- Corellia - Belevedere - Balkon -
Ami starrte auf das Bild in ihren Händen. In ihren Gedanken erklang dabei eine liebliche Stimme, die ein Lied in einer fremden Sprache sang. Sie schien zu spüren, wie helfende Hände sie hochnahmen und sanft zu den Klängen des Liedes wiegten. Ihr stiegen die Tränen in die Augen und sie konnte den Kopf nicht heben und Vail, ihrem Bruder, in die Augen sehen. Aber es schien ihr fast, als könne sie seine Gefühle spüren, als würde die beiden Geschwister ein unsichtbares Band verbinden.
Sie blickte nicht auf, starrte weiter auf das Bild in ihren Händen, mit gesenktem Kopf, als sie mit zittriger Stimme sprach
"Vail, ich", begann sie zögerlich. "Ich bin nicht ganz ehrlich zu dir gewesen..."
Tränen rannen über ihre Wangen. Vail sah sie fest an und seine Augen strahlten Wärme aus "Ich weiß Eloise..." dabei wollte er seine Hand an ihre Wange führen um die Tränen wegzuwischen, doch er zog sie zurück, als Ami ihn plötzlich fest ansah.
"Nein. Ich denke du weißt nicht. Du weisst nicht, wie mein Leben verlaufen ist, seit diesem Tag.
Ich habe mein eigenes Grab gesehen, und mir ist durch diesen Anblick bewusst geworden, daß das kleine Mädchen, das ihr kanntet, damals wirklich dort begraben wurde. Niemand kann mir meine Kindheit zurück geben...auch du nicht, Vail."
Bei ihren Worten verzog sich sein Gesicht schmerzverzerrt und auch ihm stiegen die Tränen in die Augen
"Eloise, hör mir zu. Für mich warst du niemals tot. In jedem von uns hast du weitergelebt, und jeden Tag meines Lebens habe ich an dich gedacht, auf den Weg zu unserem Haus gestarrt und gefleht, daß du ihn hoch läufst und zu uns zurück kommst...und das hast du heute auch getan."
Etwas resigniert schüttelte sie den Kopf. "Ich weiss nicht, ob man einfach wieder so zurück kommen kann Vail...zurück kommen in ein Leben, das man nie geführt hat? Ich hatte nicht viel Zeit, mich an den Namen Eloise de Lieven zu gewöhnen. Für mich ist dies alles neu, und wer soll mir die letzten 20 Jahre geben? Sie sind verstrichen und es ist so viel passiert, was diese Welten auseinander getrieben hat. Ich werde nie der Mensch sein können, der in deinen Wünschen die Auffahrt hochgelaufen kommt und plötzlich in deine Familie gehört."
Sie wandte sich von ihm ab und stützte sich mit beiden Händen auf der Brüstung ab. Jede Faser ihres Körpers begann zu schmerzen, die Narbe auf ihrem Rücken brannte, und für einen winzigen Moment wünschte sie sich fort von diesem Ort. Sie wollte fliehen vor den Schmerzen, die ihr das das alles bereitete, fliehen vor der Wahrheit, der sie sich jetzt stellen musste. Sie zitterte.
Sanfte Hände drückten ihre Schultern und zogen sie leicht zu sich. Ihre Schwachen Beine sackten zusammen, doch Vail hielt sie. Sanft liess er sie auf den kühlen Steinboden nieder. Sie vermied seinen Blick, denn sie fürchtete, daß er strafend auf ihr ruhte. Hätte sie seine Augen angesehen, so hätte sie gesehen, wie sie voller Sehnsucht und Trauer auf ihr lagen. Sie rieb sich mit den Fingern die Stirn und sah zu Boden. Seine Hand legte sich leicht auf ihren Arm.
"Niemand kann uns diese 20 Jahre wiedergeben, aber du bist unsere Schwester und Tochter, unser Blut, und sollten auch Jahrhunderte vergehen, so wirst du es immer bleiben...nichts wird dich von uns trennen."
Dann setzte er sich neben sie und lehnte sich an die Brüstung. Der Himmel über Corellia war schwarz, aber die Sterne leuchteten hell und klar in ihm. Für einen Moment blieb er still neben ihr sitzen und blickte in den Himmel.
"Ami...so hat dich unser Vater oft genannt..."
Bei seinen Worten hob Ami den Kopf und sah zu ihm. Der Schmerz über seine Worte verhärtete ihre Gesichtszüge.
"Eloise Ambria. Ambria. Den Namen hat er ausgesucht, und er fand ihn so wunderschön. Doch er selbst hat Ami daraus gemacht. Nur wenn du etwas angestellt hast, was nicht selten vorkam, dann hat er dich Eloise gerufen. Aber ich weiß noch genau, daß wenn du ängstlich vor seiner bösen Stimme guckend zu ihm getappst bist, konnte er niemals hart sein..."
Er machte eine kurze Pause, sah sie kurz an und lächelte. Dann wurde er ernst.
"Was ist passiert Eloise? Wo bist du gewesen?"
Ami atmete schwer durch. Sie wischte sich mit der Handfläche die nassen Tränen aus dem Gesicht und versuchte sich zu beruhigen. Zu ihrer Erleichterung zog Vail ein Päckchen Zigaretten aus der Brusttasche und hielt es ihr hin. Sie nahm sich eine heraus, und als er ihr Feuer gab, kommentierte er es mit "Aber pscht, man mag es nicht, wenn im Haus geraucht wird" und einem Augenzwinkern.
Dann begann Ami zu erzählen. Sie bgeann in ihrer Kindheit und ihren frühesten Erinnerungen. Sie erzählte von Krib, dem Barbesitzer auf Coruscant, bei dem sie aufgewachsen war. Von den Umständen, durch die sie in falsche Kreise gekommen war, wie sie sich über Wasser gehalten hatte. Zögerlich erzählte sie ihrem Bruder, wie sie gelernt hatte zu töten, um zu überleben, und dabei Stück für Stück versteinert war.
Sie erzählte ihm davon, wie sie zu Rem gekommen war, wie er ihr Leben verändert hatte, seitdem sie für ihn arbeitete. Dann erzählte sie von Marana und wie sie sie überredet hatte, nach ihrer Herkunft zu forschen, vor der sie so lange Angst gehabt hatte. Sie erzählte, wie sie auf Madre gestossen waren und erfahren hatten, daß er es war, der sie damals entführt hatte, und schliesslich, wie sie herausgefunden hatten, wer sie war.
"Noch jetzt ist es, als würde ich über eine fremde Person sprechen, nicht über mich Vail. Ich fühle mich nicht als Eloise de Lieven....ich...ich gehöre hier nicht hin..."
Ihr Bruder hatte ihr aufmerksam zugehört, und jedes Wort ihres Lebens hatte sich in seine Seele gebohrt. Jetzt sah er sie an und er empfand Liebe für seine Schwester, nach der er sich sein Leben lang gesehnt hatte.
Fest griffen seine Hände nach ihren Schultern und zogen sie zu sich.
"Das wirst du Eloise, das wirst du..."
Die Sonne stieg schon rotglühend am Horizont auf, als Ami in den Armen ihres Bruders lag, die sie fest und sicher umschlossen.
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