Fresia (Fre'ji-System)

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp – Exodus’ Hütte | allein ]

Viele Männer hatten ein Ritual für die Minuten, nachdem sie mit einer Frau geschlafen hatten. Sie zündeten sich eine Zigarette an, liefen von plötzlichem Heißhunger befallen zum Kühlschrank oder sprangen in die Nasszelle, um sich zu reinigen. Exodus hatte kein solches Ritual. Stattdessen gehörte er zu den Männern, die – ganz der Klischeevorstellung entsprechend – sehr schnell sehr müde wurden, an Ort und Stelle liegen blieben und dann in den verdienten Schlaf abtauchten.
Auch heute zerrte die Mischung aus körperlicher Erschöpfung und Befriedigung ihn in die Müdigkeit. Doch anders als sonst, hielt ihn ein konstanter Gedankenstrom am Rande des Wachseins. Es war einfach zu viel passiert. Es gab zu viel zu überdenken. In Exodus‘ Kopf rauschte es und es fiel ihm nach diesem unendlich langen Tag schwer, sich lange auf ein Thema zu konzentrieren. Abwechselnd drängten sich die verschiedenen Erkenntnisse der letzten Stunden an die Oberfläche seines Bewusstseins. Giselle hatte mit ihm geschlafen. Sie hatte ihm ihr Geheimnis offenbart. Sie war machtsensitiv. Und sie besaß einen dunklen Kern. Die Gedanken drehten sich wie ein Karussell in seinem Kopf, bis er in Gedanken begann das wichtige Gespräch mit seinem Vater zu führen, über die Zukunft ihres Projekts hier auf Fingers Mark. Darüber, wie es weitergehen würde. Jede seiner Überlegungen endete aber bei Giselle. Er hatte ihr die Wahl gelassen, bei ihm zu übernachten oder in ihr eigenes Zelt zurückzukehren. Sie hatte sich für letzteres entschieden und beinahe wäre Exodus aufgesprungen und hätte sie zurückgehalten. Sein Verstand hatte sich schließlich durchgesetzt, er war liegen geblieben, hatte ein Lächeln aufgesetzt und ihr eine Gute Nacht gewünscht. Es war gut, etwas Abstand zu bekommen. Zeit zum nachdenken zu haben. Er verstand nicht, was sie von ihm wollte. Sie hatte mit ihm geschlafen und bisher war er davon ausgegangen, dass noch etwas mehr dahinter stecken könnte. Aber sie war nicht geblieben, hatte sich nicht nach seiner Nähe gesehnt, so wie Serah auf Coruscant. Der Büroangestellten hatte er diese Nähe verwehrt, doch von Giselles betörendem Duft hätte er durchaus nochmal gekostet …

Irgendwann schlug Exodus die Augen wieder auf und bemerkte, dass seine Hand auf dem Chrono lag und in Eigenregie verzweifelt versuchte das schrille Piepen zu stoppen, das seinen Geist, trotz der ohrenbetäubenden Lautstärke, nur tröpfchenweise erreicht hatte. Verwirrt drehte er sich im Bett herum und sah zu den heruntergelassenen Jalousien seines Fensters. Draußen war es stockfinster. Die Sonnenstrahlen, die sich bisher jeden Morgen in sein Schlafzimmer gestohlen hatten, waren weg. Fresia ließ sich nicht anmerken, welche Tageszeit gerade war. Exodus war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt geschlafen hatte. Stirnrunzelnd überlegte er, was das letzte war, an das er gedacht hatte. Irgendwie waren mehrere sehr bewegliche Frauen um ihn herumgetanzt, alle mit schwarzer Spitzenunterwäsche bekleidet. Sie hatten ihm Küsse zugeworfen und er hatte in ihrer Mitte gestanden und gelacht. Doch aus seiner Stirn waren zwei Hörner gewachsen und seine Haut hatte sich grünlich verfärbt. Die Frauen waren immer näher gekommen und er hatten sie mit seinen vier Armen an sich gezogen und mit seiner gespaltenen Zunge über ihre Köpfe geleckt.
Schlaftrunken sah Exodus an sich herunter. Er sah aus wie immer. Ein Traum. Also hatte er doch geschlafen. Wieder rollte er sich zur Chrono-Seite des Bettes herum und bemerkte, dass es später war, als er gedacht hätte. Irgendwie hatte seine Hand es wohl schon vor ihrem letzten Versuch geschafft, den Weckton des Chronos zu stoppen und ihn auf später zu verschieben. Trotzdem verharrte er einen weiteren Moment im Bett und genoss die, ihm plötzlich entgegenschlagende, Erinnerung an Giselles Geruch. Diese Seite des Bettes roch besonders stark nach ihr. Exodus runzelte die Stirn, verwirrt über sich selbst. Die Frau würde ihn noch in den Wahnsinn treiben. Er war schon immer ein Mann eher komplexer Gefühle gewesen, aber das hier …?

Mühsam hiefte er sich aus dem Bett, stellte sich in die Nasszelle und zog ein paar frische Klamotten an. Dann verließ er seine Hütte und folgte dem Weg, den sein grummelnder Magen ihm vorgab. Die Dunkelheit irritierte ihn zutiefst und unterstrich nur sein körpereigenes Gefühl, in tiefster Nacht aufgestanden zu sein. Nicht gerade der beste Start in einen Tag, an dem so viel Wichtiges zu besprechen war. Seinen müden Gang versuchte er abzuschütteln, ehe er das Frühstücksbuffet erreichte. Gegen die dunklen Ringe unter seinen Augen würde er hingegen wenig tun können. Er wusste schon, wen er beim Frühstück erwarten würde, als er den ersten Fuß vor die Tür gesetzt hatte. Seine Machtsinne waren hochaktiv – und nachdem Giselle ihm ihr Geheimnis enthüllt hatte, waren sie sogar noch mehr darauf fixiert, ihr Aura zu ertasten. Sie stand mit einem Nautolaner zusammen, dessen Aura sich Exodus ebenfalls gemerkt hatte. Es war Jak, der sie am vorigen Abend ebenfalls zum Tanz aufgefordert hatte. Nun, kam Exodus nicht umhin zu denken, wer hier gewonnen hatte, war wohl sonnenklar. Und trotzdem störte es ihn, dass der Nautolaner schon bei Giselle stand und sich angeregt mit ihr zu unterhalten schien. Exodus beschloss, sie zunächst zu ignorieren und sich selbst etwas zu essen zu holen. Es sah nicht gut aus, wenn er sofort zu ihr eilte, erst Recht nicht, nachdem sie in der Nacht nicht hatte bleiben wollen. Unschlüssig kniff er die Augen zusammen und starrte den Brötchen-Korb an. Was trieb diese Frau nur für ihn Spiel mit ihm?


„Guten Morgen.“

begrüßte er Giselle und Jak förmlich, als er sich mit einem voll beladenen Teller zu ihnen aufschloss.

„Das Camp ist ja schon fast vollständig auf den Beinen.“

bemerkte er und sah sich in der, von einigen Lampen erhellten, Dunkelheit um. Er hatte der Crew einen Ausflug nach Hill City versprochen und anscheinend ging sein Plan, sie damit von Racheaktionen gegen die Mon Calamari abzuhalten, voll auf. Es lag sogar so etwas wie freudige Erregung in der Luft. Scheinbar wollten alle mit aufs Festland. Sein Blick fiel wieder auf Giselle und es war der erste Blickkontakt, seit sie sein Schlafzimmer verlassen hatte. Wenn die Nautolaner erst einmal weg waren, wären sie beide komplett alleine im Camp. Die zwei Machtsensitiven unter sich. Ein merkwürdiger Gedanke.

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Der Kaf war stark, aber er half Giselle, ihre Energie wieder zu finden. Sie hatte ihre Tasse mit beiden Händen umschlungen und nippte immer wieder an dem Heißgetränk. Exodus schlenderte zuerst zum Buffet hinüber, nachdem er seine Hütte verlassen hatte, kam aber dann zu ihnen. Er sah in etwa so müde aus, wie Giselle sich fühlte, aber er roch nach frischer Dusche – etwas, wozu Giselle keine Zeit mehr gehabt hatte. Jak und sie erwiderten seine Begrüßung gleichermaßen und Giselle sah sich um, als ihr Chef bemerkte, dass bereits das halbe Camp auf den Beinen war. Nur die Hälfte? Sie waren sogar alle schon wach.

“Einige sind schon runter zur Anlegestelle.“

Bemerkte sie, während sie ihren Kaf schlürfte und zur Kenntnis nahm, dass Jost Fleetfire gerade zwischen den Zelten entlang lief. Was trieb der bloß? Dieser Kerl war wirklich seltsam, wenn auch amüsant. Zumindest verschaffte er ihr – wenn auch unbeabsichtigt – etwas mehr Zeit. Sie war dankbar, dass sie wenigstens ein paar Minuten hatte, um ihren Kaf zu trinken und ihn nicht einfach herunter schütten musste.

“Die Tour nach Hill City soll in wenigen Minuten los gehen. Dan’el ist schon starklar, glaube ich. Nur Fleetfire springt noch hier rum.“

Sie grinste und sah Exodus an. Jost Fleetfire war ein gutmütiger Trottel.

“Brauchst du mich heute eigentlich hier? Falls nicht, würde ich mich den anderen anschließen.“

Mit einem letzten großen Schluck leerte sie ihre Tasse. Ja, jetzt fühlte sie sich schon viel besser. Essen würde sie später etwas, in Hill City, wenn Exodus alleine hier zurecht kam. Jem hatte sicherlich eine Kleinigkeit für sie. Sie klemmte ihre Tasse zwischen ihre Beine, um sie festzuhalten, während ihre Hände in ihre Haare fuhren, sie den Knoten auf ihrem Kopf löste, weil er zu locker gesessen hatte und ihn noch einmal neu machte. Jak warf ihr einen merkwürdigen Blick.

“Was?“

Fragte Giselle grinsend. Der Nautolaner schüttelte den Kopf. Er schien sehr amüsiert.

“Nix.“

Antwortete er schon fast lachend.

“Ich bin nur froh, dass ich es einfacher habe – ohne Haare, meine ich.“

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„Ich, ähm …“

Exodus blinzelte seiner Assistentin irritiert entgegen – wieder einmal. Giselle ließ sich überhaupt nicht anmerken, wie nah sie sich in der letzten Nacht gekommen waren. Auf Coruscant war er es gewesen, der Serah am nächsten Morgen wie üblich behandelt, während sie ihn mit großen schimmernden Augen angesehen hatte. Wollte Giselle dieses Spiel jetzt so einfach umdrehen? Aber wieso? Sie war sein gewesen, sie hatte sich ihm hingegeben und wirklich alles getan, was er wollte. Davon war jetzt, nur wenige Stunden später, nichts mehr übrig?

„Ich brauche dich nicht, nein.“

Mechanisch biss er ein Stück seines Gebäcks ab und musterte sie still. Wollte sie weg von ihm, war ihr das alles jetzt plötzlich peinlich? Auch danach sah sie nicht aus. Sie hatte sich mit einem genüsslichen Grinsen aus seinem Schlafzimmer verabschiedet – wenn sie nun beschämt war, dann hatte sie dieses Gefühl reichlich spät erreicht.

„Du kannst dich ruhig den anderen anschließen. Kein Problem.“

Exodus setzte sein typisches Lächeln auf, doch die Freundlichkeit erreichte seine Augen nicht. Er war sich selbst nicht sicher, was er eigentlich wollte. Sie trug die dunkle Seite in sich und sein Verstand sagte, dass es nur gut und richtig war, wenn sie sich für einige Stunden von ihm fern hielt. Damit er wieder einen klaren Kopf bekommen und sich um die Geschäfte kümmern konnte. Jede Faser seines Körpers, die letzte Nacht mit ihr in Berührung gekommen war, bäumte sich hingegen auf, als er nur daran dachte, etwas Abstand von ihr zu halten. Missmutig sah er zu, wie Jak seine Chance nutzte, um Giselle zu necken. Na toll – und mit diesem Typen musste er sie ziehen lassen. Er würde den ganzen Tag Zeit haben, mit ihr zu flirten, sie unbewusst zu berühren und einige schöne Stunden mit ihr zu genießen. Und das alles, weil Exodus es erlaubt hatte. Ein richtiges Genie war er.
Die letzte Nacht war ein Sieg auf ganzer Linie gewesen, doch die Stunden der Genugtuung währten nicht lange. Er konnte einfach nicht fassen, dass Giselle ihn so einfach verleugnete, auch wenn er es natürlich erwartet hatte – der Professionalität wegen. Aber irgendwas, irgendeinen Blick, musste sie ihm doch geben können!


