Es ist ein Unterschied, ob ich nur die Wahlbezirke betrachte, in der eine Wahlwiederholung stattgefunden hat oder die nun veränderten Zahlen für das ganze Land Berlin.
Da gibt es derzeit verdammt viel...Schmu. Manche vergleichen ganz Berlin, andere nur die Wahlbezirke. Manche vergleichen sie mit dem Wahlergebnis von 2017, andere dann wieder mit dem von 2021. Unter'm Strich kann man an sich nur festhalten, dass sich für die Zusammenstellung des Bundestages kaum etwas geändert hat. Das ist aber auch nicht verwunderlich, wenn man die Demographien der betroffenen Wahlbezirke kennt. Da leben zum Beispiel nicht wenige Beamte samt Anhang, die vom Status quo profitieren und daher schon aus Selbsterhaltungstrieb keinen Wechsel befürworten (im Großraum Berlin-Brandenburg kommt etwa ein Beamter auf fünf Bürger).
Berlin ist in vielerlei Hinsicht bis heute ein etwas anderer Kosmos auf dem politischen Parkett und nur schwer mit dem Rest der Republik zu vergleichen. Das liegt einerseits daran, dass es hier 12 Kommunalregierungen, eine Landesregierung, die Bundesregierung, diverse Bundesbehörden und daran anhängige NGOs, unzählige Lobbyverbände der Industrie etc. pp. auf engstem Raum gibt, deren Mitarbeiter hier ihren Wohnsitz haben und andererseits an der Deutschen Teilung. Gemäß den Besatzungsbedingungen (West-)Deutschlands durften in Berlin keine Deutschen Truppen stationiert sein. Entsprechend gab es in (West-)Berlin keine Wehrpflicht (dafür eine fast schon militarisierte Polizei, aber das ist ein anderes Thema und in Ost-Berlin...haben sich die Sowjets nicht wirklich darum geschert, woher die DDR ihr Kanonenfutter für Weltkrieg Nummer 3 herholt, aber das ist auch ein anderes Thema). Also ist vieles was sich als links- bis linksextrem bezeichnet hat über Generationen hin nach West-Berlin geströmt, um der Westdeutschen Wehrpflicht zu entgehen. Stichwort Antikriegsbewegung. Kann man jetzt gut oder schlecht finden, ich bewerte an der Stelle nicht. Und jetzt reden wir noch nicht einmal von der Vorkriegsgeschichte, wo Berlin etwa tendenziell rot gewählt hat, während weite Teile des Reiches eher braun marschiert sind und diese Tendenzen gehen sogar noch erheblich weiter zurück. - Es bleibt jedenfalls, dass auch das wiedervereinigte Berlin bis heute erheblich linker geprägt ist als alle anderen Regionen Deutschlands.
Wer erwartet hat, dass ein Rechtsruck in Deutschland oder auch nur ein Korrektivsignal gegen den Status quo von Berlin ausgehen könnte...der hat, mit Verlaub, einfach keine Ahnung.
Um mal den Bogen zurück zur Nachwahl zu spannen. Das ganze war meiner bescheidenen Meinung nach eine einzige Farce. Da wären das Wahllokal genannt, dass keinen Schlüssel zu dem Raum mit den Wahlunterlagen hatte und da daher erst verspätet mit der Wahl begonnen werden konnte. Dann der je nach Artikel mehr oder weniger betrunkene Wahlleiter und viel wichtiger noch: Es konnten gestern Leute mitwählen, die zum ursprünglichen Wahltermin vor Ort noch gar nicht stimmberechtigt haben, jetzt zwischenzeitlich aber in die Wahlkreise gezogen sind...deren Wahl ist jetzt also doppelt in das Wahlergebnis eingeflossen. Während wir auf der anderen Seite Leute haben, die seither aus den betroffenen Wahlkreisen weg gezogen sind, deren Stimme also weder jetzt noch zum ursprünglichen Wahltermin in das Wahlergebnis eingeflossen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu gesagt: "Passt schon."
Ist das jetzt besser als das Debakel davor? Ich will meinen, es ist mindestens genauso daneben und peinlich. Aber die UN Wahlbeobachter in ihren Büros in New York etc., die zuvor mahnend ihre Augenbrauen gehoben hatten, werden über derlei Details nicht stolpern. Damit hat diese Nachwahl ihren Zweck erfüllt und der Demokratie wurde erfolgreich genüge getan. Frohlocket also gefälligst!
Wer in meinem vorherigen Absatz Sarkasmus gefunden hat, darf ihn gerne behalten.