Coruscant

- Coruscant – City – Obere Ebenen – Fitnessstudio – Mit Brad -

Die Anstrengung in ihrem Bauch drückte ganz schön, als Noa Chanelle zum gefühlt tausendsten Mal an diesem Tag die Gewichte des Sportgerätes mit Hilfe ihrer Bauchmuskeln nach oben drückte. Sie konnte bereits voraus ahnen, wie sie sich morgen fühlen würde. Vermutlich würde sie gar nicht erst in der Lage sein, überhaupt ihr Bett zu verlassen – wobei diese Vorstellung eigentlich gar nicht so schlecht klang. Hätte sie nicht eine wochen- bezhiehungsweise monatelange Pause in ihrem Fitnesstraining eingelegt, sähe dies ganz anders aus, doch jetzt begann sie wieder da, wo jeder blutige Anfänger anfing: ganz vorne.

“Ich glaube nicht, dass ich noch mehr schaffe.“

Ächzte sie, nachdem ihre Bewegungen bereits langsamer und beschwerlicher geworden waren. Neben ihr stand Brad, ein Datapad in der Hand.

„Und ob du noch mehr schaffst. Ich will noch zwanzig. Los!“

Forderte er. Zwanzig? Der Typ war verrückt! Schlaff ließ Noa die Arme hängen.

“Ich kann wirklich nicht mehr, ganz ehrlich“

Jammerte sie, ohne dass es irgendetwas genutzt hätte. Brad Storm war einer der erbarmungslosesten, aber auch einer der gefragtesten Trainer des Fitnessstudios. Er wusste, wie man Leute fit machte, wie man sie motivierte und wie man alles aus ihnen heraus holte. Noa kannte ihn seit ihrer Kindheit. Er war mit Leandro zur Schule gegangen und sie war früher heimlich in ihn verliebt gewesen. Das war zu einer Zeit gewesen, als sie noch Kinderserien geschaut hatte und geglaubt hatte, vom Küssen könnte man schwanger werden. Nein, eigentlich hatte sie das nie geglaubt, das war Cloé gewesen – oder? Der Schweiß stand Noa auf der Stirn, als sie sich die letzten Male anstrengte. Es war ihr ernst mit einem gesünderen Leben. Sie wollte gesünder essen und sich wieder mehr sportlich betätigen. Das hier war der Beginn von etwas ganz Neuem und diesmal würde sie langfristig dabei bleiben.

„Yeah, Hälfte geschafft! Noch zehn... noch neun...“

Brad zählte den Countdown für sie. Wenn sie hier fertig war, würde sie ihn umbringen. Noa biss die Zähne zusammen. Hauptsache, es zahlte sich aus. Sie wollte einen Bauch wie Jenia Kareseska, eines dieser Über-Models, die ständig Werbung für Unterwäsche und Bademode machten und dabei so aussahen, als hätten sie in ihrem gesamten Leben noch keinen Schokoriegel gegessen. Nun, Noa hatte Neuigkeiten für diese Mädels: sie aß ab sofort auch keine mehr!

„Drei... zwei... eins... yeah! Und jetzt noch mal zehn, dann bist du fertig!“

Ungläubig brach Noa beinahe zusammen. Egal wie viel sie gab, für Brad war es nie genug. Eine halbe Stunde später verließ sie frisch geduscht die Umkleidekabinen. Sporthose und T-Shirt hatte sie ausgetauscht gegen Lederhose und Lederjacke. Noa war mit ihrem Speederbike hier und hatte vor, so schnell wie möglich zu verschwinden, nämlich so lange ihre Beine sie noch trugen. Brad hatte sie zuerst über das Laufband gejagt und sie dann an verschiedensten Geräten irgendwelche Muskeln trainieren lassen, so lange bis ihr Gesicht vollkommen gerötet war und sie bereit war, alles für ihn zu tun, nur damit er sie gehen ließ. Sie würde ganz sicher nie mehr wieder kommen.

„Bis übermorgen!“

Rief er ihr zu, als sie an der Anmeldung vorbei ging. Noa führte ihre Trinkflasche zum Mund und hob die Hand. Das würde sich erst noch zeigen.

“Ich komme nie wieder!“

Antwortete sie, doch Brad hob nur unschuldig die Hände. Der Abend, an dem sie bei Cloé und Jesper zum Essen gewesen war, war zwei Tage her. Seitdem hatte sie nicht mehr mit Cloé gesprochen, jedoch nicht aus böser Absicht, sondern weil ihre Schwester viele Termine hatte: Friseur, Maniküre, Shoppen, mit Freundinnen treffen und zwischendurch noch genügend romantische Zeit mit Jesper einplanen. All das wollte gut koordiniert werden. Noa verstaute ihre Tasche auf ihrem Bike und setzte ihren Helm auf. Sie wusste, dass Cloé nur die besten Absichten für sie hatte, doch sie glaubte auch, dass ihre Schwester, die seit Jahren in einer glücklichen Beziehung lebte, sich nicht ganz in ihre Situation hinein versetzen konnte.

Sie fuhr hinunter in die Unteren Ebenen, wo sie in einer Bar mit einem Mitglied einer der anderen Widerstandsgruppe verabredet war. Seit jenem schicksalhaften Treffen der einzelnen Gruppierungen, das in einem Desaster geendet war und Pablo seinen linken Arm gekostet hatte, arbeiteten die „Rebellen“, wie sie vom Imperium abwertend genannt wurden, sehr viel enger zusammen als zuvor, machten gemeinsame Sache und tauschten regelmäßig Berichte aus. Ihr Bruder hatte Noa geschickt, eine Nachricht entgegen zu nehmen, die zu brisant war um sie per Kom zu übermitteln. Solche Aufgaben zu übernehmen tat gut, denn auch das lenkte ab. In der Bar, in der sie sich trafen, war Noa noch nie gewesen. Ihre Kontaktperson war ein Advosze, den sie recht schnell erkannte. Sie setzte sich zu ihm an den schäbigen Tisch, den er für sich gewählt hatte und bestellte sich ein Getränk. Wie zwei alte Bekannte tauschten sie einige Belanglosigkeiten aus, auf die man sich im Vorfeld geeinigt hatte und die als Codewörter herhielten. Dann saßen sie noch eine Weile, um den Schein zu wahren, bis er ihr unauffällig einen Datenstick entgegen schob. Kurz darauf verabschiedete er sich und Noa blieb alleine mit ihrem Getränk zurück. Sie wartete noch ein paar Minuten und begann, gelangweilt mit ihrem Kom herum zu spielen. Die Bar war spärlich besucht. Das schummrige Licht war wenig einladend, stellte aber den perfekten Ort für jene Gestalten, die nicht gesehen werden wollten – so wie sie. In einer Ecke standen drei Typen an einem Spielomaten, zwei davon Twi'leks, einer ein Iktotchi, tranken Bier und ließen die Spielechips aus Plastik, die ihnen zum großen Geld verhelfen sollten, in ihren Hosentaschen klappern. Es war das übliche Treiben in einer von Coruscants typischen Bars, dachte Noa, als sie schließlich ihr Komlink wieder weg steckte, für ihren Drink bezahlte und nach draußen ging. Bei den Spielomaten standen nur noch zwei der drei Männer. Vermutlich hatte der Dritte die herunter gekommenen sanitären Anlagen aufgesucht, die die Bar im hinteren Bereich zu bieten zu hatte. Noa hatte genug dieser Läden von innen gesehen um zu wissen, dass die Toiletten so gut wie überall schmutzig und versifft waren. Sie selbst war weniger anspruchsvoll als die meisten Frauen, aber auch sie hatte ihre Standards. Während sie nach draußen ging, zog sie ihre Handschuhe über. Es war kalt. Sie würde direkt zum Hautpquartier der Defender fahren, Pablo oder Baes Hawot den Datenstick übergeben und dann nach Hause fahren. Den Mann, der im Schatten auf sie lauerte, sah Noa Chanelle nicht. Als sich eine Hand über ihren Mund legte und ein Arm sich fest um sie schlang, war es bereits zu spät. Sie spürte, wie ihr die Luft weg blieb und versuchte um sich zu schlagen, konnte sich jedoch kaum bewegen. Im selben Moment öffnete sich die Tür der Bar und die beiden Twi'leks traten nach draußen. Natürlich, dachte Noa, und wusste, ohne dass sie ihn sehen konnte, dass es der Iktotchi war, der sie festhielt.


„Ganz ruhig, Schlampe.“

Raunte eine Stimme an ihr Ohr.

„Mein DL-21 sitzt direkt in deinem Rücken.“

Übelriechender Atem wehte Noa in die Nase und ein heißer, feuchter Hauch legte sich auf ihren Hals. Gleichzeitig spürte sie den rundlichen Lauf eines Blasters, der sich genau gegen ihre Wirbelsäule presste. Sie bewegte sich keinen Millimeter.

„Wenn du schreist, bist du tot.“

Warnte sie der Iktotchi und entfernte langsam seine Hand. Noa biss die Zähne aufeinander.

“Nimm deine dreckigen Pfoten von mir.“

Zischte sie leise. Als Antwort erhielt sie nur ein vernichtendes Lachen. Grob trat er ihre Tasche, die zu Boden gefallen war, als er sie überrumpelt hatte, in Richtung der Twi'leks.

„Los, guckt ob da was brauchbares drin ist. Ich wette, unsere kleine Freundin hier hat ein paar nette Wertsachen für uns dabei.“

Noas Körper spannte sich an. Das hier war ein Raubüberfall und mit viel Glück würden die Typen sie gehen lassen und in die nächste Pfütze werfen, wenn sie zufrieden mit ihrer Ausbeute waren. Benahm sie sich jedoch daneben, würden sie ihr vielleich wirklich ein Loch in den Rücken schießen. Verdammt, was sollte sie bloß tun? Mit einer Waffe im Rücken konnte man nicht viel machen. An ihren Blaster kam sie nicht heran, nicht wenn er sie so fest hielt. Hilflos musste sie zu sehen, wie einer der Twi'leks in ihrer Tasche wühlte und sie dann auf dem Boden aus kippte. Er fand ihren Creditstick, der nicht besonders viel wert war – was er jedoch nicht wissen konnte – und trat ihr Komlink mit dem Fuß bei Seite. Der gesamte Inhalt ihrer Tasche war auf dem nassen Asphalt ausgekippt: Lipbalm, Bonbons, Handcreme, eine Sonnenbrille, die man auf Coruscant so gut wie nie brauchte und noch eine ganze Reihe anderer Dinge, die Frauen (selbst Noa!) mit sich herum trugen.

„Das war's. Hier ist sonst nix.“

Die Enttäuschung in der Stimme des Twi'leks war zu hören. Der Griff um Noas Arm verstärkte sich.

„Durchsucht sie. Los.“

Befahl der Iktotchi. Noa wurde blass.

“Wage es nicht...“

Sprach sie eine leere Drohung aus, als der Twi'lek auf sie zukam. Dabei waren es nicht die tastenden Hände des Nichtmenschen, die sie unruhig werden ließen und auch weniger der Datenstick in ihrer Hosentasche, der sie kaum interessieren würde. Was konnte ein junge Frau wie sie, die man so leicht überwältigen konnte, schon für Daten mit sich herum tragen? Sie würden glauben, es wären lediglich unwichtige private Informationen. Viel mehr Sorgen machte sich Noa um die Kette, die sie um ihren Hals trug. Cris' Kette. Verdammt. Sie war so dumm. Wie konnte man in die Unteren Ebenen gehen und ein solch wertvolles Schmuckstück mit sich herum tragen? Es war ein Coruscan-Diamant, zum Kuckuck! Sie hätte es wissen müssen. Sie war die verdammte Heldin der Unteren Ebenen! Doch wie eine Heldin wirkte sie gerade nicht. Noa drehte den Kopf weg und wandt sich, als der Twi'lek begann, erst in ihre Jacken- und dann in ihre Hosentaschen zu greifen. Die Berührungen genoss er sichtlich.

„Hey, keine Zicken.“

Warnte der Iktotchi hinter ihr, als sie sich bewegte und drückte ihr seinen Blaster noch eine Spur fester ins Kreuz. Inzwischen hatte der Twi'lek ihren Datenstick zu fassen bekommen und ihn achtlos vor ihre Füße geworfen. Sie brauchte einen Plan und zwar schnell, doch bevor sich auch nur ein einziger vernünftiger Gedanke in Noa manifestieren konnte, erklang das vertraute Klicken eines Blasters, der gerade entsichert wurde.

„Lasst die Lady in Frieden.“

Hörte sie eine ruhige Stimme sagen und das nächste, das sie wahr nahm, waren ein sich lösender Schuss, ein Blasterblitz, der an ihr vorbei jagte und der überraschte Aufschrei des Typen hinter ihr. Im nächsten Moment lockerte sich der Griff, mit dem sie festgehalten worden war und der DL-21 Blaster, der sie bisher in Schach gehalten hatte, fiel zu Boden. Ohne groß zu überlegen riss Noa ihr Knie hoch und rammte es dem Twi'lek vor ihr in seine Eingeweide. Ein weiterer Aufschrei folgte und die Widerstandskämpferin sprang zurück und zog ihren Holdoutblaster. Schwerfällig rappelte der Iktotchi sich auf. Er hielt sich die verletzte, rechte Schulter, vermutlich ein glatter Durchschuss.

„Macht, dass ihr verschwindet, los!“

Die männliche Stimme, die Noa gerettet hatte, barst vor Abscheu.

„Bevor ich es mir anders überlege.“

Sein Blaster war noch immer auf den Iktotchi gerichtet, bereit, ein zweites Mal abzudrücken, sollte es nötig sein. Noa hielt ihre eigene Waffe auf den Twi'lek, der ihr am nächsten war. Zögernd hoben die Typen die Hände und begannen eilig, das Feld zu räumen und das Weite zu suchen. Erst als sie sich wirklich davon machten und ihnen den Rücken gekehrt hatten, merkte Noa, wie schwer sie atmete. Das war knapp gewesen, viel zu knapp. Sie ließ ihren Blaster sinken.

„Entschuldigung, Miss, sind Sie in Ordnung?“

Die Stimme des Fremden klang höflich und besorgt, als er näher an sie heran trat. Noa sah auf, genau in das Gesicht ihres Retters und dann auf die imperiale Uniform, die er trug.

- Coruscant – Untere Ebenen – Vor einer Bar im Dunkeln – Mit einem Fremden -
 
[Coruscant-System, Weltraum vor Coruscant, Yacht Empress of Blades, Cockpit]- Barad Selby

Als die Empress of Blades in einer der üblichen Einfallrouten vor dem Stadtplaneten Coruscant aus dem Hyperraum fiel, machte Barad Selby gedanklich drei Kreuze. Dier Flug hierhin – zumindest der Teil ab Lianna – war eine reine Tortur gewesen, ein Zickzackkurs von System zu System, begleitet von den Bemühungen des Astromechs, einen möglichst plausiblen Flugplan zu erstellen und die tatsächlichen Aufzeichnungen der Yacht zu überschreiben, sodass es tatsächlich den Anschein machte, als hätten sie niemals imperialen Raum betreten. In der Tat half es, dass die letzten Stationen ihres Fluges in neutralem und imperialem Raum gewesen waren – von Ord Mantell waren sie nach Borleias gesprungen und schließlich nach Coruscant, ein Umweg, der den Flug beträchtlich verlängert hatte und das mit keiner Gesellschaft außer einem rechthaberischen Astromechdroiden, der zu allem Überfluss scheinbar einen Narren an einer Widerstandskämpferin von Coruscant gefressen hatte und seit deren Abwesenheit noch schnippischer geworden war. Selby würde ihm seinen Speicher wirklich bald löschen müssen – doch vorher gab es noch einiges zu tun. Ein routinemäßiger Blick verriet dem Piloten, dass der vom Geheimdienst installierte, gefälschte Transponder einwandfrei funktionierte – zum Glück, durch einen Anfängerfehler den Imperialen in die Hände zu fallen wäre nach diesem Flug schwer zu ertragen gewesen.

„Achtung, Duke’s Gambit, hier Flugkontrolle Coruscant. Scheren Sie in die vorgesehenen Passierrouten ein und übermitteln Sie Heimathafen und Flugplan zwecks Freigabe eines Schildsektors.“

Duke’s Gambit, das war der Tarnname der Empress, in ihrer Gestalt als Privatyacht eines mittelreichen, proimperialen Unternehmers, der mehr Zeit damit verbrachte, sein Geld mit extravaganten Hobbies auszugeben, als es durch ehrliche Arbeit zu verdienen. Das erklärte die vielen und unregelmäßigen Reisen, die die Empress unternahm, ohne dass irgendein imperialer Bürokrat misstrauisch wurde – so hoffte Selby zumindest. Sollte die Duke’s Gambit je auffällig werden, so hoffte er, dass dies den Codespleißern aus Sektion 02 vor der nächsten Kontrolle durch den imperialen Zoll auffiel.


Duke’s Gambit an Coruscant Flugkontrolle, Heimathafen Muunilinst. Letzte Stationen Borleias und Ord Mantell. Übermittle Daten.“

Ein Tastendruck übermittelte die gewünschten und oberflächlich einwandfreien Daten an die Flugkontrolle, die diese vermutlich wiederum mit den Archiven des Zolls, der Coruscant Security Force und vielleicht sogar mit denen der imperialen Flotte vergleichen würde. Dann waren da natürlich noch andere Institutionen des Imperiums – der IGD etwa, oder das ISB – die mit etwas Pech ganz genau verfolgten, wer in diesem Moment mit der Flugkontrolle kommunizierte. Glücklicherweise dürfte keine davon einen Grund haben, Verdacht zu schöpfen. Ein neureicher Industrieller besuchte Coruscant mit seiner Entourage. Mehr nicht.

„Duke’s Gambit, ist Ihr Ziel ein Raumhafen oder eine private Landebucht?“

„Private Landebucht, Kontrolle.“

„Verstanden.“

Wieder entstand eine Pause – Selby hoffte, dass es die letzte war.

Duke’s Gambit, Freigabe für den planetaren Schild erteilt, Zeitfenster 2 Standardminuten in Gitter 45-77-09. Flugkontrolle, Ende.“

Zufrieden lächelte Selby und beschleunigte die Empress ein letztes Mal, um den deaktivierten Bereich des Schildes zu erreichen bevor das knapp bemessene Zeitfenster abgelaufen war. Dann tauchte die elegante Yacht durch die typische Wolkendecke Coruscants und hinab in ein kleines Unwetter zwischen den gigantischen Wolkenkratzern, allerdings nichts, was die Fähigkeiten des Piloten sonderlich auf die Probe stellte. Mittlerweile kannte er den Standort der Landebucht, in dem der Geheimdienst die Empress üblicherweise verwahrte, wie im Schlaf und steuerte das Schiff zielsicher hinab durch den Verkehr aus vergleichbaren Schiffen und bedeutend kleineren Gleitern. Ein unauffälliges Funksignal ließ die in der Bucht stationierten Agenten wissen, dass ein verbündetes Schiff sich näherte, sodass er die Tore an der Seite eines der Tausenden Wolkenkratzer tatsächlich geöffnet vorfand. Geschickt und ohne auf die Hilfe des Computers angewiesen zu sein landete Selby die Empress, hinter der das metallene Tor zum Rest Coruscants sich dann auch sogleich wieder schloss. Mit einem Seufzen erhob er sich aus seinem Pilotensessel. Es war schon nicht fair – ihm konnte dieser Planet gestohlen bleiben und doch musste er hierher zurück, während Sheldon vermutlich alles geben würde, um hierher und damit zu Noa Chanelle Cortina zurückzukehren, aber auf Lianna festsaß. Selbys Blick wanderte in Richtung des Datenblocks, den Sheldon ihm gegeben hatte, und des Comgeräts, das er Noa ebenfalls geben sollte. Er hatte bereits einmal beobachtet, wie sein ehemaliger Vorgesetzter kurz sein Glück gefunden und dann danach sich selbst und eine zweite Person todunglücklich gemacht hatte, und konnte sich der Frage nicht erwehren, ob er dadurch, dass er Sheldon half, zumindest einen Funken Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Noa zu bewahren, nicht vielleicht noch viel mehr Leid verursachte. Er griff nach den beiden Gegenständen – jetzt machte es keinen Unterschied mehr. Er hatte Sheldon sein Wort gegeben. Und Barad Selby hielt sich an sein Wort.

Einer der Agenten in der Landebucht – der Twi’lek – erwartete Selby bereits mit vor der Brust verschränkten Armen und einem belustigten Grinsen, als dieser die Yacht über die Gangway verließ.

„Willkommen zurück auf Coruscant, Agent Selby.“

Selby grinste ebenso zurück.

„Ab jetzt Lieutenant Selby, für Sie. Organisieren Sie mir einen Gleiter? Ich muss mit dem Major sprechen.“

Zumindest Tacema dürfte ob der Entwicklung der Situation begeistert sein. Während der Twi’lek seinen Wunsch erfüllte, nahm Selby sein eigenes Comlink zur Hand, um damit eine Nachricht zu formulieren – an Noa. Je eher er die beiden Gegenstände loswurde, desto besser.

***Com-Nachricht an Noa Chanelle Cortina***

Noa,

ich bin wieder auf Coruscant. Bitte nennen Sie mir Zeit und Ort für ein Treffen. Da sind zwei Dinge, die ich Ihnen geben soll.

Selby

***Ende der Nachricht***​

Mit einem weiteren Seufzen steckte Selby das Com wieder weg. Er hatte immer noch das Bild Sheldons vor Augen, wie dieser verloren auf dem Observationsdeck der Empress gesessen hatte, den Blick unverwandt auf eine einzelne Haarlocke gerichtet. Er hatte ein Gespür für Tragödien… und das hatte durchaus das Zeug dazu.

[Coruscant, Wolkenkratzer, Landebucht, vor der Empress of Blades]- Selby, Agenten des Geheimdienstes
 
- Coruscant – Untere Ebenen – Vor einer Bar im Dunkeln – Mit einem Fremden -

„Miss, geht es Ihnen gut?“

Der Fremde, seiner Kleidung nach zu urteilen der imperialen Armee zugehörig, war noch einen Schritt näher an Noa heran getreten. Seine Waffe hatte er inzwischen zurück in ihr Holster gesteckt. Noa mangelte es an Worten. Sie fühlte sich gut, ihr fehlte nichts, doch sie hatte plötzlich Schwierigkeiten, dies auch auszudrücken. Es war ihr lange, lange nicht mehr passiert, dass sie in den Unteren Ebenen in Schwierigkeiten geraten war. So oft wie sie hier unterwegs war, war es auch nicht das erste Mal gewesen, doch im Gegensatz zu heute hatte sie sich immer selbst zu helfen gewusst. Es war nie so kritisch gewesen wie heute und das nur, weil sie einen dummen, unachtsamen Fehler gemacht hatte, indem sie angenommen hatte, der Iktotchi, den sie in der Bar gesehen hatte, sei zu den sanitären Anlagen gegangen, anstatt dass ihr aufgefallen wäre, dass er in Wirklichkeit nach draußen verschwunden war. Wäre sie nur einen Ticken aufmerksamer gewesen, hätte sie den Plot gegen sie eher bemerkt...

