- Bothawui - Am Rande Drev'Starns - Akemis Elternhaus - Wohnzimmer - Cris, Shin, Masao -
Es hätte beruhigend für Akemi sein können, dass es nicht mehr nur um sie, um ihre Fehltritte und um ihr Versagen ging. Aber dem war nicht so, denn sie wusste, dass sie zumindest den Anstoß für die lautstarke Diskussion gegeben hatte, die zwischen ihren Eltern los gebrochen war. Viel mehr war es eigentlich ein Streit, der nur mit wenig aufschlussreichen Worten ausgetragen wurde, der die Beteiligten dafür aber umso schlimmer zu treffen schien. Außer Akemi. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was überhaupt los war. Wer war "Tante Chiyo"? Ihre Eltern hatten sich noch nie gestritten, jedenfalls hatte Akemi es noch nie erlebt. Zwischen ihnen existierte eine tiefe Liebe, die auf den Grundmauern gegenseitigen Respekts aufgebaut war. Irgendetwas - oder irgendjemand - hatte diese Mauer nun jedoch erschüttert und Akemi schien es, als habe sie mit ihrem Verschwinden und nun mit dem Geständnis, dass sie für den Geheimdienst arbeitete, einen großen Teil dazu beigetragen, dass das Fundament einzustürzen drohte. Sie hielt Cris' Hand noch ein wenig fester, als er vorschlug sich zurück zu ziehen, nachdem Miu den Raum verlassen hatte. Akemi wollte nicht, dass er ging, denn sie brauchte ihn doch hier! Wie sollte sie den Mut aufbringen ihrem Vater ins Gesicht zu blicken, wenn Cris nicht an ihrer Seite war? Ihr stummer Blick bat ihn zu bleiben, als sie ihn von der Seite ansah. Bisher hatte sie noch nie erlebt, dass ihr Vater ihrer Mutter einen Befehl gegeben hatte, doch soeben hatte er sie aus dem Zimmer hinaus geschickt und Miu hatte sich gefügt ohne ihm zu widersprechen. Weder die eine noch die andere Seite konnte Akemi verstehen. Wie konnte sich ihr Vater anmaßen ihre Mutter so zu behandeln - noch dazu vor den Augen anderer - und wie konnte ihre Mutter sich so etwas einfach gefallen lassen? Fragen über Fragen lauerten in Akemi, doch sie wagte nicht eine einzige zu stellen, bis Shin Akanato schließlich von selbst das Wort ergriff.
"Nein, Cris. Bleib ruhig da."
Erwiderte er auf Cris Bemerkung, dass er die Familie besser alleine lassen sollte.
"Es ist nicht nötig, dass du gehst. Nach allem, was ihr beiden - du und Akemi - erzählt habt, verbindet euch sehr viel."
Shin goss sich erneut in sein Weinglas ein, lehnte sich in seinem Sessel zurück und schwenkte das Glas leicht hin und her, sodass die dunkelrote Flüssigkeit zarte Wellen schlug, wie ein Sturm, der den Ozean in Aufruhr versetzt.
"Ich verstehe eure Geschichte und eure Beweggründe."
Nun sah er Akemi direkt ein und die junge Geheimdienstagentin musste schwer schlucken. Was würde jetzt kommen?
"Und Miu tut es ebenso. Genau das ist das Problem. Sie hat Angst, denn was ihr erlebt, haben wir auf ähnliche Weise vor langer Zeit durchmachen müssen. Akemi... deine Mutter und ich haben damals unsere Familien verlassen, um gemeinsam mit unseren Kindern in Frieden leben zu können. Das war kurz vor deiner Geburt. Masao war ein kleiner Junge."
Shin warf seinem Ältesten einen kurzen Seitenblick zu, doch Masao hatte sich erhoben und war zum Fenster hinüber gegangen. Er hatte ihnen den Rücken gekehrt und schaute hinaus in den Garten, über den sich die Dämmerung gelegt hatte. Shin seufzte tief.