„Wie hast du eigentlich geschlafen, Giselle?“

Fragend zog er die Augenbrauen hoch und nippte an seinem Kaf. So einfach ließ er sie nicht davon kommen und wenn Jak nun Lunte roch, war ihm das nur Recht. Dies hier war das Revier von Exodus Wingston.

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Während Exodus die aktuelle Lage auf Fingers Mark und die Ereignisse des vergangenen Abends mit seinem Vater, dem Präsidenten der Wingston Corporation, via Holoverbindung besprechen würde, hatte er keine weiteren Aufgaben für Giselle. Es gab für sie im und um das Camp nichts zu tun und daher konnte sie sich dem Rest der Crew anschließen, um die nächstgelegene Stadt zu besuchen: Hill City. Sie freute sich über den freien Tag und die Möglichkeit, mal wieder ganz unabhängig von der Wingston Corporation und ihren Mitarbeitern etwas zu unternehmen.

“Wunderbar!“

Giselle grinste.

“Ich hatte gehofft, dass du das sagst.“

Sie kümmerte sich gerne um die Verwaltung des Lumium-Projektes, die Zahlen und Kalkulationen, den anfallenden Papierkram und alle sonstigen Dinge, die sie als Exodus‘ Assistentin zu erledigen hatte. Giselle lagen solche Arbeiten, doch natürlich blieb Arbeit immer Arbeit. Den Mitarbeiter, der sich nicht über einen freien Tag freute, wollte sie gerne kennen lernen. Sie erinnerte sich an die seltenen Gelegenheiten bei der Flotte, zum Landgang und ihren letzten gemeinsamen Ausflug mit Liam nach Mon Calamari. Es war ein schöner, sonniger Tag gewesen und sie hatten sich die Stadt angesehen, in einer schummrigen Kneipe etwas zu Mittag gegessen und ein Würfelspiel gespielt und Giselle hatte sich in einem kleinen versteckten Shop in einer Nebengasse feinen Schmuck angesehen. Heute würde ähnlich werden. Es war ein anderer Ort, eine andere Umgebung und selbst die Leute waren nicht die selben, doch der Kern der Unternehmung blieb der gleiche: eine Auszeit von der Arbeit, ein paar Stunden um sich auszuruhen und die Dinge zu tun, zu denen man sonst keine Gelegenheit hatte. Es tat ihr ein bisschen Leid, dass Exodus alleine zurück bleiben musste. Sie konnte sich gut vorstellen, dass auch er gerne Hill City bei Dunkelheit erlebt hätte. Stattdessen musste er arbeiten… oder genauer gesagt, über die Zukunft des gesamten Projektes entscheiden. Das würde kein einfacher Tag werden. Sie stellte ihre Tasse weg und sah sich noch einmal um. Vielleicht würde Haiur bald zurück kommen und Exodus wenigstens zwischendurch etwas ablenken. Vielleicht brachte er sogar gute Nachricht von den anderen Mon Calamari, wenn sie Glück hatten.

“Dann machen wir uns am besten mal auf den Weg.“

Sagte sie und sah sich nach dem schlaksigen Piloten um.

“Nicht, dass Fleetfire am Ende doch noch ohne uns fährt.“

Giselle lächelte, doch dieses Lächeln geriet ins Wanken, als Exodus sie aus heiterem Himmel fragte, wie sie geschlafen hatte. Sie wusste sofort, dass es eine Anspielung war, doch sie wusste nicht, warum er sie machte. Vermutlich wollte er sie nur necken, doch was in der vergangenen Nacht zwischen ihnen passiert war, war auf einer anderen Ebene gewesen. Es gab keinen Grund, dies in ihren Alltag zu übertragen. Es war nur Sex gewesen, ein rein körperliches Verlangen. Wie also hatte sie geschlafen, wollte er wissen.

“Gut, danke.“

Antwortete sie knapp. Jak zupfte an ihrem Ärmel. Sie waren inzwischen die einzigen, die noch nicht hinunter zur Bucht gegangen waren.

“Ich glaube, wir sollten jetzt wirklich los.“

Meinte er und Giselle nickte. Er hatte Recht. Sie begegnete Exodus‘ Blick.

“Viel zu kurz jedenfalls.“

Fügte sie etwas versöhnlicher hinzu.

“Ich versuche mich mit Kaf über Wasser zu halten.“

“Gis, ich kaufe dir in Hill City eine so große Tasse Kaf, dass du nie wieder einschläfst.“

Behauptete Jak, legte seinen Arm um sie und zog sie mit sich, hinunter in Richtung Anlegestelle. Giselle boxte ihn für seine Prahlerei spielerisch in die Seite, wandte sich halb um und winkte Exodus zu.

“Bis später!“

Rief sie gut gelaunt und wich Jak aus, der versuchte sie zurück zu boxen.

“Eure Haare am Kopf haben nicht mal eine Funktion.“

Beschwerte er sich, als ob sie etwas dafür könnte. Munter schwang Giselle ihre Schuhe durch die Luft, die sie noch immer in den Händen trug.

“Man kann Frisuren damit machen.“

Argumentierte sie und freute sich auf einen Tag, der ihr ganz allein gehören würde.

- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Mit Jak–
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp | mit Giselle und Jak ]

Gut hatte sie also geschlafen. Zu kurz zwar, aber gut, danke. Sie versuchte, sich mit Kaf wach zu halten. Jak versprach eifrig, ihr dabei zu helfen. Exodus nickte sachlich. Giselle gab ihm keinen Grund zu dem neckischen Lächeln, das er ihr viel lieber gezeigt hätte. Sie beantwortete die Frage sachlich und unverbindlich, ehe Jak an ihrem Ärmel zupfte und sie fortzog. Der Nautolaner schien nichts von dem kurzen Blickkontakt mitbekommen zu haben und selbst Exodus war sich nicht sicher, ob sie einander überhaupt wirklich angesehen hatten.

„Bis später.“

erwiderte er knapp und hob träge seinen rechten Arm zu einem Abschiedsgruß. Dann nahm er einen großen Schluck Kaf und sah den beiden nach. Jak begann schon wieder, an Giselle herumzunesteln. Und was sollte überhaupt dieses ganze Gerede über ihre Haare? Exodus beschlich das Gefühl, sie sprachen über etwas, das er nicht verstand und je mehr sie darüber lachten, desto mehr ärgerte er sich darüber. Was vor wenigen Stunden noch ihm gehört hatte, war ihm nun wieder entzogen worden und das war eine Erfahrung, die er ganz und gar nicht mochte. Natürlich, er könnte sie sich zurückholen. Jak könnte plötzlich stolpern, durch einen ungünstig gelegenen Stein vor seinen Füßen. Der Nautolaner würde der Länge nach hinfallen, vielleicht sogar so unglücklich, dass er sich etwas brach und hier im Camp bleiben musste. Würde Giselle dann alleine nach Hill City fahren oder sich hier um ihn kümmern – mit ihm in seinem Zelt verschwinden und ihn verarzten?
Exodus zog grimmig die Augenbrauen zusammen, schüttelte den Kopf und knallte den Becher Kaf auf die Theke des Buffets. Allein diese Gedanken waren pures Gift. Er durfte sich nicht so gehen lassen. Für Giselles Nähe hatte er die Macht bisher ohne großes Risiko nutzen können, doch es war ein Drahtseiltanz, nach wie vor, und die Gefahr abzustürzen war groß. Für einen Augenblick hatte die dunkle Seite an den Grenzen seines Verstandes geleckt. Eine alte Bekannte, von der gehofft hatte, sie nie wiederzusehen.

Die Dunkelheit hatte die beiden Gestalten schnell verschluckt und Exodus sah sich unzufrieden im Camp um. Giselle spielte mit ihm und er hatte sich ihr ausgeliefert. Sie gab die Regeln vor und er tanzte auch noch bereitwillig danach. Dabei war ihr Plan doch völlig klar! Er hätte beinahe gelacht, weil er erst jetzt darauf kam. Giselle trug in Gegenwart der anderen eine Maske – letzte Nacht hatte sie ihm ihr wahres Gesicht und ihre wahren Absichten gezeigt. Sie hatte ihn von der süßen Frucht kosten lassen, um ihm klar zu machen, was er von ihr bekommen konnte, wenn er nur wollte. Dann hatte sie sich ihm wieder entzogen. Sie war nicht über Nacht geblieben, sie bat darum, nach Hill City fahren zu dürfen und sie ließ sich bereitwillig von Jak in den Arm nehmen und necken. Die Strategie war so simpel, wie das weibliche Geschlecht alt war. Sie wollte, dass er sich um sie bemühte, sie wollte, dass er um sie kämpfte. Sie machte ihn eifersüchtig! Viele, viele Frauen hatten das schon vor Giselle getan und einige von ihnen hatten diese Taktik auch an Exodus getestet. In Wahrheit ging es hier gar nicht um Giselle und Jak oder um einen Ausflug zum Festland – es ging ausschließlich um Giselle und Exodus. Nach solch simplen Tricks gedachte er nicht zu spielen. Die Freundschaft zu Giselle bedeutete ihm wirklich etwas und er genoss die Gespräche mit ihr. Letzte Nacht war sogar das noch größere Vergnügen gewesen und er wäre nicht abgeneigt, sie ein weiteres Mal in sein Bett zu lassen. Doch darum betteln würde er nicht. Wenn sie das glaubte, war sie auf einem Irrweg. Exodus Wingston hatte seinen Stolz. Verdammt, ja – er war stolz!

Wütend stapfte er in Richtung des Verwaltungszeltes. Er musste noch einige Zahlen durchsehen, bevor er mit seinem Vater die weitere Strategie besprach. Über Giselle konnte er sich dabei keine Gedanken mehr machen. Doch was gab es auch zu denken – er liebte sie nicht, diese Geschichte war für eine Nacht gewesen. Wenn sie nach außen hin vorgeben wollte, dass es auch für sie nur bedeutungsloser Sex gewesen war – bitte. Sollte sie ihn verleugnen. Er würde ihr allerdings nicht erlauben, auch noch seine Gedanken zu beherrschen. Exodus aktivierte im Vorbeigehen die Lampen des Verwaltungszeltes und zog dann etwas zu heftig nach dem Bürostuhl vor der Holoanlage. Mit einem Knopfdruck fuhr er die Systeme hoch und öffnete die verschiedenen Berechnungen, wanderte mit seinem Blick von Zeile zu Zeile und begann sich einige Notizen zu machen. Es dauerte jedoch keine Viertelstunde, ehe ihm der Kopf schwirrte und die Müdigkeit mit ihrem unnachgiebigen Hammer zuschlug. Mit den Ellbogen stützte er sich auf dem Tisch auf, begann sich mit den Fingerspitzen seine Schläfen zu massieren und schloss langsam die Lider. Vor seinem inneren Auge erschien schlagartig der verführerische Blick einer unwiderstehlichen blonden Tänzerin. Verdammt. War Entzug wirklich die richtige Strategie, um eine Sucht zu bekämpfen?


[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp | allein ]
 
- Fresia – Meer – Wassergleiter – Mit Jak, Jost Fleetfire & Nautolaner Crew –

Giselle saß zwischen Jak und Nico auf einer der schmalen Bänke des Wassergleiters und der Wind schlug ihr kalt und aggressiv entgegen. Es war dunkle Nacht um sie herum und so würde es die nächsten Tagen bleiben. Die Scheinwerfer, mit denen der Gleiter ausgestattet war, bildeten die einzige Lichtquelle um sie herum. Giselle lehnte sich zurück und drehte den Kopf so, dass sie über das Geländer hinab in die leere Schwärze des Meeres schauen konnte. Sie sah nichts und hörte nur den Klang des Wassers, der Wellen, des Meeres. Sie fragte sich, ob sie auf Palm Island hätte bleiben und Exodus unterstützen sollen, aber andererseits hatte sie ihn gefragt und er hatte bestätigt, ihre Hilfe nicht zu brauchen. Wenn er mit seinem Vater sprach, wollte er vermutlich allein sein und für Giselle hätte es so oder so nichts zu tun gegeben. Außerdem freute sie sich auf Hill City, auf die warmen Lichter der Stadt und auf Jem. Zwischen ihren Füßen stand ein runder Behälter, so groß wie ein Eimer, der bis zum Rand mit Sand gefüllt war. Kurz vor ihrer Abfahrt hatte Giselle Jost Fleetfire gebeten, noch ein paar Minuten zu warten. Sie hatte das Gefäß geholt, es mit Sand gefüllt und es mit Nicos Hilfe in den Gleiter gehievt. Es war ein Geschenk für Jem: Feiner, weißer Sand von Fingers Mark.