„Miss?“

Sie sah auf. Und dann war sie von einem Imperialen gerettet worden. Ausgerechnet.

“Ja. Ja, es geht mir gut.“

Antwortete sie fahrig, ohne ihn wirklich anzusehen, ging in die Hocke und begann, ihre Habseligkeiten aufzusammeln, die überall verstreut in den öligen Pfützen lagen. Wo war ihre Tasche? Noa musste ein paar Meter gehen, um sie aus einer schmutzigen Ecke aufzuheben. Das Obermaterial schien vollkommen ruiniert, aber das war nicht der Zeitpunkt für falsche Eitelkeit. Dann kaufte sie eben eine neue Tasche, oder lieh sich eine von Cloé. Taschen waren nicht wichtig. Sie waren bloß Accessoires, praktische Gegenstände. Es gab Taschen wie Sand am Meer oder wie Sterne in der Galaxis und jedes Jahr erschienen neue Kollektionen, von allen möglichen Designern. Taschen waren... Taschen. In Gedanken hatte Noa zu brabbeln begonnen. Alles war besser, als sich mit der Realität auseinander zu setzen. Wahllos packte sie alles, was sie vom Boden aufklaubte, wieder ein. Ihre Sonnenbrille war kaputt, nachdem einer dieser elenden Kleinkriminellen bei seiner Flucht darauf getreten hatte, aber das machte auch nichts. Sie zog sie sowieso nie auf.

„Hier, Sie haben noch etwas vergessen.“

Die Stimme des Imperialen ließ Noa wieder aufsehen. Er stand neben ihr, obwohl er schon längst wieder hätte verschwinden können. Die drei Typen waren weg, was wollte er noch? Angespannt sah sie hinunter auf seine ausgestreckte Hand, in der er den Datenstick mit den wichtigen Informationen des Widerstands hielt, deretwegen Noa überhaupt nur hier war. Informationen, die vermutlich brisante Details enthielten, die helfen würden, dem Imperium den nächsten großen Schlag zu versetzen.

„Das ist doch Ihrer, oder?“

Wollte er wissen. Für einen Moment zögerte Noa, dann nickte sie.

“Ja, das ist meiner.“

Antwortete sie schließlich und ihre Hand zitterte, als sie den Stick entgegen nahm und ihn gar nicht schnell genug wieder in ihrer Hosentasche verschwinden lassen konnte. Warum musste es ausgerechnet ein Imperialer sein, der sie aus den Klauen dieser widerwärtigen Diebe befreit hatte? Warum hatte es nicht irgendwer sein können, jemand der keine Uniform trug?

„Wenn ich mich vorstellen darf: Private Will Echo, zu Ihren Diensten, Miss. Sie sehen noch blass aus, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht? Das muss ein ziemlicher Schock für Sie gewesen sein.“

Die Stimme des Uniformierten klang eine Spur unsicher, regelrecht schüchtern, und zum ersten Mal sah Noa ihn wirklich an und nahm ihn dabei auch wahr. Er war noch jung, etwa so alt wie sie, oder sogar noch jünger. Er hatte helle Haare und sehr helle, makellose Haut. Seine Züge waren fein geschnitten, fast zu fein für einen Soldaten, und seine Augen schienen fast unnatürlich stechend blau. Natürlich war er ein Mensch. Die Seite, für die er arbeitete, ließ keine anderen Möglichkeiten zu. Er gehörte zum Imperium und war somit ein Feind, nur wusste er das nicht.

„Vielleicht möchten Sie sich kurz hinsetzen, einen Schluck Wasser trinken?“

Bot er an und deutete auf die Bar, doch keine zehn Banthas hätten Noa dort wieder hinein bringen können. Sie schüttelte den Kopf.

“Nein. Ich muss nach Hause.“

Erwiderte sie kurz angebunden, wandte sich um und ging zu ihrem Speederbike. Obwohl sie sich darauf konzentrierte, ihre Tasche unter zu bringen, spürte sie, dass er noch immer hinter ihr stand. Er war ein verdammter Imperialer, aber er hatte ihr geholfen. Wäre er nicht gewesen...

“Trotzdem, danke.“

Zögerlich blickte sie in seine Richtung.

“Danke für die Hilfe.“

Sein Gesicht hellte sich auf. Hoffnungsvoll trat er wieder einen Schritt näher.

„Erlauben Sie mir, Sie nach Hause zu geleiten?“

Fragte er. Noas Augen weiteten sich. Auf keinen Fall! Er sollte sie in Ruhe lassen!

“Den Weg finde ich alleine.“

Sagte sie schnippisch, doch er ließ nicht locker.

„Ich würde mich gerne davon überzeugen, dass Sie wohlbehalten heim gelangen.“

Drängte er. Noa schüttelte den Kopf. Er mochte ihr geholfen haben, aber sie würde ihn nie und nimmer direkt zu ihrer Wohnung führen, damit er wusste wo sie wohnte, und wusste, wo er sie abholen konnte, sollte sie jemals mit dem Widerstand auffliegen.

„Dann verraten Sie mir wenigstens Ihren Namen.“

Er verstand es nicht. Vielleicht wollte er es auch nicht verstehen. Sein Komlink piepte und mit einem hin- und her gerissenen Blick nahm er das Gespräch an. Noa ergriff die Gelegenheit, sich ihren Helm zu schnappen und sich auf ihr Speederbike zu schwingen, doch bevor sie einfach los fahren konnte, stand er vor ihr, die Hand auf einem der Steuerregler. Seine stechend blauen Augen fixierten sie und alle Zurückhaltung war aus seinem Blick gewichen. „Warten Sie.“, formte er lautlos mit seinem Mund. Es war eine Bitte.

„Ja, Sir, verstanden.“

Sprach er in sein Komlink. Noa hätte am liebsten die Augen geschlossen und sich an einen anderen Ort gewünscht. In Filmen funktionierte so etwas manchmal. Warum nicht in echt?

„Sir, ich werden in einer halben Standardstunde zu Ihnen aufschließen. Ich fühle mich verpflichtet, eine junge Lady sicher nach Hause zu geleiten, der ich bei einem kleinen Missgeschick behilflich sein konnte. …Ja, Sir, natürlich. Das wird kein Problem darstellen. Vielen Dank.“

Sie hätte ihn einfach umlegen sollen, dachte Noa. Nichts wäre einfacher gewesen, als in dem Augenblick, in dem sie ihn als Imperialen identifiziert hatte, den Abzug ihres Blasters zu drücken. In diesem Moment wäre er noch ein unbekanntes Gesicht gewesen, eine Nummer ohne Persönlichkeit, doch je mehr er versuchte Noas Einverständnis zu gewinnen, sie nach Hause bringen zu dürfen, umso schwieriger würde es werden, sein Gesicht je wieder zu vergessen. Sie wollte nicht so weit gehen zu sagen, er habe ihr das Leben gerettet – das war dann doch etwas übertrieben – aber er hatte ihr zweifellos einen großen Dienst erwiesen. Hätte er gewusst, wer sie war, hätte er dies ganz sicher nicht getan.

„Lassen Sie mich wenigstens dafür sorgen, dass Sie wohlbehalten aus dieser unsäglichen Gegend entkommen.“

Bat er schließlich. Sein Blick wanderte zu ihren Händen. Er hatte bemerkt, dass sie noch immer zitterte, doch er wusste nicht, dass er es war, wegen dem sie es tat. Auf ihrer Stirn, dachte Noa, musste in großen Buchstaben stehen, dass sie eine Verräterin war, eine Verräterin am Imperium. Wahrscheinlich sah man es ihr an. Sie war so unsagbar schlecht darin, anderen etwas vorzuspielen, er musste es förmlich riechen.

„Lassen Sie mich aufsitzen.“

Beharrte er stur.

„Ich bringe Sie zurück nach oben, oder wo immer Sie hin wollen und werde Sie dann nicht weiter belästigen. Sie sind in keinem Zustand, selbst zu fahren.“

Und damit, dachte Noa, obwohl sie es nur sehr ungern zugab, hatte er vermutlich sogar Recht. Vielleicht war es das Klügste, an dieser Stelle nachzugeben und sich zu fügen. Je kooperativer und dankbarer sie sich zeigte, um so schneller würde sie ihn auch wieder los sein.

- Coruscant – Untere Ebenen – Vor einer Bar – Mit Private Will Echo -
 
- Coruscant – City – Speederbike – Mit Private Will Echo –

Fragen oder Probleme, auf die man dringend eine Antwort suchte, wurden nicht immer zwangsläufig auch beantwortet, doch Dinge, auf deren Ergründung man gut und gerne verzichten konnte, wurden oft in aller Ausführlichkeit eruiert. Als sie 7 Jahre alt gewesen war, hätte Noa alles darum gegeben um zu erfahren, wie es war ein Jedi-Ritter zu sein und mit einem Lichtschwert gegen böse Banditen zu kämpfen. Ihre Mutter hatte ihr und ihrer Schwester abends vor dem Schlafengehen regelmäßig Abenteuergeschichten über die Jedi und ihre guten Taten vorgelesen, doch niemand hatte Noa zufriedenstellend darauf antworten können, wie es war, diese Macht, von der alle redeten, auch wirklich zu benutzen. Was das anging, war sie einzig auf ihre Fantasie angewiesen gewesen. Mit zwölf hatte sie dann wissen wollen, wie es sich wohl anfühlte bei lebendigem Leib verbrannt zu werden. Sie hatten zu dieser Zeit berühmte Helden und ihre Tode in der Schule durchgenommen und während ihr Bruder Leandro ihr vorgeschlagen hatte ins Krankenhaus zu gehen und mit dort stationierten Brandopfern über ihre Erfahrungen und Schmerzen zu sprechen und Noa bereits drauf und dran gewesen war, sich auf den Weg zu machen, hatte Ramón ihr dann noch gerade rechtzeitig einen Strich durch die Rechnung gemacht und ihr strengstens verboten, hilflose Patienten derart zu belästigen. Schließlich hatte sich Cloé angeboten, Noa mit einer offenen Flamme ein Bein zu verbrennen, damit sie den Heldentot Enuard Vi’ngines zumindest teilweise wahrhaftig nacherleben konnte und Noa konnte noch heute die alte Brandwunde an ihrem Knie erkennen. Es hatte ihr nicht geholfen, wirklich nachzuempfinden, wie der republikanische Märtyrer vor hunderten von Jahren gestorben war und so auch diese äußerst interessante Frage unbeantwortet geblieben. Im Gegensatz dazu hatte Noa, zumindest empfand sie es so, in ihrem Leben bereits haufenweise Dinge gelernt, die sie eigentlich überhaupt nicht interessierten. Das hatte bereits in der Schule angefangen, hatte sich über ihr Privat- und schließlich auch in ihr Berufsleben erstreckt. Noa hatte nie wissen wollen, wie man komplizierte Gleichungen ausrechnete, aber es trotzdem lernen müssen – auch wenn sie dies alles schon längst wieder vergessen hatte. Sie hatte nie wissen wollen, dass Lioba ihren Kurzzeitfreund Torres Cuja am Eiskristallfest betrogen hatte, hatte es aber trotzdem erfahren und sich dann in der prekären Situation wieder gefunden, zu ihrer Freundin zu stehen oder Torres, der Noa praktisch auf Knien angefleht hatte, aufrichtig zu ihm zu sein, die Wahrheit zu sagen. Der arme Kerl hätte alles für Lioba getan, sie am liebsten geheiratet und zehn Kinder mit ihr bekommen. Gut, dass das anders gekommen war. Schließlich war da noch Jeromes Geheimnis um sein Drogengeschäft gewesen. Das war etwas, von dem Noa am liebsten niemals erfahren hätte. Die Beziehung mit ihrem Ex war gut gewesen, besser jedenfalls als alle vorherigen. Noa und Jerome waren verrückt nacheinander gewesen. Sie hatten nicht wirklich nicht miteinander gekonnt, aber definitiv auch nicht ohne einander. Dann hatte Noa heraus gefunden, was Jerome hinter ihrem Rücken trieb. Von diesem Zeitpunkt an war es nur noch bergab gegangen. Und hatte Noa danach gefragt? Nein. Hätte sie bloß niemals erfahren, dass er illegal Drogen verkaufte, dann wäre zwischen ihnen viellelicht alles anders gekommen. Noa hätte sich niemals so aufregen müssen, viele Streitigkeiten wären ihnen erspart geblieben. Vielleicht hätten sie sich nie getrennt. Wer wusste das schon. Heute saß Noa auf ihrem Speederbike, nicht direkt hinter der Steuerung, so wie normalerweise, sondern auf dem Passagiersitz, hinter dem Piloten. Hinter einem Imperialen. Sie hatte ganz sicher niemals wissen wollen, wie es sich anfühlte, von einem imperialen Soldaten vor einer Gruppe Banditen gerettet zu werden, sich von ihm auf ihrem Speederbike in die Oberen Ebenen zurück fahren zu lassen und ihre Arme um seinen Körper zu legen, um sich an ihm festzuhalten. Nein, dies war eines dieser unnützen Dinge, die Noa niemals hatte wissen oder erfahren wollen und die sich ihr trotzdem förmlich aufdrängten.

Will Echo hielt das Speederbike an, als sie die Oberen Ebenen erreicht hatten. Er parkte in einer Parkbucht, nahe einem großen Einkaufscenter und unweit von dem Schnellimbiss, in dem Amata arbeitete. Noa stieg als erste ab.


“Da wären wir.“

Stellte Private Echo unnötigerweise fest. Noa verschränkte unwohl die Arme vor der Brust. Sie wusse, wo sie waren, zum Kuckuck!

“Haben Sie es noch weit bis nach Hause, Miss?“

Wollte er wissen.

“Nein.“

Sie schüttelte den Kopf.

“Von hier aus schaffe ich es schon alleine.“

Und sie hätte es auch bis hierher geschafft, dachte sie. Musste sie sich jetzt schon wieder bedanken? Noa kniff die Lippen zusammen, hin- und hergerissen zwischen Abneigung, Höflichkeit und tatsächlich einem Anflug ehrlicher Dankbarkeit. Sie hatte nichts davon, es vor sich selbst zu leugnen: sie war zittrig gewesen, nachdem er diese Idioten, die gemeint hatten, sie ausrauben zu können, vertrieben hatte. Und auch wenn es ihr nicht gefiel, musste sie zugeben, dass sie Will Echos Hilfe gebraucht hatte, unabhängig davon, wer er war. Sie hoffte bloß, dass ihr das nie wieder passieren würde. Sobald sie wieder auf ihrem Bike saß, würde sie jedenfalls so schnell wie möglich verschwinden und alles vergessen, was heute passiert war.

„Sie sollten sich ausruhen, Miss.“

Private Will Echo zog kurz seine Mütze.

„Es war mir ein Vergnügen.“

Er sah Noa an, wartete darauf, dass sie etwas erwiderte. Die Widerstandskämpferin vermied es, ihn direkt anzusehen. Verlegen räusperte sie sich.

“Ja... ebenso.“

Murmelte sie.

“Danke.“

Und dann setzte sie ihren Plan in die Tat um und verschwand so schnell, wie sie nur konnte, weg von dem Imperialen, der ihr geholfen hatte, obwohl sie ihn hasste für das, was er war und weg von dem Schrecken in den Unteren Ebenen, der sie daran erinnert hatte, dass sie nicht immer so gut alleine klar kam, wie sie gerne glaubte.

- Coruscant – City – Speederbike –
 
- Coruscant – City – Raumhafengegend – Noas Wohnung –

Erst als die Wohnungstür hinter ihr zu fiel, gestattete sich Noa Chanelle, die Schultern hängen zu lassen und tief auszuatmen. Dieser Tag war nur zum Vergessen, zu dumm nur, dass er noch nicht zu Ende war. Es war lange, lange her, dass sie zuletzt in den Unteren Ebenen in Schwierigkeiten geraten war und sie war noch nie so dicht dran gewesen, dass ihr wirklich etwas geschehen war. Sie hatte sich immer selbst helfen können. Bis jetzt. Von einem plötzlichen Adrenalinstoß durchzogen, zog Noa ihre Jacke aus, warf sie über die Armlehne des Sofas und rauschte in das kleine Schlafzimmer, dem einzigen Raum in ihrer Wohnung, der ein Fenster besaß und der aus diesem Grund in ein helleres, freundlicheres Licht getaucht war als der Wohnraum, an dessen Decke lediglich eine billige Leuchtröhre flackerte. Dass sie diese mal wieder fest drehen musste, kam Noa nur beiläufig in den Sinn. Sie hatte etwas viel Wichtigeres zu erledigen. Mit Zeige- und Mittelfinger fischte sie unter dem Rundhalsausschnitt ihres Oberteils nach der filigranen Halskette, die sich wie eine zweite Haut an sie geschmiegt hatte. Noa fühlte sie kaum, wenn sie sie trug. Nervös suchte sie den Verschluss und löste ihn mit rutschigen Fingern. Die silberne Kette fiel in ihre geöffnete Hand, als sie sie von sich löste. Sie hätte sie um ein Haar verloren , dachte Noa, als sie auf den leuchtenden Anhänger starrte. Wäre Private Will Echo nicht zu ihrer Hilfe gekommen wie ein strahlender Ritter in imperialer Rüstung, so hätten die Banditen sie weiter durchsucht und alles genommen, was ihnen wertvoll genug erschien. Ein Corusca-Edelstein war sicher mehr, als sie sich jemals erhofft hätten zu erbeuten. Kopfschüttelnd schloss Noa ihre Hand mit dem Schmuckstück darin, sah sich um und öffnete ihren Kleiderschrank. Scheinbar wahllos zog sie ein Paar zusammen gelegter Strümpfe heraus und ließ die Halskette in einen der beiden hinein gleiten. Cris‘ Geschenk war zu wertvoll, als dass Noa hätte riskieren können, es wirklich zu verlieren. Sie waren nicht länger auf Mon Calamari. Dies hier war Coruscant und die Gegend, in der Noa sich bewegte, zu grob und gefährlich, um mehr bei sich zu tragen, als man verschmerzen konnte, gestohlen zu bekommen. Bei ihr war die Halskette nirgends sicher, weder auf ihren Streifzügen durch die Unteren Ebenen, noch bei ihren Besuchen im Hauptquartier der Defender. Die Mitglieder des Widerstandes mochten für die gleiche Sache kämpfen, doch selbst das bedeutete nicht, dass nicht einer lange Finger machen würde, wenn sich ihm die Gelegenheit bot. Noa schloss den Kleiderschrank. Sie dachte so oder so an Cris, sie brauchte keinen teuren Edelstein bei sich zu tragen, der sie an ihn erinnerte.

Sie öffnete die Tür zu Pablos Büro und fand ihren Bruder alleine an seinem Schreibtisch sitzen, ein holographisches Diagramm vor sich aufgebaut. Er schien in Arbeit vertieft, doch bei ihrem Eintreten sah er auf. Müde Augen begegneten Noa. Er hatte wohl wieder einmal die Nacht durch gearbeitet, hier an seinem Schreibtisch, in Grants Büro oder irgendwo sonst, wo der Widerstand ihn gebraucht hatte. Bei ihrem Anblick brachte er trotz allem ein Lächeln zu stande.


„Du hast Baes knapp verpasst, er ist gerade weg. Wir hatten dich viel früher erwartet.“

Sagte er.

„Wo warst du?“

Er schaltete das Hologramm ab, vielleicht um sich ganz auf Noa zu konzentrieren, vielleicht auch, damit sie die Informationen nicht sah, die er dabei gewesen war auszuwerten. Noa kam näher.

“Oh, ja. Ich bin etwas aufgehalten worden. Sorry.“

Sie griff in ihre Hosentasche und reichte ihm den Datenstick, wegen dem sie gekommen war. Bei allem was geschehen war, war es ihr trotz allem gelungen, ihren Job zu erfüllen und darüber war sie froh. Das war der einzige Lichtblick an diesem verqueren Tag. Pablo nahm den Stick entgegen und legte ihn auf den Tisch vor sich. Seine Stirn runzelte sich leicht, als er Noa ansah.

„Was ist los?“

Wollte er mit dem Instinkt eines Bruders wissen, der spürte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Noa machte ein harmloses Gesicht.

“Los? Nichts.“

Antwortete sie.

“Nichts ist los. Nichts von Wichtigkeit.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Normalerweise teilte sie alles mit Pablo. Er war der Einzige, vor dem sie keine Geheimnisse hatte und der alles über sie wusste. Diesmal aber fiel es ihr schwer, ehrlich zu sein. Große Brüder neigten von Natur aus dazu, sich Sorgen zu machen und Noa wollte Pablo keinen Anlass geben zu denken, dass sie nicht auf sich selbst aufpassen konnte. Davon abgesehen, dass sie um ihrer selbst Willen nicht wie das hilflose Mädchen wirken wollte, hatte er genug eigene Proleme.

„Sag mir, was dich bedrückt.“

Pablo wandte den Blick nicht von ihr.

„Entweder das, oder sprich mit Cloé, aber sprich mit jemandem.“

Riet er ihr, ohne sich von Noas Beteuerung, sie habe kein Problem, auch nur im geringsten beeindrucken zu lassen. Da saß er, ihr lieber Bruder, vollkommen verausgabt und übermüdet, mit genügend Schwierigkeiten um die er sich kümmern musste und bestand dennoch darauf, dass sie ihm ihr Herz ausschüttete, doch so einfach war das nicht. Sie wollte ihm nicht auch noch zur Last fallen. Es war besser, wenn sie nach Hause ging und sich eine dicke, fettige Portion Specknudeln rein pfiff. Das half auch.

„Aber friss es nicht in dich hinein.“

Ergänzte er. Noa konnte tun und sagen was sie wollte, irgendwie wusste Pablo immer genau, was sie dachte. Seufzend sank sie auf den Stuhl neben ihn.

“Es war nichts.“

Sagte sie schließlich.

“Nur eine Kleinigkeit. Nachdem ich den Stick bekommen habe, haben ein paar Typen versucht mich abzuziehen.“

Obwohl sie die Wahrheit sagte, vermied Noa es, ihren Bruder anzusehen. Sie sagte ihm, was vorgefallen war, doch sie würde nicht alles sagen.

„Typen? Was für Typen?“

Fragte er nach. Die Bilder der beiden Twi'leks und des Iktotchis tauchten vor Noas Augen auf.

“Keine Ahnung. Unterwelt-Gesocks.“

Noa zuckte mit den Schultern, versuchte es herunter zu spielen, doch sie merkte gleichzeitig, dass es gut tat, darüber zu reden. Wie immer hatte Pablo Recht gehabt. Sein prüfender Blick ruhte auf ihr.

