~~~ Calamari-System ~ Mon Calamari ~ Coral City ~ Krankenhaus ~ Chirurgie ~~~
Jibrielle sah auf die Ohr an der Wand. Noch neun Minuten.
"Deine Schülerin kann sich glücklich schätzen. Sie hat die schönste aller Meisterinnen, und die beste. Und ich hoffe Nylia ist hääässslich."
Die Jedi grinste Miranda an und nickte gewichtig. Nylia war natürlich überhaupt nicht hässlich, ganz im Gegenteil. Doch das würde sie gegenüber Miranda niemals zugeben. Zumindest nicht heute.
"Das war natürlich ein Spaß. Deine Pflicht ruft, und deine Schülerin hat ein Recht auf dich."
Miranda fragte wegen dem Essen nach, dass nun nur noch eine volle Gabel von der vollständigen Verputzung entfernt war. Ob Jibrielle wirklich vier Leute verprügelt hätte. Ohje, dachte die Jedi, der Instinkt dieser Frau war ja schon fast gruselig. Sie winkte mit der Hand ab und kicherte, wenngleich auch ein wenig zu leugnerisch.
"Aber totaaal. Das ist voll mein Ding – so unschuldige Festivalbesucher vertrimmen, haha!"
sagte sie und versuchte sich an einem Augenzwinkern. Zum Glück war Miras zweiter Einwand angenehmer.
"Kommen wir zu meiner Forderung … Küss mich!"
Jibrielle lachte auf und beugte sich zu ihrer Freundin herunter. Mira zu küssen war freier Fall ohne Landung.
"Äh-hem."
räusperte sich nicht sehr laut aber vernehmlich genug die Schwester im vorbeigehen an der Tür. Jibrielle schlug die Augen wieder auf und erhob sich wieder von dem Bett, auf das sie halb drauf geklettert war. Die Zeit war abgelaufen. Draußen im Gang waren nun verstärkt Schritte und Gemurmel zu hören, als ein paar dutzend Besucher die Zimmer verließen. Bei der Macht, es war einfach nicht okay, dass ihr dies so schwer fiel.
"Habe ich dir schon gesagt, dass ich dich liebe? Werd bloß schnell wieder gesund, meine kleine Nachtigall, ja?"
Mira murmelte ihr ihre Antwort zu, Jibrielle lächelte bis über beide Ohren und schloss die Naboo für eine weitere gestohlene halbe Minute in die Arme – bevor sie schließlich aufstand, ihre Sachen vom Fensterbrett nahm und zügig zur Zimmertür ging. Im Rahmen blieb sie noch einmal stehen, ließ die Fingernägel ihrer Linken zwei Mal gegen die Plastik klappern, bis sich auf die Unterlippe, die in diesem Augenblick noch nach ihr schmeckte, und winkte Mira ein letztes Mal zu, bevor sie einen weiteren Schritt machte und sich nicht mehr sahen.
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Die Herumfahrerei in Coral City samt Auschecken aus dem Hotel, das der Orden gebucht hatte, und einem letzten Stop bei Miras Luxushotel dauerte nur drei Stunden, kam Jibrielle jedoch vor wie ein ganzer Tag. Ihre Gedanken schwankten zwischen Planungserwägungen über das anstehende Training und den Erinnerungen an die letzten Tage hin und her. Ohne noch einmal in das Hotel zurück zu blicken, dass sich ihr aus verschiedensten Gründen nun für immer ins Gehirn gebrannt hatte, stieg sie in das kleine gelbe Robotaxi, dass sie zum Raumhafen bringen würde. Mit dunkler Jeans, einem violetten, ärmellosen T-Shirt und einer schwarzen Kunstlederjacke bekleidet setzte sie sich ungemütlich auf den Rücksitz und gab ihren Fahrwunsch an. Der Droide am Steuer fiepte sie zweimal vergnügt an, bestätigte somit, dass er das Reiseziel verstanden hatte, und sauste gediegen aber hurtig los.
