@SamRockwell Ein guter Beitrag zu einem wichtigen Ereignis in der neueren europäischen Geschichte.
Ein paar Ergänzungen meinerseits:
Die Türkei war zusammen mit Griechenland und dem Vereinigten Königreich seit dem Londoner Vertrag von 1960 eine Garantiemacht für die Anerkennung und Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit, der territorialen Unversehrtheit und der Sicherheit der Republik Zypern. Ihre ursprüngliche Intervention, die von türkischer Seite als
Operation Attila I oder "Zyprische Friedensoperation" bezeichnet wurde, war daher zunächst international als im Einklang mit dem Völkerrecht akzeptiert worden. Gespräche über ein gemeinsames militärisches Vorgehen mit dem Vereinigten Königreich im Vorfeld der türkischen Invasion waren ergebnislos geblieben, da die britische Regierung sich zu einem direkten militärischen Eingreifen nicht entschließen konnte (unter anderem verfügte die Regierung Wilson im Parlament nicht über eine Mehrheit). Den Putsch gegen Makarios III. hatte die britische Seite allerdings deutlich missbilligt, die Verschwörer öffentlich kritisiert und dem Präsidenten und Erzbischof über die britischen Stützpunkte Akrotiri und Dekelia die Flucht von der Insel in einem britischen Militärhubschrauber ermöglicht, so dass er sich an den UN-Sicherheitsrat wenden konnte und von London aus handlungsfähig blieb. Dies trug maßgeblich dazu bei, dass Makarios III. wieder in Amt und Würden eingesetzt wurde.
Nach der Wiedereinsetzung des von den zypriotischen Putschisten aufgelösten Parlaments, der Rückkehr von Makarios III., dem Zusammenbruch der griechischen Militärdiktatur und der Wiederherstellung der Demokratie wurde von türkischer Seite bei den Friedensgesprächen in Genf jedoch die Forderung erhoben, einen Bundesstaat nach türkischen Vorstellungen zu schaffen und die Bevölkerung umzusiedeln, was ebenfalls eine Verletzung des Londoner Vertrags dargestellt hätte. Die zypriotische Seite bat um Bedenkzeit, die ihr jedoch von türkischer Seite verwehrt wurde.
Am 14. August begann die
Operation Attila II. Türkische Truppen besetzen ca. 40 % der Insel und vertrieben ca. 160.00 griechische Zyprioten aus dem wirtschaftlich und strategisch wichtigen Norden. Dieser Schritt wurde vom UN-Sicherheitsrat in der Resolution 367 im März 1975 als völkerrechtswidrig eingestuft, da dadurch die Unabhängigkeit, die territorialen Unversehrtheit und die Sicherheit der Republik Zypern massiv verletzt und de facto aufgehoben wurden. Die Türkei schuf im besetzen Gebiet den Marionettenstaat "Türkische Republik Nordzypern" und stationierte dort ca. 40.000 Soldaten, außer ihr erkennt aber kein anderes Land Nordzypern als Staat an. Die UN erklärte einzig die Republik Zypern in den Grenzen von 1960 als legitime Autorität auf der Insel. Die völkerrechtswidrige Besetzung dauert nun seit 50 Jahren an und es ist kein Ende in Sicht.
Im Rahmen der türkischen Invasion kam es von Anfang an zu massiven Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung. Mehr als 2.000 griechische Zyprioten verschwanden in türkischen Gefängnissen, 1.500 von ihnen sind bis heute vermisst und wurden höchstwahrscheinlich ermordet. Die Vertreibung von 160.000 griechischen Zyprioten durch türkische Truppen und mit ihnen verbündete zyprische Milizen und die anschließende Ansiedlung von Türken und türkischen Zyprioten stelle eine "ethnische Säuberung" dar, die von systematischen Plünderungen persönlichen Eigentums und von Kunstschätzen, Brandschatzungen ganzer Siedlungen, der Zerstörung von Kirchen und Klöstern, willkürlichen Erschießungen, Geiselnahmen, Folter und Massenvergewaltigungen geprägt war. Letztere hatten ein solches Ausmaß angenommen, dass die griechisch-orthodoxe Kirche zeitweise ihre Haltung zu Abtreibungen lockerte. Den vertriebenen griechischen Zyprioten wird bis heute der Zugang zu ihrer einstigen Heimat strikt verwehrt.
Von griechischer Zyprioten, hauptsächlich der Nationalgarde, wurden während der ersten türkischen Invasion ebenfalls Kriegsverbrechen begangen, primär eine Reihe von Massakern, denen mindestens 400 Menschen in verschiedenen Siedlungen wie Tochni und Limasoll zum Opfer fielen. In Ausmaß und Systematik können sie allerdings nicht mit denen der türkischen Seite verglichen werden - wohl auch, weil die griechischen Zyprioten und die griechische Militärdiktatur bereits während Attila I die Initiative in dem Konflikt verloren hatten und sich danach auf defensive Aktionen in dem noch von ihnen kontrollierten Gebiet beschränken mussten.