“Es ist okay, wirklich.“

Versicherte sie ihm und realisierte, dass es sogar stimmte.“

“Ich konnte verschwinden, bevor irgendwas passiert ist. Kein Grund zur Panik.“

„So lange dir nichts passiert ist, ist alles gut.“

Pablo legte seine Hand auf ihre und drückte sie. Nun schaffte Noa es sogar, zu lächeln.

“Mir ist nichts passiert.“

Sagte sie und war dankbar, dass ihr Bruder ihr weder einen Vortrag hielt, noch anzweifelte, dass sie alleine auf sich acht geben konnte. Aber warum sollte er auch? Sie streifte alleine durch die Unteren Ebenen, seit sie 16 war und nur weil einmal etwas passiert war, bedeutete das nicht automatisch, dass das morgen oder übermorgen wieder der Fall sein würde. Noa wusste das und glücklicherweise wusste Pablo es auch. Was er nicht wusste war, dass seine Schwester ihm verschwieg, dass sie Hilfe gehabt hatte.

- Coruscant – Untere Ebenen – HQ der Defender – Pablos Büro – Mit Pablo –
 
- Coruscant – City – Cloés und Jespers Wohnung – Küche – Mit Cloé –

In Cloés Küche roch es nach frischen Schokoladencrémeplätzchen. Der Duft von Gebackenem hing noch in der Luft, als Noa tief über der heute ausnahmsweise unbenutzten Küchenmaschine gebeugt stand, ein Multimeter in der Hand. Sie schüttelte den Kopf.

“Ich habe Spannung in der Strombox, aber nicht vom Mixer ausgehend.“

Sagte sie, frustriert.

“Warum tust du dir das alte Ding überhaupt an?“

Sie griff nach dem Schrauber und begann, die Abdeckung des Mixers zu öffnen. Cloés Küchenmaschine war mindestens zwanzig, wenn nicht sogar dreißig Jahre alt. Sie hatte sie noch von ihrer Mutter geerbt und benutzte sie beinahe täglich. Heute hatte das gute alte Teil nach jahrelanger treuer Hilfestellung schließlich den Geist aufgegeben, doch anstatt sich einfach ein neues und moderneres Gerät zu kaufen, hatte Cloé Noa gebeten, sich das Problem anzusehen. Sie hing an der Maschine, so viel war Noa klar, doch die Frage war, ob eine Reparatur überhaupt noch Sinn machte – oder überhaupt möglich war.

„Ich kann mit keinem anderem Gerät arbeiten.“

Behauptete Cloé, die in ihrer weißen Schürze voller flauschiger Rüschen aussah wie eine dieser vorbildlichen Hausfrauen aus dem Mittags-Programm im Holo-TV, die Rezepte austauschten und Tipps über Kindererziehung gaben. Noa rollte mit den Augen.

“Du willst nur nicht. Die Plätzchen hast du doch auch so hin bekommen.“

Erwiderte sie und legte die Abdeckung des Mixers bei Seite. Sie warf einen Blick ins Innere des Geräts. Wenn es der kleine Elektro-Motor war, der schlapp gemacht hatte, gab es nichts, das sie tun konnte.

„Den Teig hatte ich gestern schon vorbereitet!“

Verteidigte Cloé sich und ihre wertvolle Küchenhilfe.

„Wenn der Mixer gestern schon kaputt gegangen wäre...“

“Jaja, schon gut.“

Noa hatte verstanden, worum es ging.

“Lass die Expertin nur machen.“

Sie stellte das Multimeter auf Durchgangsprüfung um und maß diesmal an der Thermosicherung. Das Ergebnis war negativ.

“Aha!“

Rief sie aus und drehte sich triumphierend zu Cloé um.

“Fehler gefunden. Die Thermosicherung ist kaputt, aber die kann ich problemlos austauschen.Ich brauch' nur ein Ersatzteil.“

Sie zuckte mit den Schultern. Das sollte nicht viel Arbeit darstellen. Cloé indes klatschte fröhlich in die Hände.

„Was für ein Glück, danke! Kriegst du das bis morgen Abend hin?“

“Ich denke schon.“

Noa's Blick verfing sich in dem Korb mit den noch warmen Schokoplätzchen. Sie hatte sich eine Belohnung verdient, doch wenn sie jetzt naschte, war die ganze Arbeit, die sie heute unter Brads anspornenden Kommentaren auf dem Laufband verbracht hatte, für die Katz. Sie war, wie verabredet, im Fittnessstudio gewesen und plante, auch in zwei Tagen wieder hin zu gehen – und das, obwohl sie schon jetzt Muskelkater ohne Ende hatte. Heute Morgen hatte sie sich vor Schmerzen kaum aus dem Bett schälen können, aber sie war eisern und diszipliniert gewesen. Seufzend beschloss sie, dies auch weiterhin zu sein.

„Kluges Mädchen.“

Cloé grinste. Noas gieriger Blick war ihr nicht verborgen geblieben.

„Du bist jetzt einmal richtig dran. Mach noch zwei Wochen so weiter und du hast zwei Kilo runter.“

“Ich glaub, ich hab schon eins weg.“

Erwiderte Noa.

„Noch besser. Fühlt sich gut an, nicht?“

Lachend deckte Cloé den Korb mit den Plätzchen, die sie als Gschenk für eine Freundin gebacken hatte, bei der sie später eingeladen waren, mit einem Tuch ab.

„Und wo wir schon dabei sind... wie geht’s dir sonst so?“

Ihre Frage klang einen Hauch vorsichtiger als der Rest des Gesprächs, vorsichtiger als man normalerweise fragen würde und Noa brauchte nich viel Intutition um zu wissen, worauf Cloé hinaus wollte. Sie zuckte mit den Schultern.

“Ganz gut. Normal.“

Erwiderte sie. Sie fühlte Cloés Blick noch auf sich.

„Gut. Mir ist nur aufgefallen, dass du Sheldons Kette nicht trägst.“

Oh, ja... die Halskette. Noa verzog leicht Mund. Wie sollte sie das erklären, ohne Cloé zu erzählen, was ihr in den Unteren Ebenen passiert war? Darüber konnte sie auf gar keinen Fall sprechen, nicht mit Cloé, die ohnehin nie damit einverstanden gewesen war, dass Noa sich in solch unzivilisierten Gegenden herum trieb, und dann auch noch alleine.

“Wer hat gesagt, dass ich sie jeden Tag tragen muss?“

Fragte Noa zurück. Angriff war die beste Verteidigung, zumal es sogar stimmte. Trug Cloé jeden Tag eines von den zahlreichen Schmuckstücken, die Jesper ihr in all der Zeit, in der sie zusammen waren, bereits geschenkt hatte? Ganz sicher nicht. Cloé varrierte ihren Schmuck zwar jeden Tag, doch sie besaß auch genug Stücke, die nicht von Jesper stammten, sondern die sie sich selbst gekauft hatte.

„Musst du ja nicht. Hat mich bloß gewundert“

Cloé gab sich Mühe, einen beschwichtigenden Tonfall anzuschlagen.

„Also denkst du noch immer an ihn?“

“Ja, tue ich. Es ist erst ein paar Tage her...“

„Aber gehört hast du nichts von ihm?“

“Nein... nein, hab' ich nicht.“

Langsam begann Noa, das Werkzeg, das sie auf den Küchenschränken ausgebreitet hatte, wieder in Jespers Koffer, den er selbst nie benutzte, zurück zu legen. Cloé zuckte, nach einer Antwort suchend, mit den Schultern.

„Er hat bestimmt viel zu tun, mit seiner neuen Aufgabe und so.“

Versuchte sie, eine Begründung für sein Verhalten zu finden. Es war süß von ihr, dass sie sich, trotz aller Bedenken, die sie gegen Cris Sheldon hatte, Mühe gab, Noa aufzuheitern und ihr gut zuzureden.

“Ja, vermutlich. Oder er ist irgendwo, von wo aus er nicht schreiben kann.“

„Vielleicht ist er permanent im Hyperraum unterwegs!“

Wider Willen musste Noa lächeln.

“Oder das, ja.“

„Was macht er eigentlich sonst so? Erzähl mir von ihm.“

Cloé öffnete eine Schranktür, holte zwei Gläser heraus und goss ihnen etwas zu Trinken ein.

„Wenn er so toll ist, will ich auch wissen, warum.“

Sie grinste und Noa war ihr dankbar für das Interesse, dass sie um ihretwillen zeigte. Sie nahm ihr Glas entgegen.

“Cris ist... sehr rücksichtsvoll. Wenn du mit ihm zusammen bist, versucht er, alles zu tun, damit du eine gute Zeit hast.“

Antwortete sie schließlich.

„Das klingt romantisch. Was noch?“

“Hmmm“

Noa überlegte.

“Er ist sehr bescheiden, glaube ich, sehr... normal. Wir waren zum Beispiel in diesem teuren Luxusrestaurant, aber das war genau so wenig sein Ding wie meins. Er mag es auch lieber einfach.“

„Das klingt, als hättet ihr etwas gemeinsam.“

Stellte Cloé fest. Noa nickte.

“Ja, genau. Und das fühlt sich echt schön an. So richtig.“

Sie zuckte mit den Schultern und fühlte sich unter Cloés fachmännisch anmutendem Blick peinlich berührt erröten.

„Oh man, dich hat es ganz schön erwischt. Okay, was noch?“

“Was noch?“

Fragend sah Noa auf.

„Ja, was weißt du sonst noch über ihn? Was mag er? Was sind seine Hobbies?“

Um nicht nur untätig herum zu stehen, hatte Cloé begonnen, eine der Schranktüren mit einem feuchten Lappen abzuwischen. Noa konnte weit und breit keinen Schmutz erkennen, aber in der Küche ihrer Schwester war immer alles auf Hochglanz poliert, was im Grunde verwunderte, wenn man bedachte, dass hier jeden Tag gekocht wurde. Noa benutzte ihre eigene Küche – wenn man die winzige Kochstelle und den einzelnen Schrank überhaupt Küche nennen konnte – so gut wie nie und dort sah es nicht halb so sauber aus wie hier.

“Seine Hobbies. Tja...“

Verlegen kratzte Noa sich am Hinterkopf.

„Ja?“

“Uhm, ich weiß auch nicht. Ich glaube, er hat keine.“

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Cloé auf.

„Formulieren wir es anders: was macht er in seiner Freizeit?“

Bohrte sie weiter. Es waren genau die gleichen Fragen, die Noa Cris auf Mon Calamari auch selbst gestellt hatte, doch alles, was er ihr dazu hatte sagen können war, dass er keine Hobbies hatte. Er tat nichts, wenn er alleine war, er konzentrierte sich immer nur auf seinen Job – darauf, zu töten, wie er es formulieren würde. Das Bild eines einsammen Mannes, der still in einem spärlich möblierten Raum saß, stumm gegen die Wand starrte und nichts anderes dabei tat, erschien vor Noas Augen.

“Clo, ich weiß es nicht. Ich habe ihn das auch gefragt, aber Cris meinte, er hätte keine Hobbies.“

Antwortete sie schließlich. Cloé prustete.

„Das ist absurd. Jeder hat irgendein Hobby. Jeder hat irgendwas, das ihm Spaß macht.“

Behauptete sie.

“Cris nicht.“

Mit ihrem rechten Arm in die Hüfte gestemmt, wandte sich Cloé Noa zu. Den feuchten Lappen, mit dem sie die Küche gewienert hatte, warf sie in die Spüle.

„Ihm macht also nichts Spaß?“

Fragte sie und die gute Stimmung, die sie zuvor noch versucht hatte aufzubauen, war komplett hinüber. Verneinend und mit einer gewissen Resignation in ihrem Blick, schüttelte Noa den Kopf.

“Nicht, dass ich wüsste.“

Es war schwer zu verstehen und sie tat es selbst nicht. Sie kannte Cris' Hintergrund, wer er gewesen war, bevor er zur Republik gekommen war und begonnen hatte, für den Geheimdienst zu arbeiten, aber erklärte das wirklich, warum es klang, als sei er bloß eine Maschine? Noa dachte daran, was er zu ihr gesagt hatte, als sie in der schmalen Einkaufsgasse gestanden und er ihr gesagt hatte, er sei nicht gut genug für sie. Sie erinnerte sich auch daran, was sie ihm gesagt hatte, nämlich dass er lediglich Angst hätte, etwas Neues auszuprobieren, weil er fürchtete zu versagen. Vielleicht war es das. Vielleicht hielt ihn seine eigene Angst tatsächlich zurück. Das traurige Gesicht ihrer Schwester erkennend, machte Cloé einen Schritt auf Noa zu.

„Was weißt du überhaupt über ihn?“

Fragte sie leise.

„Abgesehen davon, wie er heißt, für wen er arbeitet oder was er früher getan hat. Was weißt du über ihn? Wer ist Cris Sheldon als Person? Was hat er dir von sich erzählt? Was mag er, was mag er nicht? Was bringt ihn zum Lachen? Was isst er am liebsten?“

Eindringlich sah Cloé Noa an, doch Schweigen war die einzige Antwort, die sie bekam. Noa kam sich dumm vor, denn Cloé hatte Recht: sie wusste kaum etwas über Cris. Tröstend legten sich die Arme ihrer Schwester um sie und für einen Moment standen sie leise beisammen und Noa ließ sich so festhalten, wie sie sich wünschte, Cris könnte es tun.

„Hey, ich habe eine Idee.“

Nach einer Minute schob sich Cloé wieder ein Stück von Noa weg.

„Warum kommst du heute Abend nicht mit Jesper und mir? Die Ablenkung wird dir gut tun.“

Ablenkung, ja, das konnte Noa gut gebrauchen. Sie fuhr sich mit einer Hand durch ihr Gesicht. Cloé und Jesper waren zu einer Verlobungsfeier eingeladen. Amica war eine langjährige Freundin der beiden und auch wenn Noa sie nur flüchtig kannte, hatten sie sich bisher bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen sie sich gesehen hatten, immer ganz gut unterhalten. Aber wollte sie wirklich einfach auf diese Feier platzen, ohne eingeladen zu sein? Ihr Blick sprach Zweifel aus.

„Amica kennt mindestens eine Million Leute.“

Argumentierte Cloé.

„Die Feier wird riesig. Eine Person mehr oder weniger wird garantiert nicht auffallen. Aber ich rufe sie vorher an und frage, ob es in Ordnung ist, okay?“

“Ich weiß nicht...“

Noch war Noa unsicher, doch Cloé lachte bereits aufmunternd.

“Komm schon, das wird lustig! Wir suchen dir ein hübsches Kleid aus und donnern uns zusammen auf!“

Immerhin müde lächelnd rollte Noa mit den Augen.

“Ja, weil das genau das ist, was ich ja so gerne mache.“

Erwiderte sie trocken.

„Ganz genau! Und außerdem tust es es nicht nur für dich, sondern auch für Jesper.“

“Für Jesper? Wieso?“

Unschuldig hob Cloé eine Augenbraue.

“Na, weil ihn alle Männer beneiden werden, wenn er mit zwei sexy Zwillingen als seine Dates dort ankommt. In jedem Arm eine Schwester, welcher Mann wünscht sich das nicht?“

Erklärte sie und ging um ihr Komlink zu holen und Amica zu fragen, ob sie noch Platz für einen weiteren, ungeplanten Gast hatte.

- Coruscant – City – Cloés und Jespers Wohnung – Küche – Mit Cloé –
 
- Coruscant – City – Cloés und Jespers Wohnung – Küche – Mit Cloé –

Cloés Kleiderschrank war die der Spiegel zu einer großen Boutique. Und das war noch nicht einmal alles. Ihre langen Kleider, teils mit weiten, voluminösen Röcken oder Schleppen, bewahrte Noas Zwillingsschwester in einem separaten Raum direkt neben ihrem Schlafzimmer auf. Die ursprüngliche Idee des Architekten war sicherlich kein begehbarer Kleiderschrank, sondern ein Kinderzimmer gewesen, doch Cloé nutzte den Raum auf ihre Weise. Und während sie nun abwechselnd die Kleiderständer im Nebenzimmer und die Fächer ihres Schrankes durchforstete, um zwei Outfits zusammen zu stellen, die alle Gäste von Amicas Verlobungsfeier garantiert vom Hocker reißen würde, saß Noa gelangweilt auf dem breiten Doppelbett und wartete, bis ihre frisch lackierten Fingernägel getrocknet waren.

“Ich versuch noch mal, ob's jetzt trocken ist.“

Kündigte sie an, im Begriff, mit ihrem rechten Zeigefinger auf den Daumennagel ihrer linken Hand zu drücken.

„Untersteh dich!“

Cloés Kopf erschien zwischen einem glänzenden Satin- und einem schweren Samtkleid, die sie beide auf dem Kleiderständer bei Seite schob, um zwischen ihnen hindurch zu gucken.

„Das braucht seine Zeit! Wenn du jetzt drauf rum drückst, machst du nur Dellen in den Lack!“

Mahnte sie, woraufhin Noa die Augen verdrehte.

“Dellen in den Lack.“

Äffte sie Cloé nach und betrachtete ihre bronzefarben schimmerten Nägel. Sie sahen ganz hübsch aus, oder zumindest täten sie das an den Händen von jemand anderem. Für solchen Schnick-Schnack war Noa einfach nicht der Typ. Dieses ganze Feilen und Lackieren war viel zu aufwendig. Wie viel Zeit es alleine in Anspruch nahm, untätig hier herum zu sitzen und zu warten, bis das Zeug trocken war! Und sie konnte nichts tun, nichts anfassen! Nicht mal essen konnte sie! Es wunderte Noa schon ein bisschen, wie Cloé es schaffte, immer so top gestylt zu sein, schließlich hatte sie nicht einmal Noas flexible Arbeitszeiten. Vermutlich schlief sie nachts einfach nicht so lange und hatte dadurch mehr Freizeit.

„Was hälst du hiervon?“

Ein Kleid mit langen Glockenärmeln vor sich haltend, hatte sich Cloé wieder vor Noa postiert.

“Hmmm, fallen die Ärmel über meine Hände drüber? Wie soll ich so essen? Die hängen mir doch ständig in der Suppe.“

Cloé machte ein murrendes Geräusch.

“Dir fälllt auch zu allem was ein, was dir nicht passt.“

Meinte sie.

“Stimmt gar nicht, aber ich denke halt praktisch.“

Noa ließ sich auf den Rücken fallen, die Arme nach oben in die Luft gestreckt. Cloés Bett war wirklich komfortabel. Kein Wunder, dass Cloé nicht so viele Stunden Schlaf brauchte. Der Schlaf, den sie hatte, war dafür sicher tief, fest und erholsam und dann war da ja auch noch Jesper auf der anderen Seite, der ihr die übrige Zeit versüßte. Hach, so gut musste man es haben.

Eine gute Stunde später waren nicht nur Noas Fingernägel perfekt getrocknet, sondern sie war auch eingekleidet und gerade dabei, ihrem Make-Up mit einem Hauch von Kajal den letzten Schliff zu geben. Sie trug ein knielanges Halterneck-Kleid, das einen so großzügigen Ausschnitt konstruierte, dass Noa das Kleid im Bereich ihrer Brüste von innen mit Klebeband hatte fixieren müssen, damit es zu keinem ungewollten Unfall kam. Der Rock fiel locker nach unten, glücklicherweise nicht so figurbetont, dass man Noas Extra-Pölsterchen sehen konnte – worauf Cloé bei der Kleiderwahl natürlich geachtet hatte – und machte mit allerhand Perlenstickereien auf sich aufmerksam. Dazu hatte Cloé Absatzschuhe raus gesucht, in denen Noa noch gerade eben laufen konnte. Dennoch hatte sie bereits entschieden, dass sie den Großteil des abends auf ihren vier Buchstaben sitzen würde.


„Ladies, ihr seht hinreißend aus.“

Verteilte Jesper Komplimente.

„Heute Abend könnte man euch glatt verwechseln.“

Behauptete er und drückte Cloé, die einen kurzen Minirock, eine figurbetonte Bluse und ein weißes Jabot trug, einen Kuss auf die Wange. Ihre Schuhe hatten sie in schwindelerregende Höhen geschraubt, brachten ihr nackten Beine toll zur Geltung und glänzten im Metalliclook mit ihren Armreifen um die Wette.

“Du willst dich nur beliebt machen.“

Scherzte Noa, während sie den wichtigsten Inhalt ihrer Handtasche in die kleine Abendtasche umlud, die Cloé ihr geliehen hatte. Mit einem geräumigen Shopper konnte man laut Cloé nicht auf einer Verlobungsfeier erscheinen und natürlich hatte sie Recht. Als Noa ihr Komlink in die Hand nahm, sah sie eine Nachricht, die bereits vor zwei Stunden angekommen war, die sie aber bisher nicht wahr genommen hatte und die von einem Absender kam, den sie nicht gleich erkannte. Ihre Gedanken wanderten sofort zu Cris und auch wenn er es selbst nicht gewesen war, der ihr geschrieben hatte, so war sie doch nah dran gewesen. Die Nachricht war von Selby.

„Was ist los?“

Wollte Cloé wissen, als Noa scheinbar minutenlang auf ihr Komlink starrte.

„Hat Cris geschrieben? Was sagt er??“

“Nein, nicht Cris...“

Noa sah auf.

“Aber Selby. Er ist wieder auf Coruscant und er hat etwas für mich.“

Ihre Stimme klang aufgeregt.

“Das kann eigentlich nur von Cris sein. Er hat ihm irgendetwas für mich mitgegeben, vermutlich eine Nachricht! Ich muss mich mit Selby treffen. Wie viel Zeit haben wir noch?“

Jesper blickte auf sein Chrono.

„Wenn wir nicht zu spät kommen wollen, noch eine halbe Stunde.“

Antwortete er. Die beiden Schwestern wechselten einen Blick und es war Cloé anzusehen, dass sie bereits kurz davor war vorzuschlagen, Noa solle bis morgen warten, besann sich dann jedoch eines Besseren, da sie einsah, wie viel Noa es bedeutete, von Cris zu hören.

„Ich wollte sowieso noch einen Stop bei der Reinigung einlegen um was abzugeben. Schreib ihm doch, er soll dort hinkommen. Das ist ein unauffälliger, öffentlicher Ort mit lauter Cafés und Läden drum herum. Ich gebe meine Sachen ab, du triffst dich mit ihm, Jesper wartet im Gleiter und dann geht’s weiter zu Amica.“

“Klingt gut. Ich antworte ihm.“

Aufgeregt begann Noa, eine kurze Antwort zu tippen. Sie hatte die ganze Zeit auf ein Lebenszeichen von Cris gewartet, selbst wenn es nur ein paar Worten waren, die ihr sagten, wo er war oder was er jetzt tat. Sie wollte eigentlich nur wissen, dass es ihm gut ging und er noch an sie dachte.