Nach und nach verschwanden die dunklen Umrisse der anderen aus Giselles Sichtfeld. Die Nautolaner stapften in Richtung Stadtmitte, verschwanden in den Straßen, die Giselle ihnen empfohlen hatte und zurück blieb nur Giselle, die ihnen nach sah, und die beiden Menschen, die noch ihre Wassergleiter sicherten, ehe auch sie sich in der Stadt amüsieren würden. Sie hatte es nicht eilig, sondern wollte den Geruch und die Atmosphäre des Hafens in sich aufnehmen. Es war noch nicht Mittag, doch auf den Docks herrschte reger Betrieb. Die Dunkelphasen waren für die Bewohner Fresias nichts, das sie von ihrer täglichen Arbeit abhalten konnte, sondern gehörten genauso dazu wie die langen Tage und die immer brennende Sonne.


“Hey, Gis. Soll ich dir nicht doch tragen helfen?”

Hörte sie Jak fragen, der sich entschieden hatte noch einmal zurück zu kommen und ihr seine Hilfe anzubieten. Giselle lächelte, lehnte jedoch ab.

“Ich komm schon klar. Ich habe es nicht weit.“

Sagte sie und schickte ihn wortlos weg. Vielleicht würden sie sich später wieder treffen, es war schließlich noch früh und der Tag noch lang. Wieder musste sie an Exodus denken. Es wäre auch schön gewesen, die Stadt gemeinsam mit ihm zu erkunden. Giselle hatte bereits einiges gesehen, doch längst noch nicht alles. Sie wusste inzwischen längst, dass sie etwas für ihn empfand, mehr als Freundschaft, mehr als ein normales Verhältnis einer Angestellten zu ihrem Chef. Die Nacht mit ihm war schön gewesen, doch sie zählte nicht, denn es hatte nichts persönliches in ihr gelegen. Körper und Geist waren voneinander getrennt gewesen und obwohl sie einander berührt hatten, waren sie sich nicht nahe gekommen. Nichts hatte sich geändert.

Giselles Arme wurden länger, als sie zylindrische Aufbewahrungsbox durch die Straßen trug. Der Sand wog schwer, schwerer als sie angenommen hatte und fünf Minuten Fußweg zogen sich zu scheinbar einer Standardstunde. Die meisten Straßen waren hell erleuchtet. Die vielen Lampen, die zu großen Teilen an den Häusern angebracht waren, hatte Giselle früher bei Tageslicht gar nicht bemerkt. Jetzt leuchteten sie ihr den Weg, mal in kräftigem weißen Licht, mal schummrig in wärmeren Tönen. Giselle bog in eine versteckte, schmale Gasse ein, die von einer der großen Straßen abging und nur ein paar Häuser weiter stand sie vor der Tür zu der kleinen Bar, über dessen Eingang ein Schild mit der Aufschrift „Rancors Cave“ hing. Die Fenster waren hell erleuchtet, doch es war schwierig, durch die bunt verglasten Scheiben hinein zu sehen. Die Tür, mit einem Bewegungsmelder versehen, öffnete sich automatisch, als Giselle direkt davor stand und sie trat über die Schwelle hinein in den Schankraum, die Transportbox noch immer mit beiden Händen tragend. Ein willkommenes Gefühl der Zufriedenheit ging auf sie über, das an Heimkehr erinnerte. Dabei hatte sie hier gar nicht so viel Zeit verbracht. Trotzdem war diese Bar der ihr vertrauteste Ort in ganz Hill City. Jem stand hinter dem Tresen, wie üblich. Seine Haare waren länger als zuvor und standen wüst, in sämtlichen Richtungen von seinem Kopf ab. Seine hagere Gestalt schien fast nur aus Haut und Knochen zu bestehen und Giselle spürte einen Stich der Sorge. Als er sie jedoch erkannte – es dauerte bloß eine Nanosekunde, nachdem er den Kopf gehoben hatte – erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht, das jeglicher Sorge die Stirn bot.


“Eine höchst seltene Besucherin.“

Stellte er fest und wartete, bis Giselle sich ihm genähert und ihren Aufbewahrungsbehälter auf dem Tresen abgestellt hatte. Gut gelaunt sah sie ihn an.

“Ich habe heute einen freien Tag.“

Erwidert sie. Jem grinste.

“Ausgang?“

”Ja, so kann man das nennen.”

“Du siehst gut aus.“

Sagte er und Giselle lächelte. Es ging ihr auch gut. Fingers Mark brachte diese innere Zufriedenheit in ihr hervor. Sie hatte so lange innerhalb der Flotte gedient, das sie fast vergessen hatte wie es war, jeden Tag draußen an der frischen Luft zu sein, in der Natur. Fresia gab ihr all dies wieder. Die Sonne hatte ihrer Haut einen dunklen, satten Ton verpasst, ihre Augen strahlten wie das tiefe Blau des Meeres und ihre Haare waren ein buntes Kunstwerk aus blonden Strähnen, die begonnen hatten heraus zu wachsen und einem dunkleren, zurückkehrenden Naturton, den die Sonne hier und dort ausblich und damit ebenfalls aufhellte.

“Danke, ich fühle mich auch fantastisch, wenn auch etwas müde. Wir hatten gestern einen anstrengenden Tag. Aber wie geht es dir?“

Erkundigte sie sich und schob die schwere Transportbox, deren verschlossener Deckel noch keinen Hinweis auf den Inhalt her gab, zu Jem hinüber.

“Hier, ich habe dir etwas von Fingers Mark mit gebracht.“

Sagte sie.

“Ich dachte mir, es würde dir gefallen.“

Sie begegnete Jems Blick und seine Augen begannen zu leuchten. Es war die Fortsetzung einer Tradition, die beendet zu sein schien, als Carm Orty gestorben war. Jems Freund hatte ihm nach jedem Besuch auf den geheimnisvollen Inseln ein Andenken mit gebracht, etwas das ihn die Schönheit Fingers Marks verstehen oder ihn staunen ließ über die Wunder der Natur. Nach ihrem letzten Besuch auf Rings Island war es eine von den Mon Calamari handgeschnitzte Flöte gewesen, die Giselle Jem mit gebracht hatte. Heute aber hatte sie sich noch mehr Gedanken über das richtige Geschenk gemacht. Neugierig löste der Barmann den Deckel und schob ihn bei Seite. Auf seinem Gesicht zeigte sich ein Anflug von Überraschung und dann glitt seine Hand vorsichtig über den weichen Sand, vom Meer gemahlen und von der Sonne getrocknet und Giselle glaubte, niemals einen glücklicheren Menschen gesehen zu haben.

- Fresia – Coromon Islands – Hill City – Bar „Rancors Cave“ – Mit Jem –
 
- Fresia – Coromon Islands – Hill City – Bar „Rancors Cave“ – Mit Jem –

Jem hatte Schuhe und Strümpfe ausgezogen. Er saß auf einem Stuhl im leeren Schankraum, in dem außer ihm und Giselle niemand war. Es war noch früh und die ersten Kunden würden erst gegen Mittag kommen, um eine Mahlzeit einzunehmen. Der Behälter mit dem Sand, den Giselle von Palm Island mit gebracht hatte, stand vor ihm auf dem Boden. Langsam hob er das rechte Bein an, ließ es einen Augenblick in der Luft verweilen und drückte dann seinen Fuß in den Sand. Die Augen geschlossen, den Mund voller Wunder leicht geöffnet, atmete er tief ein und sein Gesicht war erhellt von purem Glück. Giselle hockte auf der Tischkante vor ihm und beobachtete seine Reaktion. Sie war froh, dass sie heute hier her gekommen war. Es gab viele Dinge, die sie hätte tun können: sie hätte mit Exodus auf Palm Island zurück bleiben können, hätte ihm helfen können die Zahlen zu lesen und neue Berechnungen zu erstellen. Sie hätte Jak in die Innenstadt folgen können, oder mit den anderen etwas essen gehen können. Es hätte viele Möglichkeiten gegeben, aber sie hatte sich entschieden einen Freund zu besuchen und ihm eine Freude zu machen und es war genau die richtige Entscheidung gewesen. Jems Augen öffneten sich wieder, als er auch den anderen Fuß in den Sand hinein gedrückt und das angenehme Gefühl auf seiner Haut genossen hatte. Er lächelte Giselle an.

“Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie lange ich mir das gewünscht habe.“

Sagte er und sein Blick wanderte hinüber zur Bar.

“Holst du uns einen Drink?“

Giselle nickte, schlenderte hinüber zum Tresen und goss einen Schluck Brandy für Jem und ein Glas Wasser für sich selbst aus. Der Barkeeper leerte den Alkohol in einem Zug.

“Wie lange ist es jetzt her?“

Fragte Giselle, als sie sich einen zweiten Stuhl heran zog und sich ihm gegenüber setzte. Jem drehte das Glas in seinen Händen. Seine Füße sanken tiefer in den Sand hinein.

“Ich habe dieses Haus nicht mehr verlassen, seit ich volljährig wurde.“

Antwortete er, den Blick auf den künstlichen Strand vor sich gerichtet, den einzigen den er seit über einem Jahrzehnt, vielleicht sogar noch länger, betreten hatte. Giselle betrachtete ihn und versuchte zu verstehen und Jem lachte freudlos auf.

“Ich habe einfach Angst gehabt. Sie hatten meinen Bruder getötet.“

“Deinen Bruder?“

“Ja. Er war drei Jahre älter als ich und mein bester Freund. Ich habe zu ihm aufgesehen. Er geriet in diese Gruppe von jungen Leuten, die nur herum lungerten und nichts anständiges taten. Ich weiß nicht warum, aber er gab sich eine Weile mit ihnen ab, freundete sich mit ihnen an. Eigentlich passten diese Typen nicht zu ihm. Vielleicht wollte er einfach dazu gehören. Als er einen Job fand wurde der Kontakt automatisch weniger und er sonderte sich wieder von ihnen ab. Caryll war klug.“

Aufmerksam hing Giselle an Jems Lippen. Er hatte seinen Bruder bis heute noch nie erwähnt. Sie wusste, dass er unter Agoraphobie litt, doch er hatte ihr noch nie erzählt, seit wann er diese Probleme hatte, oder warum es dazu gekommen war. Offenbar war er noch recht jung gewesen. Es war länger her, als sie vermutet hätte.

“Sie nannten ihn einen Feigling, weil er nicht bei ihren dummen Mutproben mitmachen und nicht mehr zu ihnen gehören wollte. Es machte ihm nichts aus, doch sie ließen ihn einfach nicht in Ruhe und begannen ihm nachzustellen – vermutlich aus Langeweile. Keiner von denen hatte etwas anständiges zu tun.“

Jems Stimme war ganz ruhig, obwohl er diese weit zurückliegenden Erinnerungen abrief, die ihm damals so zugesetzt haben mussten. Sein Blick war abgedriftet ins Leere und für einen Moment fragte sich Giselle, ob er sie überhaupt noch wahr nahm, ob ihm bewusst war, wo er war und mit wem er sprach. Dann, als hätte er ihre stummen Zweifel gehört, sah er sie plötzlich an und sie glaubte den Schmerz in seinen Augen zu sehen, den er nur selten an die Oberfläche ließ.

“Sie bedrängten ihn, wollten ihm Angst machen. Für sie war es ein Spaß, aber Caryll stürzte die Klippen hinunter. Er war sofort tot. Es war natürlich kein Mord. Es war ein Unfall. Ich weiß das. Trotzdem waren sie verantwortlich.“

Nun war seine Stimme etwas leiser geworden. Die Freude, die noch vor wenigen Minuten auf seinen Zügen getanzt hatte, war gänzlich verschwunden. Es war, als wären sie durch ein bodenloses Loch in eine andere Zeit gefallen und Jems älterer Bruder Caryll gerade erst gestorben.

“Hattest du Angst, dass dir das gleiche passiert?“

Fragte Giselle einfühlsam. Der Abstand zwischen Jem und ihr war nicht groß und sie hätte gerne seine Hand genommen, doch er war so sehr in seiner Welt gefangen, dass sie fürchtete, ihn zu erschrecken, wenn sie ihn nur berührte.

“Ja.“

Antwortete er ehrlich.

“Das hatte ich. Ich hatte Angst, mir könnte ähnliches widerfahren. Ich hatte Angst um mich und um meine Mutter, die nicht auch noch ihren zweiten Sohn verlieren sollte. Und ich fürchtete mich vor Carylls Freunden und vor den mitleidigen Blicken der Nachbarn. Ich wollte nicht, dass man uns bemitleidete.“

“Also bist du einfach nicht mehr hinaus gegangen.“

Resümierte Giselle und Jem nickte. Er war daheim geblieben, dort wo es für ihn sicher war. Er hatte das Gebäude nie wieder verlassen. Als seine Mutter gestorben war, hatte er die Bar im Erdgeschoss übernommen. Seine Wohnung lag gleich ein Stockwerk darüber. Er hatte alles, was er benötigte. Einkäufe ließ er sich bis an die Tür bringen.

