[Bastion – Sithorden – Trainingsraum – Torryn, Tier, Iouna, Ian]
Aufmerksam hatte Torryn seinem Meister zugehört, der Worte sprach, bei denen etwas zwischen den Zeilen mitschwang, das den jungen Adepten nachdenklich werden ließ, ihn berührte. Sein Meister hatte also noch Ketten, die ihn umgaben, war nicht wirklich frei, war der Eindruck, den Torryn durch dessen Worte gewann. Telos war demnach keine Läuterung gewesen, sondern eher das Gegenteil. Torryn hatte dort auch getötet und gequält, aber nichts dabei empfunden. Reduziert. Dinge.
Damals, als er die eigene innere Säuberung einleitete, um sich von dem Schmutz zu reinigen, der sein bisheriges Leben gewesen war, alles vernichtete, sich der dunklen Seite hingab, von Tiers Instinkten antreiben ließ, um eine Zäsur einzuleiten, hatte er sich danach frei gefühlt. Es war nichts zurück geblieben. Ein Trugschluss. Geblieben war nichts Gegenständliches, sondern Erinnerungen, die er tief in die namenlosen Gegenden seines Bewusstseins gesperrt hatte. Nur deshalb hatte er gemeint und gehofft, frei zu sein und war letztlich doch gefesselt, so wie Ian. Sie würden immer lauern, die Phantome von damals, die peinigenden Auswüchse seiner Vergangenheit, seines früheren Lebens. Nur die Flucht in eine selbst erschaffene Welt, in ein Konstrukt seiner Identität, in ein Refugium, war die Möglichkeit gewesen, sein unseliges Dasein überlebbar zu machen, mit Tier an seiner Seite.
Sollte er sich dafür schuldig fühlen, weil ihm etwas gelungen war, weil er nicht versagt hatte, sondern lebte. War er deshalb so zornig auf seinen Meister geworden, weil er in ihm auch sich selbst erkannte?
Grausamkeit ohne Reue, quälen ohne Schuld, töten ohne Gnade waren eher die typischen Attribute, die einem Sith nachgesagt wurden, wie die Gier nach Manipulation. Schwächere zu missbrauchen, um sich stark zu fühlen, hatte keine Ehre, aber es wurde von Sith praktiziert, erklärte ihm Ian. Eine Sichtweise, die Torryn mit seinem Meister teilte.
Macht war zwar wie eine Sucht, aber nicht um jeden Preis, nicht nur für das Gefühl des Augenblicks. Torryn hatte es oft genug gespürt, als er der dunklen Seite immer näher gekommen war, als Tiers Manifestation immer greifbarer und stärker geworden war, als es mit ihm von der dunklen Seite sprach und ihn auf den Weg brachte. Gewalt und Aggression. Niedere Triebe, aber verbunden mit dem Ausleben von Macht, zur Genugtuung von Erfahrenem und Erlebtem. Bis zur totalen Erschöpfung hatte Torryn damals gekämpft, sich verdingt, sich verletzten lassen, nie aufgegeben, sich wieder erhoben. Physischer Schmerz als Überlagerung des psychischen. Schmerz war der Weg, körperlich war seine Präsenz fühl- und sehbar, seelisch hingegen war er ein unvergessliches Übel, das sich seinen Weg bahnte, wann immer es wollte, schwächend, verstörend. Nur, wenn die dunkle Seite floss war es anders, wurde alles Negative transformiert in Stärke und Überlegenheit. Nachhaltig. Das war das eine Gefühl nach mehr, die Sucht. Ein neues hatte sogar einen Namen: Iouna.
Ian hatte einmal geglaubt, dass Liebe ein Nährboden von Stärke sei, empfand dies aber nicht mehr so, weil seine Erfahrungen anders geartet waren. Was wollte er Torryn beweisen? Dass Liebe eben keine Stärke gab, sondern schwächte, das Gegenteil bewirkte, weil man sich sorgte? Es mochte sein, dass sein Meister über mehr Wissen diesbezüglich verfügte, aber Torryn wollte und musste sein eigenen Erfahrungen machen, sie selbst spüren. Im Augenblick spürte er nur, wie sie ihn stärkte, weil sie ihm neue Pfade erschloss, die zur dunklen Seite führten, der Hass, der Zorn, die Wut, alles ließ sich projizieren, sich dadurch nutzen, wenn man sich öffnete und sich hingab, verbunden mit Leidenschaft und Leidenschaft war das, was Torryn zuerst zwischen sich und Iouna wahrgenommen hatte. Leidenschaftlich hatten sie sich geliebt. Leidenschaftlich hatten sie zusammen gekämpft. Leidenschaft und Hingabe. Beide konnten sie sich treiben lassen, sich von den Trieben übernehmen lassen, sich in ihnen zu verlieren und sie auszuleben, Bedürfnisse und Emotionen. Ohne dieses gegenseitige Vertrauen und Hingabe war der Trieb eher untergeordnet, nicht intensiv, nur eine oberflächliche Befriedigung.