“Ich bin noch mal kurz auf Toilette.“

Sagte sie, verschwand im Bad und ging noch einmal auf's Klo, ehe sie sich – auf einmal sehr nervös – noch einmal prüfend im Spiegel betrachtete. Es war purer Unsinn, weil sie Cris nicht persönlich sehen würde, aber trotzdem hatte sie plötzlich das Gefühl, gut aussehen zu müssen. Jesper hatte jedenfalls Recht gehabt, dachte sie. Heute sahen sie und Cloé, beide mit ihren hoch gesteckten Haaren und dem roten Lippenstift, sich wirklich zum Verwechseln ähnlich. Sie zupfte noch eine Locke zurecht, prüfte noch einmal, ob aus ihrem Dekolté auch nichts heraus fallen konnte und öffnete wieder die Tür zum Flur, um sich den anderen beiden anzuschließen.

„Nein, Amica hat gesagt, es ist überhaupt kein Problem, dass Noa mitkommt.“

Hörte sie die Stimme ihrer Schwester aus der Küche in den Flur klingen. Das leise Klirren einer Tasse, die auf einem Unterteller abgestellt hatte, verriet Noa, dass entweder Cloé oder Jesper noch schnell einen Kaf trank. Cloés Stimme hatte gedämpft geklungen und instinktiv blieb Noa stehen und lauschte, anstatt auf sich aufmerksam zu machen und die Küche zu stürmen.

„Und sie hat auch gesagt, dass sie genau den richtigen Tischnachbarn für sie hat. Der Bruder einer Freundin von ihr ist frisch geschieden. Er ist ein netter, vollkommen normaler Mann Anfang 30. Immobilienmakler. Keine dunkle Vergangenheit, kein Ballast, kein abenteuerlicher Job.“

„Und du meinst, das ist eine gute Idee?“

Hörte Noa Jesper fragen.

„Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Sie hängt wirklich an diesem Sheldon.“

„Ach!“

Cloé schnaubte leise.

„Du weißt doch genau, wie sie ist. Man muss Noa nur irgendeinen halbwegs interessanten Typen vorsetzen, und schon ist sie hin und weg.“

„Das ist wahr, ja.“

Gab Jesper schließlich zu und Cloé ergänzte:

„Es muss ja auch gar nicht der ganz große Wurf sein. Ich will doch nur, dass sie über diesen Cris hinweg kommt, dass sie sich ein bisschen ablenkt. Und das geht nun mal am besten mit einem anderen Mann.“

Stumm, darauf bedacht kein Geräusch zu machen, dass sie verraten hätte, hörte Noa dem kurzen Gespräch zwischen ihrer Schwester und deren Freund zu. Sie hatten über sie gesprochen und darüber, dass sie sich mal wieder an den falschen Mann gehangen hatte. Die arme Noa hatte Liebeskummer und man musste ihr aushelfen. Sie wusste nicht, ob sie dankbar ob der Fürsorge oder enttäuscht ob des mangelnden Vertrauens in sie und ihre Urteilsfähigkeit sein sollte. Um ihre Rückkehr betont laut zu verkünden, öffnete und schloss sie noch einmal die Tür zum Bad, stampfte unnötig laut auf und lugte zur Küche hinein.

“Ich bin fertig. Können wir los?“

Hastig leerte Jesper den letzten Schluck Kaf aus seiner Tasse.

„Wir können.“

Sagte er und wechselte einen Blick mit Cloé, den Noa weder bemerkt noch verstanen hätte, hätte sie nicht das letzte Gespräch zwischen den beiden mitgehört.

- Coruscant – City – Cloés und Jespers Wohnung – Küche – Mit Cloé und Jesper –
 
[Coruscant, Mittlere Ebenen,Verkehr, Gleiter]- Selby

Nach seinem Besuch in den vermeintlichen Büros der Duro Agricultural Imports fühlte Selby sich endlich wieder richtig angezogen – nicht nur, weil er nach der langen Hyperraumreise seinen zerknitterten Anzug gegen eine neue Kombination aus weißem Zeydtuch zu tauschen (mit dunkelblauem Hemd), sondern auch, weil der ob er Entwicklung der Dinge durchaus angetane Major Tacema ihm gestattet hatte, sich aus der Waffenkammer des Geheimdienstes zu bedienen. Nun spürte er wieder das vertraute Gesicht einer schweren DL-44 in seinem Schulterholster unter dem Jackett, wie auch den leichten Druck, den der winzige Holdout-Blaster auf seinen Knöchel ausübte. Auf Coruscant – besonders einem imperial besetzten Coruscant – konnte man nicht vorsichtig genug sein.

Während der Pilot den Gleiter durch die Verkehrsströme des Stadtplaneten steuerte – im Grunde auf dem Rückweg zur Empress, deren Gemächer er immer noch sämtlichen Schafgelegenheiten vorzog, die der Geheimdienst hier bereit wäre ihm anzubieten oder zu finanzieren – fiel Selbys Blick auf sein Com, als dieses trillernd den Eingang einer neuen Nachricht verkündete. Er brauchte gar nicht erst den Absender zu lesen, um zu wissen, von wem sie kam – Noa. Sie wollte sich mit ihm treffen und allem Anschein nach musste es bald passieren – glücklicherweise war der Ort, den sie als Treffpunkt beschrieb, nicht weit von Selbys derzeitiger Position entfernt, weswegen es ihm ein leichtes war, sich mit seinem Gleiter neu einzufädeln und sein neues Ziel bequem noch leicht vor der vereinbarten Zeit zu erreichen, was ihm Gelegenheit gab, sich umzusehen.

Noa hatte ihm einen belebten Platz benannt, an die über die Schluchten zwischen den Wolkenkratzern befindlichen Plattformen schmiegten sich kleine Läden, Cafés und sonstige Einrichtungen des normalen Lebens. Für einen Moment konnte man fast vergessen, sich auf einem imperialen Planeten zu befinden – selbst die zweiköpfige CSF-Patrouille machte, als sie Selby passierte, einfach nur den Eindruck einer ganz normalen Polizeieinheit, die über die öffentliche Ordnung wachte. Unweit der Reinigung, die Noa ihm beschrieben hatte, suchte Selby sich eine durch das Neonlicht der benachbarten Leuchtreklamen kränklich gelb beleuchteten Gasse einen Platz, von dem aus er die gesamte Szenerie –inklusive des Gleiters, den er selbst abgestellt hatte – gut im Auge behalten konnte. Er musste nicht lange warten.

Ein weiterer Gleiter tauchte auf, beladen mit drei Personen, und Noa stieg aus. Genauer gesagt zwei Noas, wie Selby mit einem überraschten Blinzeln feststellen musste, von der die eine jedoch schnellen Schritts in der Reinigung verschwand, gerade, als es dem Agenten dämmerte, irgendwann mal etwas von einer Zwillingsschwester der Widerstandskämpferin gehört zu haben. Bei der immer noch außerhalb der Reinigung stehenden Person musste es sich um die tatsächliche Noa handeln, weswegen Selby aus der Gasse gab und sich ihr zu erkennen gab, woraufhin sie sich zu ihm gesellte.

Seine Augen weiteten sich leicht, als Noa Chanelle Cortina sich ihm näherte. Sie trug nicht jene funktionale, eher gemütliche Kleidung, die er auf Dac und während des Fluges dorthin an ihr gesehen hatte, sondern ein Kleid, das selbst er als spektakulär bezeichnen würde. Vom geschmackvollen Make up bis hin zum üppigen Ausschnitt, den dieses Kleid bot, schien alles darauf hinzudeuten, dass Noa an diesem Abend noch einiges vorhatte. Selby jedenfalls gestattete sich für einen Moment, dieses optische Spektakel zu bewundern, das sich ihm bot, bevor Noa schließlich unmittelbar bei ihm stand und ihm der eigentliche Grund seines Hierseins wieder bewusst wurde.


„Hallo Noa…“, brachte er schließlich über die Lippen, bemüht um ein freundliches, wenn auch nicht zu offensives Lächeln. Trotz ihres Gesprächs im Golden Republic meinte er, dass die Dinge zwischen ihnen immer noch angespannt waren.

„Sie sehen… gut aus.“


Eine glatte Untertreibung. Selby hatte bereits festgestellt, dass Noa eine schöne Frau war – wenngleich nicht sein Typ – doch so, wie sie ihre Reize in diesem Moment betonte, glaubte er nicht, dass auch nur ein Mann mit auch nur dem leichtesten Interesse am weiblichen Geschlecht ihr lange würde widerstehen können. Was ihn zu der Frage brachte, warum sie sich wohl derartig zurechtgemacht hatte – Selby wusste zwar, dass die Coruscanti oft und gerne feierten – wie er meinte, um sich von der deprimierenden Atmosphäre ihres Heimatplaneten abzulenken – doch gleichwohl war sie ihm nie wie die Sorte Frau vorgekommen, die es genoss, derartige Kleider zu tragen (wenngleich er kaum so viel Zeit mit ihr verbracht hatte wie Sheldon). Die dunkle Befürchtung beschlich ihn, dass das, was er ihr geben wollte, vielleicht schon zu spät kam… doch eigentlich ging ihn das auch überhaupt nichts an.

„Jemand bat mich, Ihnen das hier zu geben“, sagte er vorsichtig, während er den Datenblock mit Sheldons Nachricht aus seiner Jackettinnentasche herausfischte und ihn ihr überreichte.

Dann wartete er ab – er glaubte es zwar nicht, aber vielleicht verriet ihm ja bereits ihre Reaktion auf die Nachricht, ob es sich noch lohnte, ihr das Comgerät zu geben, das immer noch in seiner anderen Tasche wartete.

[Coruscant, Mittlere Ebenen, Gasse neben Reinigung]- Noa, Selby
 
- Coruscant – City – Gleiter- Mit Cloé und Jesper –

Der Gleiter, den Jesper wie üblich steuerte, brachte sie in die belebte innere Region Coruscants Citys, wo die Stadt genau so war, wie man in jedem billigen Reiseführer nachlesen und in jeder schillernden Dokumentation sehen konnte. Besonders bei Abend und Nacht, wenn es dunkel war und die künstlichen Lichter in allen Farben des Regenbogens um die Wette leuchteten, war Coruscant die verspielte, glitzernde Metropole, die jeder erwartete. Im Dunkeln fielen auch die vielen imperialen Sicherheitskräfte nicht mehr so auf wie am Tage, jedenfalls empfand Noa das so. Sie wusste nicht, ob es anderen genau so ging. Wie besprochen hielt Jesper unweit der Reinigung, die Cloé mindestens alle drei Tage aufsuchte. Sie hatte tonnenweise Kleidung Zuhause, die sich nicht mit normaler Standardwäsche waschen ließ, sondern extra professionell behandelt werden musste. Noa war sicher, dass diese Extravaganzen ein Vermögen kosteten, aber da Cloé und Jesper beide nicht schlecht verdienten – vor allem, da Jesper kurz davor stand, befördert zu werden – machte ihnen dies nichts aus. Die Schwestern stiegen gemeinsam aus und während Cloé genau wusste, wo sie hin musste, war es an Noa, sich suchend umzusehen. Sie hatte kein festes Ziel, sondern suchte lediglich Selby. Es dauerte ein paar Momente, bis sie ihn erspähte, auch wenn sie ihn eigentlich früher hätte entdecken müssen, denn sein weißer Anzug war nicht für einen Mann gemacht, der in der Masse untergehen wollte. Sie stöckelte auf ihn zu und war froh, dass ihre Absätze nicht so hoch waren wie die von Cloé. Wäre dies der Fall gewesen, hätte sie sich mindestens schon dreimal auf die Fresse gelegt, was ziemlich peinlich gewesen wäre, besonders vor Selby, der bei ihrem letzten Gespräch netter zu ihr gewesen war als sie sich ihm gegenüber je präsentiert hatte, auch wenn das nicht zwangsläufig bedeutete, dass sie ihn deswegen plötzlich leiden konnte. Als sie ihn erreicht hatte – die Distanz war glücklicherweise nicht so groß gewesen, dass ihr die Füße bereits weh taten – begrüßte er sie freundlich und sprach ihr ein Kompliment zu ihrem Aussehen aus. Was, nur weil sie ein Kleid mit einem großen Ausschnitt trug, war das plötzlich erwähnenswert? Männer waren ja so berechenbar. Sie sähe gut aus, sagte er. Noas Lippen kräuselten sich unbestimmt.

“Und Sie klingen überrascht.“

Antwortete sie ihm, ehe sie sich zurück halten konnte. Natürlich hatte sie sich Mühe mit ihrem Aussehen gegeben, wobei den Großteil dieser Arbeit Cloé geleistet hatte und jede normale Frau freute sich über ein Kompliment dieser Art, doch warum wurden die meisten Komplimente üblicherweise dann ausgesprochen, wenn offensichtlich so viel an der zu bestaunenden Schönheit künstlich erzeugt worden war? Make-Up, Haarspray, falsche Wimpern, Wonderbras, künstliche Fingernägel und Bauch-Weg-Unterwäsche trugen dazu bei, ein Trugbild zu erschaffen, das vielleicht nett anzusehen war, aber nicht der Wahrheit entsprach. Sie selbst, dachte Noa, fühlte sich viel wohler in ihrem natürlichen Look und ein Kompliment über ihr Aussehen am frühen Morgen, nachdem sie gerade aufgestanden war und eine lange, durchzechte Nacht hinter sich gebracht hatte, ihre Haare unordentlich und die Ringe unter ihren Augen dunkel und müde, war tausendmal mehr wert als ein bewunderndes Wort über ihr künstlich erzeugtes, nicht lange währendes Spiegelbild, das sie so leicht mit Wasser und Seife wieder verschwinden lassen konnte. Andererseits, hätte Selby nichts gesagt, wäre es ihr vermutlich auch nicht recht gewesen. Manchmal war es wirklich kompliziert, eine Frau und undankbar, ein Mann zu sein.

“Wie geht es Cris?“

Noa erwartete keine Antwort auf ihren zickigen Kommentar und hoffte sogar, dass Selby ihn übergehen würde. Sie war noch immer aufgeregt darüber, was er ihr geben und von Cris ausrichten würde, als Selby ihr auch schon einen Datenblock entgegen streckte. Das konnte nur eine Nachricht sein! Die Erkenntnis rang ihr ein Lächeln ab.

“Ich bin abgereist, ohne mich noch mal direkt von ihm zu verabschieden.“

Sagte sie, Selbys Gesicht nach einer Reaktion absuchend.

“Hoffentlich war er nicht böse deshalb.“

Wenn doch, so wollte sie es lieber jetzt wissen, bevor sie die Nachricht las. In dem Datenblock hoffte sie, etwas Positives vorzufinden. Sie wollte nicht enttäuscht werden und sich mit Vorwürfen konfrontiert sehen, auch wenn sie nicht das Gefühl hatte, dass das Cris' Art war. Aber was wusste sie schon? Cloé hatte nicht Unrecht gehabt, auf viele Fragen zu Cris hatte Noa schlicht keine Antwort. Dafür kannten sie sich viel zu kurz. Sie warf einen Blick hinter sich, um zu schauen, ob Cloé schon wieder aus der Reinigung zurück war und wie viel Zeit ihr noch blieb, und sah Jesper, der ebenfalls aus dem Gleiter gestiegen war und sich in ein paar Metern entfernt hinter ihr herum drückte wie ein wachsamer Bodyguard, der sie beschützen musste. Er war süß, dachte Noa, würde im Ernstfall doch eher sie diejenige sein, die auf ihn aufpassen würde als umgekehrt, aber hier ging es wohl auch weniger um körperliche Gefahren. Jesper und Cloé waren einfach nur gleichermaßen besorgt, dass Noa sich zu sehr in etwas verrannte und ihr mal wieder jemand das Herz brach.

- Coruscant – City – Gasse neben Reinigung – Mit Selby und Jesper (etwas entfernt) -
 
[Coruscant, Mittlere Ebenen, Gasse neben Reinigung]- Noa, Selby

Noa schien weniger Probleme mit der Nennung von Namen zu haben, doch andererseits war Cris vermutlich ein Vorname den es auf einigen Planeten häufiger gab als Sand auf Tatooine – und immerhin verrieten ihre Worte Selby, dass die Widerstandskämpferin sich durchaus noch für ihn zu interessieren schien, auch wenn sie keinerlei Anstalten machte, seine Nachricht zu lesen. Im Grunde verständlich – was immer Sheldon dort geschrieben hatte ging nur ihn und Noa etwas an, genau wie ihre Reaktion auf seine Botschaft. Kurz folgte Selbys Blick dem Noas und fiel auf einen Mann, den dritten Passagier des Gleiters, der mittlerweile ebenfalls ausgestiegen war und offenbar ein wachsames Auge auf ihre Unterhaltung hatte. Ein Mitglied des Widerstands, vielleicht? Oder jemand aus Noas Familie?

Mit einem letzten Blick auf ihren Beobachter schüttelte Selby leicht mit dem Kopf. Er hatte sich dazu entschlossen, Noas erste Erwiderung zu ignorieren – aus Erfahrung wusste er, dass man auf solche Fragen nur falsch antworten konnte, wenn sie von einer Frau kamen – und beschloss stattdessen, schnell zum eigentlichen Thema zu kommen.


„Nun, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat er zumindest gelebt“, sagte er Pilot mit einem leichten Schmunzeln. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass Noa ohne eine Verabschiedung abgereist war – und Sheldon hatte nichts dergleichen erwähnt – doch auf Selby machte es nicht den Eindruck, als hätte der andere ihr das sonderlich übel genommen. Zwar wusste er nicht, was genau in seiner Nachricht stand, doch die Haltung, in der er ihn auf dem Observationsdeck angetroffen hatte, entsprach mit Sicherheit nicht dem eines Mannes, der seinen Ärger nur mühsam unter Kontrolle halten konnte.

„Und böse… nein. Ich glaube er war etwas… verunsichert.“

Wenn auch nicht wegen ihres Verschwindens, zumindest nicht nur. Wieder einmal war es der Widerstreit zwischen dem gewesen, was Sheldon als seine Pflicht ansah, und dem, was er wirklich tun wollte, der dafür gesorgt hatte, dass er ausgerechnet an Selby herangetreten war mit der Suche nach Rat.

„Aber ob das an der Art ihrer Abreise lag… darüber hat er nicht gesprochen.“

Seufzend zuckte Selby mit den Achseln.


„Noa, ich weiß nicht, was zwischen Ihnen beiden nach unserem Gespräch vorgefallen ist. Und es geht mich auch nichts an. Aber als ich im Hyperraum kurz aus dem Cockpit konnte und ihn auf dem Observationsdeck getroffen habe… ich habe ihn noch nie so erlebt. Er hat etwas angesehen… etwas, was Sie ihm geschenkt haben? Ich habe noch nie erlebt, dass er einen Gegenstand so angesehen hatte… als hielte er den kostbarsten Schatz dieser Galaxis in seinen Händen.“


Abwesend fuhr der Pilot sich durch seine Haare.

„Ich vermute, er hat Ihnen geschrieben, wo er jetzt ist“, fuhr er dann fort, ohne den Namen des Planeten zu erwähnen, auf dem sich die Basis des Ordens der Jedi befand.

„Es ist nicht viel näher an Coruscant als der Planet, auf dem Sie ihn das letzte Mal gesehen haben. Dorthin zu gehen war sein Auftrag, dort zu bleiben seine Pflicht. Ich glaube, es ist ihm nie so schwer gefallen, diese zu erfüllen.“


Unangenehm berührt verlagerte Selby sein Gewicht von einem Bein auf das andere, während er endlich das Comgerät hervorholte und es Noa auffordernd entgegenstreckte. Als er weitersprach, war seine Stimme nur noch ein Raunen:

„Dieses Gerät ist darauf modifiziert, Botschaften über möglichst viele Relaisstationen umzuleiten, um seine Herkunft zu verschleiern, außerdem ist es mit einer oberflächlichen Chiffrierung versehen. Nicht genug für Spezialisten des Geheimdienstes, aber genug, um routinemäßige Überwachung von Nachrichtenkanälen zu täuschen. Der Preis dafür ist eine leichte Zeitverzögerung im Vergleich zu herkömmlichen Geräten… vielleicht ein paar Stunden. Er hat das andere Gerät, der Kontakt ist eingespeichert.“

Erneut seufzte Selby. Vermutlich würde Sheldon ihn hassen für das, was er der Widerstandskämpferin jetzt sagte, aber immerhin würde er es vermutlich nie erfahren. Er musste Noa nur ansehen, wie sie hier vor ihm stand, um zu erkennen, dass sie im Hier und Jetzt lebte, in der Realität, und nicht in jenen Luftschlössern der Fantasie, in denen Sheldon sich vermutlich eine Zukunft für sie beide vorstellte.


„Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Noa. Was auch immer er Ihnen schreibt… ich glaube nicht, dass er in naher Zukunft nach Coruscant kommen kann, ohne seine Pflicht zu vernachlässigen und einen direkten Befehl zu missachten. Ich bin sicher, er hat ehrliche Hoffnung… aber ich weiß, dass Hoffnung oft nicht genug ist. Wenn sie Ihnen also nicht genug ist… sagen Sie es ihm. Bevor er irgendetwas tut, nur um festzustellen, dass es zu spät ist.“

Schließlich lächelte der Pilot gequält.


„Aber wie ich bereits sagte… im Grunde geht es mich nichts an. Und er sieht das vermutlich anders.“

[Coruscant, Mittlere Ebenen, Gasse neben Reinigung]- Noa, Selby
 
- Coruscant – City – Gasse neben Reinigung – Mit Selby und Jesper (etwas entfernt) -

Noa drehte das Komgerät, das Selby ihr gegeben hatte, in ihren Händen. Es war eine Möglichkeit, die sicherste Möglichkeit die sie hatte, um mit Cris in Kontakt zu kommen. Und doch war es nur ein Komlink. Sie schluckte, als sie zuhörte, was der Agent zu sagen hatte. Cris' Position in der Galaxis hatte sich nur unwesentlich verändert und wenn sie realistisch sein wollte, brauchte sie sich keine Hoffnung zu machen, dass sie sich in näherer Zukunft wieder sehen würden. Ihr war zum Heulen zu Mute.

“Ich versuche, realistisch zu sein, Selby.“

Erwiderte sie.

