[Weltraum (Imperium) | Hyperraum | Zwischen Bastion und Coruscant | Frachtschiff ›Silver Starlet‹] Chiffith mit Keshi Quiss (NPC)
Jedenfalls war das Frachtschiff (es hieß ›Silver Starlet‹, wie Chiffith mittlerweile wusste, obwohl er nicht danach gefragt hatte) keines der schnellsten seiner Art. Der Flug dauerte schon länger, als er geglaubt hatte, und eine Nachfrage bei der Pilotin brachte die Erkenntnis, dass sie erst einen Bruchteil der Strecke geschafft hatten. Jedenfalls musste dieses so genannte Coruscant ziemlich weit weg sein von Bastion.
Chiffith hatte schon mehrere Planeten besucht und war dementsprechend schon mehrfach durch den Hyperraum gereist. Jedes Mal war es fast unerträglich langweilig gewesen. Seine Instinkte und Gewohnheiten trieben ihn zur Aktivität; einfach nur herum zu sitzen und zu warten, entsprach nicht seinem Wesen und quälte ihn regelrecht. Da er sich an Bord eines Raumschiffs in keiner Weise nützlich machen konnte und keine Hobbies oder Freizeitbeschäftigungen hatte, war er zur Tatenlosigkeit verdammt. Nur seiner Selbstbeherrschung war es zu verdanken, dass er in so einer Situation nicht vor lauter Langeweile ausrastete und in einem Anfall von Jähzorn etwas (oder jemanden) kaputt machte.
Dieser Flug war jedoch in zweierlei Hinsicht anders als vorangegangene Reisen.
Einerseits hatte Chiffith nun endlich etwas zu tun. Er dachte nach - eine recht ungewöhnliche Tätigkeit für ihn. Die Worte von Lo-Tsodnuth und dem menschlichen Sith, das Verhalten der anderen Jüger und seine Eindrücke im Sith-Tempel hatten ihm viele Rätsel aufgegeben, über die es sich nachzudenken lohnte. Er spürte, dass noch viele Weisheiten in diesen Erfahrungen verborgen lagen; bloß war er bisher nicht in der Lage, sie sich nutzbar zu machen. Vorher musste er noch viel lernen und verstehen. So hatte er, erstmals bei einer Hyperraumreise, eine Beschäftigung, auch wenn es sich um eine rein geistige handelte.
Andererseit aber fehlte es ihm diesmal an der Ruhe, die er bisher zur Genüge gehabt hatte. Frühere Flüge hatte er versteckt in Frachträumen oder eingemietet in Einzelkabinen zugebracht. Hier jedoch hatte er keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen, da er fest entschlossen war, nicht von der Seite der Container zu weichen. Das setzte ihn einem Ärgernis aus, von dem er früher verschont geblieben war: Der Schwatzhaftigkeit seiner Mitreisenden.
In diesem Fall war außer ihm nur ein einziges lebendes Wesen an Bord: Die chadra-fanische Pilotin Keshi Quiss. Zu seinem Leidwesen genügte ihr Mitteilungsbedürfnis aber für ein Dutzend ihrer Art, und da sonst niemand an Bord war außer einigen wenig gesprächigen Droiden, richtete es sich mit geballter Macht auf Chiffith. Das stellte die eigentliche Prüfung für seine Geduld und Selbstbeherrschung dar: die Eintönigkeit des Hyperraums und anstrengende geistige Arbeit waren paradiesisch dagegen. Im Grunde schwieg Keshi Quiss nur, um zu schlafen, zu essen und gelegentlich die Instrumente oder die Frachtbefestigung zu kontrollieren. Von diesen seltenen Augenblicken der Ruhe abgesehen, nahm ihr Redeschwall kein Ende.