War das also Liebe? Anfangs hatte Torryn diesen Begriff verleugnet, ihn abgelehnt, weil er ihn nicht verstand. Nun wollte er verstehen. Es war etwas Neues gewachsen, hatte sich ausgebildet, an den Ästen von Torryns Baum, dem Sinnbild seines Bewusstseins, waren schwarze Blüten entstanden. Morbide Schönheit.
Iouna war zwar verletzt, geschwächt, kaum trainiert, aber würde sich erheben und nicht aufgeben. Sie würde Torryn angreifen, nicht weil Ian es von ihr verlangt hatte, sondern weil er es von Torryn verlangt hatte. Sie würde es für ihn tun, dessen war sich Torryn sicher und genau dieses Gefühl baute sich in ihm auf. Sie würde sich ihm stellen. Was würde er tun? Er sollte kämpfen und er würde kämpfen. Wie sich dieser Kampf, der nicht annähernd einer war, sondern eher die Darstellung eines Exempels, letztlich gestalten würde, war unwichtig, wichtig war, wie sie ihn beide bestritten und er würde schnell enden.
Was wollte sein Meister ihm damit zeigen, dass er gegen Iouna kämpfen sollte? Sollte Torryn etwas erkennen, das durch seine Zuneigung zu ihr eingetrübt war? Was war es, das dem Meister so wichtig war, dass der Schüler es verstand? Die Nichtigkeit der Liebe, die Nichtigkeit ihrer Existenz? Welchen Sinn machte es, gegen einen schwächeren, verletzten Gegner zu kämpfen, allein das Visier war kein ausgleichendes Element der Kräfte. Sollte dies zeigen, wie grausam sein Meister sein konnte, in dem er etwas von seinem Schüler verlangte zu tun, was an das angrenzte, was er scheinbar selbst bei anderen Sith verachtete?
***
Meine Augen ruhten auf ihrem Arm und besahen sich jede kleine Bruchstelle. Sauber gebrochen. Die Heilung würde schnell voran schreiten. Er würde sich darum kümmern. Wie er sich um vieles kümmern würde, was sie betraf. Das, was der Meister verlangte, war eine Demonstration. Er wollte ihnen zeigen, wie schwächlich dieses neue Gefühl war, das sie ihr eigen nannten und sie miteinander verband, wie sehr es sie einschränkte und aneinander kettete, weil keiner von beiden mehr zu einem freien Willen fähig war. Sollten sie auch nicht, denn so waren sie leichter für mich zu steuern, zu manipulieren, denn noch hielt ich die Fäden in der Hand, die seine Entwicklung betrafen, denn ich war die Macht und nur durch mich konnte er sie benutzen. Wenn ich mich sperrte, würde er untergehen, und zwar schnell, aber damit auch ich, also musste ich wieder nach Optionen suchen, die die Ambivalenz des Ganzen zeigten und nutzten.
***
Sich aus seinen Gedanken lösend, sah Torryn zu Iouna und dann zu Ian. Mit einer kleinen Geste öffnete Torryn wieder die in die Wand eingelassene Schublade mit den Visieren. Er tat es seinem Meister gleich. Levitation. Ein Visier schwebte in Torryns linke Hand, während die Lade lautlos in die Wand zurück glitt. Dann blickte er kurz nach hinten, wo seine Jacke lag. Unter der Jacke kam zitternd sein Trainingslichtschwert zum Vorschein, das sich dann auf gerader Linie in Torryns rechte Hand bewegte. Es war so einfach, wenn man von der Macht durchdrungen war, selbst jetzt.
„So soll es dann sein“,
sagte Torryn knapp, wobei er das Visier aufsetzte.