“Hier auf Coruscant muss man das sein.“

In ihre leicht bittere Stimme mischte sich ein tapferes, aber trauriges Lächeln. Was sollte nur werden? Würde sie Cris überhaupt jemals wiedersehen? In einem Jahr vielleicht, oder in zwei Jahren? So lange, das wusste sie, würde sie niemals warten können. Einen solchen Zeitraum alleine zu überstehen war nicht fair, weder für sie noch für ihn. Noch während sie dies dachte, presste Noa den Datenblock fester an ihre Brust. Sie trug Cris' Worte bei sich, würde bald wissen, was er ihr geschrieben hatte. Sie musste sie nur lesen. Wenn es stimmte, was Selby beobachtet hatte, dann sah es danach aus, als vermisste er sie mindestens so sehr, wie sie ihn. Sie versuchte, ihn sich vorzustellen, durch Selbys Augen hindurch, wie der Pilot ihn gesehen hatte, auf dem Observationsdeck der „Empress“. Was konnte er nur gemeint haben, was Cris sich angesehen hatte? Alles, was Noa ihm von sich gegeben hatte war... ihre Haarlocke. Überrascht und irriert legte sie die Stirn in Falten. Er konnte nicht nicht ernsthaft ihre abgeschnittenen Haare mit sich herum tragen und sich stundenlang ansehen! Es waren nur... Haare. Wenn Noa nach dem Duschen welche im Abfluss der Nasszelle fand, ekelte sie sich darüber. Nasse Haare hatten einfach etwas Widerliches an sich. Sie würde ihm etwas Anständiges schenken müssen, wenn sie sich wiedersahen. Oh, ja.... sie vergaß: wenn sie sich wiedersahen. Noa räusperte sich und sah sich um. Inzwischen stand auch Cloé draußen an der frischen Luft, direkt neben Jesper. Ungeduldig tippte sie mit dem Absatz ihres Schuhs in flüssigem Rhythmus auf das Pflaster, ein lautes Tapp-Tapp-Tapp erzeugend.

“Ich werde ihm auf jeden Fall schreiben. Alles andere wird sich ergeben, schätze ich.“

Sie suchte nach Worten. Ob er sich darüber bewusst war oder nicht, doch Selbys Worte waren alles andere als aufbauend gewesen. Wenn er etwas bewirkt hatte dann, dass Noa nun begann, sich Sorgen zu machen, unter Umständen zu lange zu warten und Cris am Ende mehr zu verletzen, als sie geglaubt hatte, selbst verletzt werden zu können. Dass er Cris beschrieb, als befände sich dieser in einem fragilen Zustand, machte es nicht besser für sie.

“Wissen Sie... ich wünsche mir ehrlich, dass wir eine Lösung finden.“

Sie sah ihn an, hob die Schultern und schüttelte leicht den Kopf.

“Aber ich weiß einfach nicht, ob das möglich ist. Ich wüsste nicht, wie.“

Einen Moment lang schwieg sie, sah an Selby vorbei ins Leere und musste wiederholt zugeben, dass Cloé mit etwas Recht gehabt hätte: es wäre einfacher, suchte sie sich einmal in ihrem verdammten Leben einen normalen Mann. Dummerweise nur wollte Noa keinen solchen. Die meisten Normalos waren alle Langweiler. Sie hörte, wie sich das Klackern von Cloés Schuhen veränderte und näher kam. Halb drehte Noa sich um und sah ihre Schwester auf sich zukommen. In ihrer Hand hielt Cloé einen großen weißen Kleidersack. Offenbar hatte sie nicht nur Kleidung abgegeben, sondern auch ein frisch gereinigtes Teil zurück bekommen. Sie konnte sagen was sie wollte, aber Cloé war eine richtige Fashionista. Sie war dazu geboren, schöne Kleider zu tragen und erhaben durch die Welt zu stolzieren und dabei so natürlich anmutig und charmant zu wirken, dass man nicht anders konnte als sie dafür zu bewundern.

„Noa, es wird Zeit. Wir müssen los.“

Sagte sie, ohne sich die Mühe zu machen, Selby zu beachten. Warum sollte sie auch? Er war ein Agent des Geheimdienstes und Cloé ignorierte alles, das auch nur entfernt mit dem Widerstand zu tun hatte. Noa nickte in ihre Richtung.

“Eine Sekunde noch. Ich komme sofort.“

Sagte sie, ohne dass Cloé sich wieder entfernt und ihr noch einen privaten Moment gegönnt hätte. Noa sah Selby an.

“Tja, also... Sie bleiben vorerst hier? Dann sehen wir beide uns ja vielleicht sogar öfters. Welch Ironie.“

Sie sah erst zu Boden und ann auf den Datenblock in ihrer einen und das Komlink in ihrer anderen Hand.

“Jedenfalls... vielen Dank.“

Ihre Worte klangen leicht hölzern. Es war nicht angenehm, zu begreifen, dass jemand, den sie eigentlich nicht leiden konnte, wiederholt versuchte, ihr zu helfen. Es ließ sie sich selbst fühlen, als wäre sie eine undankbare Göre. Unsicher machte Noa einen Schritt auf Selby zu und einem Impuls folgend, von dem sie nicht sicher war, woher er kam, umarmte sie ihn kurz.

“Danke für alles.“

Sagte sie leise und hielt einen Moment in ihrer Geste inne. Er war in diesem Moment die einzige Verbindung, die sie zu Cris Sheldon hatte. Mit Selby hier zu stehen und mit ihm zu sprechen brachte ihr ein Stück von Cris zurück, seit sie ihn auf Mon Calamari hatte zurück lassen müssen. Sie ließ Selby nicht sofort wieder los, doch als sie es tat, wandte sie sich sofort um und sah sie ihn nicht mehr an. Ihre Schwester fasste sie am Arm, tätschelte sie kurz und zog sie mit sich fort. Über ihre Schulter hinweg warf Cloé schließlich Barad Selby einen warnenden Blick zu, einen jener Art, der jedem Mann auch ohne Worte bedeutete, sich besser nicht mehr blicken zu lassen. Doch davon bekam Noa nichts mit.

- Coruscant – City – Gasse neben Reinigung – Mit Cloé und Jesper-
 
[Coruscant, Mittlere Ebenen, Gasse neben Reinigung]- Noa, Selby

Je mehr Noa sagte, desto mehr hatte Selby das düstere Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben. Es war seine Überzeugung gewesen, dass es ihr – und auch Sheldon – viele Komplikationen ersparen würde, wenn er sie schnell dazu bewegte, Farbe zu erkennen und die Ausweglosigkeit der Situation zu akzeptieren, in der sie sich befanden, doch als sie nun von ihrem Wunsch sprach, eine Lösung zu finden, zwang ihn das dazu, seine ursprüngliche Einschätzung zu revidieren. Er wusste immer noch nicht, warum sie hier in verführerischer Aufmachung aufgetaucht war und was sie noch vorhatte, doch offenbar hatte sie Sheldon noch nicht abgeschrieben. Als sie Selby dann noch vor den Augen ihrer ihr verblüffend ähnlichen Schwester ungeachtet der Ungeduld, die diese zum Ausdruck brachte, umarmte, war der Pilot endgültig überrumpelt und konnte nicht abstreiten, dass er ein mehr als ungutes Gefühl in seiner Magengegend verspürte. Hatte er vielleicht tatsächlich zu viel gesagt?


„Wir sehen uns…“, sagte er leise und warf der langsam zum Gleiter zurückkehrenden Noa einen nachdenklichen Blick hinterher. Ihm war nicht entgangen, wie ihre Schwester ihn angesehen hatte – ein unmissverständliches Signal, zumindest für jemanden wie ihn, der Erfahrung mit der Art mancher Frauen hatte, ohne Worte zu kommunizieren. Wer wusste schon, wie viel Noa ihrer Schwester anvertraut hatte… ob sie wusste, warum Selby hier war. Und warum Noa so niedergeschlagen wirkte, bevor sie wieder in den Gleiter stieg, mit dem sie, ihre Schwester und jener rätselhafte Mann gekommen waren.

Er machte sich keine Illusionen dahingehend, dass Noa ihn um seinetwillen umarmt hatte. Die Art, wie sie den Datenblock und das Comlink angesehen hatte, nachdem er ihr die Gegenstände überreicht hatte, hatte eine mehr als deutliche Sprache gesprochen. Was auch immer ihre Schwester – und vielleicht der Rest ihrer Familie – dazu denken mochte: irgendetwas war auf Dac zwischen ihr und Sheldon geschehen und es war trotz der pessimistischen Worte, die Selby ihr mit auf den Weg gegeben hatte, nicht vorbei. Er konnte nicht vermeiden, zu hoffen, dass er sich tatsächlich irrte. In der Tat war Noa Chanelle Cortina ihm ans Herz gewachsen, und das nicht nur, weil sie sich in ihrem atemberaubenden Kleid dazu herabgelassen hatte, ihm eine Umarmung zu schenken. Allein die Tatsache, dass sie seine Vorlage nicht bereitwillig aufgenommen hatte, um alles zu beenden, was sich möglicherweise zwischen ihr und Sheldon entwickelt hatte, ließ vermuten, dass er sie wohl nicht vollkommen korrekt eingeschätzt hatte. Vielleicht war das hier –ihr Auftreten und das, was an diesem Abend noch folgen würde – ganz einfach ihre Art, sich abzulenken, so wie er vermutete, dass Sheldon versuchen würde, vollends in seiner neuen Aufgabe aufzugehen. Wie lange das gutgehen würde konnte Selby nicht sagen. Irgendwann würde mindestens einer von beiden eine Entscheidung treffen müssen.

Langsam schüttelte Barad Selby mit dem Kopf, als er zu seinem eigenem Gleiter zurückkehrte. Was immer jetzt in Bezug auf Noa Chanelle Cortina und Cris Sheldon passieren würde – es lag nicht in seiner Hand.


[Coruscant, Mittlere Ebenen, Gasse neben Reinigung]- Selby
 
- Coruscant – City – Gleiter – Mit Jesper und Cloé -

Der Gleiter flog durch die schwarze und zugleich bunt glitzernde Nacht, die Coruscants wildes und aufregendes Nachtleben wider spiegelte. Es war der Planet, der niemals schlief und während Noa auf der Rückbank sah, direkt hinter Jesper, der das Gefährt steuerte, hatte sie das dumpfe Gefühl, sich in einem Traum zu bewegen. Sie scheiterte lediglich, zu bestimmen, ob es ein guter oder ein schlechter Traum war. Der Datenblock, den Selby ihr von Cris übergeben hatte, lag in ihrem Schoß. Noas Blick indes war hinaus auf die an ihr vorbei rauschende Welt gerichtet. Sie hatte Cris' Nachricht gelesen und fühlte, dass er es geschafft hatte, zweierlei Dinge in ihr zu bewegen: sie war tief berührt von seinen zärtlichen Worten und endlos betrübt über die Hoffnungslosigkeit, die aus ihnen klang. Cloé hatte Recht gehabt. Selby hatte Recht gehabt. Es hatte keinen Sinn.

“Clo, ich komme nicht mit.“

Noa fand ihre Stimme wieder, als sie es selbst am wenigstens erwartet hatte. Ihre Schwester, vorne neben Jesper sitzend, drehte sich zu ihr um.

„Was, wieso?“

Ihr Blick fiel auf den Datenblock. Sie hatte ihr absichtlich die Privatsphäre gegeben, alleine hinten zu sitzen und in alle Ruhe die Nachricht von Cris zu lesen, doch jetzt legte sich ihre Stirn besorgt in Falten.

„Was hat er geschrieben?“

Noa schüttelet den Kopf.

“Dass es schwierig ist und gefährlich. Dass er nicht weiß, ob er das alles kann, aber dass er natürlich trotzdem an mich denkt. - Nichts also, was ich nicht schon gewusst hätte.“

Sie zuckte mit den Schultern und machte ein tapferes Gesicht. Sie hätte erst morgen lesen sollen, was er ihr geschrieben hatte. So hätten ihr wenigstens all der Pessismismus und die Hoffnungslosigkeit nicht den Abend verdorben.

“Ich hab' wirklich keine Lust mehr. Tut mir Leid, aber ich bin einfach nicht mehr in der Stimmung.“

Weder Cloé noch Jesper versuchten, Noa umzustimmen. Es war ihre Entscheidung und die beiden akzeptierten sie, hatten sie doch von Beginn an gewusst, dass heute nicht Noas Sternenstunde war. Sie fuhren sie zurück zum Raumhafen, obwohl Noa darauf bestanden hatte, dass sie sie einfach irgendwo absetzten und sie sich ein Robotaxi nahm, doch Cloé wusste, dass ihre Schwester in dem dünnen Kleid frieren und den hohen Schuhen kaum laufen konnte.

„Ich melde mich morgen bei dir, ja?“

Bot sie an, als sie sich verabschiedeten. Noa nickte lächelnd.

“Macht euch keine Sorgen. Ich komm' schon klar. Ich brauche einfach nur etwas Zeit für mich. Habt einen schönen Abend.“

Sie küsste nacheinander beide auf die Wange. Wer brauchte schon einen Partner, dachte sie grimmig, als sie ihr Wohngebäude betrat, wenn man eine so liebende Familie hatte?

Ihre Wohnung war kalt und trist, als sie alleine in dem kleinen Wohnraum stand und die Tür hinter sich schloss und Noa fühlte sich in dem eleganten Kleid und der dicken Schminke reichlich deplatziert. Sie hätte hier alleine hierher zurück kommen müssen, doch genauso wenig hätte sie an einem Tisch mit lauter wildfremden Leuten sitzen wollen, die sie über ihr Leben ausfragten und sie womöglich noch zum Tanz aufforderten. In ihrer Laune lag heute nichts Positives mehr. Es war nicht Cris' Schuld und sie war ihm nicht böse. Alles in seiner Nachricht deutete darauf hin, dass er genau so sehr, vielleicht sogar noch viel mehr, wollte, wie Noa, dass sie eine gemeinsame Chance bekamen. Wo aber sollte diese her kommen? Chancen wuchsen nicht auf Bäumen und selbst wenn, auf Coruscant wuchsen ja nicht mal die! Deprimiert zog Noa die unbequmen Absatzschuhe aus, kickte sie unter den Couchtisch und drehte die Heizanlage voll auf. Leise ratternd und knarzend erwachte diese zum Leben. Sie funktionierte nicht immer, daher konnte Noa zumindest darüber froh sein. Als sie gerade im Bad verschwunden war um sich abzuschminken, piepte ihr Kom. Vermutlich war es Cloé, dachte Noa, die sich erkundigen wollte, ob alles in Ordnung war, doch als sie das Komlink aus der geliehenen Abendtasche hervor holte – der Vorteil von kleinen Handtaschen war, dass man nicht stundenlang in ihnen nach etwas suchen musste – sah sie, dass es Pablo war, der sie anrief. Er wollte wissen, ob sie Zuhause war.


“Ja, ich bin grad angekommen.“

Erwiderte Noa und obwohl sie eigentlich hatte allein sein wollen, empfand sie den Gedanken, Pablo bei sich zu haben, als tröstlich. So war es schon immer gewesen. So nahe sie und Cloé sich auch standen, mit Pablo hatte Noa seit jeher eine ganz besondere Beziehung gehabt. Von dem Tag ihrer Geburt an hatte er schützend über sie gewacht, trotz der Tatsache dass er als Sechsjähriger selbst noch ein hilfloser Zwerg gewesen war. Als ihre Mutter noch lebte, hatte sie oft erzählt, wie Pablo und Leandro zusammen an der Wiege der Mädchen gestanden und sie beobachtet hatten. „Ich mag die hier lieber.“, hatte Pablo oft gesagt und damit Noa gemeint. Daran hatte sich nie etwas geändert.

“Magst du vorbei kommen?“

Fragte Noa ihn und kramte in der Schublade ihres Wohnzimmersschranks nach ein paar Kerzen. Ihr war nach einer melancholischen Umgebung.

„Klar, das hatte ich eh vor. Ich muss hier nur noch was fertig machen, dann komme ich.“

Erwiderte Pablo. „Hier“ war natürlich das Hauptquartier der Defender.

„Soll ich was zu essen mitbringen? Gebackene Nerf-Omeletts?“

Troz allem musste Noa lächeln.

“Klingt super.“

Erwiderte sie. Gebackene Nerf-Omeletts aus dem Fast-Food-Laden war so etwas wie ein Traditionsessen zwischen ihnen. In letzter Zeit kamen sie nicht mehr so häufig dazu, sich zu treffen und zusammen zu Abend zu essen, wie sie gerne wollten, doch heute war eine gute Gelegenheit, alles nachzuholen und über alles zu sprechen, was sich in der letzten Zeit bei ihnen beiden angestaut an. Über Cris und was auf Mon Calamari zwischen ihnen gewesen war, wusste Pablo bisher nur flüchtig Bescheid. Sie hatten einfach noch nicht die Gelegenheit gehabt, in Ruhe miteinander zu sprechen, auch wenn Noa sicher war, dass er sich ein gewisses Bild gemacht hatte. Ihr Vater wusste, was los war und Cloé sowieso. Das bedeutete, dass auch der Rest ihrer Familie darüber gehört hatte. Geheimnisse gab es bei den Cortinas nicht und wenn, dann hielten sie sich nicht lange. Bei ihnen teilte man alles miteinander, die guten wie auch die schlechten Zeiten. Das war es, was eine Familie aus machte: man war immer füreinander da.

Sie hatte sich fertig abgeschminkt, das Licht im Wohnzimmer gedimmt und begonnen, ein wenig aufzuräumen, damit Pablo keinen all zu großen Schock bekam, wenn er gleich kam. Im Gegensatz zu ihr war er ziemlich ordentlich, was zu einigen Komplikationen geführt hatte, als sie vor Jahren mal zusammen gewohnt hatten. Es geschah nicht oft, dass sie sich stritten, doch Noas Chaos hatte ihn damals ziemlich geärgert, vor allem, wenn er Frauenbesuch bekommen hatte und Noa mal wieder nicht das Geschirr gespült oder das Wohnzimmer kurzerhand in ein Schlachtfeld verwandelt hatte, weil sie meinte, ihren Kleiderschrank ausmisten und alles auf einen großen Haufen werfen zu müssen. Im Übrigen war es Zeit, das bald noch mal zu tun. In ihrem Schrank herrschte die reinste Unordnung, weil sie immer nur alles hinein warf anstatt es sorgfältig zu falten und zu stapeln und da sie immer wieder Nachschub an Klamotten von Cloé erhielt, platzte sowieso mittlerweile fast jedes Fach aus allen Nähten. Der Türsummer ertönte, als Noa gerade dabei gewesen war, die Toilette zu reinigen. Das war mal wieder dringend nötig gewesen. Hätte sie mehr Geld, könnte sie sich einen Reinigungsdroiden leisten, der das für sie übernahm. Sie hatte einfach keine Zeit für so was! Klo Putzen und Fingernägel Lackieren standen auf ihrer persönlichen To-Do-Liste ganz weit unten. Hastig wusch sich Noa die Hände. Sie hatte sich vorhin abgeschminkt und Cloés Schmuck ausgezogen, trug ihre Haare aber noch hoch gesteckt und hatte auch noch das tief ausgeschnittene Kleid an, über das sie, um sich warm zu halten, eine Strickjacke gezogen hatte. Beides passte zwar nicht zusammen, aber so war ihr etwas wärmer, bis die Heizanlage richtig ins Rollen gekommn war. Barfuß lief sie zur Tür. Es würde gut tun, mit Pablo über Cris zu sprechen und zu hören, was ihr Bruder ihr riet. Im Grunde gab es nur noch eine einzige Option, sie hatte es sich nur selbst noch nicht vollständig eingestanden. Pablo jedoch war noch im Hauptquartier beschäftigt gewesen, als sie miteinander gesprochen hatten und bereits jetzt vor ihrer Tür zu stehen hätte für ihn bedeutet, dass er alles stehen und liegen gelassen und sich sofort auf den Weg gemacht hätte. Dies hatte er nicht getan. Vor Noa stand nicht ihr Bruder.


“Private Echo.“

Sie erstarrte förmlich zu Stein, als sie in das scheinbar ausdruckslose Gesicht des Imperialen blickte.

„Miss Cortina.“

Sie wusste nicht, woher er ihren Namen kannte und sie wusste nicht, wie er sie gefunden hatte. War er ihr gefolgt? Dabei war sie so sicher gewesen, dass sie das bemerkt hätte. Sie war so vorsichtig gewesen! Blass starrte Noa ihren Retter aus den Unteren Ebenen an.

„Verzeihen Sie, dass ich unangemeldet auftauche.“

Sagte er.

„Aber ich weiß, wer Sie sind.“

- Coruscant – Raumhafengegend – Noas Wohnung – Mit Will Echo -
 
- Coruscant – Raumhafengegend – Noas Wohnung – Mit Will Echo -

Für jemanden, der überzeugter Anhänger der Republik war und im Geheimen einer Widerstandsgruppe angehörte, die sich gegen das Imperium richtete, konnte es nichts Schlimmeres geben als einen Hausbesuch eines imperialen Soldaten, der verkündete, er kenne die Wahrheit. Noa war sprachlos, als sie Will Echo gegenüber stand. Sie versuchte, Worte zu formulieren, doch sie bekam kein einziges über die Lippen. Wo waren die Ausreden, die Lügen und die rettenden Geschichten, die sie in einer solchen Situation parat haben sollte? Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage versagte sie komplett.

„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich herein komme?“

Fragend sah ihr Gegenüber sie an und Noa blinzelte irritiert. Jemand musste sie K.O. geschlagen und ihren Verstand ausgeschaltet haben, anders ließ sich nicht erklären, dass sie derart lahm reagierte. Ob sie etwas dagegen hatte, dass er herein kam? Natürlich hatte sie das!

“Äh, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“

Er wusste, wer sie war. Was bedeutete das genau? War er ihr gefolgt? Hatte er ihr vielleicht sogar aufgelauert, schon in den Unteren Ebenen, als sie geglaubt hatte, sein Auftauchen wäre reiner Zufall gewesen? Und wenn er wusste, wer sie war, warum verhaftete er sie dann nicht direkt? Private Will Echo machte ein betrübtes Gesicht.

„Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte nicht aufdringlich erscheinen.“

Beinahe verlegen hob er eine Hand und erst jetzt fiel Noas Blick auf den winzigen Strauß Blumen, den dieser fremde Mann bei sich trug. Ihr Mund, der unfähig war, klare Gedanken in vernünftige Sätze zu formulieren, klappte überrascht auf.

„Ich möchte mich lediglich erkundigen, wie es Ihnen geht.“

Es war seine unsichere Art, die den Ausschlag dafür gab, dass Noa begann, sich zu entspannen. Obgleich dieser Mann, der vor ihr stand und von dem sie nur zwei Dinge wusste – seinen Namen und für welche Art von Organisation er arbeitete – eine Gefahr für sie darstellte, glaubte sie zu ahnen, dass er nicht wirklich wusste, wer sie war. Er mochte heraus gefunden haben, wo sie wohnte und wie sie hieß, doch er wusste nicht, ganz bestimmt nicht, dass sie für den Widerstand arbeitete. Hätte er dies gewusst, hätte er sie offiziell bei seinem Vorgesetzten gemeldet und ihr eine CSF-Patrouille auf den Hals gehetzt, statt sie alleine aufzusuchen und ihr Blumen mitzubringen. Noa überlegte. Alles was sie wollte war, diesen Typen loszuwerden, insbesondere bevor Pablo kam. Zögernd nahm sie die Blumen entgegen, die er ihr hin hielt.