“Zuerst war es nur, bis es mir wieder besser ging, jedenfalls dachte ich das. Dann aber kehrte Gewohnheit ein. Ich fühlte mich hier sicher und allein der Gedanke, hinaus auf die Straße zu treten, weckte Panik in mir. Ich habe es ein paar mal versucht, aber…“

Wie in Resignation schüttelte Jem den Kopf. Es war schwer, auf seine Geschichte etwas zu erwidern. Die Vorstellung, über Jahre hinweg keinen Fuß vor die Tür setzen zu können, weil die eigene Angst zu übermächtig war, verlangte Giselle einiges ab. Sie liebte es, neue Orte zu erkunden, unterwegs zu sein und neues zu entdecken. Es lag in ihrem Blut. Jem jedoch hatte sich selbst zu einem Gefangenen gemacht. All die Herrlichkeit Fresias blieb verschlossen für ihn. Er lebte nur von seinen Erinnerungen, von den Erzählungen anderer und von dem, was er in den Nachrichten zu sehen bekam. Dass dies längst nicht genug war, hatte Giselle gerade selbst erlebt. Sein Gesicht hatte förmlich gestrahlt, als er zum ersten Mal, seit er ein Junge gewesen war, Sand unter seinen Füßen gespürt hatte. Die Eingangstür öffnete sich und die Blicke der Vahla und des Menschen wandten sich zeitgleich auf den eintretenden Gast. Ein Mann, etwas älter als Jem sein musste, kam herein, tippte sich an den Hut und murmelte eine Begrüßung.

“Guten Tag.“

Erwiderte Jem und machte Anstalten, aufzustehen. Hastig legte Giselle ihm eine Hand auf den Arm.

“Lass, ich mach schon.“

Sagte sie und ging zu dem ersten Kunden für heute, um seine Bestellung aufzunehmen. Er wollte nur etwas trinken und sie brachte ihm das Gewünschte. Auf Jems Lippen zeichnete sich ein Schmunzeln ab.

“Ich hätte dich einstellen sollen, bevor du nach Fingers Mark abgehauen bist.“

Scherzte er, dem Anschein nach wieder erlöst von den Gedanken an seine Probleme und Ängste. Giselle erwiderte sein Lächeln.

“Vielleicht.“

Antwortete sie und beschloss, Jem trotz allem noch ein paar Minuten für sich zu gönnen. Sie war noch nicht geduscht, hatte sich im Camp auf Palm Island nur hastig gewaschen.

“Hey, kann ich deine Dusche benutzen?“

Fragte sie. Jems Augenbrauen hoben sich, aber er zuckte mit den Schultern.

“Klar, fühl dich wie zu Hause. Die Treppe hoch und die zweite Tür links. Handtücher sind im Schrank an der Wand.“

Giselle nickte dankbar und verschwand nach oben. Es gab so vieles, worüber sie nachdenken wollte. Unter dem heißen Strahl des Wassers wusch sie ihren Körper rein von der Reise der vergangenen Nacht. Ein Teil von ihr – der emotionale, sich nach Liebe sehnender Teil – wünschte sich, Exodus hätte sie gebeten, mit ihm auf der Insel zu bleiben. Andererseits war sie erleichtert, dass er es nicht getan hätte. Es zeigte ihr, dass er verstand, dass letzte Nacht nichts weiter gewesen war als reiner Sex, der sie für ein paar Stunden, aber nicht darüber hinaus, verbunden hatte. Natürlich wollte Giselle mehr. Sie wollte mehr von ihm, aber sie wollte auch nicht, dass sich die verschiedenen Ebenen, auf denen sie balancierten, miteinander vermischten. Letzte Nacht war ein Geschenk von ihr an ihn gewesen, weil er ihr und dem Mon Calamari Kind das Leben gerettet hatte. Sie hatte ihm ihren Dank ausgedrückt. Eine Wiederholung rein körperlicher Begierde würde es nicht zwischen ihnen geben. Wenn er sie wollte, dann sollte er sie ganz wollen. Sie stieg aus der Dusche, trocknete sich ab und zog sich wieder an. Es war nur ein flüchtiger Blick in den Spiegel, der sie zunächst inne halten und sich herum drehen ließ. Ihre Haut am Rücken war mittig, oberhalb des sechsten oder siebten Brustwirbels, stark gerötet. Die Stelle tat weh, wenn Giselle sie mit den Fingern berührte. Sie behielt ihren Pullover aus und ging stattdessen nur im Top wieder nach unten. Der Kunde von früher war inzwischen wieder weg und Jem war alleine. Er saß allerdings nicht mehr auf dem Stuhl, sondern bereitete einige Mittagsteller vor. Offenbar erwartete er in Kürze mehr Kundschaft. Den Behälter mit dem Sand hatte er fort geräumt.

“Hallo noch einmal. Hast du alles gefunden?“

Fragte er und sah nur kurz auf. Giselle nickte.

“Ja, danke. Darf ich dich um noch einen Gefallen bitten?“

Der Barkeeper hielt inne, legte das Messer weg, das er in der Hand gehalten hatte und sah sie an.

“Was kann ich für dich tun?“

Giselle kam näher, drehte sich um und zeigte ihm ihren Rücken. Jem verengte die Augen, dann pfiff er durch die Zähne.

“Du hast dir einen üblen Splitter eingefangen. Will ich wissen, wie du das geschafft hast?“

Giselle grinste. Sie wusste es definitiv.

“Ich glaube nicht.“

Erwiderte sie.

“Na gut. Warte einen Moment.“

Jem verschwand nach oben, blieb aber nicht länger als eine halbe Minute weg, ehe er mit einer Nadel und einer Pinzette zwischen den Fingern zurück kam.

“Halt still.“

Mahnte er, während er Giselles Rücken bearbeitete. Die feine Spitze der Nadel piekste unter ihre Haut. Der kurze, stechende Schmerz erinnerte sie an den Tag, an dem sie die Tätowierung ihres Clans erhalten hatte.

“Gleich fertig…“

Informierte Jem sie über seine Fortschritte.

“Der sitzt ganz schön tief.“

Schließlich hielt er triumphierend seine Pinzette in die Luft. Die Operation war geglückt. Giselle wandte sich zu ihm um. Vielleicht sollte sie die wunde Stelle noch mit irgendetwas einreiben. Sie war wirklich froh, dachte sie erneut, dass Exodus sie nicht gebeten hatte auf Palm Island zu bleiben. Nicht nur wegen ihm, nicht nur weil sie die Stadt hatte besuchen wollen, sondern auch, weil sie Jems Geschichte hatte hören können. Sie hatte den Eindruck, dass es lange her war, seit er zuletzt mit jemandem darüber gesprochen hatte und sie war froh, dass sie ihm eine Freundin hatte sein können. Vielleicht half ihm das, sich anderen gegenüber zu öffnen, seine Ängste zu überwinden? Es war nur ein wager Gedanke und sie hatte keine Ahnung, wie sie ihn unterstützten sollte, doch hier und heute hatte er einen Anfang gemacht. Sie betrachtete ihn für einen Moment. Sein Gesicht wirkte ausgemergelt, die langen Ponyfransen hingen ihm ins Gesicht. Er musste unbedingt mehr essen. Seine Augen jedoch glänzten, wirkten klug und lebendig wie immer. Ohne nachzudenken beugte sich Giselle zu ihm hinüber, legte ihm eine Hand auf die Wange und drückte für einen kurzen Moment, ihre Lippen sanft auf seinen Mund.

“Danke.“

Sagte sie und meinte damit nicht nur seine Hilfe, sondern auch sein Vertrauen in sie. Sie war froh, dass er ihr mehr von sich erzählt hatte. Sie ließ ihre Hand wieder sinken und streifte sich ihren Pullover über den Kopf. Jeder von ihnen trug versteckte Ängste in sich. Es war nur eine Frage, ob man sich von ihnen das Leben diktieren ließ, oder ob man selbst die Oberhand behielt.

- Fresia – Coromon Islands – Hill City – Bar „Rancors Cave“ – Mit Jem –
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp – Exodus’ Hütte | allein ]

„Wie geht es dir, Exodus?“

Die tiefblaue Projektion seines Vaters flackerte unruhig, während Exodus still in seinem Sessel saß und die Fingerkuppen nachdenklich aufeinander legte. Die Frage seines Vaters ließ ihn die Stirn runzeln. Sie sprachen nun schon seit gut einer Stunde, hatten die vergangenen Ereignisse rekapituilert, Zahlen gewälzt und Prognosen angestellt. Zu Beginn des Gesprächs hatte sein Vater ihn gefragt, wie es ihm im ging. Und nun fragte er wieder. Exodus betrachtete das flackernde Hologramm eindringlich und versuchte erfolglos den Gesichtsausdruck seines Vaters zu deuten.

„Mal von gestern abgesehen? Gut. Mir geht es gut.“

Das Hologramm seines Vaters nickte und wirkte nachdenklich dabei.

„Wie gefällt dir die Insel?“

Exodus korrigierte seine Sitzposition und hob fragend die Augenbrauen. Was sollte denn dieses Frage- und Antwort-Spiel?

„Es ist schön hier. Ein angenehmer Kontrast zu Coruscant. Erinnert mich an unsere Urlaube … früher.“

Unwillkürlich zuckten seine Mundwinkel nach oben. Sein Vater hatte viel Wert darauf gelegt, dass Exodus als Junge etwas von der Galaxis zu sehen bekam. Alad selbst hatte den Planeten seit geraumer Zeit nicht mehr verlassen – die langen Reisen strengten ihn an. Doch die Erinnerung an früher ließ auch das kleine verkleinerte Abbild seines Vaters deutlich lächeln.

„Das ist gut zu hören.“

Wieder nickte sein Vater, als würde er in einer geistigen Notiz Punkt um Punkt abhaken.

„Du hast vorhin kurz deine Assistentin erwähnt … wie macht sie sich?“

Er hatte es vermeiden wollen, doch waren so viele Dinge hier mit Giselle verknüpft, dass er sie nicht aus seinen Erzählungen hatte aussparen können. Er wollte seinem Vater gegenüber nicht den Eindruck erwecken, dass an Giselle irgendetwas besonderes war. Dass sie der Grund war, wieso er das Projekt nicht aufgeben wollte. Exodus räusperte sich und sah zu einem Punkt neben dem flackernden Hologramm.

„Sie leistet gute Arbeit.“

„Gut.“

sagte sein Vater nur und obwohl Alad Wingston nie ein Jedi oder Sith gewesen war, beschlich Exodus das Gefühl, er könne ihn durchleuchten und seine Gefühle lesen. Vielleicht verbarg er seine Mimik aber auch einfach nur schlecht. Für einen Moment schwiegen sowohl Vater, als auch Sohn. Dann sah Exodus wieder auf.

„Hör mal: Die Zukunft dieses Projektes darf nicht von meinem Gemütszustand abhängen. Ich bin dein Sohn, ja, und es ist nett, wenn du dich um mich sorgst – aber in dieser Hinsicht steht das Wohl des Unternehmens an oberster Stelle. Nicht das der Familie.“

Alad sah ihn überrascht an und hob nun seinerseits die Augenbrauen.

„Aber das Unternehmen ist doch die Familie.“

Die Stimme seines Vaters war ruhig und klar. Es gab Momente, in denen hörte Exodus ihm sein Alter an. Dieser gehörte nicht dazu. Es war schon immer die Philosophie der Wingstons gewesen, die Familie mit ins Unternehmen zu bringen und andersherum das Unternehmen als große Familie zu betrachten. Dies war etwas, das viele ihrer Mitarbeiter schätzten und Alad Wingston legte großen Wert darauf, die Tradition zu bewahren.

„Und außerdem waren wir uns doch eben schon einig – rein von den Fakten her. Die Verträge der Mitarbeiter laufen noch und wir haben ohne Fingers Mark keine Verwendung für sie. Wir brauchen die Nautolaner nicht auf Coruscant. Wir haben keine Arbeit für sie. Wenn wir Abfindungen zahlen müssen, bedeutet das auch einen Verlust. Einen sicheren Verlust. Ein zweiter – nunja, vielleicht auch eher dritter – Anlauf auf Fresia kann natürlich ebenfalls zu einem Verlust führen – muss es aber nicht. Ich denke, in diesem Fall sollten wir das Risiko auf uns nehmen.“

Alad Wingston breitete die Arme aus und schlug in seinem Sessel die Beine übereinander. Genau wie Exodus, zog er es vor, wichtige Gespräche in einem möglichst komfortablen Möbelstück zu führen.

