Das Waisenhaus
Laura (Belén Rueda) lebt mit ihrem Mann Carlos (Fernando Cayo) und Adoptivsohn Simón (Roger Príncep) in jenem Waisenhaus, in dem sie ihre Kindheit verbracht hat. Das Ehepaar plant, es wieder in Betrieb zu nehmen und behinderte, verwaiste Kinder dort zu beherbergen - damit soll Simón auch echte Freunde bekommen, sodass er von seinen imaginären Freunden, von denen er immer wieder erzählt, ablassen kann. Am Tag der geplanten Wiedereröffnung verschwindet Simón jedoch spurlos, gleichzeitig nehmen nicht erklärbare, übernatürlich erscheinende Ereignisse Einzug ins Haus. Laura, in der festen Überzeugung, dass ihr Adoptivsohn noch lebt, will nichts unversucht lassen, ihn zu finden...
Wer hier einen typischen Horrorfilm erwartet, wird sich wundern, denn das ist der spanische Film "Das Waisenhaus" nicht. Genretypische Mittel wie Jumpscares oder CGI-Fratzen oder gar Blut-und Splatterexzesse wird man hier (größtenteils) vergeblich suchen, vielmehr handelt es sich bei diesem Film um eine Art Mystery-Thriller mit Dramenanteil - und als diese Mixtur funktioniert er glücklicherweise gut. Eine durchaus unheimliche Grundstimmung zieht sich sehr wohl durch den Film und verleiht ihm eine düstere Atmosphäre, auf wirkliche Schockmomente verzichtet man jedoch weitgehend. Deutlich mehr im Vordergrund stehen Spannung, die die Suche nach dem verlorenen Simón auch durch die eine oder andere Wendung immer wieder mit sich bringt, Emotionen und der Umgang mit dem Übernatürlichen - und gerade in dieser Hinsicht lässt der Film verschiedene Schlüsse zu, lädt öfter zur Interpretation ein und etabliert keine ganz eindeutige Sichtweise, obgleich das zunächst so scheinen mag. Gerade das gut gelungene Ende, das sich auf mehrere Weisen deuten lässt, fällt dabei positiv auf, es bringt den Film einerseits zufriedenstellend zu einem Abschluss, lässt andererseits aber auch noch genug Spielraum für Interpretation und bleibt somit noch eine ganze Weile nach Filmende im Kopf.
An einigen Stellen nimmt sich der Film leider selbst den Wind etwas aus den Segeln, nämlich dann, wenn er sich von seiner Bodenständigkeit abhebt und zu sehr versucht, dann doch ein echter Horrorstreifen zu sein. Das stört mitunter etwas, kommt zum Glück jedoch nur vereinzelt vor. Insgesamt daher sehr gelungen und nicht so bekannt, wie der Film es verdient hätte.
Memento
Leonard (Guy Pearce) leidet unter einem Defizit, aufgrund dessen sich sein Gedächtnis nach kurzer Zeit immer wieder löscht. An eine Sache kann er sich jedoch noch genau erinnern: An den Einbruch in sein Haus, bei dem seine Frau vergewaltigt und ermordet, er selbst verletzt worden ist. Alles, was danach passierte und passiert, vergisst er nach kurzer Zeit wieder. Das erschwert die Suche nach dem Mörder, den er dennoch finden und bestrafen will. Notizzettel und Tätowierungen mit wichtigen Hinweisen, die er so aufbewahren kann, sollen helfen, das Rätsel zu lösen...
Es kommt nicht oft vor, dass man sich einen Film zum ersten Mal ansieht und darin gleich einen Film entdeckt, den man in die Liste seiner Lieblingsfilme aufnehmen würde. Bei mir war "Memento" allerdings genau so ein Fall, Tage nach der Sichtung bin ich noch immer hin und weg. Ein sensationeller Film, der sich auf Anhieb ins Gedächtnis brennt und dort im Gegensatz zu Leonards Erinnerungen verweilt (welch bittere Ironie). Besonders einzigartig macht den Film seine unkonventionelle Erzählweise: Die Haupthandlung wird nämlich von hinten aufgezogen, wir bekommen in der ersten Szene das eigentliche Ende der Handlung zu sehen und dann arbeitet sich der Film von hinten nach vorne durch. Parallel dazu verläuft ein weiterer Handlungsstrang, in Schwarz-Weiß gehalten, der chronologisch abläuft. Im Fokus steht jedoch die umgekehrt erzählte Handlung und wer meint, dass das Vorweg nehmen des Endes die Spannung irgendwie herausnimmt, der irrt ganz gewaltig. Schließlich wollen wir als Zuschauer nicht nur wissen, wie es nun dazu kam, uns ist auch sofort klar, dass das nicht die wirkliche Auflösung der sich einfach lesenden, aber doch sehr komplexen Geschichte ist. "Memento" ist ein Film, in dem nur wenig so ist, wie es scheint. Eigentlich eindeutig wirkende Geschehnisse erhalten in der nächsten (und eben davor spielenden) Szene einen Hintergrund, der alles immer wieder in ein anderes Licht stellt - alles und auch jeden, denn auch die anderen wenigen in der Handlung eine große Rolle spielenden Figuren bleiben undurchsichtig und werden immer unterschiedlich präsentiert. Unheimlich macht sie zudem, dass sie allesamt stets mehr wissen als unser Protagonist Leonard, mit dem wir uns durchaus identifizieren können, denn der Film schafft es auf diese Art und Weise, uns Zuschauer genau so im Dunkeln zu tappen und in Unkenntnis zu lassen wie ihn.