“Danke.“

Pflichtschuldigst roch sie an den Blüten und vergrub ihr Gesicht darin. Die Blumen dufteten nur schwach, eine billige Züchtung aus einem der planetaren Gewächshäuser. Importierte Pflanzen kosteten auf Coruscant ein Vermögen. Sie sah wieder auf.

“Wie Sie sehen, geht es mir gut. Trotzdem, danke für Ihren Besuch.“

Sie lächelte gezwungen, im Begriff, ihn stehen zu lassen und die Tür vor seiner Nase zu schließen – welch deutlicheres Zeichen konnte sie setzen? - doch ehe sie dazu kam, kam Will Echo der Widerstandskämpferin zuvor.

„Miss Cortina.“

Etwas in seiner Stimme ließ Noa resignierend inne halten.

„Lassen Sie mich nicht hier draußen stehen, ich bitte Sie. Nach allem, was vorgefallen ist, haben Sie keinen Grund, einem fremden Mann zu trauen, doch alles was ich suche, ist ein freundliches Gesicht.“

Sein Blick richtete sich zu Boden und er sah ihr nicht länger in die Augen.

„Und eine einfache Unterhaltung.“

Sein gesenkter Blick traf sie wie der Dolch eines Vibromessers. Noa war, als habe sie ein Déjà-vu. Sie hatte diese Art der Haltung schon einmal gesehen. Gleichzeitig wirkte Will Echo plötzlich viel jünger als zuvor. Sie seufzte, konnte nicht länger leugnen, dass sie diesem jungen Mann etwas schuldig war.

“Okay, gut.“

Sie trat einen Schritt zur Seite.

“Kommen Sie rein.“

Ihre Blicke begegneten sich wieder, ein dankbares Lächeln auf der einen und ein unsicheres auf der anderen Seite, als Noa Chanelle Cortina den Teufel in ihrem Zuhause willkommen hieß. Denn schließlich, so hatte sie gelernt, war jeder einzelne Imperiale die Verkörperung des puren Bösen.

Oder nicht?


- Coruscant – Raumhafengegend – Noas Wohnung – Mit Will Echo -
 
- Coruscant – Raumhafengegend – Noas Wohnung – Mit Will Echo -

Der Mann in der imperialen Uniform saß ihr gegenüber, auf ihrem Sofa, dem gleichen Möbelstück, auf dem sie sich schon an so manchem Abend gemütlich unter eine Decke gekuschelt und sich von den den verschiedensten Sendungen im Holo-TV hatte berieseln lassen. Es war das gleiche Sofa, auf dem Cris gelegen hatte, nachdem er verwundet worden war. Hier, in dieser kleinen, schäbigen Wohnung hatte sich schon so viel ereignet. Es war kein Ort, an dem man freiwillig wohnte, wie Cloé sagen würde, doch es war Noas Zuhause. Den Feind hierher einzuladen schien so unglaublich dumm und doch hatte sie genau das getan.

“Ich kann Ihnen keinen Kaf anbieten, oder Tee. Sorry.“

Noa saß dem anderen etwas unwohl gegenüber.

“Vielleicht ein Wasser?“

Sie hatte nicht viel Zeit, ihm das Gespräch zu geben, das er gewollt hatte und ihn dann schnellstmöglich wieder loszuwerden. Pablo würde über kurz oder lang im Hauptquartier fertig sein, wie besprochen die Nerf-Omelettes für sie besorgen und dann hierher kommen. Bis dahin musste Echo längst wieder verschwunden sein.

„Ein Wasser wäre nett, vielen Dank.“

Noa stand auf und der imperiale Soldat tat es ihr gleich. Einen Moment lang schaute sie ihn verwirrt an, bis sie begriff, dass es die Höflichkeit war, die es ihm gebot, sich ebenfalls zu erheben. Gezwungen lächelnd ging sie von dem Sessel, in dem sie gesessen hatte (und der sich in einem noch desolateren Zustand befand als das ebenfalls schon alte Sofa) zu der Mini-Küche, die sie so gut wie nie benutzte. Glücklicherweise hatte sie noch saubere Gläser im Schrank und füllte eines davon mit Wasser.

„Sie sehen hübsch aus, in dem Kleid.“

Will Echo war neben sie getreten. Das war schon das zweite Kompliment, an diesem Tag, das sie erhielt. Das Dritte sogar, wenn man Jesper mit zählte. Und ja, sie trug noch immer das tief ausgeschnittene Kleid, verdammt. Noa wickelte ihre Strickjacke enger um sich.

“Danke.“

Sie mied es, ihn direkt anzusehen.

“So, ähm... und wie geht es Ihnen?“

Fragte sie schließlich, nachdem er von seinem Wasser getrunken hatte.

„Will. Nennen Sie mich Will.“

Ihr Blick streifte unauffällig über das Chrono an der Wand. Er sollte sich beeilen, was auch immer er wollte. Sie hatte schließlich nicht ewig Zeit. Nicht für einen wie ihn. Einen Imperialen. Urghs, sie fühlte sich furchtbar, ihn überhaupt herein gelassen zu haben. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Jetzt wurde sie ihn vermutlich nie mehr los. Und das alles nur, weil er gemeint hatte, sich in den Unteren Ebenen einmischen und ihr helfen zu müssen. Dabei hatte sie alles total unter Kontrolle gehabt! SIE war auf die Hilfe von niemandem angewiesen. Nun ja... in den meisten Fällen jedenfalls. Er lächelte sie an. Es war ein offenes Lächeln, so ehrlich, dass einem glatt das Herz aufging.

„Es geht mir... gut. Und auch wieder nicht. Es ist schwierig zu beschreiben, doch seit ich Coruscant betreten habe, fühle ich mich, als wäre ich in einen tiefen Sog gefallen. Verstehen Sie, was ich meine?“

In einen Sog gefallen? Noa hob eine Augenbraue. Nein, so ein Unsinns-Geschwafel verstand sie ganz bestimmt nicht. Und sie hatte gedacht, nur Poeten würden so geschwollen reden. Sie war schon dabei, ihn entsprechendes wissen zu lassen, als sie es sich doch anders überlegte. Verneinend schüttelte sie den Kopf.

“Nein, ich weiß nicht, was Sie meinen.“

Antwortete sie stattdessen.

“Wie lange sind Sie schon hier auf Coruscant?“

Sein Akzent alleine verriet, dass er nicht hier geboren war, doch Noa vermochte auch nicht einzuschätzen, von wo er stattdessen stammte.

“Seit ein paar Wochen. Mein Vorgesetzter ist hier stationiert und somit auch ich.“

Sein Vorgesetzter also, irgendein wichtiger Offizier? Ein Politiker? Sie wollte es gar nicht wissen. Je weniger sie über ihn erfuhr, desto besser.

“Und es gefällt Ihnen hier nicht?“

Noa griff hinter sich, öffnete den Küchenschrank erneut und holte auch für sich ein Glas heraus. Je mehr belanglose Fragen sie stellte und je mehr er über sich sprach, desto weniger Gelegenheit hatte er gleichzeitig, das Thema auf sie zu lenken. Sein Glas war bereits halb leer. Sobald er alles ausgetrunken hatte, würde sie ihn hinaus scheuchen. Sie würde sagen, dass es schon spät war und sie ohnehin Kopfschmerzen hatte. Frauen gaben häufig vor, darunter zu leiden. Er würde es nicht anzweifeln.

„Oh doch, Coruscant ist fabelhaft, verstehen Sie mich nicht falsch. Die Möglichkeiten hier sind schier endlos. Dennoch vermisse ich... meine Familie. Es ist einfach nicht das selbe, ohne sie... so weit weg zu sein ist schwierig.“

Das war es also. Über Will Echos Augen legte sich ein trauriger Schleier. Er litt unter Heimweh. In Noa stieg Mitleid auf, Mitleid für den Mann, der die Uniform des Feindes trug. Sie war verrückt, dachte sie spöttisch über sich selbst und schrak auf, als der Türsummer ertönte: Pablo. Er war viel zu früh.

„Oh, Sie erwarten noch Besuch?“

Will Echo stellte sein halbleeres Glas neben der Spüle ab und Noa tat es ihm gleich. Auf dem Gesicht der Journalistin erschien ein panischer Ausdruck. Ihr Bruder durfte sie nicht so sehen, nicht in Gesellschaft eines imperialen Soldaten. Pablo war eine der treibenden Kräfte hinter dem Widerstand gegen das Imperium. Die Defender schalteten Männer wie Will Echo aus. Dies waren zwei Welten, die aufeinander trafen – zwei Männer, die Feinde waren, auch wenn Echo dies nicht ahnen mochte. Wenn Pablo seinerseits aber begriff, dass ein imperialer Soldat siner Schwester nachstellte und seinen Weg zu ihr nach Hause gefunden hatte (verflixt, wie hatte er sie überhaupt gefunden?) würde er womöglich ein noch größeres Risiko in Will sehen als in den drei Idioten, die Noa versucht hatten auszurauben. Im schlimmsten Fall würde er Echo bei Seite räumen lassen, ehe er wirklich eine Gefahr darstellte und zwar in diesem Falle nicht nur für sie, sondern für den gesamten Widerstand. Das konnte sie nicht zulassen. Imperialer hin oder her, Will hatte sie gerettet und sie war ihm etwas schuldig. Darüber hinaus wollte sie schlicht nicht, dass Pablo den Eindruck bekam, sie verhielte sich unloyal der Republik gegenüber, oder dass sie - noch schlimmer - ihm erklären musste, dass sie während dem gestrigen Raubüberfall doch Hilfe gehabt hatte. Dank Noas zensierter Geschichte dachte Pablo, sie hätte sich ganz alleine befreit und dabei würde es bleiben. Für überarbeitete Versionen der Geschehnisse war es definitiv zu spät. Sie war kein kleines Mädchen und wollte nicht, dass er glaubte, die Unteren Ebenen seien zu gefährlich für sie, so wie Cloé es ohnehin schon tat.

“Kommen Sie!“

In einer Kurzschlussreaktion packte Noa Will Echo am Arm und zog ihn mit sich.

„Was? Ich verstehe nicht...“

Überrumpelt ließ sich der junge Soldat von ihr in ihr Schlafzimmer schubbsen.

“Stellen Sie keine Fragen.“

Zischte sie leise.

“Bleiben Sie einfach da drin. Und seien Sie leise.“

„Leise? Was geht hier vor?“

Wie sie hatte Will Echo seine Stimme gesenkt, doch aus seinem Tonfall sprach Unverständnis.

„Noa?“

Von draußen rief Pablo. Sie hatte sich zu lange Zeit gelassen.

“Ich komme sofort! Moment!“

Brüllte Noa zurück. Sie wandte sich zu Will.

“Warten Sie einfach hier drin, bitte.“

Beschwörend sah sie ihn an. Auf Wills Zügen zeichnete sich eine dunkle Vorahnung ab.

„Miss Cortina, sollte ich Sie in eine kompromittierende Situation gebracht haben, so tut es mir aufrichtig Leid. Es lag gewiss nicht in meinem Sinne...“

“Kompromittierend?“

Einen Moment lang fühlte sich das Wort fremd auf Noas Zunge an, dann ging ihr ein Licht auf.

“Ja. Ohhh, ja! Wissen Sie, wer das da draußen ist?“

Sie deutete auf die noch geschlossene Tür.

“Mein Verlobter. Sehr eifersüchtig. Und ich will nicht, dass er auf falsche Gedanken kommt. Sie wissen schon, richtig? Richtig. Also bleiben Sie, wo Sie sind!“

Sie versetzte ihm noch einen Stoß, schloss hektisch die Tür hinter ihm und rannte zur Wohnungstür. Will Echo saß in ihrem Schlafzimmer, während sie Pablo herein ließ. Besorgt sah ihr Bruder sie an.

„Hey. Alles OK?“

Er ahnte, dass etwas nicht stimmte.

“Hey! Ja, klar. Alles OK.“

Noas Stimme klang unnatürlich hoch, wie immer, wenn sie log. Sie räusperte sich und setzte eine Tonlage tiefer an.

“Ich war nur grad im Bad, daher die Verzögerung.“

Die Tür schloss sich hinter Pablo und Noa ging auf ihn zu, um ihn mit einem extra laut gschmatzten Kuss auf die Wange zu begrüßen - hoffentlich so laut, dass man ihn auch vom Schlafzimmer aus noch hörte.

“Schön, dass du da bist.“

Sagte sie.

“Ich hab' dich vermisst.“

Sie seufzte. Pablo als ihr Verlobter? Was für eine bescheuerte Idee.

“Auch wenn ich ziemliche Kopfschmerzen habe.“

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„Kopfschmerzen?“

Fragte Pablo skeptisch. Er machte sich daran, seine Jacke auszuziehen und übergab Noa einen isolierten Wärmebehälter, aus dem es appetitlich duftete. Mhhh, das roch gut.

“Ja, ich weiß auch nicht. Ich fühle mich einfach nicht so besonders.“

Behauptete sie. Pablo warf seine Jacke über die Lehne des Sessels und Noa spürte seinen seinen Blick auf sich, während sie die Behälter mit dem mitgebrachten Abendessen auf dem Wohnzimmertisch abstellte. Sie wagte kaum, ihn anzusehen. Pablo war erstens nicht blöd und kannte sie zweitens in- und auswendig. In seinem Kopf arbeitete es mindestens so geschäftig wie in ihrem. Sie musste eine Lösung finden, ihn loszuwerden, während er vermutlich darüber grübelte, was sie vor ihm verheimlichte. Was für eine verflixte Situation aber auch! Und zu allem Überfluss musste sie diesem Störenfried Echo auch noch vorgaukeln, Pablo wäre ihr Verlobter. Das war so ziemlich das Dämlichste überhaupt gewesen, das sie sich hatte ausdenken können, doch es war das einzige gewesen, das ihr eingefallen war, um Will davon zu überzeugen, dass es wirklich wichtig war, dass sie ihn versteckte. Hätte sie lediglich gesagt, dass ihr Bruder sie besuchte, hätte er doch gar nicht verstanden, warum dieser ihn nicht sehen durfte. Noch während sie überlegte, packte Noa die saftigen Nerf-Omelettes. Sie hatte noch keine Gabeln und Messer heraus geholt. Aber wollte sie jetzt wirklich hier sitzen und mit Pablo essen, während dieser unsägliche Will Echo im Nebenzimmer saß? Oje, was sollte sie nur tun?!

“Ich hol' noch Besteck.“

Sagte sie, stand auf und zog sie einzige Schublade ihrer Mini-Küche auf. Noch immer – oder schon wieder – konnte sie Pablos Blick auf sich fühlen. Verdammt, konnte er nicht woanders hin gucken?! Sie drehte sich um, doch anstatt seinem Blick zu begegnen realisierte sie, dass er tatsächlich an ihr vorbei sah – genau auf die beiden benutzten Gläser, die neben der Spüle standen. Uupps.

„Schönes Kleid, das du da an hast.“

Seine Stimme klang berechnend, als sie mit Messer und Gabel zu ihm zurück kam.

“Hmm, ja?“

Erwiderte sie unbestimmt. Er nickte.

„Ja. Und so tief ausgeschnitten.“

Oh, oh. Worauf wollte er hinaus? Sie setzte sich neben ihn, holte beide Mahlzeiten aus dem großen Behälter und begann, Pablos Omelette in kleine Stücke zu schneiden. Mit nur einem Arm fiel es ihrem Bruder schwer, bestimmte alltägliche Aufgaben zu meistern und Noa ging ihm wie selbstverständlich zur Hand. Langsam beugte er sich zur ihr herüber.

„Soll ich wieder gehen?“

Flüsterte er leise und nickte stumm hinüber zu der geschlossenen Schlafzimmertür. In Sekundenschnelle schoß Noa das Blut ins Gesicht.

“Ich weiß nicht, was du meinst!“

Wehrte sie seine Gedanken ab, ebenso leise wie er gesprochen hatte. Ihr Bruder hob beide Augenbrauen.

„Komm schon, Noa. Deine Aufmachung, die Gläser, die Kerzen...“

Er grinste.

„Kopfschmerzen, ja? Schon klar.“

Aprubt stand er auf.

„Weißt du was, leg dich besser hin, wenn es dir nicht gut geht. Schlafen ist die beste Medizin.“

Sagte er, wieder in normaler Lautstärke. Mit offenem Mund starrte Noa ihn an. Er dachte nicht wirklich, sie habe sich einen Typen ins Bett geholt, nachdem sie gerade erst mit Cris Sheldon angebandelt hatte! Er konnte nicht ernsthaft denken, dass sie so schnell über Cris hinweg war! Sie sprang vom Sofa auf, doch Pablo hatte bereits nach seiner Jacke gegriffen. Wenn er ging, dann war das eigentlich das Beste, das ihr passieren konnte, doch dass er dachte, sie habe ein Rendezvous, damit war sie nicht ganz zufrieden.

“Pablo, hier ist wirklich niemand!“

Versuchte sie ihm so leise wie möglich klar zu machen, doch er tätschelte lediglich wissend ihre Schulter, fast wie ein geduldiger Vater, der genau wusste, dass seine Tochter das Versteck mit den Süßigkeiten geplündert hatte, trotz aller Beteuerungsversuche, sie sei unschuldig.

„Erzähl mir morgen, wie's war.“

Hauchte er, fast lautlos und fügte an, lauter diesmal:

„Bis morgen, ruh dich aus.“

Und dann war er weg, ohne dass Noa sich besonders angestrengt hätte und sie hatte ein Problem weniger. Sie schloss die Wohnungstür hinter ihm, lehnte sich dagegen und blickte in Will Echos Gesicht. Er stand ihr gegenüber, ein paar Schritte von ihr entfernt, die Schlafzimmertür offen. Wenn überhaupt möglich, sanken Noas Schultern noch ein Stück weiter nach unten.

“Na schön.“

Sagte sie, sich in ihr Schicksal fügend. Eigentlich hätte sie ihn achtkantig raus werfen sollen. Rettung hin oder her, er konnte nicht einfach in ihr Zuhause platzen und alles durcheinander bringen. Die Wahrheit aber war, sie hatte keine Kraft, sich noch gegen irgendwen aufzulehnen oder sich für irgendetwas anzustrengen. Ursprünglich war ihr überhaupt nicht nach Gesellschaft gewesen. Sie hatte nur mit Pablo zusammen sitzen und ihm ihr Herz ausschütten wollen. Cris Sheldon spukte noch immer in ihrem Hinterkopf herum, ob sie es wollte oder nicht, und sie wusste einfach nicht, was sie dagegen unternehmen sollte. Sollte sie das überhaupt? Gab es eine Chance für sie beide oder war es klüger, die Reißleine zu ziehen, so wie Selby ihr vorgeschlagen hatte? Noa Chanelle schlurfte barfuß zum Sofa.

“Setzen Sie sich.“

Sagte sie, griff nach Messer und Gabel und hielt Will Echo Beides hin. Er sollte Pablos Omelette essen, am besten möglichst wenig reden und dann wirklich verschwinden.

“Ich hoffe, Sie haben Hunger.“

Und zwar am besten endgültig.

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Es war spät, als Noa aufwachte. Draußen war es schon hell. Sie hatte geträumt, irgendetwas konfuses über tiefe Häuserschluchten - ganz klar eine Referenz auf Coruscant - und singende Nerf-Omelettes. Sie konnte sich sogar noch an den Text des Liedes erinnern, das sie gesungen hatten. Schwerfällig schleppte sie sich aus dem Bett. An neun von zehn Tagen war Noa Chanelle Cortina ein typischer Morgenmuffel und heute war keine Ausnahme, ganz im Gegenteil. Sie musste nicht erst noch wacher werden um sich an alles zu erinnern, das gestern geschehen war. Cris' Nachricht war ihr sofort präsent, ebenso wie Private Echos unerwarteter Besuch. Was führte sie eigentlich für ein ungeordnetes Leben, fragte sie sich, als sie – noch immer leicht schlaftrunken – ins Bad stolperte. Sie hätte sich schon vor Jahren ein Vorbild an ihrer Schwester nehmen sollen. Was sie brauchte waren ein ganz normaler Job und ein anständiges Umfeld. Ohne den ganzen Widerstandskram würde sie endlich einmal Gelegenheit haben, Männer kennen zu lernen, die weder Jedi, noch frühere Elite-Piloten noch aktive Geheimdienstagenten waren. Bei solchen Bekanntschaften war es kein Wunder, dass sich nie wirklich irgendetwas handfestes aus Noas Schwärmereien ergab. Außerdem, sagte sie sich, als sie sich unter die Dusche stellte, ohne ihre Verwicklung in den Widerstand müsste sie sich auch nicht um Typen wie Will Echo sorgen. Wäre sie selbst eine ganz normale Zivilistin auf Coruscant, wäre sie vermutlich sogar von seinem Besuch geschmeichelt gewesen. Das hätte alles so viel einfacher gemacht. Wie immer im Leben änderten „hätte, wäre und wenn“ allerdings nichts an den gegebenen Umständen. Will Echo war nicht mehr lange geblieben, nachdem Noa ihm Pablos Anteil des Abendessens zugestanden hatte. In relativem Schweigen hatten sie nebeneinander auf dem Sofa gesessen und gegessen. In sich gekehrt hatte Noa ihren Gedanken nachgehangen und Will, wie es schien, den seinen. Gesprochn hatten sie nicht mehr viel. Es war ein seltsamer Abend gewesen und bevor er schließlich gegangen war – recht bald nach dem Essen – hatte er sich noch einmal entschuldigt, überhaupt so uneingeladen bei ihr aufgekreuzt zu sein. So wirklich schlau wurde Noa aus disem ganzen Aufeinanertreffen nicht. Sie hoffte einfach, dass sie ihn nicht wiedersehen würde und sie mit diesem Kapitel endlich abschließen konnte. Weder wollte sie ständig an den Vorfall in den Unteren Ebenen erinnert werden, noch wollte sie überhaupt in irgendeiner Verbindung stehen mit jemandem, der etwas mit dem Imperium zu schaffen hatte.

Dieser Tage war es selten, dass Pablo Cortina anderswo aufzufinden war als im Hauptquartier der Defender, doch als Noa nach dem Aufstehen ihre Nachrichten geprüft hatte, hatte sie eine von Pablo vorgefunden, der schon früh geschrieben hatte, dass sie ihn bei ihrem Bruder Rámon zu Hause treffen konnte. Entweder, dachte Noa, die beiden hatten sich dort verabredet, um Angelegenheiten des Widerstandes zu besprechen – Rámons Zeitplan war immer knapp, sodass er nicht immer im Hauptquartier der Defender vorbei schauen konnte, wann er wollte – oder Pablo war dort, um seine Pflicht als Onkel zu erfüllen und Zeit mit seinem Neffen und seiner Nichte zu verbringen, ehe Thalia sich beschwerte, dass sie ihn nie zu Gesicht bekamen. Noa stand im Turbolift des großen Wohnblocks, in dem ihr Bruder und seine Frau wohnten. Wenn sie dem Gebäude einem Status hätte zuordnen müssen, dann lag es weit über dem, in dem Noa lebte, aber etwas unter dem, in dem Cloé und Jesper ihre Wohnung hatten.