„Und wenn mein Sohn zusätzlich auch noch glücklich ist, diese Arbeit fortzuführen – dann sehe ich keinen Grund, es nicht zu tun.“

Exodus ließ sich mit einem Seufzer in seinen eigenen Sessel zurücksinken. Damit war also alles gesagt und er sollte zufrieden sein mit der Entscheidung. Sie hatten tatsächlich rational alle Fakten verglichen. Dass die Nautolaner vor kurzem ein weiteres großes Lumium-Vorkommen gefunden hatten, war ausschlaggebend für die Fortführung gewesen – und nichts anderes. Sie hatten Lehrgeld bezahlt, so waren die Worte seines Vaters gewesen, und das konnte bei wirklich jedem Projekt passieren. Langfristig gesehen bestand noch immer die Chance, dass sich die Lumium-Förderung für sie auszahlte. Doch aus irgendeinem Grund war er unzufrieden.

Nachdem sie sich verabschiedet und das Gespräch beendet hatten, blieb Exodus noch eine Weile in seinem Sessel sitzen. Seine Gedanken führten ihn wie automatisch zu Giselle und was sie wohl an diesem Tag in Hill City alles erlebte. Würde er sie danach fragen, wenn sie wieder zurück ins Camp kam? Würde er wissen wollen, was sie alles mit Jak getrieben hatte?
Langsam erhob er sich und lief hinüber zu seinem Schlafzimmer. Im Türrahmen blieb er stehen und sah zu den ungeordneten Decken auf seinem Bett. Giselles Duft hatte sich in dem Stoff festgesetzt – er hatte es heute Morgen gerochen und er konnte es immer wieder riechen. Wenn er die Augen schloss, wäre es, als läge sie wieder neben ihm in den Kissen. Sein rechter Fuß schob sich langsam in Richtung des Bettes – dann wandte er sich schlagartig ab und verließ mit großen Schritten die kleine Hütte. Vor der Tür blieb er stehen, atmete die angenehm kühle Nachtluft ein und zog verärgert die Augenbrauen zusammen. Das war es, was ihn störte. Diese verdammte Abhängigkeit von Giselle und das dumpfe Gefühl, sich nur ihretwegen dafür einzusetzen, dass das Projekt fortgesetzt wurde.


[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp – Exodus’ Hütte | allein ]
 
- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand –

Eine Reihe von einzelnen Lichtern zog durch die Dunkelheit, dicht am Meer entlang. Das Camp lag verlassen, wie unbewohnt. Lediglich ein Stück weiter dahinter konnte man die hell erleuchteten Fenster von Exodus‘ Hütte erkennen. Giselle hatte ihre Schuhe wieder ausgezogen, sobald sie in der Bucht angelegt hatten und wanderte nun barfuß über den Strand zu ihrem Zelt. Jak und Nico gingen neben ihr und das Lachen ihrer Freunde klang gelöst. Der Tag in Hill City hatte die ernsten Gedanken, die ihre Arbeit umwoben wie seidene Spinnenfäden, verdrängt und Giselle fühlte sich wie Sonnenstrahlen, die durch eine dicke Wolkenwand hindurch gebrochen waren. Sie war bis kurz nach Mittag bei Jem geblieben, hatte sich Muschelfleisch und warmes Brot von ihm servieren lassen und war danach durch die Straßen von Hill City gezogen. Sie hatte eine Straße mit kleinen, bunt gemischten Läden gefunden und sich den Nachmittag damit vertrieben, alles mögliche an Krims-Krams zu betrachten, sich durch billigen Modeschmuck zu wühlen und bestickte Leinenkleider anzuprobieren. Gekauft hatte sie nichts. Giselles finanzieller Zustand war, trotz der guten Bezahlung der Wingston Corporation, ernüchternd. Sie besaß nichts. Die Reise nach Fresia hatte so gut wie alle ihre Ersparnisse aufgefressen, danach hatte sie ein paar Nächte in einem Hotel verbracht, die ein oder andere Kleinigkeit gekauft und hatte schließlich zwei Fahrten auf einem gemieteten Wassergleiter nach und von Rings Island bezahlen müssen. Dazu hatte Jem ihr Geld geliehen und Giselle hatte ihr erstes Gehalt seit Antreten ihres neuen Jobs auf Palm Island an ihn abtreten müssen, um ihre Schulden zu begleichen. Doch obgleich ihre Taschen leer waren, sorgte sich Giselle nicht. Credits waren eine nutzlose Erfindung. Wozu brauchte sie Geld, wenn die Natur Palm Islands ihr alles bot, was sie brauchte?

Als die Ersten das Zeltlager erreichten und die Stromzufuhr der Lampen aktivierten hatten, erwachten diese wieder zum Leben und das Camp vor ihnen erstrahlte hell und freundlich, wie in neuem Glanz. Nach dem ersten vollen Tag in Dunkelheit war auch das letzte bisschen Wärme aus der Luft verschwunden und es war zu kühl, in ärmelloser Kleidung herum zu laufen. Daher verwunderte es auch nicht, dass sich sofort jemand daran machte, das Feuer in der Mitte des Zeltplatzes zu entfachen. Spätestens jetzt, dachte Giselle, musste Exodus bemerkt haben, dass sie zurück waren. Er hatte sicherlich, wie geplant, mit seinem Vater gesprochen und eine Entscheidung über die Zukunft seines Projektes gefällt.


“Willst du noch was essen? Ich hab‘ immer noch Hunger.“

Sagte Jak und Giselle lächelte. Er hatte sich erst kurz vor ihrer Abfahrt in Hill City einen Tüte mit Lachswürfeln von einem der Fischereistände gekauft. Auf seine Frage hin schüttelte sie den Kopf.

“Danke, aber ich möchte nach Exodus sehen und ihn fragen, was es Neues gibt.“

Antwortete sie. Jak nickte und das Bewusstsein, dass ihre Arbeitsplätze möglicherweise schon morgen nicht mehr existieren würden, kehrte auf seine Züge zurück.

“Ja, verstehe… dann bis nachher.“

Giselle stellte ihre Schuhe neben dem Eingang zu ihrem Zelt ab. Sou und Zera tollten irgendwo zwischen den anderen Nautolanern herum. Kalter Kaf stand noch vom Morgen auf einem der Tische und sie goss sich einen Schluck in eine Tasse und kippte ihn mit einem Zug hinunter. Dann stapfte sie durch den Sand, hinüber zu Exodus‘ Hütte, die sein isoliertes Regieren über dem Projekt Fingers Mark bestens unterstrich. Während sich seine Mitarbeiter einen Tag lang in der Stadt vergnügt hatten, hatte Exodus Wingston versucht die Fänden zusammen zu halten, die die Arbeit auf der Insel am Laufen hielt. Giselle klopfte an das raue Holz der Tür und war im Begriff zu erfahren, ob er jene Fäden bereits hatte durchtrennen müssen oder ob es noch Hoffnung gab.

- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Vor Exodus’ Hütte –
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp – Exodus’ Hütte | allein ]

Obwohl er wusste, dass die Crew bald wieder zum Camp zurückkehren würde, blieb Exodus in seiner Hütte. Natürlich würden sie alle auf ein Ergebnis und eine entsprechende Ansprache von ihm warten – und selbstverständlich würde er dieser Erwartung entsprechen. Aber für so etwas brauchte er sie alle beisammen, er wollte nicht jedem einzelnen, der im Camp eintrudelte, die Neuigkeiten erzählen müssen. Exodus Wingston brauchte eine Bühne für gute Nachrichten, denn nur so entfalteten sie ihre volle Wirkung.
Stattdessen hatte er weitere Vorbereitungen getroffen. Sie benötigten eine neue Sammel-Plattform, auch wenn Exodus beschlossen hatte, das Lumium nicht mehr langfristig dort zu lagern. Aus den Unterlagen von Bas Goarland hatte er den Hersteller ausfindig gemacht und die Lieferung und den Aufbau einer neuen Plattform in die Wege geleitet – doch das würde dauern, mehrere Wochen noch. Bis dahin würden sie sich mit einer höheren Frequenz an Fahrten zu den Lumium-Vorkommen aushelfen müssen. Das bedeutete etwas mehr Arbeit für Dan’el und Fleetfire, doch sie hatten noch etwas zeitlichen Spielraum. Sollten sie doch an ihre Belastungsgrenze gelangen, würde er mit Giselle über eine andere Lösung beratschlagen müssen. Eventuell brauchten sei für diesen Fall noch einen dritten Piloten.

Exodus saß in seinem Sessel und sah Angebote für Lagerbehältnisse durch, als es an der Tür klopfte. Sie brauchten auch für das Camp eine Aufbewahrungsmöglichkeit für das Lumium, ehe der Rohstoff nach Coruscant gebracht würde. Es wäre der erste richtige Triumph, wenn sie die erste Fuhre zu seiner Heimatwelt auf den Weg schicken würden. Schon während er sich aus seinem Sessel erhob, wusste er, dass es sich um Giselle handelte, die dort vor seiner Tür wartete. Er spürte sie über die Macht, spürte ihren dunklen Kern und ging trotzdem hin. Bei ihrem letzten Besuch hatte sie ihn verführen wollen – ob ihn jetzt eine ähnliche Überraschung erwartete? Mit wenigen Schritten durchquerte er den Raum und öffnete die Tür. Auf den ersten Blick wirkte sie nicht, als wäre sie für hingebungsvollen Sex zu ihm gekommen. Sie schien gerade erst zurück von dem Ausflug


„Hey.“

begrüßte er sie, unschlüssig mit welcher Emotion er ihr überhaupt begegnen sollte. In den letzten Stunden hatte er sich intensiv über ihre kleinen Flirts mit Jak geärgert und eigentlich den Beschluss gefasst, sie diesen Ärger spüren zu lassen. Doch jetzt wo sie vor ihm stand, löste sich dieses Vorhaben zumindest kurzzeitig in Luft auf. Er hatte eine Neuigkeit und er spürte, dass er sie loswerden wollte.

„Wie war der Ausflug? Wie ist Hill City bei Dunkelheit?“

fragte er sie neutral, bemüht den Gedanken an Jak zu verdrängen. Sie war zunächst einmal seine Assistentin und genau so wollte er sie in diesem Moment sehen. Es gab neues im geschäftlichen Bereich, alles andere war uninteressant.

„Ich habe mit meinem Vater gesprochen.“

erklärte Exodus das Offensichtliche, ohne der Vahla die Chance zu geben, auf seine Fragen zu antworten.

„Wir haben lange die Zahlen analysiert. Es war eine schwierige Entscheidung, aber …“

In betonter Lässigkeit zuckte Exodus mit den Schultern und versuchte nicht an die dunkle Seite in ihr zu denken oder sich ihre gemeinsame Nacht in Erinnerung zu rufen. Das hier betraf ihn emotional doch gar nicht. Oder zumindest wollte er es so wirken lassen.

„Wir führen das Projekt fort.“

Ein kleines Lächeln brach durch seine neutrale Maske und neugierig fing er ihren Blick auf.

„Wir bleiben auf Fingers Mark.“

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp – Exodus’ Hütte | mit Giselle ]
 
- Fresia – Fingers Mark – Palms Island – Exodus‘ Hütte – Mit Exodus-

Obwohl er sie fragte, wie der Ausflug gewesen war, ließ er ihr keine Zeit zu antworten. Zu groß war offenbar der Drang, selbst zu erzählen, was sich den Tag über auf seiner Seite der Ereignisse ergeben hatte. Giselle war nicht böse darum, nicht zu einer Antwort ansetzen zu können. Es interessierte sie sehr zu erfahren, wie es mit dem Projekt Fingers Mark, das nach dem gestrigen Abend auf der Kippe stand, weiter gehen sollte. Alle ihre Kollegen hatten den ganzen Tag lang versucht sich von dem Schatten, der über ihnen hing und sie ihre Arbeitsplätze kosten konnte, abzulenken und Giselle glaubte sogar, dass es den meisten von ihnen gelungen war. Da sie aber nun wieder zurück waren, holte die Realität sie ein und das war nicht das Schlechteste. Es brachte selten etwas, Probleme nur aufzuschieben oder sie zu verdrängen. Sie stand in Exodus‘ Hütte, die Tür hinter ihnen geschlossen und noch während er zum Sprechen ansetzte, schien sich auf Exodus‘ Gesicht die Anspannung des Tages zu lösen. Giselle wusste nicht, wie lange er mit seinem Vater gesprochen hatte, wie anstrengend die Diskussionen gewesen sein mochten und wer von ihnen für welche Vorgehensweise plädiert hatte. Erst in dem Augenblick, in dem er die Neuigkeit aussprach, sah sie, welche Seite er vertreten hatte. Sie würden das Projekt fortführen und er war froh darüber.

“Eine neue Chance also? Exodus, das ist großartig!“

Reagierte Giselle sofort.