Jibrielle lehnte am Fenster und schaute auf die plötzlich gar nicht mehr pulsierende Lebendigkeit ausstrahlenden Lichter Coral Citys bei Nacht. Jetzt wirkten die Straßen trostlos. Die Laternen und Reklametafeln warfen ihren vergeblich ihren Schein in Straßen, die ansonsten von der Dunkelheit verschluckt wurden und eine unüberschaubare Zahl an traurigen Personen verbergen konnten. Andere Speeder schossen an ihrem vorbei, hinein ins Nirgendwo. Leute liefen in strömenden Herden über die Fußgängerwege, ohne einander die Einsamkeit der anderen zu beachten, zu sehr beschäftigt mit ihrer eigenen. In ihrem Hinterkopf lauerten die Schuldgefühle darüber, dass Nylia sich mit einer so abgelenkten, nicht zu hundert Prozent den Jedi gewidmeten Meisterin bedienen musste, doch war jetzt noch nicht der Moment, in dem sie sich diesen Gedanken schon voll und ganz hingeben konnte. Das Gefühl, hier und jetzt etwas zurück zu lassen, dass für immer verloren sein würde, dass es nicht einfach so gut weitergehen konnte, dass Mira mit jedem Schritt den sie tat ein bisschen mehr wieder aus ihrem Leben verschwinden würde, war überwältigend. Und alles was ihr als Erinnerung bleiben würde, war … alles was ihr von Mira blieb war … sie hatte das T-Shirt, die Hose und die Sonnenbrille natürlich in Miras Hotelzimmer gelassen. Hektisch griff Jibrielle an ihre Reisetasche, die neben ihr auf dem Rücksitz lag, und wühlte darin herum. Nach ein paar Augenblicken atmete sie erleichtert auf, als sie Mirandas geborgte Jacke in den Händen hielt. Das hatte sie zwar nicht unbedingt so geplant gehabt, war nun aber froh, sich das Textil der Naboo noch ein wenig weiter leihen zu können. Schnell tauschte sie die jetzige Jacke gegen die ihrer Freundin aus. Eine Minute lang saß sie in seltsamer Ruhe in ihrem Sitz, blickte auf die an ihnen vorbeihuschenden Fahrbahnmarkierungen vorbei, als ihr das auf einem kleinen Hügel gelegene Krankenhaus, in dem Miranda schlief, ins Auge fiel. Einundzwangzig. Zweiundzwangzig. Dreiundzwanzig.
"Stop! Anhalten!"
rief Jibrielle plötzlich und mit erstaunlich humanoid scheinender Erschreckbarkeit ging der Droide in die Bremsen. Mit tiefem, brummigen Piepen kam der Bot, der über die schriftliche Kommunikationsanzeige über den Rückspiegel wüste Erkundigungen über den Ausbruch seines Passagiers einholte, an einer Tankstelle nur hundert Meter weiter zum Stehen. Über der Eingangstür prangte der in stolzen Lettern der Name 'Saftladen'. Perfekt.
"Ähm, bitte warten sie auf mich. Lassen sie die Uhr laufen – ich bin gleich wieder da."
Die Beine in die Hand nehmend hechtete Jibrielle auf die Tankstelle zu und stürmte hinein. Die Mon Calamari an der Theke macht gewaltig große Augen und wägte wohl ab, ob sie gerade überfallen wurde oder nicht. Als Jibrielle durch die Gänge tigerte, huschte ihr blick über die vielen billigen aber kostspieligen Konsumartikel, die niemand brauchte und für die doch ständig an Tankstellen gehalten wurde. Die Jedi suchte jedoch nichts dergleichen.
"Haben sie – Entschuldigung, haben sie sowas wie … wie nennt man die … Einwegkameras?"
Die Mon Calamari, die inzwischen reichlich neugierig und fasziniert beobachtete, was die hektische Kundin wohl vorhatte, wies reflexmäßig auf ein Regal in der rechten Ecke des Geschäfts. Jibrielle starrte auf mindestens zehn verschiedene Modelle mit verschiedensten technischen Ausstattungen, Formaten und Gimicks. Da sie von solcherlei Kram weniger Ahnung hatte, als ein Rancor von Rosenzucht, nahm sie die mit der schönsten Farbe. Morastgrün.
