[Bothawui | Drev'Starn | Hauptquartier der 3. Heeresgruppe | Büro] Lieutenant Mich Reynolds
Der Aktenkram, der bei einer Schlacht wie Denon anfiel, war immens. Datenkarten und Flimsi bedeckten den Schreibtisch von Lieutenant Mich Reynolds. Als er damals dem Militär beigetreten war, hatte er nicht damit gerechnet, irgendwann in der Verwaltung zu landen. Doch er war zufrieden mit seinem Posten und wusste, dass er seine Arbeit gut machte. Jemand musste sie erledigen, denn bei einer Armee - vor allem einer, die galaxisweit operierte - kam es vor allem auf strammes Reglement und gründliche Organisation an. Wenn er und seine Kollegen bei ihrer Arbeit Fehler machten, kamen Soldaten, Befehle und Güter nicht zur rechten Zeit an den rechten Ort, was für den Ausgang von Schlachten und für das Leben der Soldaten schlimme Folgen haben konnte. Er wusste, dass er nur ein kleines Zahnrad im Getriebe war - doch jedes Zahnrad war wichtig für die Funktion der gesamten Maschinerie, welche die Armee der Neuen Republik darstellte, seit sie kein loser Rebellenhaufen mehr war.
Denon bedeutete nicht nur für die Frontsoldaten, sondern auch für das Verwaltungspersonal Ausnahmezustand - wenngleich der Begriff in beiden Fällen nicht das gleiche bedeutete. Alles, was an der Front geschah, mochte es auf den ersten Blick auch noch so belanglos wirken, musste erfasst, verarbeitet und bewertet werden, um totales Chaos zu vermeiden. Es gab unzählige Toten- und Vermisstenmeldungen, die mit den Informationen der Lazarette und ziviler Hilfsdienste abgeglichen werden mussten und diesen nicht selten widersprachen. Es gab Anfragen und Anforderungen nach Material, Verstärkung und Informationen, deren Quellen häufig eine halbe Galaxie entfernt und nicht selten auch außerhalb des eigentlichen Zuständigkeitsbereichs des Militärs lag, so dass diese Dinge erst beschafft werden mussten. Jeder Offizier an jedem Ort des Schlachtfeldes fällte im Minutentakt Entscheidungen und gab Befehle, die irgendwo dokumentiert werden mussten, damit im Anschluss noch irgend jemand wusste, welcher Finger welcher Hand eigentlich womit beschäftigt war, und wer von bedeutenden Aufgaben unmöglich abgezogen werden musste. Beschwerden mussten geprüft und verfolgt, Anträge nach Dringlichkeit sortiert, falsch adressierte Informationen weitergeleitet und vor allem unzählige Totenscheine ausgestellt werden. Und all das innerhalb eines sehr straffen Zeitplanes, denn die Uhr für den Fortgang der Offensive lief. Sobald die angeschlagene Flotte bereit für den nächsten Angriff war, musste auch die Armee wieder voll einsatzbereit sein. Dann würde es erst richtig anstrengend werden, denn die Arbeit auf Denon würde noch lange nicht abgeschlossen sein, wenn die auf Corellia begann.
Inmitten dieses enormen Haufens von Akten fiel Mich Reynolds ein Dokument in die Hand, das auf den ersten Blick völlig normal wirkte, sich auf den zweiten aber als recht ungewöhnlich entpuppte. Es lagen viele Versetzungsanträge auf seinem Tisch. Eine Menge Soldaten sahen sich außer Stande, sofort in die nächste Schlacht zu ziehen, und beantragten ihre Versetzung hinter die Front. Andere fühlten sich zu Höherem berufen und wollten den Spezialkräften oder anderen Eliteeinheiten zugewiesen werden. Doch dass jemand, der bereits in einer Eliteeinheit steckte, eine Versetzung zu einer beliebigen anderen Fronteinheit beantragte, war selten und erschloss sich dem Lieutenant auch nicht ganz. Dieser Soldat war schon da, wo viele andere hin wollten, doch es zog ihn fort - und zwar ohne ein konkretes, nachvollziehbares Ziel, und ohne den Versuch, auf diese Weise von der Front weg zu kommen. Dazu fehlte noch jede vernünftige Begründung. Normalerweise hätte Reynolds eine solche Anfrage als unsinnig abgetan und ohne weitere Betrachtung negativ beschieden. Doch irgend etwas kam ihm seltsam vor.
Vielleicht war es etwas in dem kurzen Begründungstext, aus dem zwar kein nachvollziehbarer Grund, aber dennoch eine gewisse Dringlichkeit hervorging. Die eigentlich eher belanglosen Worte, die für sich genommen kaum geeignet waren, den Antrag zu stützen, enthielten etwas, das Mich Reynolds vermuten ließ, dass hier etwas nicht stimmte. Er las das Schreiben abermals und entschied dann, der Sache nachzugehen. Denn wenn ein Soldat unbedingt von seinen Kameraden weg wollte, ohne den Grund dafür nennen zu können, ließ das nicht unbedingt den Schluss zu, dass es auch keinen Grund gab. Vielleicht scheute er sich nur davor, ihn zu nennen. Und das ließ ein breites Spektrum an möglichen Vorfällen zu, die der Auslöser für den Antrag sein konnten; einige davon bedeutsam genug, die Angelegenheit zu verfolgen.