Gerade jetzt aß sie, was sie in ihrem Quartier oder im Cockpit zu tun pflegte. Auch Chiffith hatte etwas zu essen erhalten. Die Rationen der ›Silver Starlet‹ waren reichlich und nahrhaft, aber sie entsprachen nicht sienen Essgewohnheiten und befriedigten ihn nicht. Der Jäger sehnte sich nach frischem, blutigem Fleisch, nach selbst geschlagener Beute, die soeben erst ihr Leben aushauchte. Schon mehrfach war ihm in den Sinn gekommen, diese Gelüste mit der Tötung der Pilotin zu befriedigen. Doch Chiffith mochte noch so unzivilisiert sein, ganz bescheuert war er nicht. Ihm war natürlich klar, dass er die Chadra-Fan brauchte; auf den Pilotendroiden allein wollte er sich nicht verlassen. Droiden traute er im Allgemeinen nicht über den Weg. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu beherrschen und das beste aus der Situation zu machen.
Chiffith hatte seine Mahlzeit so schnell wie möglich herunter gewürgt. Die Pilotin ließ sich normalerweise mehr Zeit mit dem Essen. Das verschaffte ihm einige Minuten Ruhe, um sich mit sich selbst und der Macht zu befassen. Der Jünger hatte nicht vor, den Rest seines Lebens mit Aufgaben wie diesem Botengang zu verbringen, sondern er wollte nach wie vor eine Ausbildung zum Sith erfahren. Dementsprechend musste er sein Wissen über die Macht erweitern und sie zu nutzen lernen. Die Schriften aus dem Archiv hätten ihm dabei helfen können, doch erstens war Lesen nicht gerade seine Stärke, zweitens wusste er nicht, wie er den gepanzerten Container öffnen könnte. Also musste er sich seine eigenen Gedanken machen.
Der Lamproid hatte seinen wurmartigen Körper vor einer Kiste zusammengerollt, auf die er einen Becher gestellt hatte. Sein Oberkörper war aufgerichtet und der Kopf auf einer Höhe mit dem Becher. Seit einigen Minuten versuchte er, einen kleinen Schub von Macht zu erzeugen, wie er es im Trainingsraum 0405 getan hatte. Sein Ziel war es, den Becher von der Kiste zu stoßen, oder ihn zumindest zu bewegen. Vor einigen Stunden war es ihm einmal gelungen, das Gefäß zumindest umzukippen, worauf er sehr stolz gewesen war, doch seither vermochte er den kleinen Erfolg nicht zu wiederholen. Er starrte das störrische Ding an, erforschte es mit seinen Augenstielen, den Wärmerezeptoren, dem Geruchssinn. Er kannte mittlerweile jeden Kratzer und jede Unebenheit in dem alten, abgenutzten Kunststoffbecher auswendig. Doch das brachte ihn nicht weiter.
Wie hatte er es gemacht? Wie war es ihm auf Bastion gelungen, die ihm innewohnende Macht zu mobilisieren, zu steuern und zu benutzen? Was war anders gewesen? Und vor allem: Was war vorhin anders gewesen? Auf Bastion, daran erinnerte er sich sehr genau, war Chiffith sehr aufgebracht gewesen. Furcht und Unsicherheit hatten Wut in ihm geschürt und diese hatte ihm Zugang zur Macht gewährt. Nun war das einzige, was ihn wütend machte, sein Misserfolg, und diese Art von Frust schien seine Kräfte nicht zu beflügeln.
Chiffith versuchte es noch einmal. Er konzentrierte sich gleichzeitig auf den Becher und auf sein Innerstes. Er versuchte, die Quelle der Kraft zu finden, den Teil seines Geistes oder seiner Seele, in dem sie glomm. Es war alles vorhanden, das wusste er, aber er kam nicht heran. Noch einmal blickte er starr auf das Trinkgefäß. Er hielt den Atem an und konzentrierte seinen ganzen Willen darauf, das verdammte Ding zu bewegen. Er stellte sich vor, wie es zu wackeln begann, dann von der Stelle rutschte, und schließlich davonflog, in Richtung der Wand, wo es in tausend Stücke zerbrach. Das wäre ihm sehr recht gewesen. Nur leider zeigten ihm seine Sinnesorgane, dass dieser Wunsch nicht Wirklichkeit werden wollte.