„Du kommst gerade noch rechtzeitig.“

Begrüßte sie Thalia, als sie die Tür öffnete.

„Ich wollte gerade den Tisch abräumen. Pablo war zum Brunch da.“

Vielleicht hatte er auch beides miteinander verbunden, dachte Noa als sie eintrat, Defender-Business mit Familienangelegenheit. Sie hing ihre Jacke an der Garderobe auf und wurde bereits im Flur von Camilla begrüßt, die ihr ihre Puppe hin hielt.

“Hallo, du kleiner Schatz.“

Noa ging in die Hocke.

“Oh nein, Nili ist ja nackt.“

Sie nahm die Puppe ihrer Nichte entgegen.

“Hat sie denn nichts Anzuziehen?“

Camilla machte ein trauriges Gesicht und zog an einem ihrer beiden Zöpfe.

„Ich krieg aba ihre Hose nich aaan.“

Sagte sie.

“Oh, nicht?“

Das war eigentlich was für Cloé. Sie war Experten im Ankleiden und Frisieren von Puppen.

“Dann hol doch mal ihre Hose und such einen schönen Pullover aus und bring mir beides. Ich helf' dir dann.“

Bot Noa an.

“Okay?“

Camilla nickte begeistert.

„Weil ich krieg die nämlisch nicht aaan.“

Wiederholte sie. Noa nickte und stand auf. Jetzt war schon wieder die Platte kaputt. Pablo und Ramón saßen im Wohnzimmer an dem runden Esstisch, als Noa herein kam, doch von dem, was sie noch mitbekam, sprachen die beiden nicht über den Widerstand, sondern über die aktuellen Nachrichten.

„Die genauen Zahlen sind allerdings noch unklar, aber irgendwo bei 30.000 Toten werden sie wohl liegen.“

Sagte Rámon. Nacheinander begrüßte Noa beide ihre Brüder mit einem Kuss auf die Wange und setzte sich neben Pablo.

“Tote? Wo, was ist passiert?“

Fragte sie alarmiert. Pablo wandte sich ihr zu.

„Corellia. Na nu, hörst du keine Nachrichten mehr?“

Ein Grinsen lag auf seinen Zügen.

“Die Schlacht ist beendet. Wir haben gewonnen.“

Informierte er sie und Noas Herz schlug plötzlich schneller.

“Gewonnen? Wirklich? Ist das 100% sicher?“

Fragte sie, von einem zum anderen schauend. Ramón schenkte ihr einen Becher Kaf aus und schob ihn rüber zu ihr.

„Es ist überall in den Nachrichten.“

Antwortete er augenzwinkernd und Noa fiel Pablo um den Hals. Corellia war befreit!

“Sie kommen für uns, nicht wahr?“

Fragte sie leise und suchte Pablos Blick.

„Ja, ich glaube schon.“

Sagte er und drückte ihre Hand.

„Sie sind auf dem Weg hierher.“

Pablo atte den Widerstand gegen das Imperium zu seiner Priorität gemacht, sogar seinen Job hatte er gekündigt, um rund um die Uhr seinen Einsatz für Coruscant und die Republik zu garantieren. Eines Tages, dachte Noa, würde wieder Normalität für ihre Familie einkehren. Wenn dies alles vorbei und Coruscant ebenso befreit war wie Corellia, würde Pablo wieder seinen Platz in der Apotheke, neben ihrem Vater, einnehmen. Rámon würde endlich wieder Zeit haben sich so um seine Familie zu kümmern, wie er es sich wünschte und Noa würde sich ganz auf ihre Karierre konzentrieren, um endlich die Journalistin zu werden, die sie sein wollte.

- Coruscant – City – Ramóns und Thalias Wohnung – Wohnzimmer – Mit Pablo und Rámon -
 
- Coruscant – City – Ramóns und Thalias Wohnung – Wohnzimmer – Mit Pablo und Rámon -

Mit einem kleinen, mit bunten Bildern bedrucktem Koffer im Schlepptau kam Camilla ins Wohnzimmer gehüpft. Nili, die Puppe, die erst noch angezogen werden musste, hielt sie in der linken, den Koffer in den rechten Hand.

„Papa, ich muss Nili auch was anziehen!“

Rief sie, ihr Ton so vorwurfsvoll, als hätte irgendjemand im Raum etwas anderes behauptet, oder sie davon abhalten wollen. Mit vollem Mund – er hatte sich gerade noch einen Süßkuchen genommen – und genüsslich kauend winkte Rámon seine Tochter zu sich.

„Sollen wir ihr mal was Schönes aussuchen?“

Bot er an und hob Camilla auf seinen Schoß.

„Ja! Aber Tante Noa muss auch die Hose anziehen.“

Camilla war eine richtige kleine Bestimmerin. Ein bisschen so wie Cloé, dachte Noa. In zehn Jahren oder so würden die beiden endlose Einkaufstouren zusammen unternehmen und Cloé würde ihre Nichte von oben bis unten einkleiden und ihr die schönsten Sachen kaufen, auch wenn Thalia noch so dagegen war. Sie schlürfte ihren heißen Kaf und bediente sich von dem noch reichlich gedeckten Frühstückstisch.

„Und, wie war's gestern Abend noch? Hattest du noch Spaß?“

Pablo stellte seine Frage leise, während Rámon gerade mit Camilla beschäftigt war und Thalia noch in der Küche mit Geschirr klapperte. Noa verzog den Mund. Es war ihr gestern nicht so ungelegen gekommen, dass Pablo gedacht hatte, sie habe Männerbesuch (was ja auf gewisse Weise sogar gestimmt hatte, nur eben nicht so wie er dachte), doch heute war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie wirklich wollte, dass er dachte, sie habe sich bereits über Cris hinweg getröstet. Das stimmte nämlich nicht, sie war noch nicht über ihn hinweg. Wortlos schob Noa ihrem Bruder den Datenblock hinüber, den Selby ihr gestern gegeben hatte und auf dem sich Cris' Nachricht an sie befand. Pablo lehnte sich zurück und las mit konzentriert in Falten gelegter Stirn.

„Tante Noa, soll ich die Hose nehm?“

Camilla hielt ihr ein Paar rot-blau gestreifter Shorts in Puppengröße hin. Es wäre nicht Noas erste Wahl gewesen, aber es würde wohl seinen Zweck erfüllen.

“Ja, warum nicht? Soll ich dir helfen?“

„Ja, bitte.“

Camilla reichte ihr die Puppe und die Hose. Vor Rámon und Camilla waren inzwischen alle möglichen Puppenkleider zwischen Tassen, Tellern und dem Brotkorb ausgebreitet. Als Thalia herein kam und dies sagte, verzog sie missbilligend das Gesicht.

„Also, Rámon, wirklich! Wofür haben wir denn ein Kinderzimmer? Muss das hier wirklich sein, am Essenstisch?“

Schalt sie, sich über das Chaos ärgernd. Automatisch zog Noa den Kopf ein, schließlich war sie es gewesen, die Camilla vorgeschlagen hatte, ihr hier zu helfen. Rámon hingegen zuckte nur geduldig mit den Schultern.

„Es ist ja nicht so, als könnten wir nicht alles wieder aufräumen.“

Sagte er und Noa erkannte in ihm einen Mann, der längst aufgehört hatte sich über Kleinigkeiten aufzuregen. Alles was er wollte, war Zeit mit seinen Kindern zu verbringen. Sie zwängte die Puppe in ihre Hose, zupfte diese zurecht und gab sie schließlich wieder Camilla zurück, die mit der Ernsthaftigkeit einer professionellen Stylistin damit beschäftigt war, eine passendes Oberteil für Nili auszusuchen. Neben Noa hatte Pablo inzwischen Cris' Nachricht zu Ende gelesen.

“Und? Was denkst du?“

Wollte sie wissen. Pablos Gesicht war nicht zu durchschauen, nicht einmal für sie.

„Ist dir bewusst,“ Fragte er schießlich. “wie ernst er es mit dir meint?“

Weil sie es nicht wusste, schüttelte Noa den Kopf. In Bezug auf Cris Sheldon wusste sie mittlerweile überhaupt nichts mehr. Sie hatten eine kurze, schöne Zeit gehabt, doch inzwischen war war alles verwirrend, schwierig und hoffnungslos. Sie hatte gewollt, dass sie eine Chance bekamen, doch die halbe Galaxis stand zwischen ihnen und er wusste das genau so wie sie.

“Ich kriege ihn nicht aus meinem Kopf.“

Gestand Noa.

“Was nichts Neues ist, wenn es um mich und irgendeinen Typen geht, ich weiß.“

Sie lachte über sich selbst.

“Das Problem ist, ich sehe keine Zukunft für uns. Ich meine, wie sollte die aussehen? Und wie?“

Sie schüttelte den Kopf.

“Er hat mir ein Komlink zukommen lassen, mit dem ich ihn kontaktieren kann. Es ist so codiert, dass die Nachrichten über verschiedene Relaisstationen gehen und ihre tatsächliche Herkunft verschleiern. Das hilft, zwischen imperialen und republikanischen Welten zu kommunizieren.“

„Ein umsichtiger Gedanke.“

“Ja. Aber... wir wissen ja nicht mal, ob und wann wir uns wiedersehen können. Und ehrlich gesagt...“

„...ehrlich gesagt, hast du Angst, zu weit zu gehen und zu spät zu erkennen, dass es keinen Sinn macht. Du willst icht am Ende mit gebrochenem Herzen hier sitzen.“

Vollendete Pablo ihren Satz. Es war immer wieder erstaunlich, wie gut er sie lesen konnte. Noa nickte. Es war genau so, wie er gesagt hatte.

„Über wen reden wir?“

Schaltete sich Rámon ein und überraschte damit, dass er zugehört hatte, obwohl er mit Camilla beschäftigt gewesen war. Sie kletterte von seinem Schoß herunter und verschwand mit ihrer Puppe. Seufzend reichte Noa auch ihrem ältesten Bruder den Datenblock mit Cris' Nachricht und rührte in ihrem Kaf. Sie konnte jeden Rat gebrauchen.

„Wenn du wirklich Gefühle für ihn hast, solltest du sie nicht ignorieren.“

Sagte Pablo, während Rámon noch mit Lesen beschäftigt war.

„Wie wichtig ist er dir denn?“

Das war eine Frage, die Noa kaum beantworten konnte. Sie hatte eine tolle Zeit mit Cris gehabt, ja, und sie wollte ihn gerne wieder sehen. Sie dachte ständig an ihn. Er war anders als die Männer, die sie sonst so kennen lernte, rücksichtsvoller und ernster und sie dachte gerne daran, wie sie sich geküsst hatten. Er konnte gut küssen und das war wichtig. Mit einem Mann, der nicht küssen konnte, konnte sie kaum zusammen sein. Das stellte sie sich komisch vor. Aber wie wichtig war er ihr? Cloé hatte teilweise Recht, sie wusste wirklich nicht viel über ihn und wenn man die Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten, addierte, kam man nicht unbedingt auf eine hohe Summe.

“Ich weiß nicht...“

Wandt sie sich unter der schwierigen Frage.

“Ich hätte schon gerne, dass er mir wichtig wird... eines Tages...“

„Dann gib ihm die Chance.“

Sagte Pablo.

„Flieg nach Lianna.“

“Was?“

Noa sah ihn an, als hätte er ihr gerade vorgeschlagen, den Imperator persönlich um ein Interview zu bitten. Doch selbst unter ihrem schockierten Blick blieb Pablo vollkommen ruhig.

„Er hat dir geschrieben, dass er nach Lianna versetzt wurde. Warum fliegst du nicht einfach hin, bleibst eine Weile da und siehst, wie es zwischen euch läuft? Nichts wäre einfacher als das.“

So wie ihr Bruder das sagte, klang es fast zu einfach, so einfach sogar, dass Noa von selbst noch nicht auf diesen Gedanken gekommen war. Er schlug ihr vor, Coruscant für eine Weile zu verlassen um auf einem anderen Planeten ihr Glück zu suchen. Wie konnte sie das tun? Alles was sie hatte und besaß, war hier auf Coruscant! Ihr gegenüber schnaubte Rámon missbilligend.

„Was, du bist anderer Meinung?“

Sprach Pablo ihn an. Mit einem Tablett voller Gläser, die sie in einen der Wohnzimmerschränke einräumte, kam Thalia ins Zimmer. Rámon sah Pablo ernst an.

„Ja, das bin ich.“

Sagte er.

„Du weißt genau, was dieser Mann für einen Beruf hat. Er mag jetzt gerade zu den Jedi versetzt worden sein, aber da wird er auch nicht ewig bleiben. Ich habe ihn gesehen, wie er aussah, als unsere Leute ihn aus den Trümmeren in den Unteren Ebenen geborgen haben. Ich habe ihn behandelt, Pablo. So wie er zugerichtet war, sah kein Mann aus, der sich auf Dauer aus allem Ärger heraus hält.“

„Hm. Das ist sehr beurteilend von dir.“

Stellte Pablo fest.

„Möglich.“

Erwiderte Rámon.

„Aber ich sehe die Tatsachen. Noa sucht einen Mann, der sie endlich mal unterstützt und auf den sie sich verlassen kann. Ist es nicht so?“

Auf ihre Bestätigung wartend, sah er sie an und in Noa bildete sich das beklemmende Gefühl, dass sie eine Debatte zwischen ihren Brüdern ausgelöst hatte, die sich um ihr Liebesleben und ihr persönliches Glück drehte.

“Ähm, ja.“

Antwortete sie, eigentlich in der Absicht, noch etwas hinzu zu fügen, doch Rámon kam ihr zuvor.

„Cris Sheldon ist ein Agent. Kampf und Risiko sind sein Beruf und zwar nicht nur so lange der Widerstand auf Coruscant besteht, so wie es bei uns der Fall ist. Er wird auch weiter machen, wenn das hier längst vorbei ist und Noa gewillt ist, wieder ihr normales Leben aufzunehmen. Er wird immer unterwegs sein, wenig Zeit für sie haben und schlecht zu erreichen sein. Das was er führt, ist kein Leben für sie.“

Die Vehemenz, die aus Rámons Stimme sprach, war einschüchternd. Er wirkte beinahe, als habe er sich heute nicht zum ersten Mal Gedanken um dieses Thema gemacht und wenn Noa es recht bedachte, dann war das vielleicht sogar so. Am anderen Ende des Raumes schloss Thalia den Schrank, in den sie die Gläser, die sie zuvor gespült hatte, eingeräumt hatte. Hatte er wirklich über sie und Cris gesprochen, fragte sich Noa, oder hatte Rámon viel mehr seinen Frust darüber kund getan, dass er selbst nicht in dem Maße für seine Familie da sein konnte, wie er sollte?

„Und wenn es einen anderen Weg gibt?“

Erwiderte Pablo.

„Wenn sie sehen, dass sie wirklich füreinander bestimmt sind, können sie vielleicht eine Lösung finden.“

Hin- und her gerissen blickte Noa von einem zum anderen. Es machte die Situation für sie nicht unbedingt einfacher, dass ihre beiden Brüder plötzlich gegeneinander argumentierten. Und wann hatten sie überhaupt begonnen, in der dritten Person über Noa zu sprechen, als wäre sie nicht anwesend? Resignierend schob sie ihre Tasse bei Seite, legte ihre Arme auf den Tisch und vergrub ihren Kopf darin. Sich Rat zu holen sollte eine Angelegenheit leichter machen, nicht sie verkomplizieren.

„Sprecht ihr über diesen Cris Sheldon, den Noa neulich zum Abendessen mit gebracht hat?“

Fragte Thalia plötzlich. Na großartig, jetzt mischte sie sich auch noch ein. Noa grunzte eine wage Zustimmung.

„Ich fand ihn seltsam.“

Sagte Thalia.

„Er wirkte ungelenk. Nicht in seinen Bewegungen! Ungelenk in seinem Verhalten. Viel gesagt hat er nicht. Ich erinnere mich nur, dass er beim Essen...“

“Ja, ich weiß.“

Unterbrach Noa sie, hob ihren Kopf und setzte sich wieder gerade hin. Weder Rámon noch Pablo waren an jenem Abend anwesend gewesen und sie hatte keine Lust sie in die Geschichte einzuweihen, wie Cris alle am Tisch zum Schweigen gebracht hatte, weil er eine persönliche Frage von Thalia so „ungelenk“ abgewehrt hatte.

„Jedenfalls denke ich,“ Fuhr Thalia fort. „dass, wenn du wirklich Gefühle für ihn hast, du ihm eine Chance geben solltest.“

Oh. Und hier hatte Noa gedacht, Thalia wäre vollkommen auf Rámons Seite. Aber warum sollte sie auch? Wenn Rámon der Meinung war, dass er selbst nicht genug für die Familie da war und er Noa vor einer Beziehung retten wollte, in der sie ewig sorgenvoll auf ihren Mann warten würde – so wie Thalia auf Rámon wartete – dann war es vielleicht gar keine so große Überraschung, dass Thalia ihren Standpunkt verteidigte, dass es die Sache wert war, wenn man sich wirklich liebte. Sie stand hinter Rámon und allem was er tat, auch wenn er sich Vorwürfe darüber machte, dass der Arbeit und der Widerstand ihn so sehr einspannten. Als sie geheiratet hatten, hatten sie sich geschworen, in guten wie in schlechten Zeiten einandern beizustehen und das nahm Thalia sehr ernst.

„Nicht, dass ich es verstünde.“

Fügte sie an, beinahe ein wenig mütterlich.

„Aber ich mochte bisher noch keinen von deinen Freunden, von daher bleibst du dir deiner Linie wenigstens treu.“

Das war Thalia. Freundlich, weil es sich gehörte, unterstützend, wenn sie es für richtig befand und so streng und belehrend, wie eine Mutter von zwei wilden Kindern es sein musste, wenn sie nicht wollte, dass sie ihr vollends auf der Nase herum tanzten. In Wirklichkeit war Cris Sheldon alles andere als das Ebenbild von Noas Ex-Freunden, doch für Thalia genügte es vermutlich, zu wissen, dass er quasi als Söldner für eine Widerstandsgruppe angeheuert worden war, bevor die Defender ihn verletzt und ohnmächtig gefunden hatten und dass er seinen Unterhalt damit verdiente, mit einem Blaster bewaffnet herum zu laufen. Ein Agent zu sein, das klang in ihren Ohren zwiespältig genug, selbst wenn er für die Republik arbeitete.

“Du würdest ihn nett finden, wenn du ihn besser kennen würdest.“

War sich Noa sicher. Thalia hatte sich hinter Rámon gestellt und begonnen, seine Schultern zu massieren.

„Dann überlege dir, ob ich jemals die Gelegenheit dazu bekommen werde.“

Antwortete sie. Warum nur, dachte Noa, war das alles so verdammt schwierig? Pablo hatte es so einfach wirken lassen, aber sie konnte nicht ernsthaft nach Lianna fliegen, oder doch? Es würde nichts ändern. Wenn Cris einfach so beantragen konnte, zurück nach Coruscant versetzt zu werden, hätte er es sicher getan. Das hatte er sogar geschrieben. Brüderlich legte Pablo seinen Arm um sie.

„Letzten Endes musst du dich alleine entscheiden, Schwesterchen.“

Sagte er.

„Du müsstest ja nicht lange dort bleiben, nur so lange, bist du weißt, was du willst. Nimm dir ein paar Wochen Urlaub.“

Noa seufzte leise, lehnte sich an Pablo und begegnete Rámons Blick. Er billigte Pablos Vorschlag nicht, doch er war klug genug, nichts weiter zu sagen. Noa hatte ihn gehört. Sie hatte sie alle gehört. Es war ihr Leben, doch im Stillen wünschte sie, irgendjemand könnte für sie entscheiden, nicht nur was das Beste, sondern auch, was das Richtige war.

- Coruscant – City – Ramóns und Thalias Wohnung – Wohnzimmer – Mit Pablo, Rámon und Thalia -
 
- Coruscant – City – Fitnessstudio – Mit Leandro –

Der Widerstand des Laufbandes war nur auf mittlerer Stufe eingestellt, doch Noa hatte nach einer halben Stunde bereits das Gefühl, ihre Beine austauschen zu müssen. Brad beobachtete sie aus der Ferne, was jeden Versuch einer Pause unmöglich machte, während sie mit Leandro Seite an Seite um ihr Leben joggte. Was die ganze Sache noch schlimmer machte war, dass Leandro in einer Tour mit ihr schwatzen wollte, während Noa alleine schon zum Atmen die Luft fehlte. Ein Blick auf die eingestellte Uhrzeit sagte ihr jedoch, dass sie noch nicht ganz fertig war. Zehn Standardminuten musste sie mindestens noch durchhalten, wenn sie mit einem guten Gewissen nach Hause gehen wollte.

„Und dann?“

Fragte Leandro, der scheinbar überhaupt keine Mühe damit zu haben schien, auf der höchsten Widerstandsstufe zu laufen. Er wirkte wie auf einem Nachmittagssparziergang, nicht im Mindesten aus der Puste oder auch nur ein kleines bisschen angestrengt. Noa hätte ihn umbringen können. Sie hatte begonnen, Leandro von dem Brunch bei Rámon und Thalia zu erzählen, als ihre Kondition sie noch nicht im Stich gelassen hatte. Mittlerweile waren ihr Luft und Lust auf ein Gespräch vergangen.

“Dann haben wir das Thema gewechselt, Pablo hat sich verabschiedet und ich bin auch kurz danach weg.“

Erwiderte sie, so knapp wie möglich.

“Das war's.“

„Und, hat dir das Gespräch geholfen oder nicht?“

Noa sah ihren Bruder, den Jüngsten unter den Cortina-Männer, von der Seite an.

“Was glaubst du?“

Fragte sie bissig. Leandro lachte.

„Hätte ich auch nicht erwartet.“

Erwiderte er.

„Lass mich noch mal zusammen fassen: Cloé und Jesper sagen, du sollst dir jemand Vernünftiges suchen. Pablo sagt, du solltest es riskieren. Rámon ist gegen Cris, Thalia und Dad für ihn. Richtig?“

Noa nickte, die Zähne zusammen gebissen. Je weniger sie sagen musste, umso besser.

