Vier Tage waren seit dem Mitwinterfest vergangen. Obwohl es noch früh am Abend war lag die Dunkelheit bereits über der Stadt Rüddstett. Es waren ungewöhnlich viele Fremde im Wirtshaus "Zum blauen Rössl" außerhalb der Stadtmauer, Strauchdiebe, Tunichtgute und Bauertölpel. Alle waren sie wegen dem kleinen Vermögen nach Rüddstett gekommen, denn dieses wurde versprochen, wenn man den Spuk in der Silbermine, die doch den Reichtum der Stadt verantwortete, banne und beseitige. So war es in der weiteren Umgebung an den Wegweisern und Gasthäusern der Landstraße angeschlagen worden.
+++
Auch die junge Zwergenkriegerin Svenja war deswegen in der Stadt, doch aufgrund der frühen Dunkelheit am verschlossenen Stadttor abgewiesen worden. So musste sie die Nacht im "Rössl" mit den zahlreichen anderen Glücksrittern verbringen. Und auch die Elfin Rue, eine kleine drahtige Gestalt mit wilden Locken und katzenhaften Augen stand mit einem Tonbecher schalen Biers in einer Ecke der Gaststube. Sie war eine Ausgestoßene bei Ihrem Volk, hatte sie sich doch über die uralten Gesetze und Traditionen hinweg zu setzen gewagt.
Die Stube war zum Bersten voll nicht nur die Fremden, sondern auch lokale Bauern und zwergische Bergleute, die wohl zum Nichts tun verdammt waren, verbrachten den Abend dort. Es wurde geredet, gesungen und gelacht, doch die Stimmung wirkte trotzdem angespannt und unsicher.
Ein kleiner dicklicher Mann trat an Rue heran, er trug einen Reisemantel über einer schlichten Robe und eine Pelzmütze auf dem Kopf, die er zur Begrüßung aus Höflichkeit abnahm.
"Gestattet, Friedwin Butterbier, Heckenzauberer auf Wanderschaft" stellte sich der Mann mit einer leichten Verbeugung vor. Rue blickte ihn kritisch an.
"Ich nehme an Ihr seid auch hier, da man dem 100 Silberlinge versprach, wer den Grubenspuk beseitigt?" Sein Blick wandte sich von Rue weg, über die Bergleute und zu den Glücksrittern zurück zu ihr.
Derweil stellte sich ein Schankwirt, ein rundlicher bärtiger Geselle mit rotem Kopf neben Svenja, die auf einer langen Holzbank saß.
„Frau Zwerg“ brummte der Mann, „wenn Ihr nichts bestellt muss ich euch bitten zu gehen.“
„Dann nehme ich ein Bier.“ brummte Svenja zurück.
„Ich hoffe Ihr könnt das auch zahlen“ meinte der Wirt und blickte etwas unsicher zu den anderen fremden Gästen in seinem Haus.
„Natürlich.“ Ein grimmiger Blick traf den Mann.
„Entschuldigt, aber bei den vielen Fremden heute Abend …“ sagte er leise, wischte sich Schweiß von der Stirn und drückte sich zurück in die Menschenmenge.
„Ich glaube das ist nicht Eure Angelegenheit.“ antwortete Rue auf Friedwins Frage. Sie nahm einen Schluck Bier, musterte Ihn abermals kritisch über den Rand Ihres Bechers hinweg.
„Nun, ich denke, dass man als Gemeinschaft eine höhere Wahrscheinlichkeit auf Erfolg bei diesem Unterfangen hat.“ Er lächelte schelmisch.
„Selbst wenn, werter Herr Heckenzauberer, welchen Vorteil hätte es Euch als Kumpanen einzuspannen?“ erwiderte Rue. Ihre Augen verengten sich.
Wieder lächelte Friewin, hob seine rechte Hand demonstrativ. Er schnippte und mit einem Mal erloschen alle Kienspanlampen und Kerzen im Raum. Einen Moment später hörte Rue ein zweites Schnippen und alle Feuerquellen entzündeten sich wieder. Sie blickte nun in einen grinsendes Gesicht des Zauberers. Ein Raunen ging durch den Raum und verunsicherte Blicke schweiften umher. Worte wie Hexenwerk und schwarze Kunst wurden geflüstert. Rue gab sich aber unbeeindruckt.
„Das mag ein schöner Trick sein, aber was hilft so etwas gegen einen Spuk, oder in einer dunklen Mine ohne Lichtquellen?“ wollte sie wissen.
Der Mann hob erneut die Hand und nun entstand durch sein Schnipsen eine kleine Flamme direkt oberhalb seines Zeigefingers, als ob dieser eine Kerze sei.
„Und das geht auch viel größer“ Friedwin zog eine Augenbraue hoch.
„Na gut,“ meinte Rue „Ihr seid ein seltsamer Geselle, aber doch bestimmt zu etwas nützlich.“ Ein Lächeln blitze kurz in ihrem Gesicht auf.
Der Zauberer blickte an Ihr vorbei durch die weiter unruhige Menge auf Svenjas Tisch. Dort lag ihr Streihammer neben dem Becher bestellten Bieres.