"Unsere Familien waren gegen unsere Verbindung. Wir gehörten unterschiedlichen Religionen an, sowie gegensätzlichen politischen Parteien. Das machte damals alles sehr kompliziert."
Einen kurzen Moment hielt er inne und trank einen Schluck Wein.
"Jedenfalls... haben sich unsere Familien gegeneinander gestellt und uns jeglichen Kontakt zu einander verboten. Und wir sind dann nach Bothawui gereist, um fernab ein neues Leben zu beginnen. Verstehst du, Akemi... damals hat deine Mutter ihre Familie verlassen und plötzlich wurde sie von ihrer eigenen Tochter verlassen... als wiederhole sich alles. Das ist... nicht einfach für sie."
Aus den Augenwinkeln sah Akemi, wie Masaos Schultern kurz zuckten, so als stieße er einen lautlosen, verächtlichen Laut aus. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Stirnrunzelnd sah sie ihren Vater an.
Ja. Das hat Mama mir bereits erzählt. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit, nicht wahr?
Shin schwieg und wandte den Blick ab.
Papa, ich will wissen, was hier los ist!
Er antwortete nicht. Verständnislos und verwirrt schaute sie wieder zu Masao hinüber.
Masao, du weißt, worum es geht.
Stellte sie mit überraschender Fassung fest. Langsam wandte er sich zu ihr um.
"Ja. Papa, du musst es ihr erzählen. Ansonsten tue ich es."
Shin lehnte seinen Kopf gegen die hohe Sessellehne und schloss für ein paar Sekunden die Augen, ehe er sie wieder öffnete und ins Leere blickte.
"Tante Chiyo war die jüngste Schwester meines Vaters. Ich habe sie immer gemocht, von klein auf. Sie war eigenwillig, störrisch und sehr extrem, aber sie hatte ein gutes Herz. Außerdem war sie groß darin Dinge zu verändern und das zu sagen wozu anderen der Mut fehlte. Sie war eine Rebellin und politisch stark engagiert. Außerdem gehörte sie verschiedenen... Gruppierungen an."
Shin hielt inne, trank einen kräftigen Schluck Wein und es schien, als sei er vollständig in die Vergangenheit versunken. Wie gebannt hörte Akemi ihm zu. Es war das erste Mal, dass sie etwas über das Leben ihrer Eltern erfuhr, das sie geführt hatten bevor sie nach Bothawui gekommen waren.
"Als ich deine Mutter kennen lernte, Akemi, war ich 26 Jahre alt. Miu war 17. Dein Großvater mütterlicherseits war einer jener erfolgreichen Politiker dieser Zeit. Leider deckten sich seine Ansichten, Vorstellungen und Ideale nicht mit denen meiner Familie und schon gar nicht mit denen von Chiyo. Von Anfang an gab es Spannungen, nicht zuletzt auch wegen unserer unterschiedlichen Religionen. Kurz gesagt, eine feste Bindung zwischen uns war unerwünscht. Aber wir trafen uns weiterhin heimlich und es dauerte nicht lange bis Miu mit Masao schwanger war. Also haben wir geheiratet. Meine Eltern waren vollkommen dagegen, Mius Vater gab uns zähneknirschend seinen Segen, da er als Politiker ein Mann von öffentlichem Interesse war und nicht wollte, dass seine Tochter ein uneheliches Kind zur Welt brachte. Während Mius Schwangerschaft hatte ich kaum Kontakt zu meiner Familie und als Masao geboren wurde, entschieden wir uns zu einer Segnung nach Mius Glauben. Als mein Vater davon Wind bekam, änderte er sein Testament und enterbte mich.?
Shins letzte Worte hatten einen bitteren Beigeschmack. In seinem Gesicht erkannte Akemi die Enttäuschung und den Schmerz der Vergangenheit und es schien ihr, als erlebe er alles noch einmal oder als rolle er zum ersten Mal nach vielen, vielen Jahren, dies Geschichte wieder auf.
