Könnte mir jemand, der mehr Ahnung von der Materie hat als ich, erklären, inwiefern das Gesetz verfassungswidrig wäre? Dass es EU-Recht bricht (Schengen) verstehe ich…
Deine Frage ist zwar jetzt nicht mehr ganz so relevant, da der Entwurf ja abgelehnt wurde, trotzdem will ich das gerne beantworten, wenn schon jemand an dem Rechtsgebiet Interesse zeigt. Allerdings ist das Ganze nicht ganz leicht zu beantworten, daher muss ich ein wenig ausholen. Im Wesentlichen geht es bei dem Problem um die Frage, ob eine vollständige Abschaffung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte (also solche, die nicht individuell als Person verfolgt wurden, sondern etwa vor einer Kriegslage geflohen sind) vereinbar mit dem grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG wäre.
Dieser Familiennachzug für den engsten Familienkreis (= Ehegatten und minderjährige Kinder) war bereits früher einmal in der Großen Koalition zeitlich begrenzt für zwei Jahre ausgesetzt worden und ist auch jetzt gerade in gewisser Weise nicht schrankenlos, weil es ein Kontingent von 1000 Personen im Monat gibt, die in diesem Monat maximal auf dieser Grundlage mittels eines zu beantragenden Visums legal nach Deutschland einreisen dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Einschränkungen in der Sache, die also Einschränkungen nur auf zeitlicher Ebene darstellten, nicht beanstandet, sondern sie für zulässig angesehen. Allerdings ließ es offen, ob eine komplette Abschaffung dieses Familiennachzugs mit dem grundrechtlichen Schutz des Schutzes von Ehe und Familie vereinbar wäre. Es gibt ein paar Indikatoren, dass das problematisch sein könnte, weil das BVerfG damals darauf verwiesen hatte, dass eine zeitliche Aussetzung im Sinne der zwei Jahre zumutbar ist - damit also implizierte, dass es schon irgendwo eine zeitliche Grenze für diese Zumutbarkeit geben könnte, zu der es aber nichts weiter ausgeführt hatte (gab dazu ja auch keinen Anlass damals).
Der Unterschied ist jetzt, dass in der alten Fassung, als dieser Familiennachzug also während der Großen Koalition ausgesetzt war, die begrenzte Dauer dieser Aussetzung explizit ins Gesetz aufgenommen wurde. Die Aussetzung wurde damals als Übergangsvorschrift geschrieben (§ 104 Abs. 13 AufenthG), die besagte, dass der grundsätzlich weiterhin bestehende Familiennachzug (nur) für eine bestimmte Zeit nicht gelten soll. Mit dem jetzigen Gesetzesentwurf wäre das aber keine Übergangsvorschrift gewesen, sondern es wäre direkt der Gesetzestext geändert worden, der den Familiennachzug für subsidiär Geschützte regelt (§ 36a AufenthG), und die Regelung hätte besagt, dass der Familiennachzug für diese Personen nicht gewährt wird - ohne jede zeitliche Befristung. Das kommt also einer Abschaffung gleich, da mit dem Gesetzesvorschlag keinerlei Instrument etabliert worden wäre, dass der Familiennachzug irgendwann wieder kommen wird.
Die Argumentation von Merz, dass das also ja alles schon mal da gewesen sei und deswegen schon gar nicht verfassungswidrig sein könne, ist also unredlich. Es wird definitiv nicht das Gleiche geregelt wie während der Großen Koalition, sondern es ist erheblich strenger. Umgekehrt kann man aus meiner Sicht aber auch nicht sagen, dass es definitiv verfassungswidrig ist, denn das BVerfG hat das zwar (sehr latent) angedeutet, sich aber praktisch dazu noch kaum ausgelassen.
Nebenbei noch eine andere Sache, die damit zusammenhängt:
Es gibt aktuell ein merkwürdiges Narrativ, das den Schutzstatus des subsidiären Schutzes in der Öffentlichkeit irgendwie herabwürdigen soll, indem man merkwürdige Dinge darüber darstellt, wie beispielsweise, dass es sich ja um "gar kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht" handle. Besonders schlimm war das zuletzt bei Maischberger, als diese im Gespräch mit Scholz behauptet hatte, es handele sich nicht um einen Aufenthaltstitel, was schlichtweg falsch ist und von ihm nicht einmal korrigiert wurde. Aber daran merkt man, dass sich bereits selbst in informierteren Kreisen schon ein gewisses Bild etabliert hat, dass der subsidiäre Schutz irgendwie ja doch gar kein so richtiger Schutz sei.
Es ist aber überhaupt nicht ungewöhnlich, dass Aufenthaltstitel nicht dauerhaft sind. Im Gegenteil, das gilt sogar für die meisten Aufenthaltstitel. Selbst jede Aufenthaltserlaubnis einer Fachkraft, die nach Deutschland kommt, ist befristet und somit nicht dauerhaft. Erst im Laufe der Jahre kann man dann zu einem dauerhaften Aufenthaltsrecht kommen - das können aber subsidiär Geschützte unter den gleichen Voraussetzungen wie andere. Die sind also rechtlich nicht schlechter gestellt als viele andere Personen mit ganz anderen Aufenthaltserlaubnissen. Das jetzt nur für den subsidiären Schutz als abwertendes Argument zu verwenden, ist für mich extrem auffällig. Vor allem, weil im Wahlprogramm der Union nun sogar die komplette Abschaffung des subsidiären Schutzes steht (ja, nicht des Familiennachzugs, sondern des Status als solcher!). Das war übrigens laut Bundesamt für Verfassungsschutz vor etwa zehn Jahren noch ein Indikator für eine rechtsextreme Forderung. Erinnert sich noch jemand daran, wie wichtig der Union die Unterscheidung zwischen Wirtschaftsflüchtling und Bürgerkriegsflüchtling war? Nun ja. Das nennt man dann wohl erfolgreiche Diskursverschiebung.
Zumal beim subsidiären Schutz auch hinzukommt, dass die Ausländerbehörde eine solche Aufenthaltserlaubnis sogar so lange verlängern
muss, bis eine völlig andere Behörde (= Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) aktiv von sich aus tätig wird und die Entscheidung trifft, dass der Grund für die Flucht nicht mehr fortbesteht. Das ist das, was jetzt beispielsweise syrischen Staatsangehörigen durch das Ende des Krieges durchaus irgendwann passsieren könnte. Sie sind aber andererseits ein gutes Beispiel dafür, wie lange Personen mit subsidiärem Schutz häufig in Deutschland sind: sehr viele Jahre. Und häufig, zumindest wenn sie das wollen und beraten werden, können sie auf Antrag bereits lange vor dem Ende der Kriegssituation eben tatsächlich in ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht springen, weil sie u. a. arbeiten und integriert sind.