"Memento" schafft es, bestens zu unterhalten und kommt dabei ohne großartig spektakuläre Szenen aus. Dennoch wird eine teils nicht auszuhaltende Spannung installiert, weil man als Zuschauer sich schon beinahe danach verzehrt, in jeder neuen Szene ein wenig mehr zu erfahren, ein neues Teil des Puzzles erkennen zu können. Wie man sich denken kann, fügen sich die beiden sich entgegenkommenden Handlungsstränge im Höhepunkt des Films zusammen und als wäre dieser bis dahin nicht schon mitreißend genug gewesen, wartet das Ende mit einem genialen Plot-Twist auf, der noch einmal alles umkrempelt und gemeinsam mit der ersten und chronologisch letzten Szene des Films ein stimmiges Ende bildet. Der Film verlangt dem Zuschauer schon einiges an Aufmerksamkeit und Konzentration ab, Aufpassen lohnt sich aber in jedem Fall, denn dann wird man mit einem intelligenten, mitreißenden und immer wieder überraschenden Thriller belohnt. Wirklich großartig!
Sieben
Die ungleichen Cops Will Somerset (Morgan Freeman) und David Mills (Brad Pitt) werden mit einem ungewöhnlichen Todesfalls konfrontiert. Schnell wird klar, dass es sich dabei um Mord handelt. Als wenig später eine zweite Leiche gefunden wird, erkennt Somerset einen Zusammenhang zwischen den bizarren Vorfällen: Der Täter mordet auf Grundlage der sogenannten Todsünden. Derer gibt es sieben, sodass Somerset und Mills alles daran setzen müssen, fünf weitere Morde zu verhindern...
Wo wir gerade beim Thema Lieblingsfilme waren... Ich sah diesen Film heute nicht zum ersten und gewiss auch nicht zum letzten Mal. Bei "Sieben" handelt es sich um einen meiner absoluten Favoriten, der mich jedes Mal erneut packt. Dabei ist es nicht nur die Story um eine bizarre Mordserie, die am Ende in ein wahrhaft albtraumhaftes Szenario mündet, sondern auch oder vor allem die unglaubliche Atmosphäre. "Sieben" zeichnet ein deutlich negatives Welt- und Menschenbild, das in erster Linie der gealterte und gewissermaßen resignierte Detective Somerset an den Zuschauer vermittelt. Passend dazu etabliert der Film von Anfang an kalte Bilder und wirkt grundlegend dunkel und hoffnungslos. Da wirkt der gelegentlich durchaus aufblitzende Humor nicht störend, sondern befreiend, bis der nächste tiefe Abgrund offenbart wird. Die Zusammensetzung der beiden Hauptcharaktere, zwei unterschiedliche Polizisten, die sich anfangs nicht leiden können und auch im späteren Verlauf des Films immer wieder aneinandergeraten, mag etwas klischeehaft wirken, ergibt im Zusammenhang mit der Erzählung aber Durchaus Sinn. Der deutlich jüngere, einerseits sehr impulsive, doch als Gegenpart zu Somerset mit einer deutlich positiveren Weltanschauung ausgestattete Mills macht einen großen und wichtigen Teil des Films aus und die Gefahr, dass sein bejahendes und positives Weltbild in seinen Grundfesten erschüttert wird und in sich zusammenbricht, ist groß. Über die hervorragende Leistung beider Hauptdarsteller Morgan Freeman und Brad Pitt muss nicht viel gesagt werden, außer, dass die Figuren dadurch noch lebendiger, greifbarer und besser nachvollziehbar werden.
"Sieben" ist ein atmosphärisch dichter, stilvoller, finsterer, hoffnungsloser Krimi-Thriller, der tief in die Abgründe des Menschen blickt, morbide und schonungslose Bilder liefert und darüber hinaus mit einem der wohl besten Enden in der Filmgeschichte ausgestattet ist. Kein Twist, der den gesamten Film noch einmal umkrempelt, aber... nun ja, seht selbst, falls ihr das noch nicht getan habt. Jedes Mal erneut packend und zudem verleiht es der zwar ungewöhnlichen, zunächst aber doch simpel erscheinenden Mordserie eine neue Komplexität, die sich mir persönlich auch erst durch mehrmaliges Ansehen des Films vollständig erschlossen hat. Was Regisseur David Fincher anno 1995 hier geleistet hat, ist in jeder Hinsicht herausragend und schafft es auch nach mehrmaligen Wiederholungen, den Zuschauer noch immer in seinen finsteren Sog zu ziehen. Grandioses Meisterwerk!