"Ähhhhhhhhhh …"
sagte ein männlicher Mensch vor ihr an der Kasse und rieb sich seinen dichten, grauen Bart. In seiner Hand hielt er ein paar besonders hässliche Kopfhörer von der Stange.
"Gibt’s die auch in Maulwurfsgrau?"
"Nix grau – kackbraun!"
sagte die Mon Calamari und kaute demonstrativ auf einem Kaugummi herum.
"Und das nennen sie einen kundenfreundlichen Laden? Das is'n Saftladen, is das! Wenn ich das g-"
"Entschuldigung, darf ich mal, geht ganz schnell."
meinte Jibrielle und schob sich an dem Mann vorbei, lächelte die Verkäuferin schnell an und knallte die Kamera auf den Tresen.
"Sonst noch was?"
fragte die Frau total interessiert blickte die Jedi forschend an. Jibrielle biss sich auf die Lippe und sah noch einmal nach Links und Rechts zur Quängelware. Es machte Klick, schnappte sich etwas von einem Drehständer und legte es geruhsam auf die Theke zu ihrer Kamera.
"Das wäre dann alles, bitte ..."
Hosen- und Jackentaschen mit ihrem neu erworbenen Gut gefüllt spurtete Jibrielle über den Asphalt des Parkplatzes, über die Straße hinweg und den mit Gras bewachsenen Hang hinauf, der des Nachts schwarz-grünlich schimmerte. Die Jedi sprang über ein paar Rosenhecken und schlängelte sich zwischen exotischen Zedernreihen hindurch, bis sie die Südseite des Krankenhauses erreichte, nur halb von den Lichtern des Metropole beleuchtet, die das Krankenhaus in einem kleinen, abgeschieden wirkenden Kreis umschloss. Jibrielle brauchte nicht extra auszuharren und ihre Fühler tief in die Macht sinken zu lassen, um zu wissen, wohin sie gehen musste. Noch einmal schaute sie sich kurz um, ob der Gartenplatz auch wirklich so verlassen war, wie er schien, und sprang. Mit einem Satz flog sie auf das erste Vordach, mit einem zweiten landete sie auf dem darüberliegenden. Gebückt tappste sie auf das Fenster zu, lugte hinein, die Hand über den Augen und an die Scheibe gedrückt. Und da war sie in ihrem Einzelzimmer und schlief. Jibrielle klopfte mit den Fingerknöcheln gegen das Glas. Einmal, zweimal, dreimal. Dann war Mira wach. Jibrielle Herz flammte auf, als sie die Überraschung im Gesicht der Naboo hervorblitzen sah. Die Jedi grinste sie an. Einen Augenblick brauchte Miranda offenbar, um zu verstehen, dass sie nicht gerade träumte, doch stand sie schließlich in ihrem Krankenhaushemdchen aus dem Bett auf und ging zu Jibrielle am Fenster herüber. Mit leicht geöffneten Mund sah Mira ihre Freundin an. Jibrielle wusste nicht, was die eigentlich nachtschlafende DJane in diesem Moment mehr schockieren mochte - Jibrielles Auftauchen auf dem Vordacht der zweiten Etage eines Krankenhauses oder der Umstand, dass sie überhaupt wieder aufgetaucht war, dass die letzte Woche kein Traum gewesen war. Denn Jibrielle ging es genauso. Sie strahlte Mira an und wies auf die ankippbare, obere Fensterklappe. Die sprachlose Naboo öffnete.
"Heeey meine Schöne, tut mir leid, dass ich dich geweckt habe."
summte Jibrielle und legte ihre linke Hand ans Fenster, in der Hoffnung, Miranda würde ihre auf der andereren Seite dagegenhalten.
"Als ich im Taxi saß, kam mir eine furchtbare Erkenntnis: Wir haben überhaupt keine richtigen Souveniers - oder besser gesagt, Erinnerungsstücke. Also ich habe deine Jacke - wie du siehst ..."
sagte Jibrielle und zeigte mit hektischen Bewegungen auf ihren Oberkörper.
"... aber du hast auf jeden Fall nichts von mir. Also bin ich in den Laden unten und habe schnell was eingekauft."