„Wisst Ihr, liebe Gefährtin, es kann nicht schaden auch etwas Muskelkraft auf diese Unternehmung mitzunehmen“ sprach Friedwin und begann auf den Tisch zuzugehen, „Zudem sind 30 Silberlinge immer noch genug.“ Rue kniff die Augen wieder skeptisch zusammen und folgte ihm.
„Frau Zwerg,“ er räusperte sich. „Friedwin Butterbier, Heckenzauberer auf Wanderschaft.“ er verbeugte sich leicht.
„Gehe ich recht in der Annahme …“
„He, ich habe es gesehen!“ unterbrach ihn eine Stimme. Ein Mann in schlichtem bäuerlichem Gewand drängte sich zu den dreien.
„Du bist dieser Schwarzkünstler, welcher hier eben das Feuer gelöscht und wieder entzündet hat, ich hab’s genau gesehen.“ Bevor Friedwin etwas sagen konnte fuhr der Bauer fort.
„Und natürlich gibst du dich mit so etwas ab.“ Er blickte finster zuerst zu Rue, dann zu Svenja. „Magier, Spitzohren und Weiber von diesen Stumpflingen.“ Einer der Zwerge vom Nachbartisch blickte verärgert auf.
„Wie war das? Stumpflinge?“
„Ja, Stumpflinge!“ sagte der Bauer laut nun den Bergarbeitern zugewandt „Bestimmt habt Ihr den Spuk beschworen um uns von der Silbermine zu vertreiben.“ Die anderen Dörfler, die sich hinter ihm aufbauten grunzten zustimmend. Irgendwo wurde ein Tonbecher auf einen Tisch geknallt und ehe sich die drei versahen befanden sie sich in einer sehr angespannten Situation. Beleidigungen wurden gebrüllt und Streithähne zurückgehalten.
„Schnell. Mir nach.“ zischte Svenja und sie drückte sich an der unauffällig an den Dörflern vorbei. Friedwin folgte und auch Rue, die im Vorbeigehen dem Bauern noch geschickt seinen Geldbeutel entwendete. Auf dem Weg zur Tür entnahm sie diesem vier Kupferlinge und einen schlichte Holztalisman, den sie sich vorsichtig umhing und unter ihrer Kleidung verbarg.
„Nicht hier drin!“ brüllte der Wirt in die Menge.
Vor dem Gasthaus setzte der Zauberer wieder seine Pelzmütze auf.
„Nun, ähm. Ich würde Euch gerne einen Platz im Stroh bei meinem Maultier hier im Stall anbieten, morgen können wir gemeinsam in die Stadt, ich habe mich bereits beim Vogt anmelden lassen um meine Dienste gegen den Spuk in der Grube anzubieten.“
„Was soll dieser Spuk überhaupt sein?“ fragte Rue, „Wie soll so etwas denn aussehen?“ Svenja nickte zustimmend.
„Das wird uns wahrscheinlich der Vogt sagen können“ meinte Friedwin und wandte sich zum Stall.
„Ich denke es ist nicht so gut bei dieser anstehenden Gasthausschlägerei im Stall zu nächtigen.“ sagte Rue, und der Magier musste Ihr mit einem Blick auf einen betrunkenen Zwerges, der an der Hauswand gestützt in dieselbe Richtung wankte, zustimmen.
„Entlang der Stadtmauer gibt es einen alten Hühnerstall. Dort habe ich schon die letzten Tage geschlafen.“ Svenja und Friedwin sahen kurz einander an. Dann folgten sie Rue die dunkle Straße entlang zu ihrem Lager.
Rue und Svenja wurden vom Hahnenschrei in der Morgendämmerung geweckt. Eisiger Nebel überzog das Flusstal, in dem Rüddstett lag. Vor dem Stall stand Friedwin und fütterte gerade sein Maultier, das er zuvor aus dem Stall des Gasthauses geholt hatte, mit einem Apfel.
Die Zwergin zog sich ein paar Strohhalme aus den zu Schnecken geflochtenen feuerroten Haaren. Sie schnaufte kurz, ihr Magen knurrte. Immer noch müde und schweigend folgten beide Frauen dem Zauberer zum Stadttor. Sie überquerten eine gepflasterte Steinbrücke zu der rot-weiß gestreiften Pforte. Einer der Flügel stand bereits offen, eine Stadtwache stütze sich daneben im Halbschlaf auf Ihre Hellebarde. Friedwin zog kurz seine Pelzmütze vom Kopf, ging dann aber lautlos weiter als der Wachmann ihn nur schläfrig zunickte. In der Stadt sahen die Häuser schon etwas besser aus, keine einfachen strohgedeckten Hütten, sondern Fachwerkhäuser mit Steinfundamenten und Schindeldächern. Es war noch n nicht allzu geschäftig, die Handwerker begannen erst mit Ihren Tagwerk und die Gesellen und Hilfsarbeiter kamen erst aus den umliegenden Weilern und Vororten nach Rüddstett.
...