Meine Damen und Herren, die SPD wollte die Politik verwissenschaftlichen und die
Wissenschaft in die Politik tragen. Was ist daraus geworden? Daß sie den Aberglauben in die Politik getragen hat und daß sie selber ihre Partei in den Bereich des
Abergläubischen verwiesen hat. Ich erinnere mich noch der großen Attacken im
Deutschen Bundestag vor 30 Jahren — ich bin kein Archäologe in der Politik, aber
gelegentlich sind solche Erinnerungen doch wertvoll —, als man der damaligen
Regierung Adenauer mit dem Ressortminister Strauß, dem ersten Atomminister der
Bundesrepublik, die schwersten Vorwürfe machte, wir verschrieben uns nicht schnell
genug, nicht leidenschaftlich genug dem Einstieg in die Kernenergie.
Das war der Parteitag in München. — Zweite industrielle Revolution! Atomkraft bringt
die Befreiung! Atomkraft macht die Armen reich! Atomkraft bringt die Befreiung des
Arbeiters! Atomkraft ermöglicht den Sozialismus! Atomkraft ist die Losung der
Zukunft! Atomkraft bringt die Befreiung der armen Völker! Atomkraft bedeutet die
Zukunft der Menschheit!
Ich habe mich im Bundestag und in Versammlungen bei unzähligen Gelegenheiten
damit auseinandergesetzt. Mich hat Adenauer damals mit der Erforschung beauftragt, d.h. damit, die 1939 unterbrochene Forschungs- und Entwicklungstätigkeit auf
zivilem Gebiete wiederaufzunehmen. Wir haben heute gar keinen Grund, von der
Atomenergie so zu reden, als ob sie eine Teufelsenergie wäre, die durch einen
Fehler der Politiker in unser Leben getreten sei und die übermorgen, wenn nicht
schon morgen, abgeschafft werden könnte.
Ich habe mich sowohl aus meiner damaligen Tätigkeit heraus wie auch jetzt mit
Wackersdorf und dem Ausbau der Nutzung der Kernenergie in Bayern aus gutem
Grunde gründlich mit diesem Problem befaßt. Dazu kann ich in einigen wenigen
Punkten zusammengefaßt nur sagen; Die Atomkraft ist jetzt und in vorausschaubarer
Zukunft durch keine andere Energieart verantwortlich zu ersetzen.
(Beifall)
Die einzige Ersatzenergie ist die vermehrte Verbrennung fossiler Energieträger, von
Kohle und Öl, mit den Folgen, vor denen die Physikalische Gesellschaft vor wenigen
Wochen — ich bitte die Denkschrift nachzulesen — gewarnt hat. Sie schreibt darin,
daß die Vermehrung der Verbrennung ein Verbrechen an der Menschheit wäre. Mit
Abstand mißt man der Verbrennung der Kohle die größere Gefahr bei als der
Kernenergie mit all ihren Möglichkeiten, wie sie bei uns bestehen.
Eine Ablösungsenergie ist die Fusionsenergie — wenn nicht ein Wunder geschieht
— nicht vor dem dritten, vierten oder fünften Jahrzehnt des nächsten Jahrhunderts.
Die Gewinnung der Fusionsenergie, d.h. der Energie, die durch die Verschmelzung
zweier Wasserstoffkerne zu einem Atom gewonnen wird, bringt neue radioaktive
Probleme. Dieselben Leute werden wiederkommen und genau dasselbe Klagelied
wieder anstimmen. Wir müssen die Technik beherrschbar machen. Das ist das
Wesentliche daran.
Dann gibt es die Solar- und Wasserstofftechnik. Hier bemühen wir uns. Wir haben
mehrere Forschungsinstitute. Ich habe seinerzeit das Forschungsinstitut der MaxPlanck-Gesellschaft in Garching begründet, das Institut für Plasmaphysik. Es sollte
die Verschmelzungsenergie erforschen. Viele Jahre, bevor der erste Reaktor gebaut
und in Dienst gestellt wurde, haben wir mit der Erforschung der Nachfolgeenergie
begonnen. Die Schätzung der Wissenschaftler damals lautete: 1980 Erfolge im
Labor, 2000 Erfolge in der Großtechnik. Wie steht es heute? Schätzung der Wissenschaftler: Laborergebnis nicht vor 2000, großtechnische Anwendung nicht vor 2030,
vielleicht auch erst 2050.
Das sagen alle verantwortlichen Wissenschaftler. Wir halten uns immer noch an die
Wissenschaftler; die SPD hält sich an die Gegenwissenschaftler. Das meine ich
sehr, sehr ernst. Denn seit einigen Jahren ist der Unfug hochgekommen, daß
ernsthaft begründete Wissenschaft nicht mehr zum Gegenstand der eigenen Überlegungen gemacht wird, sondern daß eine gesellschaftspolitisch motivierte Gegenwissenschaft angebetet wird. Die Gegenwissenschaft behauptet, daß die normale
Wissenschaft der etablierten Gesellschaft dient und deshalb jede wissenschaftliche
These der Veränderung der Gesellschaft dienen muß. Ob sie richtig oder falsch ist,
spielt dabei keine Rolle.
Die Solar-Wasserstoff-Technik ist in Deutschland zur Zeit technisch nicht möglich.