“Wann wirst du es den anderen sagen? Sie werden vollkommen aus dem Häuschen sein.“

Sie konnte nicht anders als zu lächeln. Am Ende eines bequemen Tages, an dem sie alle keine Verpflichtungen gehabt hatten, durften sie auch noch eine positive Nachricht empfangen. So etwas nannte man einen guten Abschluss. Giselle schüttelte den Kopf, als müsse sie diese Nachrichte erst sacken lassen um sie wirklich zu glauben. Die Vorzeichen hatten nicht unbedingt auf einer Weiterführung des Lumium-Abbaus gestanden.

“Du sicherst damit das Einkommen vieler Familien.“

Fügte sie hinzu.

“Das ist fast ein Grund für eine zweite Feier.“

Sie lächelte und dachte an Jak. Auch er war einer derjenigen, die unter dem Verlust seiner Arbeitsstelle gelitten hätten. Es war gut, dass es nicht dazu kommen würde – vorerst. Um das Projekt wieder wirtschaftlich zu machen, müssten sie nun doppelt so hart arbeiten wie zuvor. Die bisherigen Verluste mussten ausgeglichen und wieder aufgeholt werden. Aber das würde den meisten hoffentlich klar sein. Um Jak machte sich Giselle da am wenigsten Sorgen, er war ohnehin einer der motiviertesten und fleißigsten im ganzen Team.

“Wirklich, das sind gute Nachrichten.“

Hielt Giselle noch einmal fest.

“Deine Mitarbeiter werden erleichtert sein.“

Wie lange Exodus und sein Vater diskutiert und die Zahlen hin und her gewälzt hatten, wusste Giselle nicht. Sie stellte sich eine Pro- und Contraliste vor, die sie erstellt hatten, um sich die Entscheidung zu erleichterten. Ob der Entschluss letztlich von einem geschäftlichen Standpunkt aus richtig oder falsch gewesen war, konnte sie nicht beurteilen, doch für die Leute, die für die Wingston Corporation arbeiteten, war es genau das Richtige gewesen.

- Fresia – Fingers Mark – Palms Island – Exodus‘ Hütte – Mit Exodus-
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp – Exodus’ Hütte | mit Giselle ]

Ihr Lächeln steckte ihn unweigerlich an und Exodus’ Mundwinkel zuckten freudig nach oben, als Giselle einen der Vorzüge der Fortführung des Projekts betonte: Er sicherte mit diesem Entschluss vielen Familien das Einkommen. Aber nicht nur das, dachte er im Stillen. Er sicherte sich damit auch die Nähe von Giselle. Auch wenn es irrational war – sie gehen zu lassen, kam für ihn nicht in Frage. Jetzt wo sie vor ihm stand, war der Ärger der letzten Stunden, der ihn ob dieser zwanghaften Abhängigkeit überkommen hatte, wie verflogen. Wen kümmerte es schon, ob er sich zu ihr hingezogen fühlte? Es war verdammt nochmal seine Sache und es war sein Leben. Er fühlte sich zu Giselle hingezogen und befand sich gern in ihrer Nähe. Es war doch völlig natürlich, dass er nach Möglichkeiten suchte, diesen Zustand so lange wie möglich aufrecht zu erhalten! Niemand würde ihm da widersprechen können.
Zu Zeiten in denen er noch als Sith-Executor durch die Hallen des Ordens auf Bastion gewandelt war, hatte er natürlich andere Möglichkeiten der Bindung gehabt. Arica war ihm über den Weg gelaufen und sie hatte ihm in ihrem engen Lederanzug und mit dem frechen Grinsen sofort gefallen – also hatte er sie zur Schülerin genommen. Giselle hatte ebenfalls diesen dunklen Kern und es fiel Exodus nicht schwer, sich vorzustellen, dass er auch die Vahla zur Schülerin hätte nehmen können, ihr die Macht näherbrächte und ihre Talente mit ihr trainierte. Aber das war in einer anderen Welt, fernab von Fresia, fernab der Wingston Corporation. Nun befanden sie sich beide im Geschäftsleben und hier galten andere Regeln. Giselle war seine Angestellte und dieses Verhältnis war wesentlich formaler als das zwischen Meister und Schüler im Sith-Orden. Dennoch gab es auch hier Möglichkeiten, die er zu seinen Gunsten nutzen konnte.


„Eine zweite Feier?“

Exodus grinste, als Giselle diesen Vorschlag machte. Die Mitarbeiter würden erleichtert sein, beteuerte sie und mit einer Feier könnten sie sicherlich noch einmal die Fortführung würdigen und gemeinsam neue Motivation schöpfen. Jaah … das könnten sie machen. Andererseits …

„Wie wäre es …“

Unwillkürlich machte Exodus einen Schritt auf Giselle zu und legte ihr seine rechte Hand auf die Hüfte. Seine Augen wanderten für einen Moment in Richtung des Schlafzimmers, ehe er sie zwangslos angrinste.

„Wenn wir beide mit einer kleinen Privatfeier beginnen …?“

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp – Exodus’ Hütte | mit Giselle ]
 
- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Exodus‘ Hütte – Mit Exodus -

Seine Hand lag wie ein schweres Gewicht auf ihrer Hüfte, sein Blick war herausfordernd und einladend. In der vergangenen Nacht war Giselle zu Exodus gekommen und hatte sich von ihm berühren lassen. Sie hatte ihn berührt. Es war ihre Reaktion auf die Dinge gewesen, die er für sie getan hatte, doch es hätte nichts zwischen ihnen ändern sollen. Für Giselle hatte es nichts geändert, doch für Exodus offenbar schon. Seine Hand war wie störender Ballast, schwer wie Blei. Warum tat er das? Warum versuchte er, sie zu verführen? Giselle kannte das Bedürfnis nach Nähe und nach körperlicher Befriedigung. Sie wusste, wie gut es tat, einander zu teilen, ohne sich zu binden. Manchmal war das genau das Richtige. Mit Liam war es richtig gewesen. Mit ihm hatte sie viel Zeit verbracht, während sie beide auf der „Großadmiral War Blade“ gedient hatten. Sie hatten sich gemocht und sie hatten ab und zu das Bett miteinander geteilt, doch sie waren kein Paar gewesen. Das hatte gut funktioniert, allerdings nur, weil sie alle Gefühle außen vor gelassen hatten. Sie waren sich einig gewesen, doch mit Exodus Wingston war sich Giselle ganz und gar nicht einig.

“Ich glaube nicht.“

Formten sich ihre Bedenken in stählerne Worte und ehe sie versucht war, es sich anders zu überlegen, schob sie seine Hand von sich. Giselle musste sich nichts vor machen: sie wollte Exodus, jedoch nicht so, wie sie Liam gewollt hatte. Diesmal waren Gefühle im Spiel. Ihre Gefühle.

“Letzte Nacht wird sich so nicht wiederholen.“

Sagte sie.

“Nicht in dieser Form. Das war etwas einmaliges.“

Um Abstand zwischen ihnen aufzubauen, trat Giselle einen Schritt zurück. Er hatte ihr Leben gerettet und das des Mon Calamari Jungen. Zum Dank dafür hatte sich Giselle ihm für eine Nacht hin gegeben. Sie waren quitt. Der Blick der Vahla traf den des Menschen. Ja, sie wollte ihn. Sie wollte wissen, ob sich mehr zwischen ihnen entwickeln konnte als bloße körperliche Anziehung, doch sie befürchtete, dass dies etwas war, wozu Exodus nicht bereit war.

“Deine Leute warten draußen.“

Wie um ihm Platz zu machen, damit er an ihr vorbei gehen konnte, bewegte sich Giselle etwas zur Seite. Es gab gute Nachrichten zu verkünden und sie fand, dass Exodus diese mit allen teilen sollte. Für sie selbst, stellte sie fest, endete der Tag weitaus weniger glücklich, als sie noch vor zwei Minuten geglaubt hatte. Exodus wollte sie und sicherlich hätten sich viele Frauen an ihrer Stelle in einem warmen Schauer der Genugtuung duschen wollen, doch Giselle Givenchy war nicht wie andere Frauen.

- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Exodus‘ Hütte – Mit Exodus -
 
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[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp – Exodus’ Hütte | mit Giselle ]

Mit Giselles Ablehnung schien jegliche Wärme aus Exodus‘ kleiner Hütte zu weichen. Für einen Moment stand er regungslos vor ihr, betrachtete sie ausdruckslos und spürte das leise Echo ihrer Berührung auf seinem Arm. Der kleine Hoffnungsschimmer, den sie ihm gegeben hatte, war nicht genug, um seiner Stimmung irgendwie zuträglich zu sein. Sie spielte mit ihm und er hatte es geschehen lassen. Doch hinterherlaufen würde er ihr sicherlich nicht. Nein, ganz sicher nicht!

„Ich verstehe.“

Seine Stimme hatte die Farbe eines kühlen Luftzugs angenommen und die Augenbrauen zogen sich unzufrieden zusammen. Es gab nichts zu sagen: Giselle hatte ihre Meinung deutlich auf den Punkt gebracht. Die letzte Nacht würde sich nicht wiederholen. Dieses Erlebnis würde einmalig bleiben.

„Dann sollten wir wohl mal zu den anderen gehen.“

entgegnete er auf ihre Bemerkung, die Crew würde draußen warten. Die Lust, der Mannschaft eine zweite Feier auszurichten, war ihm schlagartig vergangen. Er würde ihnen die Neuigkeiten mitteilen und das war’s dann auch. Giselle hatte ihm die Belohnung für einen anstrengenden Tag verweigert, also würde auch sie keine Belohnung erhalten. Wofür auch? Dafür, dass sich die Wingston Corporation einem hohen finanziellen Risiko aussetzte?

„Es war für euch alle sicher ein anstrengender Tag.“

ätzte er giftig und lief an ihr vorbei bis zur Tür. Frostig schweigend verließ er die Hütte und würdigte Giselle dabei keines weiteren Blickes. Während er zum Zentrum des Camps stapfte, drifteten seine Gedanken zu Rings Isand ab. Dort war er ihr noch hinterhergelaufen, dort hatte er sich um sie bemüht. Aber hier gab es nichts Missverständliches zwischen ihnen – es war alles klar. Sie lehnte eine weitere gemeinsame Nacht ab, also würde er nicht auf Knien vor ihr danach betteln. Andere Männer mochten das tun, doch Exodus Wingston hatte seinen Stolz.

Das große Lagerfeuer im Herzen des Camps knisterte einladend und viele seiner Mitarbeiter hatten sich dort versammelt. Exodus spürte jedoch absolut kein Verlangen danach, sich zu ihnen gesellen. Vermutlich würde Giselle sich gleich dort niederlassen und einen vergnüglichen Abend mit Jak verbringen. Natürlich könnte er das verhindern, indem er ihr irgendeine unsinnige, zeitraubende Arbeit für den Abend aufdrückte …
Ach was! Sollten sie doch ihre verdammte zweite Feier haben. Sollten sie sich freuen und lachen und tanzen! Sollten sie hier ihre Party ohne ihn haben. Als Chef hatte er sich ohnehin schon zu viel geleistet. Ein bisschen Abstand wäre nur richtig. Sein Vater hätte er es vermutlich ähnlich gehandhabt – oder es gar nicht erst so weit kommen lassen.


„Guten Abend.“

begrüßte Exodus die Anwesenden, während er selbst so nah zum Feuer lief, dass ihn jeder gut sehen konnte. Seine Stimme klang höflich, freundlich und positiv. Sein Lächeln blitzte, auch wenn man in seinen Augen Exodus‘ tatsächliche Gefühlslage hätte ablesen können. Dieses Spiel hatte er schon häufig gespielt und er wusste, wie er seine Außenwirkung regulieren konnte. Auch in schwierigen Momenten.

„Ich habe tolle Neuigkeiten!“

eröffnete er frei heraus. Ihm war nicht nach großen Reden. Er gab ihnen, was sie wollten und würde sich danach wieder verabschieden.

„Wir führen das Projekt hier auf Fingers Mark weiter!“

Hatte Giselle schon zu ihnen aufgeschlossen? Er sah sie nicht und war gleichzeitig nicht gewillt, seinen Kopf nach ihr zu verenken. Vermutlich saß sie ohnehin schon auf dem Schoß dieses Nautolaners. Oder war mit ihm in seinem Zelt verschwunden.

„Es wird einige Umstrukturierungen geben, die nötig sind, weil wir aktuell noch auf unsere Lagerplattform verzichten müssen. In einigen Wochen sollte eine neue errichtet sein, aber bis dahin müssen wir wohl die Frequenz der Fahrten erhöhen, um das Lumium hier auf der Insel zu lagern. Auch dafür wird ein Lager eingerichtet werden. Es ist alles in die Wege geleitet.“

Seine Machtfühler zuckten unruhig, als er das Verlangen spürte, sie nach Giselle auszustrecken. Doch er wagte es nicht, ihnen freien Lauf zu lassen. Diese Berührungen über die Macht würden ihn nur weiterhin zu ihrem willenlosen Sklaven machen, der alles versuchte, um sie ein weiteres Mal für sich zu erobern. Er hasste diesen Zustand. Ein anderer Teil von ihm sehnte sich danach, wollte wieder zu ihr laufen und ihre Nähe kosten, doch Exodus erlaubte es nicht. Er musste willensstark bleiben.