Es umgab ihn Dunkelheit. Früher hatte er die Dunkelheit gehasst, weil sie sein Gefühl von Alleinsein nur verstärkt hatte. Die Macht ließ ihn über andere Sinne verfügen, die nicht gebunden waren an Licht oder Schall, eine weitere Fähigkeit, gewonnen durch Tier, die ihm einen Weg aus der dunklen Schlucht seiner Kindheit gewiesen hatte, ihn am Leben ließ.
Torryns geistige Fühler formten sich und tasteten seine nächste Umgebung ab, lieferten Eindrücke, Bilder, erst verzerrt, verschwommen, dann immer präziser, genauer, intensiver. Ians Aura. Iounas Aura. Tier. Alle waren sie da, eingehüllt in die Macht der dunklen Seite. Iounas gebrochener Arm strahlte irisierend aus dem eigentlichen Dunkel hervor. Sie war aufgestanden. Ihr verletzter Arm hing schlaff an ihrer Körperhälfte herunter. Mit dem gesunden Arm führte sie das aktivierte Trainingslichtschwert, das ihr von Ian gegeben worden war. Sie war so leicht unterschätzbar, wie sie da so stand, wenn man nur ihre Körperlichkeit sah und nicht den starken Willen, unbrechbar, der sich hinter der Fassade des Körpers verbarg. Torryn hatte es gewusst, dass sie aufstehen würde, dass sie kämpfen wollte, trotz der Schmerzen. Schmerzen waren der Weg, die offensichtlichen und die verborgenen. Liebe und Schmerz. Alle waren sie Teil der dunklen Seite, ließen sie fließen.
Torryn zündete seine Übungswaffe und wartete ab. Er überließ ihr die Initiative und sie nutzte sie auch. Iouna startete ihren Angriff und versuchte dabei sogar eine Figur aus den Stilmitteln des Makashi, wie sie sie an Bord der „Spear“ einstudiert hatte. Torryn hatte gesehen, wie elegant, katzenhaft, sie sich bewegen und mit welcher tödlichen Eleganz sie ein Schwert führen konnte. Unter den jetzigen Umständen war sie nur ein Schatten dessen. Sie bemühte sich, wollte es Ian zeigen und auch Torryn, dass sie kämpfen konnte, egal unter welchen Bedingungen, so hatte es Torryn erwartet von ihr und so handelte sie auch.
Mit einer Soresu-Bewegung führte Torryn eine defensive Maßnahme aus und parierte Iounas Schlag, so dass ihre Übungswaffe von seiner abglitt. Er hatte ihre Bewegung sehen können, invertiert, anders, unter der Schwärze des Visiers. Er war nicht blind. Die Machtsinne waren seine Augen, geschärft durch seine innige Verbindung zu ihr. Bevor Iouna zu einer weiteren Attacke ansetzen konnte, wechselte Torryn den Stil und initiierte eine Finte aus dem Makashi. Dem Stil des Fechters und Duellisten. Mit einer spiralförmigen Bewegung aus dem Handgelenk umschlang sein Schwert die Klinge Iounas. Die Rotation und ein plötzlicher Ruck zur Seite reichten aus, um sie zu entwaffnen. Ihre Klinge wurde aus der Hand geschleudert, aber fiel nicht zu Boden. Torryn hatte sie in seinem Netz aus dunkler Wahrnehmung eingefangen und nutzte wieder die Fähigkeit der Levitation. Die aktivierte Übungswaffe schwebte in seine linke Hand. Mit zwei gesenkten und deaktivierten Trainingslichtschwertern in den Händen stand er nun vor Iouna. Der Kampf war beendet.
Torryn fühlte in diesem Moment wieder diese Innigkeit, was seine Gefühle für Iouna betraf. Er sah sie ohne die Sinneseindrücke seiner Augen detaillierter als sonst, ein Abbild entstanden aus lebendigen Emotionen, geformt durch die Macht und er sah ihn, Ian, neben sich stehend und auch er war ein solches Abbild. Der Kampf war ihm nicht wichtig gewesen, auch nicht das Training. Was sich hier abspielte, hatte was mit inneren Kräften zu tun, nicht mir roher Gewalt. Sein Meister hatte andere Pläne, dessen war sich Torryn sicher. Er öffnete das Visier und wandte sich zu ihm.
„Ich habe getan, was ihr verlangtet, Meister. Vielleicht habe ich verstanden, was ihr mir und nicht nur mir mit dieser Lektion zeigen wolltet.“
[Bastion – Sithorden – Trainingsraum – Torryn, Tier, Iouna, Ian]