Trifft beides auf die von uns diskutierten Verhaltensweisen zu IMO.
Bedaure, aber nein. Anhänger Erdogans in der Türkei stehen a) weder außerhalb der Gesellschaft noch b) handeln sie gegen deren dominante Werte und Normen und c) sind sie durchaus in der Lage, für ihre Eigengruppe Mitgefühl, Sympathie und Engagement zu zeigen. Die überwältigende Mehrheit jener, die auf den Wahlveranstaltungen geifernd fordert, unliebsame Gruppen "loszuwerden" oder davon träumt, das Osmanische Reich wiederherzustellen, geht danach nach Hause, umarmt ihre Kinder und lacht, kuschelt sich mit der Ehefrau vor den Fernseher und ist betrübt, wenn das Telefon klingelt und die Oma krank ist, freut sich aber, morgen in die Moschee gehen zu können und mit Gleichgesinnten zu plaudern. Antisoziale Menschen oder Psychopathen sind zu regelkonformen oder mitmenschlichen Verhalten selbst innerhalb der Eigengruppe nicht oder nur sehr bedingt in der Lage.
So nem verhalten und Ideologien eine Rechtfertigung und Legitimation zuzuschreiben halte ich für gefährlich.
Inwiefern stellt der Hinweis darauf, dass verschiedene persönliche, gesellschaftliche oder kulturelle Moralvorstellungen existieren, eine Rechtfertigung oder Legitimation dar? Ich kann darauf hinweisen, dass es für bestimmte Menschengruppen vollkommen in Ordnung ist, Andersdenken Böses antun zu wollen, und dieses Verhalten verurteilen und ablehnen.
Zum Thema Diskriminierung will ich natürlich niemandem absprechen (das wäre reichlich arrogant), diese erlebt zu haben. Dass aber wirklich
jede einzelne Person mit türkischen Wurzeln in Deutschland Diskriminierungserfahrungen gemacht haben soll, kann ich mir nur schwer vorstellen (ohne es auszuschließen) - aber selbst dann stellt sich die Frage, wie schwer diese waren und ob sie damit vergleichbar sind, was z. B. Personen mit einem bestimmten Dialekt oder innerdeutschen Herkunft an Diskriminierung erleben ("Der kommt aus Bremen, der kann doch bestimmt nicht rechnen, so, wie die Schulen da sind!"). Zumal noch Faktoren wie Beruf und Vermögen, also soziale Klasse, hinzukommen. (Ja, der Liberale packt die Klassenfrage aus. Es darf trotz des ernsten Themas gelacht werden.)
Ich würde gerne anfügen, dass Menschen, die den Halt in der Gesellschaft verlieren, vermutlichauch Halt in anderen Dingen suchen.
Ja und nein, fürchte ich. Es gibt aus meiner Perspektive auch zahlreiche Menschen, die eine ultraautoritäre, intolerante Neigung haben und sich einem System, das dieser Neigung entgegenkommt, entgegensehnen. Freiheitlich-demokratische Systeme müssen solche Leute einfach schon aufgrund ihrer Existenz und Natur "enttäuschen". Ein Björn Höcke hat keine Diskriminierung erfahren, wurde nicht politisch verfolgt, eingesperrt, gedemütigt, von Berufen ausgeschlossen, etc. Der Mann ist nicht aufgrund irgendeiner wie auch immer unfairen Erfahrung ein Faschist geworden, sondern weil ihm der Faschismus gefällt und dessen Prinzipien ihn ansprechen. Und wenn man mit offenen Augen und Ohren für Punkte wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Frauenhass, Neid, Engstirnigkeit, Größenwahn, Frustration, Intoleranz, etc. durch die Straßen geht, dann merkt man leider, dass er damit nicht alleine ist. Natürlich müssen sich der freiheitlich-demokratische Staat und Gesellschaft darum bemühen, möglichst viele Menschen abzuholen. Aber einige wollen schlicht nicht abgeholt werden. Für sie ist Demokratie bloß ein Zug, in dem sie mitfahren, bis sie ihr Ziel erreicht haben - dann steigen sie aus. Und das ist wohlgemerkt die Lage in einem Staat, der seit mittlerweile gut 74 Jahren (wieder) ein demokratischer Rechtsstaat ist.