„Genaueres dazu werde ich in den nächsten Tagen ausarbeiten und euch mitteilen. Ansonsten startet morgen früh die erste Schicht wie gewohnt.“

Er spürte, wie das glänzende Lächeln auf seinen Lippen bei jedem Gedanken an Giselle an Strahlkraft verloren hatte. Seine kleine Rede musste nun zu einem Ende kommen, bevor die Illusion des zufriedenen, charmanten und erfolgreichen Projektleiters zusammenbrach.

„Ich wünsche euch allen eine angenehme Nacht. Auf eine weiterhin erfolgreiche Zusammenarbeit!“

Mit diesen Worten verließ er die Gruppe wieder und es kam ihm vor wie eine Flucht. Es war ein Abend zum vergessen. Nur würde ihm das nicht gelingen.

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp | bei den Mitarbeitern ]
 
- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Exodus‘ Hütte – Mit Exodus -

Er war noch nie so kühl ihr gegenüber gewesen, so abweisend. Giselles Blick heftete sich in Exodus' Rücken, als er an ihr vorbei ging und vor ihr die Hütte verließ. Sie folgte ihm nur langsam und ihre Schritte im leichten Sand schienen plötzlich schwer. Die Nautolaner bemerkten sein Einreffen sofort und die meisten Gespräche um sie herum verstummten augenblicklich. Den ganzen Tag über hatten sie auf diesen Augenblick gewartet. Keiner hatte gewusst, wie dieser Tag enden würde. Jetzt war die Entscheidung da. Nein, dachte Giselle, auch sie hatte nicht im entferntesten geahnt, wie dieser Tag für sie enden würde. Sie war sich bewusst, dass sie diejenige war, die Exodus' zurück gewiesen hatte, doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass er ihr das so übel nehmen und sie so kühl behandeln würde. Oder war dies lediglich die erste Reaktion gewesen? Giselle stand nicht neben ihm, während er zu seinen Angestellten sprach. Sie hielt sich im Hintergrund, halb verdeckt von einem der Zelte. Die Dunkelheit schützte sie. Exodus Wingston war vermutlich ein Mann, der nur selten zurück gewiesen wurde. Unwillkürlich musste Giselle an die Gerüchte auf Coruscant denken, von denen Jak ihr erzählt hatte und ihre erste Begegnung mit Exodus in Hill Citys „Red Square Bar“ erschlich sich ihren Weg zurück in ihre Erinnerung. Er hatte schon damals mit ihr geflirtet und versucht sie zu umgarnen. Schon damals hatte er sie ungefragt am Arm berührt, so wie er es immer wieder tat – betont zufällig, betont freundschaftlich oder ganz nebenbei, als wäre es das normalste der Galaxis. War es ihm immer nur darum gegangen? Wenn ja, dann hatte er in der letzten Nacht bekommen, was er wollte. Aber vielleicht genügte ihm eine einzige Nacht nicht. Exodus war gewohnt, dass jeder tat, was er verlangte. Giselle starrte in das lodernde Feuer in der Mitte des Lagers. Als sie sich damals kennen gelernt hatten, hatte sie ihm gesagt, sie sei nicht die Art Frau, die er suchte. Exodus hatte ihr widersprochen.

Nachdem er alles gesagt hatte, was er seinen Mitarbeitern hatte sagen wollen, drehte sich Exodus auf dem Absatz herum und stapfte durch den Sand zurück zu seiner Hütte. Seine Körperhaltung ließ nichts von der Freude sehen, die die positive Nachricht über die Entscheidung des Projektes eigentlich hätte mit sich bringen sollen. Dabei hatte er sich zuvor darüber gefreut, Giselle wusste es, aber sie hatte ihm den Abend verdorben. Wenigstens herrschte im Camp gute Stimmung. Es würde kein zweites Fest geben – einen Vorschlag, den Giselle ohnehin nur nur zur Hälfte ernst gemeint hatte – doch man stieß dennoch auf die guten Neuigkeiten an und es würde noch ein oder zwei Stunden dauern, ehe sich die Nautolaner in ihre Zelte zurück ziehen würden. Um der Geselligkeit zu entgehen, drückte sich Giselle tiefer zurück in die Dunkelheit, verschmolz mit den Schatten und suchte sich ihren Weg zwischen den Bäumen, das Lager und alle Stimmen hinter sich lassend.


- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Wald -
 
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[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp – Exodus‘ Hütte | allein ]

Die Dunkelheit war allgegenwärtig. Selbst am Morgen verschwand sie nicht und Exodus wusste, dass sie noch anhalten würde. Und dennoch war seine Nacht kurz gewesen. Er hatte nicht gut geschlafen, sondern stundenlang abgewogen, wie er weiter verfahren sollte. Eine Entscheidung auf geschäftlicher Ebene war schon gefallen: Sie würden das Projekt auf Fingers Mark weiterführen. Eine Entscheidung auf privater Ebene stand hingegen noch aus. Giselle wollte ihre gemeinsame Nacht nicht wiederholen. Seine Avancen in diese Richtung waren von ihr unmissverständlich abgeschmettert worden. Er verstand nur nicht, warum eigentlich. Als Giselle seine Hütte betreten hatte, um sich ihm hinzugeben, hatte sie davon gesprochen, ihren Dank ausdrücken zu wollen, weil er sie und den Mon Calamari Jungen gerettet hatte. Nur was bedeutete das? Hatte sie überhaupt kein wirkliches Interesse an ihm und sie hatte ihm bloß eine Art Gefallen tun wollen? Und wenn sie doch an ihm interessiert war oder ihn zumindest attraktiv fand – wieso verweigerte sie sich ihm dann jetzt? Ergab das einen Sinn? In seinem Kopf schien sich zumindest ein Widerspruch aufzutun. Eine Frau wie Yuna war leichter zu lesen gewesen, selbst Aricas Verhalten hatte er in gewissen Bahnen voraussehen können. Aber Giselle? Die Vahla war ihm ein Rätsel, auch jetzt noch, nachdem er das Geheimnis um ihre mysteriöse Anziehungskraft gelöst hatte.

Die Gedankenspiele hinterließen ihn unzufrieden und frustriert. Die Dusche machte ihn nicht so wach, wie üblich und er fühlte sich bei weitem nicht so frisch. Exodus war kein Mensch, der als Morgenmuffel galt. Die meisten Personen, die mit ihm zusammen lebten oder arbeiteten, empfanden ihn als energiegeladen, wenn er aufgestanden war. Giselle konnte das alles mit drei kurzen Sätzen einstürzen lassen. Sie änderte seine Angewohnheiten, sein Verhalten und seinen Gemütszustand – nahezu nach Belieben. Vermutlich war sie sich dessen nicht einmal bewusst.

Als er das Frühstücksbuffet erreichte, spürte er die Stimmung freudiger Erregung um ihn herum. Es waren mehr Nautolaner wach als üblich zu dieser Uhrzeit. Als könnten sie kaum erwarten, weiter das Lumium für die Wingstons auszugraben. Ihre positive Stimmung erreichte Exodus nicht. Er nickte allen zu und setzte sein Geschäftslächeln auf, während sein Blick Giselle suchte. Sie zu sehen, versetzte ihm einen leichten Stich, als wäre mehr zwischen ihnen vorgefallen, als nur die simple Ablehnung einer gemeinsamen Nacht. Zwischen ihnen bestand nichts Verbindliches, abgesehen von einem Arbeitsvertrag. Es war ihr Recht, ihn abzulehnen, wenn sie dies wollte. Er wusste das. Trotzdem fühlte es sich unrecht an. Als läge der Fehler vor allem bei ihr.


„Giselle.“

rief er halblaut in ihre Richtung und machte wenige Schritte auf sie zu.

„Guten Morgen.“

fügte er der Höflichkeit halber hinzu, sah sie aber nicht an. Sein Ton war geprägt von distanzierter Geschäftsmäßigkeit.

„Wir haben einiges zu tun. Die Pläne müssen umgestellt werden und wir brauchen ein möglich effektives System, bis die neue Plattform aufgebaut und das Lager errichtet ist. Das wird ein wenig Rechen- und Planarbeit.“

Neben ihr zu stehen, ihren Duft einzuatmen, ihre Wärme zu spüren und ihre Aura über die Macht – das alles drohnte ihn innerlich zu zerreissen. Es kostete ihn physische Anstrengung sie nicht zu berühren, nicht weiter ihre Nähe zu suchen, sondern in gebührendem Abstand stehen zu bleiben und sich auf den geschäftlichen Aspekt ihrer Beziehung zu konzentrieren. Wenn sie die intimen Dinge nicht mit ihm teilen wollte, wenn sie diese Sachen von ihm ablehnte, dann bekam sie eben Arbeitsanweisungen zu hören. Auch wenn er selbst lieber hätte, es wäre anders – dies war die einzige Möglichkeit, sich nicht vollkommen zum Idioten zu machen. Die Geschäftsbeziehung war von Beginn an nur eine Notlösung für ihn gewesen, um Giselles Nähe auskosten zu können. Eine private Reise war für sie bei ihrem ersten Gespräch nicht in Frage gekommen, eine Anstellung hingegen schon. Deshalb hatte er ihr das Angebot gemacht – und weil sie zufällig ziemlich gut war, in dem was sie tat. Dennoch: Es fühlte sich an, als wäre er keinen Schritt weitergekommen, als säße er immer noch in dieser Bar und hoffte, sie irgendwann in sein Bett locken zu können. Das Paradoxe daran war: Sie hatte schon mit ihm geschlafen! Er hatte all das bekommen, was er sich im Moment ihres Auftritts in der Red Square Bar erhofft hatte. Wieso fühlte es sich dann so an, als wäre das alles noch nicht genug? Wieso konnte er sich nicht zufrieden geben, wieso konnte er sie nicht fallen lassen, wie so viele andere Frauen, an denen er das Interesse nach einem One Night Stand verloren hatte?
Exodus ahnte, dass er die Antwort längst kannte und dass es auf die dunkle Seite der Macht hinauflaufen würde. Aber das gefiel ihm nicht. Es fühlte sich an, wie eine Situation, die er nicht mehr gewinnen konnte – oder in der er schon längst verloren hatte.


[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Strand – Camp | bei Giselle und anderen Mitarbeitern ]
 
- Fresia – Fingers Mark – Palms Island – Camp -

In der Nacht war sie aufgewacht und hatte lange nicht einschlafen können. Zuerst hatte sie sich einige Male von einer Seite auf die andere gedrehte, doch weil sie Sou und Zera nicht hatte wecken wollen, war Giselle schließlich aufgestanden, hatte das Zelt verlassen und war den Strand entlang gegangen. Sobald sie das Camp hinter sich gelassen hatte und die Nacht jeden Hinweis auf weiteres Leben verschluckt hatte, hatte sie eine tröstliche Idylle um sich herum gespürt. Giselle war bis zu den Felsen gegangen, auf denen sie bereits öfter mit Exodus gesessen hatte. Sie war auf einen der Steine geklettert, hatte sich eine Zigarette angezündet und dort gesessen, das Rauschen des Meeres ihre Gedanken übertönen lassend. Erst als ihr Chrono ihr gesagt hatte, dass es Zeit für den Rest des Lagers war, aufzustehen, war sie wieder zurück gegangen, weil sie nicht wollte, dass jemand sah, von wo sie kam und dass sie noch in ihrem Nachthemd war.

Sou und Zera waren beim Frühstück so munter wie eh und je und auch die anderen waren einer guten Stimmung verfallen. Giselle wertete dies als gutes Zeichen. Nur motivierte Mitarbeiter waren gute Mitarbeiter, dachte sie und erkannte die Ironie, als sie realisierte, dass sie selbst – zum ersten Mal seit Antreten dieser Arbeitsstelle – nicht so motiviert war, wie sie hätte sein sollen. Es lag an Exodus, keine Frage. Ihre nächtliche Wache am Meer hatte ihr Problem nur verdecken, nicht aber lösen können und als er am Morgen ins Lager kam und sie ansprach, war seine Stimme fast noch immer so distanziert wie am Abend zuvor.


”Wir können sofort anfangen, wenn du möchtest.”

Schlug sie vor, als er ihr erklärte, dass viel Arbeit auf sie wartete. Sein Ton gefiel ihr nicht. Er war immer ihr Chef gewesen, aber er hatte sich nie nur darauf reduziert. Es war sein gutes Recht, es war sogar seine eigentliche Rolle, doch es machte Giselle traurig, wenn nur dies zwischen ihnen bleiben sollte.