?Ich hatte zu dieser Zeit eine sichere Stelle und Mius Eltern waren wohlhabend. Es fehlte uns an nichts. Doch dann tauchte Chiyo wieder auf. In ihrem Leben gab es immer Phasen, in denen sie plötzlich spurlos verschwand. Das hatte mit ihrem politischen Engagement zu tun. Entweder reiste sie um an verschiedenen Orten für Aufruhr zu sorgen oder sie tauchte unter um vor dem Gesetz zu flüchten. Demonstrationen, Sabotageakte, Anschläge: all diese Dinge gingen oftmals auf Chiyos Konto. Aber auch ihre heftigen Ansprachen hatten es in sich. Während ihrer Glanzzeit hielt sie viele Reden und, um es milde auszudrücken, sie hatte ein riesiges und unverschämtes Mundwerk. Nach und nach hatte sie ein Verfahren nach dem anderen am Hals und einige Zeit hat sie sogar unter gerichtlichem Gewahrsam verbracht. Aber das hat ihr nichts ausgemacht. Chiyo war zäh und sobald sie wieder auf freiem Fuße war machte sie dort weiter wo sie aufgehört hatte. Als sie plötzlich wieder auf Coruscant war, nahm sie Kontakt zu mir auf und ich traf mich mit ihr. Sie lernte Masao kennen, der gerade seine ersten Schritte machte und überhäufte ihn mit Geschenken. Doch sie lehnte es strikt ab Miu zu begegnen.?
Endlich, zum ersten Mal seit er erzählte, sah Shin Akemi an.
?Das hat deine Mutter verletzt. Aber ich habe es nicht über mich gebracht Tante Chiyo zurück zu weisen und ihr zu verwehren ihren Großneffen zu sehen. Sie war vollkommen vernarrt in Masao und mit der Zeit gewöhnte ich mir an meine Tante regelmäßig zu besuchen. Miu war das ganze gar nicht Recht. Es gefiel ihr nicht, dass Masao Vertrauen zu einer Person fasste, die seine Mutter und deren Vater verachtete und mehr als einmal warnte Miu mich, dass Chiyo etwas im Schilde führte. Aber ich habe nicht auf sie gehört und ihre Bedenken als unsinnig abgewiesen. Das war ein Fehler. Als Masao vier Jahre alt und Miu mit dir, Akemi, schwanger war, verübte eine unbekannte Gruppenbewegung einen Mordanschlag auf deinen Großvater mütterlicherseits, den Vater deiner Mutter. Doch er überlebte. Und für uns war es keine Frage, wer hinter dem Attentat steckte. Miu sagte umgehend als Zeugin gegen Tante Chiyo aus, doch ich konnte es nicht. Für mich war Tante Chiyo immer eine wichtige Bezugsperson gewesen. Als Kind habe ich sie verehrt und geliebt. Die Tatsache, dass ich nicht öffentlich gegen sie sprechen konnte, zeichnete einen Riss zwischen Miu und mir. Gleichzeitig setzte Mius Vater alles daran Tante Chiyo festnehmen und verurteilen zu lassen. Chiyo tauchte jedoch wieder einmal unter. Hätte man sie festgenommen, wäre sie vermutlich hingerichtet worden. Sie hatte sich einfach zu viele Vergehen geleistet. Doch sie war spurlos verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Der Wahnsinn deines Großvaters ging weiter. Er machte mich für den Mordversuch mit verantwortlich, ließ mich beschatten und versuchte mir etwas nachzuweisen. Es gab? unzählige weitere Zwischenfälle? Dinge, die alles noch schlimmer machten als sie es ohnehin schon waren. Eines Tages hielten Miu und ich es nicht mehr aus. Wir brachen alle Brücken hinter uns ab, kauften einen kleinen Frachter und ließen unsere Familien und unser Leben auf Coruscant hinter uns. Wir reisten nach Bothawui und auf dem Weg dorthin, wurdest du geboren??
Der Tonfall in Shins Stimme machte deutlich, dass dies das Ende der Geschichte war. Bedrückt erwiderte Akemi den Blick ihres Vaters.
?Verstehst du jetzt, worum es deiner Mutter geht??
Langsam nickte sie.
Ja.
Sagte sie leise.
Ich glaube schon.
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