Im internationalen Kontext war die Situation hochkomplex. Sowohl Griechenland als auch die Türkei waren seit 1952 Mitglieder NATO, die Republik Zypern hingegen nicht. Das Bündnis und seine Mitglieder waren in der Zypern-Frage gespalten und versuchten hauptsächlich, vermittelnd einzugreifen und eine weitere Eskalation zu vermeiden. Insbesondere die USA pochten auf ein Ende der militärischen Aktionen, konnte sich aber gegenüber der Türkei nicht durchsetzen. Die Sowjetunion sah die Spannungen in der NATO mit Wohlwollen und hatte ein engeres Verhältnis zu Makarios III. aufgebaut (der grundsätzlich "blockfrei" orientiert war und unter anderem deshalb auf Geheiß der griechischen Militärdiktatur gestürzt werden sollte), verhielt sich de facto aber ebenfalls neutral. Die Entsendung von UN-Friedenstruppen seit 1964 trug dazu bei, dass sich die NATO nicht in einem größeren Maße in den Konflikt einbringen musste. Griechenland, das durch das Obristenregime seit 1967 massiv in der Kritik gestanden hatte, zog sich 1974 aus der gemeinsamen Kommandostruktur der NATO zurück, blieb allerdings Mitglied (ähnlich wie Frankreich 1966). Im Jahr 1980 endete dieser Schwebezustand schließlich.
Aus militärhistorischer Sicht ist dieser zu Land, zur See und in der Luft ausgetragene bewaffnete Konflikt bemerkenswert. Zu einer formelle Kriegserklärung zwischen Griechenland und der Türkei kam es dabei nie, auch nicht zwischen der Türkei und der Republik Zypern. Daher ist die manchmal verwendete Formel vom "Krieg zwischen zwei NATO-Mitgliedern" de jure und de facto falsch.
Die Kämpfe fanden ausschließlich auf und um Zypern statt und wurden primär von den Streitkräften der Türkei und den Streitkräften der Republik Zypern ausgefochten. Die regulären türkischen Truppen umfassten dabei ca. 40.000 Soldaten, ergänzt wurden sie durch ca. 10.000 türkische Zyprioten als Miliz. Die zypriotische Nationalgarde konnte maximal ca. 20.000 Soldaten mobilisieren (eher weniger und zudem nur unzureichend ausgebildete Wehrpflichtige), unterstützt durch ca. 2.000 Soldaten vom Festland, verfügte aber über keine eigene Luftwaffe und nur veraltete Kampfpanzer vom Typ T-34, zudem war sie schlecht geführt und politisch gespalten. Die türkischen Truppen erwiesen sich rasch als taktisch, operativ und materiell überlegen, sie errangen binnen kurzer Zeit die Luftherrschaft über Zypern und die Kontrolle über das Meer und setzen ihre modernen Kampfpanzer vom Typ M47/M48 effizient ein, um Widerstandsnester zu brechen. Die türkischen Verluste (Soldaten und Miliz) beliefen sich auf ca. 600 Gefallene und 2.000 Verwundete. Die zypriotische Nationalgarde und die griechischen Truppen auf Zypern verloren ca. 400 Gefallene, 1.300 Verwundete, 1.000 Vermisste und 1.000 Gefangene sowie große Mengen an Kriegsmaterial.
Exemplarisch für die Schwächen auf griechischer Seite steht die Operation Niki. Die griechische Militärdiktatur war von der Invasion überrascht worden und zeigte Auflösungserscheinungen (schon zuvor hatten unter anderem demokratisch gesonnene Offiziere der Marine versucht, das Regime zu stürzen) und versuchte, zumindest eine symbolische Geste der Unterstützung zu erzielen. In der Nacht vom 21. auf den 22. Juli 1974 starteten 15 Transportflugzeuge der griechischen Luftwaffe, um heimlich ein Bataillon Spezialkräfte nach Zypern zu bringen. Zwei Maschinen mussten bereits während des Fluges abdrehen und notlanden, da sie technische Probleme hatten. Die restlichen 13 Maschinen gerieten beim Anflug auf den Flughafen Nikosia in heftiges Flugabwehrfeuer der zypriotischen Nationalgarde. Die beim Flughafen stationierten Truppen waren nicht informiert worden und glaubten an einen türkischen Angriff. Bis die Situation geklärt werden konnte, wurde eine Maschine abgeschossen und zwei weitere schwer beschädigt. Es stellte sich heraus, dass nicht genügend Treibstoff für den Rückflug vorbereitet worden war, und so mussten drei Maschinen am Boden zurückgelassen werden. Sie wurden gesprengt, um eine direkte Beteiligung Griechenlands an dem Konflikt zu vertuschen, von 15 gestarteten Maschinen kehrten insgesamt 11 nach Griechenland zurück. Die dilettantisch geplante, vorbereitete und durchgeführte Aktion kostete 33 Crewmitglieder und Kommandosoldaten das Leben. Das in Nikosia stationierte Bataillon sollte sich dennoch als bemerkenswert effektiv erweisen und trug dazu bei, türkische Angriffe auf die Stadt und den Flughafen abzuwehren - einer der wenigen Erfolge auf griechischer und griechisch-zypriotischer Seite.
Nach dem sachlichen Teil nun eine kleine Spitze gegen das Kalifat Ankara, früher auch als Türkei bekannt: From the river to the sea, Cyprus will be free!
Vor 50 Jahren marschierte die Türkei im Norden Zyperns ein. Heute sagt der türkische Präsident, Gespräche über eine Wiedervereinigung seien "für niemanden von Nutzen".
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