzeptiert hat. Kein Wunder, daß cornholio da nicht lachen konnte. Daß ist ja auch verdammt nochmal kein Gag, sondern ein ernsthafter Drehpunkt in der Beziehung dieser beiden Gegnerinnen. Das ist vollkommen ernst. Mit diesem Satz ändert sich der Kampf zwischen den beiden. Und auch O-Rens letzter Satz ("Das ist ein Hatori Hanzo-Schwert"), ist nicht als Gag gemeint. Im Augenblick ihres Todes erkennt O-Ren, daß nicht nur ihre Gegnerin, sondern auch deren Waffe würdig waren.
Nächster Punkt: cornholio wirft dem Film vor, daß keine Erklärung dafür gegeben wird, daß die Braut auf einmal japanisch sprechen kann. Äh, sorry, aber ein typisches Stilmittel von Tarantino ist, daß er Filme nicht chronologisch anlegt. Ich hab es oben schonmal erwähnt. Klar, jeder 0815-Regisseur würde inen Prolog mit dem Hintergrund der Hauptfigur machen, der natürlich auch enthalten würde, daß sie mehrere Sprachen beherrscht. Tarantino ist da anders. Er versetzt den Zuschauer in dieser Szene in dieselbe Situaltion wie Hatori Hanzo. Die Braut spielt mit ihm, und tut so, als ob sie nur ein paar Wörter kann (was für etwas bewanderte Zuschauer in dieser Szene wirklich großartig ist: zuerst spricht die Braut "Arigato" typisch westlich aus, und auf einmal, ohne daß Hatori Hanzo ihr die Aussprache genau erklärt, sagt sie es etwas leiser, grinsend, akzentfrei). Sie überrascht Hanzo genauso, wie sie den Zuschauer überrascht: sie kann japanisch, sie kennt den besten Schwertmeister Japans, beide haben eine gemeinsame Vorgeschichte, einen gemeinsamen Feind. Dieser war der Schüler bzw. Meister des anderen. Eine großartige Konstellation. Hatori schmiedet wieder ein Schwert. Auch wenn er große moralische Bedenken hat, er ist der Braut verpflichtet. Auch hier geht es wieder um dieses Ehrgefühl der Samurai. Dasselbe Ehrgefühl, welches O-Ren dazu brachte, sich bei der Braut zu entschuldigen. Daß die Braut japanisch spricht, ist jedenfalls kein Regie-Fehler, das wird in Vol.II noch sehr deutlich werden (sorry, hab inzwischen schon das komplette Drehbuch gelesen
). Außerdem fängt Hatori Hanzo nicht einfach an, sie japanisch zuzutexten, sondern sie outet sich, indem sie auf einmal akzentfrei japansich spricht, und ihm die richtigen Fragen stellt. Überleg doch mal, wenn man weiß, wer Hatori Hanzo ist (obwohl er schon seit Jahren kein Schwert mehr geschmiedet hat), wenn man in seine Laden kommt, und ihn akzentfrei anspricht, dann outet man sich automatisch, daß man japanisch kann. Da sieht der liebe cornholio einen Regiefehler, wo keiner ist. Ich sehe da vielmehr eine großartige Sequenz. Eine Szene, die das Schicksal dreier Menschen miteinander verbindet: das der Braut, das von Hatori Hanzo, und das von Bill. Diese drei Schicksale waren schon vorher miteinander verbunden, aber da hatte Bill die Regeln aufgestellt. Jetzt ist die Braut am Zug. Sie definiert die Beziehung neu.
Eines ist bei diesem Film sehr wichtig: 1. Er ist nicht witzig!! 2. Er ist ein Film über Beziehungen!! Sämtliche Kampfszenen sind immer auch Szenen über menschliche Beziehungen. Als die Braut am Anfang Vernita Green umbringt, und auf einmal deren Tochter im Zimmer steht, ist das nicht witzig. Und als die Braut sagt "Es war nicht meine Absicht, das vor deinen Augen zu tun. Dafür entschuldige ich mich. Aber du kannst mir glauben, deine Mutter hatte es verdient. Wenn du erwachsen, und immer noch nicht darüber hinweg bist, werde ich auf dich warten." Dieses Statement ist ebenfalls nicht witzig gemeint. Die Braut geht mit diesem Angebot eine Beziehung zur Tochter ihres Opfers ein. Dieses Ehrgefühl ist etwas, das sich durch den ganzen Film zieht.