Man muß mehr hineinstecken als herauskommt. Das große Projekt läuft in SaudiArabien. Ein kleines Projekt beginnt jetzt bei uns in der Oberpfalz zu laufen.
Ausgehend von der Chance, daß Wasserstoff ökonomisch günstig gewonnen werden kann, daß er betriebssicher gemacht und transportiert werden kann, hat das
Hearing in der Staatskanzlei, zu dem wir über zwanzig führende Wissenschaftler
Europas eingeladen haben - keine Gegenwissenschaftler, sondern echte Wissenschaftler—, ergeben: Vor dem Jahre 2050 dürfe man sich nicht auf eine Verwertung
im großtechnischen Maßstab verlassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch sagen:
Wir sind — wir in Bayern im kleinen Rahmen, wir in der Bundesrepublik im großen
Rahmen — das halbe Deutschland. Das Deutsche Reich hatte bis 1918 540 000
Quadratkilometer. Die Weimarer Republik hatte 450 000 Quadratkilometer als
Ergebnis von Versailles nach dem Ersten Weltkrieg. Heute sind wir dreigeteilt: die
Gebiete jenseits der Oder und Neiße unter polnischer und russischer Venwaltung mit
ihren besonderen Schicksalen, die DDR mit ihren über 100 000 Quadratkilometern,
die Bundesrepublik mit 250 000 Quadratkilometern und so vielen Einwohnern, wie
das Deutsche Reich in den 20er Jahren hatte, in denen ich aufgewachsen bin.
Damals waren 140 Menschen auf einem Quadratkilometer, heute sind es 250. Das
sind keine Fellachen, die mit einer Handvoll Reis zufrieden sind. Das sind keine
Nomaden, die in Zelten zu leben bereit sind. Das sind hochkultivierte, hochzivilisierte
Bürger. Die haben sich aus dem Dreck, dem Schutt und dem Rauch, aus den Tränen
und dem Blut des Zweiten Weltkriegs emporgearbeitet. Sie haben hohe Lebensverhältnisse erwirtschaftet. Sie wollen diese hohen Lebensverhältnisse für sich sichern
und ausbauen, im Alter soziale Sicherheit haben und der Jugend einen Ausblick in
die Zukunft geben.
Meine Damen und Herren, das ist nur möglich, wenn wir in der Spitzengruppe der
Industrienationen, in der jeweiligen Vorhut des wissenschaftlich-technischen Fortschritts beheimatet sind und beheimatet bleiben. Nur so ist das möglich.
(Beifall)
Deshalb habe ich die Wahl vom Januar 1987 nicht eine Richtungswahl, sondern eine
Schicksalswahl genannt. Wenn die Verantwortung für die Geschicke der Bundesrepublik zu einer wirtschaftlichen Mittelmacht bedeutenden Ausmaßes, einer militärisch unentbehrlichen Größenordnung im atlantischen Gefüge und im europäischen
Gleichgewicht nicht politisch mit steigender Kraft ausgestattet ist, wenn diese Bundesrepublik Deutschland einen fundamentalen Wandel in Richtung Rot/Grün vollziehen würde, dann wäre unsere Arbeit der letzten vierzig Jahre umsonst gewesen,
dann wäre das Schicksal der Lebenden ungewiß, und die Zukunft der kommenden
Generationen würde auf dem Spiele stehen.
Das ist es, was wir unseren Wählern sagen müssen. Das geht weit über kleinliche
Mäkeleien in der Steuerpolitik, in der Finanzpolitik, in der Umweltschutzpolitik und in
welchen politischen Bereichen auch immer hinaus. Das ist eine historische Weichenstellung, so bedeutend wie 1949. Die Niederlage der SPD in 1949 war ein Glücksfall
für Deutschland in seinem freien Teil.
(Beifall)
Adenauer hat im Mai 1957 bei einer großen Wahlkundgebung in Nürnberg, als wir
Aussicht hatten, eine große absolute Mehrheit zu erringen, und sie auch errungen
haben, gesagt, die SPD wäre der Untergang Deutschlands. Er wurde daraufhin
Opfer ungezählter Angriffe, auch aus den eigenen Reihen. Man meinte, es sei wohl
übertrieben, die SPD derartig anzugreifen und derartig in Zweifel zu ziehen. Vielleicht
war es damals so übertrieben. Vielleicht hat er holzschnittartig gezeichnet. Aber
sollen wir heute, meine Damen und Herren, dieses Deutschland einer Kombination
von Rau + x, Rau + 0 oder 0 + 0 überlassen, dem Zufall überlassen,
(Beifall)
phantastischen Utopien überlassen? Wir stehen vor der Entscheidung; Bleiben wir
auf dem Boden trockener, spröder, notfalls langweiliger bürgerlicher Vernunft und
ihrer Tugenden, oder steigen wir in das prunkgeschmückte Narrenschiff Utopia ein,
in dem dann ein Grüner und zwei Rote die Rolle der Faschingskommandanten
übernehmen würden?
(Beifall)
Hier eine klare Entscheidung herbeizuführen, sind wir unseren Bürgern und unserer
Jugend schuldig, sind wir aber auch der Glaubwürdigkeit Deutschlands bei unseren
Nachbarn aller vier Himmelsrichtungen schuldig.
Ich danke Ihnen für die Geduld, mit der Sie mich angehört haben.
(Lang anhaltender lebhafter Beifall)