Es kostete ihn viel Überwindung, den Becher nicht einfach mit einem Schwanzhieb zu zertrümmern, sondern ruhig zu bleiben und es noch einmal zu versuchen: Wieder konzentrierte er sich. Wieder richtete er seinen Blick auf sein Innerstes, suchte nach dem schwarzen Funke, der auf Bastion kurz aufgelodert hatte und auch gestern einmal, auch wenn er nicht wusste, wie er es angestellt hatte. Er tastete im Geiste vorsichtig nach dem Becher, versuchte, ihn vollständig in den Fokus seiner Wahrnehmung sowie seiner Vorstellung zu nehmen. Der Becher, so schien es ihm, begann zu vibrieren. Und dann...
...dann glitt die Tür zum Cockpit auf, und mit schriller Stimme rief Keshi Quiss:
»Hat's geschmeckt, Chiffith?«
Das war genug! Mehr als genug! Chiffiths Geduld war vollends erschöpft. In diesem Augenblick hatte die Pilotin ihr Todesurteil unterzeichnet! Eigentlich war sie schon tot, sie wusste es nur noch nicht! Der Jäger war schnell genug, um sie zu erreichen und in Stücke zu reißen, bevor sie seinen Namen zu Ende gesprochen hatte. Er wandte sich zu der Chadra-Fan um, spannte seine Muskeln an und schnellte nach vorne. Er sah ihr ahnungsloses Gesicht näher kommen; ihr Rückenmark hatte keine Zeit, die Information, dass Gefahr im Verzug war, zu verarbeiten und eine Ausweichreaktion herbeizuführen. Ruckartig zogen sich alle Muskeln seines Schwanzes zusammen, der Stachel schnellte nach vorne. Er zielte auf die Brust der Pilotin.
Beide Wesen, sowohl die Chadra-Fan als auch der Lamproid, blickten verdutzt auf den Plastikbecher, der von Keshis Brust abgeprallt war und nun über den Boden rollte. Mit großem Erstaunen stellte Chiffith fest, dass er noch immer vor der Frachtkiste kauerte; angespannt und sprungbereit zwar, doch der Angriff war nie erfolgt. Die Aktion, die eigentlich sein Körper durchführen sollte, hatte stattdessen sein Geist vollführt. Und obwohl er sich der Pilotin nicht genähert hatte, hatte sich seine Perspektive verändert, so als wäre er wirklich gesprungen - oder als würde er die Umwelt aus der Perspektive des Trinkgefäßes wahrnehmen.
»Du... du hast den Becher gar nicht angefasst, oder?« murmelte die Pilotin. Von einem tatsächlichen Angriff hätte sie nicht entsetzer sein können.
»Scheint so«, knurrte Chiffith, der ebenfalls überrascht war.
Ein paar Sekunden schwiegen sie. Dann fand Keshi Quiss zu alter Form zurück. Offenbar war ihr nicht klar, dass sie gerade knapp dem Tode entronnen war, und selbst wenn, hätte sie dies wahrscheinlich nicht abgehalten, weiterzuplappern.
»Puh, das war schräg. Und unerwartet. Ich habe noch nie gesehen, wie jemand so etwas macht... das war die Macht, oder? Ich fliege seit sechs Jahren für die Sith und habe auch schon eine Menge über die Jedi gehört, aber ehrlich gesagt habe ich ihre mysteriösen Zauberkräfte immer für Aberglaube und faule Tricks gehalten. Die Galaxis steckt eben voller Überraschungen! Du bist also ein Sith? ...oder willst einer werden, ja?«
Chiffith nickte. Er hatte bereits gelernt, dass völliges Ignorieren der Pilotin nur dazu führte, dass sie ihre Fragen mehrfach wiederholte, was die Tortur ihres Geplappers nur in die Länge zog.
»Du musst mir alles darüber erzählen!« rief Keshi Quiss.