Weiter: O-Rens Leben wird in Form eines Animes als Rückblende erzählt. Cornholio sagt dazu, daß dieser sehr gelungen ist, die übermäßige Darstellung von Blut allerdings den Eindruck mindert. Bitte? Dieser Anime ist eine Symphonie. Er ist eine Form von Balett. Das wird schon dadurch deutlich, daß er ohne Dialoge auskommt, sondern die Gewalt fast tänzerisch daherkommt. Das Blut ist dabei eine weitere Fassete auf der Palette des Künstlers. Als die junge O-Ren unterm bett liegt, wärend ihre Mutter auf dem Bett durch das Samurai-Schwert erstochen wird, erleben wir das aus dem Blockwinkel des kleinen Mädchens. Und wie sich auf einmal die Matratze über ihr vollkommen rot färbt, die ersten Tropfen am Schwert heruntelaufen, und dann auf einmal ein Regen von Blut auf das kleine Kind herrunterfällt, ist eine der eindrücklichsten Szenen, die ich je im Kino bewundern durfte. Am Ende dieser Sequenz hatte ich Tränen in den Augen.
Cornholio hat sich ebenfalls kritisch zur Musik geäußert. Das kann ich nun überhaupt nicht verstehen. Die Musik ist so packend wie selten in einem Tarantino-Film. Die Kombination der Stücke ist einfach toll. Cornholio kritisiert hohe Pfeifentöne in den asiatischen Stücken, die ihn gestört haben. Nun, ich nehme an, er meint die Musik, die läuft, wärend die Braut Hatori hanzo überzeugt, ein Schwert zu schmieden, und er daraufhin "Bill" auf's Fenster schreibt. Tja, ich will jetzt nicht hämisch wirken, aber diese Musik ist nicht japanisch. Sie wirkt zwar so, ist absolut stark, und ergreifend, aber sie ist nicht japanisch. Dieses Musiskstück ist von James Last (ja, DER James Last) und wurde von George Zamphier auf der Panflöte gespielt. *g* Ein James Last-Stück in einem Tarantino-Film, DAS ist einfach ein toller Insider-Gag. Es ist einfach toll, es packt einen. Und die J-Pop-Einlagen sind auch toll gewählt. Ich habe den Soundtrack genossen. Und es wird der erste Soundtrack seit Jahren sein, den ich mit kaufen werde.
Cornholio hat seine Kritik hauptsächlich auf die Action-Sequenzen aufgebaut. Und er war enttäuscht. Entschuldigung, aber auch das kann ich nicht ganz nachvollziehen. Die Kampfszenen sind top. Ok, vielleicht sind sie bei Matrix oder bei Jackie Chan besser choreographiert. Aber das ist doch völlig unerheblich! Bei Matrix und Jackie Chan geht es immer nur um die Action als Selbstzweck, die Gewalt hat kein Konsequenzen für die Charaktere. Das ist hier vollkommen anders. Ein großes Mißverständnis ist wahrscheinlich, daß "Kill Bill, Vol.I" so sehr als Martial-Arts-Film beworben wird. Ja, klar, für Tarantino-Verhältnisse ist es ein absoluter Martial-Arts-Film. Aber im Gegensatz zu anderen Genre-Werken sieht man hier die Handschrift von Tarantino in jeder Einstellung. Und auch in den Kämpfen. Es geht eben nicht nur um Gemetzel, um Action, sondern es geht um die Figuren und um ihre Beziehungen. Wer dazu keinen Zugang kriegt, wird etwas hilflos davorsitzen. Aber wenn man sich darauf einläßt, ist "Kill Bill, Vol.I" das beste Genre-Werk seit "Chrouching Tiger, Hidden Dragon", und sogar noch besser. Auch in "Chrouching Tiger" geht es nicht nur um die Kämpfe an sich, sondern auch immer um die Beziehungen zwischen den Gegnern, und auf tiefgründige Weise um ihre Persönlichekeiten.