”Sollen wir direkt ins Verwaltungszelt gehen?”

Fragte sie, goss sich noch ein Glas Wasser ein und trank davon. Arbeit war noch immer Arbeit und Giselle würde sich Mühe geben, sie genau so zu erledigen wie sie es immer tat. Vielleicht würde sie Exodus in einer ruhigen Minute ansprechen können, wenn sie allein waren. Sie wollte, dass er verstand, dass sie ihn nicht als Freund oder als Mann zurück gewiesen hatte – besonders nicht als Mann. Sie hatte Nein gesagt, weil sie mehr wollte, mehr von ihm. Die Frage war, ob er das überhaupt hören wollte oder ob es alles nur noch schlimmer machen würde.

- Fresia – Fingers Mark – Palms Island – Camp – Mit Exodus -
 
[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Camp | bei Giselle und anderen Mitarbeitern ]

„Ja.“

antwortete Exodus knapp, immer noch an Giselle vorbei starrend und bemüht, ihr nicht in die Augen zu sehen. Sein desinteressierter Blick folgte einem der namenlosen Nautolaner, der sich gerade ein Brötchen auf den Teller lud und Saft einschüttete.

„Wir gehen direkt ins Verwaltungszelt.“

Er war sich nicht sicher, ob sie schon etwas gefrühstückt hatte oder dies noch nachholen wollte. Sein eigener Appetit hielt sich in Grenzen, ganz anders als sonst, und er plante nicht, sich an dem Frühstücksbuffet zu bedienen. Später vielleicht, wenn sein Körper allzu laut nach Nahrung schrie, doch bis dahin würde er dieses Bedürfnis ignorieren. Wenn Giselle noch etwas essen wollte, konnte sie sich ja melden. Vermutlich würde sie das auch. Sie war schließlich eine Frau, die offen heraus sagte, was sie dachte. Zumindest in manchen Situationen …

„Es gibt einiges zu tun.“

Wiederholte sich Exodus, als er zum Verwaltungszelt voran schritt. Auch wenn er sich nicht mehr nach ihr umsah, spürte er Giselle in seinem Rücken. Ihm war nicht nach einem richtigen Gespräch – weshalb der Arbeitshinweis, auch wenn es paradox klang, genau die richtige Aussage war, um eine echte Unterhaltung zu unterbinden. Er betrat das Zelt als erster, hielt Giselle nur minimal kurz den Vorhang zur Seite und blieb schließlich inmitten des kleinen Raumes stehen. Mit einer knappen Geste wies er der Vahla den Platz am größten der drei Terminals zu.

„Ich würde dich bitten, dir zunächst die Schichtpläne vorzunehmen. Dadurch, dass wir keine Lagermöglichkeit auf dem Meer mehr haben, müssen wir das Lumium hier auf der Insel lagern. Da auf den Wassergleitern weniger Platz ist, müssen sie häufiger rausfahren. Schau doch bitte nach, inwiefern wir Fleetfire und Da’nel am besten einteilen und wie viele Fahrten wir ihnen zumuten können. Vielleicht brauchen wir noch einen dritten Pilot, zumindest temporär.“

Giselle setzte sich hin, wie geheißen, und fuhr das Terminal hoch. Exodus stand mit verschränkten Armen hinter ihr und sah dabei zu, wie die kleinen Buchstaben und Zahlen über das Display flogen, ehe sich die Benutzeroberfläche aufgebaut hatte und seine Assistentin die entsprechenden Pläne öffnen könnte.

„Sieh mal hier …“

Einem plötzlichen Impuls folgend, beugte er sich nach vorne und griff nach der Terminalsteuerung. Giselles schlanke Finger hatten sich dort zur Bedienung platziert und Exodus berührte sie für einen Moment, während er nach der Steuerung langte. Kaum hörbar sog er die Luft ein und verharrte für eine lange Sekunde in der sachten Berührung – dann zog seine Finger hastig wieder weg, als hätte er auf eine heiße Kochplatte gefasst und erst zu spät bemerkt, dass er sich gerade verbrannte.

„Ach … nicht so wichtig. Ich wollte dir nur zeigen, dass du vielleicht überlegen könntest, die Fahrten abends noch etwas zu verlängern. Aber …“

Unzufrieden kniff er die Augenbrauen zusammen. Er war eine verdammte Marionette! Eine einzelne Berührung von ihr ließ ihn Gefahr laufen, jegliche Beherrschung zu verlieren. Das war doch absurd.

„… das weißt du sicher selbst.“

Exodus räusperte sich und fuhr sich unsicher durch die Haare, ehe er sich zwang, ihr den Rücken zuzukehren.

„Ich werde mich dann um … ein paar Berechnungen kümmern. Recherchen dazu, mit wie viel Lumium wir noch rechnen können. Ausschöpfungsquoten und sowas.“

Anders als sonst, setzte er sich nicht an das Terminal direkt neben die Vahla, sondern an das dritte – kleinste und leistungsschwächste – Gerät, das sie in dem Zelt hatten aufbauen lassen. Es stand etwas abseits der beiden Hauptterminals und war ursprünglich nur für Notfälle und als Ersatz angedacht gewesen. Daran, dass er Giselle einmal aus dem Weg gehen wollen würde, hatte er bei der Anschaffung zumindest nicht gedacht. Andererseits war angesichts der unsichtbaren aber unnachgiebigen Kraft, die an seinen Schultern zog und zerrte und ihn zwingen wollte, sich doch zu Giselle hinüber zu setzen, sie erneut beiläufig zu berühren und mit ihr zu scherzen, ohnehin zweifelhaft, inwieweit dieser Gedanke Erfolg haben würde. Hoffentlich arbeitete wenigstens Giselle gewissenhaft an ihrem Schichtplan. Dass er selbst vorzeigbare Ergebnisse zustande brachte, während die Vahla ihm so verführerisch nah und gleichzeitig so schmerzhaft fern blieb, erschien ihm nämlich sehr unwahrscheinlich. Eine Marionette. Nicht mehr war er in ihrer Anwesenheit.

[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Camp – Verwaltungszelt | mit Giselle ]
 
- Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Camp – Verwaltungszelt - Mit Exodus -

Ziemlich unmissverständlich hatte Exodus ihr klar gemacht, dass sie lediglich hier waren um zu arbeiten. Es war kein einziges privates Wort gefallen, seit sie vom Frühstück aus direkt ins Verwaltungszelt gegangen waren und obwohl er es ihr nicht ins Gesicht gesagt hatte, hatte Giselle dennoch verstanden, was er von ihr erwartete. Sie sollte tun, wofür sie bezahlt wurde und sonst nichts – keine privaten Gespräche, keine Ablenkungen. Gleichzeitig, obwohl er sich nicht mit ihr beschäftigen wollte, war er er ebenfalls im Zelt geblieben um zu arbeiten, obwohl er sonst was hätte tun können, und seine Anwesenheit ärgerte sie, weil sie das Gefühl hatte, dass er sie kontrollierte. Seltsamerweise hatte er sich nicht direkt neben sie an das zweite Terminal gesetzt, sondern an das Ersatzterminal, dessen Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt war. Ob er damit unterstreichen wollte, dass jegliche Nähe zwischen ihnen erloschen war? Während sie die Schichtpläne durch ging, begann Giselle sich zu ärgern. Sie war seine Angestellte, nicht sein Eigentum, und sie arbeitete für die Wingston Corporation und nicht um seine persönlichen sexuellen Gelüste zu befriedigen. Er konnte ihr nicht ernsthaft böse sein, weil sie abgelehnt hatte das Bett mit ihm zu teilen. Und doch war er es. Die Namen der Nautolaner flogen über den Bildschirm, als Giselle die neuen Pläne erstellte und die Zeiten der Fahrten zusammen rechnete, die sie brauchen würden, bis sie ein neues Lager für das Lumium errichtet hatten. Sie glaubte, dass sie auch ohne einen dritten Fahrer auskommen würden. Da’nel und Fleetfire hatten bisher ein angenehmes Leben gehabt. Beide hatten noch genügend Kapazitäten für zusätzliche Arbeit frei.

”Ich bin fertig.”

Sagte sie nach einer Weile und drehte ihren Stuhl in Exodus’ Richtung.

”Möchtest du über gestern Abend sprechen?”

Fragend sah sie ihn an und war nicht sicher, was sie von ihm erwarten konnte. Sie wusste nur, dass sie froh war, am Vorabend nicht auf sein eindeutiges Angebot eingegangen zu sein.

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[ Fresia – Fingers Mark – Palm Island – Camp – Verwaltungszelt | mit Giselle ]

„Also gut.“

Exodus drehte sich mit seinem Stuhl zu Giselle herum und sah ihr zum ersten Mal an diesem Morgen wirklich in die Augen. Ihren Kommentar zu ihrer abgeschlossenen Aufgabe überging er. Auf seinem eigenen Display hatte sich in der Zwischenzeit nicht sonderlich viel getan. Einige Daten über die bisherigen Lumium-Erträge und die täglich geförderten Mengen des leuchtenden Gesteins hatte er zusammen getragen, doch zu mehr war er nicht gekommen. Das Gespräch, welches Giselle nun von ihm hören wollte, hatte er auf seinen Bildschirm starrend schon einige Male gedanklich geführt und sich dadurch kaum auf seine Arbeit konzentrieren können.

„Du willst also reden.“

Vor der Brust verschränkte er die Arme, als wollte er sagen: Ich aber nicht. Dabei stimmte das gar nicht. Er wollte reden. Er hatte sogar das ausdrückliche Bedürfnis danach. Die Worte hatte er in seinem Kopf schon einige Male gebraucht, verändert und wieder gesagt. Es war an der Zeit sie loszuwerden.

„Ich denke, es geht dir nicht um den gestrigen Beschluss, das Projekt hier fortzuführen, oder? Dass das etwas Gutes ist, darüber waren wir uns ja zumindest einig.“

Sein Blick hatte etwas Herausforderndes. Die Kälte und Distanz war noch nicht ganz verschwunden, vermischte sich aber langsam mit Verletztheit.

„Ich habe dich gebeten, noch eine weitere Nacht bei mir zu verbringen.“

brachte Exodus es auf den Punkt. Möglicherweise würde sie ihm insofern widersprechen, als dass es weniger eine Bitte, als mehr eine Aufforderung oder ein Angebot gewesen war – aber das waren Nebensächlichkeiten. Für einen Moment legte er eine Kunstpause ein, um ihr die Möglichkeit zum Einspruch zu geben. Doch ihr Blick sprach Bestätigung aus und Exodus nickte ebenfalls leicht.

„Giselle … wir sind Freunde.“

Langsam lösten sich seine Arme wieder aus der Verschränkung. Solche Worte auszusprechen, war etwas Gewichtiges und Exodus tat dies nicht allzu häufig. Freunde waren selten in seinem Leben und er war dumm genug, diese eine Freundschaft aufs Spiel zu setzen. Und für was? Körperliche Begierde. Puren Sex. Das war es, was er wollte und das war es, das sie dieses Gespräch überhaupt führen ließ. Doch Giselles Anziehung war nicht von dieser Welt. In ihren Händen verkam er zur Marionette. So etwas hatte er noch nie erlebt.

„Aber gleichzeitig finde ich dich sehr attraktiv. Nach vorgestern Nacht dachte ich, das würde auf Gegenseitigkeit beruhen.“

Die leichte Anklage schwang in seiner Stimme mit und er hörte selbst aufkeimenden Frust heraus.

„Diese Nacht hat uns beiden gefallen und gut getan.“

Eine Aussage, keine Frage.

„Wieso dann diese Ablehnung? Freunde, die gelegentlich mal miteinander schlafen, sind nichts Ungewöhnliches. Viele Leute halten das so.“

Unschuldig zog er die Augenbrauen hoch und zuckte mit den Schultern. Er hatte weniger wütend geklungen, als er gedacht hätte. Gleichzeitig gefiel ihm die Opferrolle, die er in dieser Sache einnehmen konnte. Giselle war es, die einen Fehler gemacht hatte: Das klang deutlich aus seinen Worten heraus.

„Das verstehe ich einfach nicht und das frustriert mich.“

Ein letztes Ass hatte er noch im Ärmel. Es war gemein und unanständig von ihm, diese Karte zu spielen, das wusste er. Aber um Giselle ein weiteres Mal in sein Bett zu locken oder zumindest selbst einmal die Oberhand in dieser Beziehung zu erlangen, war ihm jedes Mittel Recht. Mit ernstem Blick und gewichtiger Stimme sah er ihr in die Augen. Hoffentlich zog diese Nummer.

„Ich weiß einfach nicht, woran ich bei dir bin.“

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