»Nein. Das geht dich nichts an. Frag mich nicht wieder nach meinen Angelegenheiten, verstanden? Wenn du schon die ganze Zeit reden musst, dann zeig mir lieber, wie man das Schiff fliegt.«
Die Chadra-Fan wunderte sich über dieses Anliegen, kam ihm aber gerne nach. Sie schickte den Droiden aus dem Cockpit, damit Chiffith Platz fand; auch wenn der Copilotensitz für seinen nichthumanoiden Körperbau völlig ungeeignet war. In einem nicht enden wollenden Redeschwall, dem Chiffith zu ihrer Freude mit einigen Kommentaren und Zwischenfragen immer wieder Nahrung gab, versuchte sie, ihm die Funktion der verschiedenen Instrumente zu erklären. Sie ahnte nicht, welche Hintergedanken der Lamproid verfolgte: Er wollte möglichst viel über das Raumschiff wissen, damit er sich selbst helfen konnte, falls er in einem schwachen Moment doch noch beschloss, Keshi Quiss zu zerreißen.
Leider musste er schnell erkennen, dass man in so kurzer Zeit und ohne praktische Übung unmöglich lernen konnte, ein Raumschiff zu lenken, sollte es auch noch so benutzerfreundlich sein (was für die ›Silver Starlet‹ nur begrenzt galt). Vor allem das völlige Fehlen von Erfahrung im Umgang mit anderen technischen Geräten oder einer Vorstellung, nach welchen physikalischen und metaphysikalischen Prinzipien das Schiff überhaupt funktionierte, beschränkte seinen Lernfortschritt auf ein Minimum. So blieb die Chadra-Fan dann doch am Leben. Bis sie Coruscant erreichten, hörte Chiffith ihr so geduldig und aufmerksam zu, wie er nur konnte; und wann immer sie ihm die Ruhe dazu ließ, widmete er sich seinen schlichten Studien der Macht. Beides machte den Flug nicht unbedingt angenehmer, aber jedenfalls etwas kurzweiliger.
Noch einmal kippte der Becher, ein andermal wurde er von der Kiste gestoßen. Dann endete der Hyperraumflug und vor den Sichtfenstern des Cockpits erschien die schwarze, von gelben, orangenen und weißen Lichtern bedeckte Nachtseite von Coruscant.
»Wir sind da«, sagte Keshi. »Die Zeit verging wie im Fluge, findest du nicht auch?«
Chiffith würdigte diese Frage keiner Antwort. Er war erleichtert, dass es endlich, endlich vorbei war. Noch einmal wurde seine Geduld jedoch auf eine harte Probe gestellt, denn es dauerte fast eine Stunde, bis die ›Silver Starlet‹ die Genehmigung zum Anflug auf den Planeten erhielt und einen Luftkorridor zugewiesen bekam, und weitere zwei, bis alle Formalitäten in Bezug auf Fracht und Passagiere beendet waren; laut Keshi Quiss eine bemerkenswert schnelle Abfertigung, die sie den Legitimationen durch den Sith-Orden verdankten. Chiffith fehlte die Phantasie, um sich noch aufwendigere bürokratische Prozeduren auszumalen, die ihnen andernfalls gedroht hätten.
Endlich - der Ablug von Bastion schien schon ein Jahr zurückzuliegen - setzte der Lamproid seine sechs klauenbewehrten Glieder auf die Oberfläche dieses merkwürdigen Planeten namens Coruscant. Er sog die Luft ein; sie roch leicht nach Ruß und Metall, außerdem nach den Fährten von unzähligen Wesenheiten, jedoch kein Bisschen nach Humus und Vegetation. Eine sehr ungewöhnliche Welt; aber reich an Beute. Keshi Quiss hatte sich darum gekümmert, Darth Draconis zu informieren, dass seine Waren angekommen waren. Chiffith hoffte inständig, dass der Sith bald kam und er die Güter ohne weitere Umschweife übergeben konnte. Gleich anschließend, das nahm er sich vor, würde er in dieser bizarren Landschaft aus Stahl, Glas und Beton auf die Jagd gehen!
[Coruscant | Raumhafen | Frachtschiff ›Silver Starlet‹] Chiffith mit Keshi Quiss (NPC)
[OP:] Weiter im Thema Coruscant