@Seth Caomhin
Ohne es jetzt konkret zu wissen, aber ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass vor 150 Jahren Menschen allein über die Möglichkeit einer Vergewaltigung eines Mannes ziemlich erheitert gewesen wären. Ich glaube, innerhalb des damaligen Männerbilds war das einfach außerhalb der Vorstellungskraft der meisten Menschen, dass ein Mann gegen seinen Willen mit Gewalt zum Sex genötigt wird - insbesondere wenn es auch heute noch bei erstaunlich vielen Menschen auf Verwunderung und Unverständnis stößt, dass auch Männer vergewaltigt werden. Und das wird der Grund gewesen sein, warum der Gesetzgeber damals bei der Schaffung des Paragraphen (er stammte aus dem Jahr 1872!) diesen Fall nicht explizit regelungsbedürftig fand - es fiel ja immer noch unter den allgemeinen Paragraphen, nur eben nicht in den spezielleren, schwerwiegenderen Paragraphen.
Grundgedanke für die schwerwiegendere Bestrafung von außerehelichem Sex gegen den Willen der Frau war sicherlich, dass aus Sicht des damaligen Gesetzgebers die Ehe unter besonderem Schutz steht und man diese durch Eingriffe von Vergewaltigern von außen daher besonders schützen wollte. Du stellst also eine falsche Kausalitätskette her, wenn du davon ausgehst, dass das Politikerhirn damit eine Bevorzugung bei Vergewaltigungen von Ehefrauen oder Männern schaffen wollte. Wäre das die Absicht gewesen, hätte er den Paragraphen systematisch anders konstruiert (etwa über eine Regelung von minderschweren Fällen). Erst einmal dachte sich also der Gesetzgeber, dass alle Fälle von Sex ohne gegenseitiges Einverständnis unter Nötigung fallen. Er missbilligte alle solche Fälle im Grundsatz erst einmal gleichermaßen und differenzierte nicht. Dann aber fand der Gesetzgeber doch, dass bestimmte Verhaltensweisen nach damaligen Moralvorstellungen stärker zu bestrafen sind als andere - nämlich aus damaliger Sicht das Nötigen einer Frau mit Gewalt zum außerehelichen Sex. Und für diesen besonderen Fall schuf er dann den speziellen, schwerwiegenderen Paragraphen der Vergewaltigung, der sich aus weiter oben genannten Gründen eben nur auf Frauen bezog. Unsere moderne Denkweise kann man jetzt nicht einfach ins Jahr 1872 transferieren, nur um dann zu präsentieren, welch moderner Mensch mit tollen Werten man doch selbst ist. Begriffe und Wertevorstellungen ändern sich eben und Dinge, die damals völlig selbstverständlich waren, sind es heute überhaupt gar nicht mehr. Deswegen ist nicht jeder davon ein Vergewaltigungsapologet - manche haben nur wegen der Strafbarkeit wegen Nötigung vermutlich nichtmal die Notwendigkeit einer Änderung gesehen, selbst 1997 offensichtlich noch nicht.
Ja, aus deiner und auch aus meiner Sicht ist die damalige Sicht rückständig und wir finden es beide gut, dass das geändert wurde. Dass es so lange gedauert hat, bis der Gesetzgeber dahingehend reagiert und sehr viele Fälle auch rechtlich gleichgestellt wurden, ist, und da stimme ich dir auch absolut zu, definitiv eine Schande. Hier hätte auf politischer Seite schon weitaus früher realisiert werden müssen, dass der alte Paragraph den vorherrschenden Wertevorstellungen schon lange nicht mehr entspricht und eine Ungerechtigkeit vorhanden ist, die dringend beseitigt werden musste.
Für mich ist diese Änderung somit nicht nur eine reine Neudefinition von Straftatbeständen, sondern ein recht erfolgreicher Versuch, um die Dunkelziffer solcher Verbrechen im privaten Rahmen der Ehe zu minimieren
Absolut, da würde ich auch gar nicht widersprechen. Ich sagte ja gar nicht, dass es nur eine Neudefinition war, sondern auch, dass der Strafrahmen erhöht wurde, womit es jetzt auch für eheliche Fälle vom Antrags- zum Offizialdelikt wurde. Durch die daraus erwachsene Pflicht der Staatsanwaltschaft, selbst ohne Strafantrag immer zu ermitteln, werden zum Glück nun auch diverse Fälle umfasst, die man vorher niemals ermitteln hätte können, weil sie bei Ehepartnern nunmal im familiären Kreis stattfinden. Das meinte ich damit, "wie hoch" es bestraft wird. Wo siehst du den Widerspruch? Denn das ist ja nicht das teils vorhandene Missverständnis, das für Erstaunen und Entsetzen sorgt, sondern dass es bis dahin überhaupt nicht unter Strafe stand. So hatte ich
@Sol s Beitrag nämlich interpretiert. Mir ging es ja primär darum, kurz aufzuzeigen, dass es nicht erst seit Jahr 1997 unter Strafe steht, seine Frau mit Gewalt zu Sex in der Ehe zu zwingen - dass es in der Praxis früher weitaus schwieriger war, dafür belangt zu werden, ist natürlich absolut richtig und dass das geändert wurde, ist in jedem Fall ein großer Wurf gewesen.