Auch wenn er eigentlich keine Zeit zu verschwenden hatte, beschloss Reynolds, sich mit dem Soldaten in Verbindung zu setzen. Er rief die Personalakte auf. Wonto Sluuk, Ortolaner, männlich. Soldat der Cortana-Squad. Er war an der Landung auf Denon beteiligt gewesen und hatte mit leichten Verletzungen überlebt. Hatte den Planeten an Bord der GR-75 Grace of Luck verlassen, war nach einer allergischen Reaktion auf ein Medikament aber auf das Lazarettschiff Will to live verlegt worden.
Reynolds stellte Kontakt zu dem Schiff her und ließ sich den Soldaten ans Komlink holen.
»Soldat Sluuk, ich habe Ihr Versetzungsgesuch vorliegen«, eröffnete er das Gespräch mit dem Beschluss, direkt zur Sache zu kommen. »Leider kann es in seiner derzeitigen Form nicht beschieden werden. Sie haben keine nachvollziehbare Begründung für Ihr Anliegen formuliert, die Cortana-Squad zu verlassen. Möchten Sie dem Antrag eine Begründung hinzufügen?«
Sluuk zögerte, bevor er Antwort gab. Leider konnte Reynolds die Mimik und Körpersprache des blauhäutigen Ortolaners nicht lesen.
»Es geht um... persönliche Gründe«, antwortete der Soldat schließlich. »Mehr möchte ich dazu nicht sagen.«
»Sind Sie absolut sicher, dass Sie uns nichts zu erzählen haben? Falls auf Denon etwas vorgefallen ist, das es Ihnen unmöglich macht, weiterhin mit Ihrem Trupp zusammenzuarbeiten - zum Beispiel ein Verhalten Ihrer Kameraden oder Vorgesetzten, das Sie für illegal oder unmoralisch halten, dann...«
»Nein, nichts dergleichen, Sir«, fiel Wonto Sluuk dem Lieutenant ins Wort. Seinen schwarzen Knopfaugen war einiger Schreck anzusehen. Ob dies aber daher rührte, dass der Ortolaner diese Vorstellung für völlig abwegig hielt, oder ob er sich ertappt fühlte, konnte der Mensch nicht beurteilen. »Es gab keine solchen Probleme. Niemand hat sich etwas zu schulden kommen lassen. Die anderen sind nicht schuld daran, es geht nur um mich.«
»Hören Sie, Sluuk, ich möchte Ihnen nicht im Weg stehen, aber wenn es tatsächlich nur um persönliche Gründe geht, kann Ihr Antrag unmöglich positiv beschieden werden. Wir befinden uns mitten in einer Offensive und haben alle unsere Pflicht zu erfüllen.«
Mit einem resignierten Gesichtsausdruck und einem Ton, er einem Seufzen nahe kam, kapitulierte der Ortolaner. Er erzählte dem Lieutenant in Kurzform eine Geschichte, die sich auf Denon zugetragen hatte. Es ging um eine Fehlentscheidung des Ortolaners, mit der er seine Kameraden in Gefahr gebracht hatte; er gab sich den Schuld am Tod einer Soldatin. Dies war der Grund, warum er sich außer Stande sah, weiterhin in seinem Trupp zu verbleiben. Reynolds hörte ihm aufmerksam zu und konnte sogar einiges Verständnis für die Situation des Ortolaners aufbringen.
»Ich verstehe«, sagte er, als Sluuks Ausführungen mit einem abermaligen Seufzen endeten. »Dies würde zur Begründung einer Versetzung jedenfalls ausreichen. Aber ich muss Sie warnen, Soldat. Wenn Sie diese Geschichte zu Protokoll geben, nehmen Sie damit auf sehr negative Weise Ihre Leistungsbewertung vorweg. Alles was Sie mir gerade erzählt haben, wird Teil Ihrer Akte werden. Ich kann Ihnen nicht einmal versprechen, dass das keine Untersuchungen oder vielleicht sogar ein Kriegsgerichtsverfahren nach sich ziehen wird. Aber in jedem Falle legen Sie sich und Ihrer Karriere damit riesige Steine in den Weg. Mit einem solchen Akteneintrag werden Sie bei Beförderungen immer hinten anstehen. Sie werden lange Zeit im Rang eines Private bleiben, eine Offizierslaufbahn oder eine Versetzung zu den Spezialkräften sind so gut wie ausgeschlossen. Zudem werden auch Ihre neuen Vorgesetzten wissen, was vorgefallen ist. Wollen Sie das? Ist es Ihnen das wirklich wert?«
Wieder zögerte Wonto Sluuk, bevor er antwortete:
»Ja, Sir. Es muss sein.«
»Wie Sie wollen, Soldat. Sie werden in Kürze positiven Bescheid zusammen mit Ihren Versetzungspapieren bekommen. Ich hoffe sehr, dass Sie diesen Schritt nicht bereuen werden.«
Nach dem Gespräch blieb Lieutenant Mich Reynolds mit gemischten Gefühlen zurück. Er beschloss, dass es an der Zeit für eine Pause und einen heißen, starken Caf war.
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