Mit der rechten Hand fischte Jibrielle auf ihrer Jackentasche die morastgrüne Einwegkamera heraus. Wie ihr die seltsam neugierige Verkäuferin beim Rauslaufen hinterhergebrüllt hatte, sei dies eine dieser Retrokameras, die sofort ein Bild ausdruckten, und zwar mit einem klobigen weißen Rand. Aber von solchen Dingen hatte die Jedi keine Ahnung und egal war ihr das auch. Hauptsache man konnte damit ein Stück dieses Moments festhalten. Sie hielt die Kamera auf Armeslänge von sich entfernt, zielte ungelenk mit dem Objektiv auf sich, grinste breit und drückte ab. Es machte Knips, blitzte, und keine zwei Sekunden später kam ein Bild herausgeschossen, das uralt aussah. Sie sah irgendwie furchtbar darauf aus, dachte Jibrielle, so mit geschlossen Augen lächelnd, das ganze Spallier ihrer Zähne blitzend, die Zahnlücke so groß wie eine Häuserschlucht. Naja, besser würde es kau werden, nahm die Jedi an und steckte Miranda das Bild durch den Fensterspalt.
"Damit du nicht vergisst, wie schrecklich ich aussehe! So - jetzt bist du dran!"
sagte Jibrielle, zwinkerte ihrer Freundin zu und fotografierte sie, bevor die DJane das Weite suchen oder sich wehren konnte. Es machte Flutsch und schon bestaunte Jibrielle das Foto von Miranda. Die Blitzlichtreflexion verdeckte fast die Hälfte des Motivs, doch zum Glück guckte sie zwischen all dem Weiß das mit großen Augen und rundem Mund staunende Gesicht Mirandas an. Jibrielle lachte auf, drückte einen Kuss auf die Glasscheibe und steckte sich das Foto in die Jackentasche, die sie mit einem Reißverschluss verschließen konnte. Seufzend steckte sie die Einwegkamera wieder in weg. Das dabei entstehende Klimpern in der Hosentasche hätte es nicht gebraucht, um sie an den anderen Einkauf zu erinnern.
"Und dann hab ich noch das hier geholt ..."
Jibrielle holte ein kleines Medaillion hervor, an dem zwei Ketten befestigt waren. Es war ein kitschig geformtes Herzchen, dass in der Mitte geteilt war. Auf der einen Seite prangte ein 'S', auf der anderen ein 'L', in der Mitte ein gespaltenes Pluszeichen.
"Sie hatten es leider nicht in unseren Initialen. Aber was solls, nicht wahr?"
"Sagen wir einfach ... sagen wir das 'L' steht für ..."
Mira schaute auf das Foto in ihrer Hand.
"Lücke - deine süße Zahnlücke!"
Jibrielle protestierte nur kurz, bevor sie zusammen in Gelächter ausbrachen. Schnell aber rissen sie sich wieder zusammen, um nicht zu laut zu sein und nicht unnötig Aufmerksamkeit zu erregen.
"Und das 'S' steht für - Sugar - hmmm ne, du bist ja keine Katze. Hmmm - Schatz? Zu simpel, oder? Aiaiaiai ... Schhhhhhhhhh-Sunshine ... weil ... nach dem Corellian Sunshine, den du mir bei unserer ersten Begegnung gemixt hast."
sagte Jibrielle, kriegte ein heißes Gesicht und blickte Miranda fest in die Augen. Sie teilte das Medaillion in seine zwei Hälften und reichte Mira die Seite mit dem 'L' durch die Luke hindurch. Ihre Hälfte mit dem 'S' hängte sich Jibrielle um den Hals. Aus der Ferne erklang dumpf das Tönen einer Taxihupe. Jibrielle lächelte gefasst. Der Zeigefinger ihrer linken Hand tippte im sanften Rhythmus gegen die Fensterscheibe.
"Ich sehe dich. Auf Lianna. Ich lieb dich, hörst du?"
sagte sie und küsste noch einmal kurz und mit geschlossenen Augen das Glas, ehe sie auf der Stelle kehrt machte und von der Kante des Daches in die Dunkelheit davonsprang.
~~~ Calamari-System ~ Mon Calamari ~ Coral City ~ in der Dunkelheit der Nacht ~~~