„Fehlt ja nur noch meine Meinung!“

Rief Leandro laut aus, ein dickes Grinsen im Gesicht. Noa rollte mit den Augen. Hätte sie das vorher gewusst, dass es sie nur noch mehr verwirren würde, sich Rat von ihrer Familie zu holen, hätte sie von Anfang an ihre Klappe gehalten. Stur starrte sie gerade aus, konzentriert auf ihre Füße und darauf, dass sie nicht zu langsam wurde und vom Laufband flog. Spätestens seit den letzten fünf Minuten spielte sie mit dem Gedanken, die Schwierigkeitsstufe herunter zu drehen, hatte sich bisher aber zurück halten können, in erster Linie weil sie befürchtete, dass Brad, ihr Trainer, sie durchschauen würde und ihr zusätzliche Sit-Ups zur Strafe aufbrummte.

„Also, willste sie hören?“

Leandro sah sie an, doch Noa begegnete seinem Blick nur kurz.

“Nee.“

Antwortete sie, noch schwerer atmend als zuvor. Lachend mimte ihr Bruder den Entrüsteten.

„Was, jeder darf seine Meinung beisteuern, nur ich nicht?“

Er griff nach seiner Wasserflasche, trank sie leer und bewarf Noa, als sie ihm keine Reaktion mehr schenkte, damit. Es fiel der Journalistin schwer, nicht genervt zu sein, als die Plastikflasche an ihrem Oberarm abprallte und zu Boden fiel. Glücklicherweise läutete die voreingestellte Zeit auf ihrem Trainingsgerät die letzten zwei Minuten ein. Sie winkte in Brads Richtung, um ihm zu signalisieren, dass sie so gut wie fertig war und ihr Trainer brachte das Gespräch mit dem anderen Kunden, mit dem er gerade beschäftigt gewesen war, zu Ende, um zu ihnen herüber zu kommen.

„Na, da hat aber jemand gut durchgehalten.“

Lobte er. Leandro grinste.

„Ach was, ich hab' grad erst angefangen.“

Antwortete er an der Stelle seiner Schwester. Noa sah ihn an, als würde sie ihm jeden Moment den Hals umdrehen wollen.

“Ich bin fix und fertig.“

Gestand sie in Brads Richtung, griff nach dem Handtuch, das um ihre Schultern lag und wischte sich über die Stirn. Sie war kurz davor aufzugeben, vollkommen erledigt und bereit, den Rest ihres Lebens im Bett zu verbringen, wenn sie nur nie wieder laufen musste. Schließlich aber fanden auch die letzten zwei Minuten ihr Ende und Erleichterung durchflutete sie, als Brad hinüber zur Steuerkonsole langte und die Schwierigkeit massiv herunter fuhr, um Noa zu einem gemäßigten Sparziergang zu zwingen. Er reichte ihr eine neue Wasserflasche.

„Hier, trink das.“

Beorderte er, ohne dass Noa wirklich dazu hätte gezwungen werden müssen, etwas zu trinken. Sie war so durstig wie nach einem zweiwöchigen Fußmarsch durch Tatooines Wüste.

“Ich hoffe, ich bin fertig für heute.“

Sagte sie, noch immer schwer atmend, als sie die Flasche halb leer getrunken hatte und schließlich vom Laufband herunter kam. Brad klopfte auf die Schulter. Das Lauftraining war nicht die erste Disziplin des Tages gewesen und er erkannte offenbar, dass hier wirklich nichts mehr zu holen war.

„Sicher. Du hast dir deine Ruhe vor mir verdient.“

Antwortete er großzügig.

„Gute Arbeit.“

Leandro beendete seine Trainingssession vorerst ebenfalls. Da sein Arbeitstag allerdings noch nicht vorbei war, konnte es gut sein, dass er immer wieder zwischendurch auf das Laufband oder eines der anderen Trainingsgeräte aufsprang. Er holte Noa ein, während sie zu den Umkleiden ging.

„Was hast du heut' noch vor?“

Wollte er wissen. Noa überlegte.

“Nichts, eigentich. Vielleicht geh ich später noch ein bisschen raus, unter Leute... schau mal im Nightliner vorbei oder so.“

Sie zuckte mit den Schultern. Es war noch alles offen.

“Und du?“

„Sabacc mit Freunden.“

Leandro grinste, weil er sich für den unbesiegbaren Sabacc-König hielt. Bei Mitspielern, die so schlecht waren wie Noa, war das auch nicht weiter schwierig.

„Hey, noch mal wegen Sheldon.“

Noa blieb stehen. Er wollte ihr wirklich gerne auch noch seine Meinung aufdrücken. Warum war das scheinbar für alle eine Art Spiel? Das hier war ihr Leben, keine öffentliche Polit-Talkrunde! Noa funkelte ihn an.

“Ganz ehrlich? Ich hab' genug über ihn gehört.“

Sagte sie, weil sie es einfach nicht mehr ertragen konnte. Leandro hob beide Augenbrauen.

„Noch nicht. Erst wenn ich fertig bin.“

Erwiderte er locker. Das war typisch Leandro. Er verstand nie, wenn aus Spaß Ernst wurde.

“Warum glaubt eigentlich jeder, das Recht zu haben, sich in meine Beziehungen einzumischen?“

Fragte Noa scharf.

“Lustigerweise wissen es immer alle besser als ich, selbst die jenigen, die genau so Single sind wie ich!“

Wie Leandro und Pablo zum Beispiel. Jener Bruder, der gerade anwesend war, zuckte mit unbeeindruckt mit den Schultern.

„Der Unterschied zwischen uns ist, ich bin Single, weil ich mich dazu entschieden habe.“

Erklärte er ihr.

„Und Pablo...“

Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Pablo hat nicht mal Zeit für einen Job. Wie soll er da Zeit für eine Frau finden?“

Ja, so einfach war. Alle anderen hatten immer gute Gründe und Ausreden, nur Noa war die Versagerin auf der ganzen Linie. Frustriert verschränkte sie ihre Arme vor der Brust.

“Vielleicht will ich gar keinen Rat mehr.“

Stellte sie klar.

“Weil es mir sowieso nicht hilft. Alle denken, sie hätten so viel Schlaues zu sagen, jeder mischt sich ein, aber keiner...“

Leandro nahm ihre Hand und zog sie etwas bei Seite, damit sie nicht mitten im Weg herum standen.

„Noa, du willst, dass alle ihre Meinung sagen.“

Erinnerte er sie. Pikiert sah sie ihn an.

“Das stimmt nicht.“

Stritt sie seine Behauptung ab.

„Oh doch, das stimmt und es ist immer so. Jedes Mal, wenn du nicht weißt, was du machen sollst, liegst du allen anderen damit in den Ohren – so lange, bis jeder nur noch darüber redet. Das war schon immer so.“

“Nenn mir ein Beispiel.“

Forderte sie ihn auf. Leandro schnaubte.

„Okay... bevor du mit dem Studium angefangen hast und nicht wusstest, an welcher Uni du dich einschreiben sollst?“

“Das ist ewig her.“

„Aber es zählt. Oder als du mit diesem Typen zusammen warst... Andrei, und er dich eingeladen hat, mit ihm irgendwohin zu fliegen.“

Hmm. Noa fehlte es an einer passenden Erwiderung. Sie gab es nicht gerne zu, aber ganz Unrecht hatte Leandro vermutlich nicht. Sie machte tatsächlich gerne eine Fass über ihre Probleme auf, um den Rest ihrer Familie teilhaben zu lassen und zu hören, was sie darüber dachte. Aber dafür waren Familien doch auch da, oder nicht?

“Okay, sag's schon.“

Forderte sie ihn auf.

“Du hast ja Recht, ich will hören, was du denkst und was die anderen denken.“

Sie sah ihn an.

“Aber ihr liebt es auch mindestens genau so gerne, euch einzumischen!“

„Stimmt! Kein Widerspruch, was das angeht.“

Lachend lehnte sich Leandro sich gegen die Wand.

„Cris schien in Ordnung. Ein netter Kerl.“

Sagte er.

„Und wir wissen, du verdienst einen netten Kerl. Vor allem nach Andrei, oder Jerome, oder...“

Noa boxte ihn in die Seite.

“Ist gut, du brauchst keine Liste machen. Weiter im Text.“

„Das IST mein Text.“

Stellte er klar.

„Darauf will ich ja hinaus. Wir sind jung, Noa, und diese Listen entstehen, während wir jung sind. Warum sich jetzt schon so fest binden? Guck, Cloé und Jesper hatten Glück, die haben sich gesucht und gefunden, aber bei ihnen hat auch alles gepasst. Bei dir und Cris... tja, da nicht so. Du hier, er da, keine Aussicht auf Besserung...“

Leandro zuckte mit den Schultern.

„Nutz lieber die Zeit und tob' dich aus. Wenn ihr zusammen sein wolltet, müsstest ihr es schon forcieren. Und seien wir mal ehrlich, keiner von uns will wirklich jemals von hier weg.“

Er schlug ihr auf die Schulter, wie einem Kumpel, den er nach einem fehlgeschlagenen Flirtversuch aufheitern wollte.

„Man kann nichts erzwingen. Entweder es funktioniert, oder es funktioniert nicht.“

Etwas schief sah Noa ihn an. Sie waren noch jung, wirklich?

“Du bist fast dreißig, Leandro.“

Erinnerte sie ihn.

„Ja, stimmt.“

Er knirschte mit den Zähnen.

„Aber ich fühl' mich wie zwanzig.“

Noa Chanelle Cortina rollte mit den Augen. Immerhin, dachte sie, verwirrte Leandros Rat sie nicht noch weiter. Sie wusste ganz genau, dass sie nicht noch ei paar Jahre zwanglos durch fremde Betten hüpfen wollte.

“Danke für die weisen Worte.“

Sagte sie augenzwinkernd zu ihm. Er hatte es geschafft sie aufzuheitern, das war auch für etwas gut. Leandro grinste, wie üblich. Seine gute Laune war ohnehin allgegenwärtig.

„Immer gerne.“

Er entließ Noa, damit sie ihren Weg in die Umkleide finden konnte. Nach einer anstrengenden Trainingseinheit und diesem unsinnigen Gespräch mit ihrem Bruder, freute sie sich darauf, sich alle Anstrengung, Hitze und Schweiß von ihrem Körper zu waschen. Was danach kam, würde sie sehen. Sie hatte noch eine Nachricht zu beantworten und so langsam musste sie sich überlegen, was sie schreiben würde. Mit den Ratschlägen jedes einzelnen Familienmitgliedes im Kopf, stieg Noa in die Nasszelle. Das Problem war, dass in jeder einzelnen Meinung, die sie gehört hatte, eine gewisse Wahrheit steckte. Nichts von dem, was die anderen gesagt hatten, war wirklich vollkommen abwegig. Aber konnte sie aus diesen verschiedenen Sichtweisen ihre eigene Wahrheit und den für sie richtigen Weg finden?

- Coruscant – City – Fitnessstudio – Umkleidekabine / Nasszelle –
 
- Coruscant – City – Parkbucht des Fitnesstudios –

Auf dem Weg nach draußen schulterte Noa ihre Sporttasche. Dass Leandro seine Freizeit lieber ungebunden und nach seinen Vorstellungen verbrachte, statt eine ernsthafte Beziehung zu führen, war nichts Neues. Mit seinen 29 Jahren hatte er bisher nur wenige feste Freundinnen gehabt und mit keiner davon war er lange zusammen gewesen. Er war der Typ Mann, der lieber fremde Frauen in einer Bar abschleppte, wenn er mit seinen Freunden unterwegs war, statt sich dauerhaft mit einer einzigen Frau nieder zu lassen. Vielleicht würde sich das eines Tages noch ändern. Noa verstaute ihre Tasche auf ihrem Speederbike. Sie selbst hatte den ein oder anderen One-Night-Stand gehabt, doch sie wusste auch, dass das nichts war, was sie in ihrer Zukunft sah. Es war ihr immer besser gegangen, wenn sie in einer Beziehung gewesen war – oder jedenfalls so lange, bis diese sich als Fehler erwiesen hatten. Sie wollte wieder einen Mann in ihrem Leben, einen der diesmal bleiben würde. War das ein unsinniger Gedanke, wenn man erst 25 Jahre alt war? Leandro hatte gesagt, sie sei noch jung und er hatte Recht, sie hatte noch Zeit. Es gab keinen Grund für sie, Torschlusspanik zu bekommen, jedenfalls nicht wenn man es rational betrachtete. Trotzdem war es genau so wenig falsch, nach dem richtigen Mann Ausschau zu halten. Sie zog ihre Jacke fester zu, als sie auf ihr Speederbike stieg. Der Wind draußen war kalt und Noa liebte es, ordentlich auf die Tube zu drücken. Bevor sie startete – gerade noch rechtzeitig, bevor sie die die Energie hoch fuhr – meldete sich ihr Komlink und Noa holte das Gerät aus ihrer Jackentasche. Es überraschte sie, Jespers Namen zu lesen.

“Jesper, was gibt’s?“

Meldete sie sich, ihre Stimme ein wenig sorgenvoll. Ihr erster Gedanke war, dass etwas mit Cloé war. Krankenhaus, Raubüberfall, Entführung, Unfall... es konnte alles passiert sein.

„Noa, ich brauche deine Hilfe.“

Jespers Stimme klang nicht verzweifelt und Noas Sorge verschwand im Nu. An ihrer Statt erwachte Interesse. Wann rief Jesper sie schon an, weil er etwas von ihr brauchte? Das kam so gut wie nie vor.

“Schieß los.“

Forderte sie ihn auf.

„Euer Geburtstag.“, Sagte Jesper. „Ich habe eine Idee für ihr Geschenk, aber ich bin mir unsicher.“

Oh, das war es also. Ihren Geburtstag hatte Noa natürlich nicht vergessen (niemand war so wenig auf sich selbst fixiert, nicht an den eigenen Geburtstag zu denken), doch bei allem, was sie derzeit im Kopf hatte, war er etwas aus dem Fokus gerückt. Sie hätte nicht mal sagen können, was sie sich wünschte. Einen Wunsch hatte sie zwar, aber den konnte ihr wohl kaum jemand erfüllen.

“Und jetzt brauchst du meinen exquisiten Geschmack, um meiner luxuriösen Schwester eine Freude zu machen?“

Scherzte sie. Jesper lachte. Er wusste ganz genau, dass Noa nicht unbedingt die beste Hilfe war, um ein Geschenk für Cloé auszusuchen. Noa konnte ja noch nicht mal Cloés favorisierte Designer auseinander halten.

„Nicht ganz.“

Erwiderte Jesper erwartungsgemäß.

„Ich brauche dich, damit du etwas anprobierst. Ich würde gerne sehen, wie es aussieht – und ob es passt.“

“Oh!“

Damit hatte Noa nicht gerechnet. Was auch immer Jesper ausgesucht hatte, es war bestimmt etwas Tolles. Mit ihm als Freund blieben einer Frau kaum Wünsche offen.

“Klar, kein Problem. Wann wollen wir uns treffen?“

„Wie wäre es mit jetzt gleich?“

Offenbar hatte es Jesper eilig. Noa überlegte nicht lange. Wie sie schon Leandro erzählt hatte, hatte sie nichts vor. Spontan stimmte sie zu.

“Okay, wo?“

„Ich bin noch im Café Blanche. Kannst du da hin kommen? Dann kann ich noch meinen Kaf in Ruhe zu Ende trinken und von da ist es auch nicht weit bis nach Corprédos.“

“Uhh, du hast ihr was bei Corprédos ausgesucht?“

Noa war beeindruckt. Sie kannte sich nicht unbedingt aus, wenn es um Designer und Marken ging, aber das Luxuskaufhaus, in dem es Kleidung, Parfum, Schmuck und Schuhe in Hülle und Fülle zu überteuerten Preisen gab, kannte auch sie. Cloé hatte sie schon ein paar Mal dorthin geschleppt, aber mehr als geschaut und anprobiert hatte Noa nicht. Dafür war ihr Portemonaie schlicht zu klein.

“Ich bin so gut wie unterwegs.“

Sagte sie dann.

“Gib mir zehn Minuten.“

Sie beendete die Verbindung und steckte ihr Komlink weg. Cloé hatte es unendlich gut, dachte sie. Welche Frau, die nicht gerade in einer perfekten Beziehung steckte, hätte nicht gerne mit ihr getauscht? Jesper war einer der nettesten, aufmerksamsten Männer, die sie kannte und sie gönnte ihn ihrer Schwester von ganzem Herzen.

Das Café Blanche war nach wie vor nicht Noas bevorzugter Ort um gemütlich irgendwo zu sitzen und in diesem Leben würde sich daran vermutlich nicht mehr viel ändern. Die schwarz-weiß gemusterte Einrichtung sah toll aus und man saß bequem in den tiefen Sesseln, doch Noa bevorzugte einen lässigen, ungezwungen Umgang in einer modernen Bar dem steifen Getue der farblich aufeinander abgestimmten Kellner im Café Blanche. Da Cloé aber so gerne hierher kam, hatte sich offenbar auch Jesper angewöhnt, hier zwischendurch einen Kaf zu trinken. In dem U-förmigen Raum musste sie ihn erst kurz suchen, bevor sie ihn vor einem der in die Wand eingelassenen Aquarien sitzen sah, eine Tasse und einen Datenblock vor sich. Als er sie sah stand er auf und küsste sie zur Begrüßung auf die Wange.


„Ich bin noch nicht ganz fertig. Setzt du dich noch kurz?“

Noa folgte seiner Aufforderung.

“Klar, ich hab Zeit. Verrätst du mir, was du Cloé schenken willst?“

Jesper grinste.

„Du wirst es früh genug sehen.“

Hielt er sich bedeckt. Noa seufzte ungeduldig. Es war es zu erwarten gewesen, dass Jesper es spannend machen würde.

“Du hast Glück, dass ich überhaupt noch in der Lage bin zu laufen.“

Sagte sie und streckte unter dem Tisch ihre Beine aus.

“Ich komme grad aus dem Fitnesstudio. Brad hat mich gedrillt wie einen frischen Kadetten.“

„Wirklich? So erschlagen siehst du gar nicht aus.“

“Nur, weil ich mindestens eine Viertelstunde unter der heißen Dusche gestanden habe.“

Noa grinste. Zuhause war sie sparsam mit warmem Wasser, ihr kleines Portemonaie dankte es ihr, dafür nutzte sie die kostenlosen Duschen im Fitnesstudio gerne aus. Jesper deaktivierte seinen Datenblock und trank von seinem Kaf.

“Das hat sich gelohnt. Man sieht dir wirklich nichts an.“

Versicherte er ihr, sah an ihr vorbei und auf sein Gesicht legte sich dieser wohlbekannte Ausdruck, wenn man jemanden entdeckte, den man kannte. Neugierig drehte Noa sich um und folgte seinem Blick. Hinter ihr bahnte sich ein Mann seinen Weg an den Tischen vorbei, den sie noch nie gesehen hatte – vielleicht irgndein alter Bekannter von Jesper?

„Rufus! So schnell sieht man sich wieder.“

Jesper grinste, ein seltsamer Ausdruck auf seinem Gesicht. Der fremde Mann ging auf ihn zu, lächelte und schüttelte Noas Schwager in Spe überschwänglich die Hand.

„Jepp, so schnell kann's gehen. Ich... war grad' in der Gegend.“

Er sah von Jesper zu Noa, fast erwartungsvoll. Die Widerstandskämpferin hob eine Hand.

“Hi.“

Sagte sie, nicht gerade kreativ. Jesper sprang ein.

„Rufus, das ist Noa, Cloés Schwester. Noa, das ist Rufus, ein Arbeitskollege von mir.“

Ahh, ein Kollege also. Noa nickte verstehend. So machte die Begrüßung der beiden natürlich Sinn. Sie hatten sich vorhin auf der Arbeit gesehen und jetzt schon wieder. Höflich zog Jesper einen freien Stuhl unter dem Tisch hervor.

„Setz dich doch.“

Bot er an, Noas Blick meidend. Oh nein, das musste ja nicht sein, oder? Nicht, dass sie etwas gegen fremde Leute hatte (meistens jedenfalls nicht), aber saßen sie hier nicht nur, weil Jesper seinen Kaf noch nicht ausgetrunken hatte? Sie hatten noch etwas zu erledigen und Noa wollte endlich wissen, was er Cloé zum Geburtstag schenken wollte! Eindringlich, möglichst ohne dass dieser Rufus es mitbekam, sah Noa Jesper an, doch der ignorierte sie gekonnt. Grrrrrr.

„Ich hab' übrigens deine Musik dabei.“

Arbeitskollege-Rufus griff in die Innentasche seiner Jacke und schob Jesper einen Datenstick über den Tisch zu. Er schien kurz zu zögern.

„Zufällig.“

„Oh, danke.“

Jesper grinste.

„Rufus ist nämlich Musiker.“

Sagte er zu Noa gewandt.

„Na ja... Hobby-Musiker.“

Korrigierte dieser. Oh, tatsächlich? Noa sah ihn interessiert an.

“Was für Musik?“

Wollte sie wissen. Jespers Kollege lehnte sich zurück.

„Rock, größtenteils. Ein bisschen Flash-Floor. Ich hab' ein paar Kumpels, mit denen ich mich hin und wieder zum Jammen treffe.“

Sagte er. Ihm gegenüber leerte Jesper mit einem letzten Zug seine Tasse.

„Mit dem Thema habt ihr mich abgehängt.“

Sagte er und stand auf. Noas Blick folgte ihm irritiert.

“Äh..?“

„Warum bleibt ihr nicht noch hier und quatscht ein bisschen?“

Schlug er vor.

„Trinkt was zusammen, lernt euch kennen...“

Er knöpfte sein Jackett zu und obwohl sie seine Worte verstanden hatte, dauerte es noch einen Moment, bis ihre Bedeutung auch wirklich bei Noa ankam. Ihr Blick wanderte von Jesper zu Rufus, den Jespers plötzlich seltsames Verhalten gar nicht zu wundern schien. Er runzelte nicht einmal die die Stirn, doch Noa Chanelle Cortina verengte die Augen. Das war doch ein abgekartertes Spiel! Jesper hatte von vorn herein geplant, dass sie hier auf seinen Arbeitskollegen traf! Seine Bitte, ihm zu helfen? Fake! Rufus plötzliches Auftauchen? Kein Zufall!

„Macht euch einen schönen Nachmittag.“

Jesper, einer der nettesten, charmantesten und aufmerksamsten Männer, die Noa kannte, schob seinen Stuhl zurück unter den Tisch. Er klopfte seinem Kollegen auf die Schulter, wagte es endlich Noa anzusehen und besaß immerhin den Anstand, beschämt auszusehen.

„Das war alles Cloés Idee.“

Sagte er, trotz allem unschuldig die Hände hebend. Noa funkelte ihn an.

“Aber du hast bereitwillig mit gemacht.“

Erwiderte sie vorwurfsvoll und sah ihm nach, wie er eilig das Café Blanche verließ, in dem Noa mit einem Date fest saß, das sie nicht geplant hatte, sondern das für sie geplant worden war.

- Coruscant – City – Café Blanche – Mit Rufus -
 
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